Archiv für den Monat: Dezember 2010

Endlich: Zahlen auf dem Tisch, oder: Wie besoffen muss ich sein,…

…damit eine Einwilligung in die Blutentnahme mit der Folge, dass die richterliche Anordnung (§ 81a Abs. 2 StPO) nicht erforderlich ist, nicht mehr wirksam ist. Zu der Frage hatte es bisher zwei Entscheidungen gegeben, die sich damit eingehender auseinandergesetzt hatten, nämlich OLG Bamberg und LG Saarbrücken. In beiden Entscheidungen waren aber konkrete Zahlen nicht genannt worden, so dass die Frage, ab wann denn nun erfolgversprechend die Unwirksamkeit einer Einwilligung wegen fehlender Einwilligungsfähigkeit geltend gemacht werden kann, offen war.

Dazu liegt aber jetzt die erste obergerichtliche Entscheidung vor. Das OLG Hamm hat in seinem Beschl. v. 02.11.2010 – III-3 RVs 93/10 ausgeführt, dass dann, wenn ein Beschuldigter in eine Blutprobenentnahme einwillige, es regelmäßig keiner Anordnung zu einer Entnahme derselben durch einen Richter bedürfe – insoweit nichts Neues. Auch nicht neu ist, dass die Einwilligung ausdrücklich und eindeutig und aus freiem Entschluss erklärt werden muss. Neu sind aber die Ausführungen zur Einwilligungsfähigkeit. Insoweit gilt: Liegt nur eine mittelmäßige Alkoholisierung (im entschiedenen Fall:  1,23 Promille) ohne deutliche Ausfallerscheinungen vor, sei von einer solchen auszugehen. Das OLG führt weiter aus:

„Die Grenze, bei der deutliche Beeinträchtigungen in der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit angenommen werden, liegt bei etwa 2 Promille Blutalkohol. Von diesem Wert war der Angeklagte sehr weit entfernt. Er zeigte zwar Ausfallerscheinungen, insbesondere den vom Amtsgericht festgestellten schwankenden Gang, war aber durchaus in der Lage, mit seinem PKW unfallfrei zumindest noch für einen kurzen Zeitraum am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Soweit die Revision auf den ärztlichen Befundbericht verweist, nach dem der Angeklagte nach außen hin deutlich unter Alkoholeinfluss gestanden haben soll, ist dieser Vortrag urteilsfremd. Insgesamt ergeben sich keine genügenden greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der im Hinblick auf eine Beeinträchtigung seiner kognitiven Fähigkeiten eher geringgradigen Alkoholisierung nicht in der Lage gewesen sein sollte, die Belehrung zu verstehen und die Tragweite seiner Einwilligung zu erkennen, zumal es sich um einen völlig einfach gelagerten Sachverhalt gehandelt hat.“

Daraus wird man den Schluss ziehen können/Müssen: Ab 2 Promille war es das mit der Wirksamkeit der Einwilligung. Das entspricht in etwa der Grenze, ab der die Obergerichte im Urteil Ausführungen zu § 21 StGB erwarten.

Pflichtverteidigerbestellung bei Untersuchungshaft – verfahrensbezogen Ja oder Nein?

Ein Streitpunkt (vgl. hier und hier) bei der Auslegung der neuen Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist die Frage, ob der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger auch dann zu bestellen ist, wenn die Untersuchungshaft  nicht in demjenigen Verfahren vollzogen wird, für welches sich der Verteidiger bestellt hat.

Das OLG Frankfurt sagt in seinem Beschl. v. 22.04.2010 – 3 Ws 351/10, auf den ich erst jetzt gestoßen bin: Dem Beschuldigten ist der Rechtsanwalt gleichwohl zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der gesetzlichen Neuregelung. Es werde dort ausschließlich die Vollstreckung von Untersuchungshaft als Anknüpfungspunkt für die Erforderlichkeit der Pflichtverteidigung genannt. Auch historische Argumente sprechen nach Auffassung des OLG für diese Sichtweise, da bereits zur alten Rechtslage anerkannt war, dass eine Beiordnung verfahrensunabhängig zu erfolgen hatte.

M.E. nach Sinn und Zweck der Neuregelung zutreffend.

Unverschämt

… anders kann man m.E. das Verhalten des Vorsitzenden der Berufungskammer nicht bezeichnen, wenn man den Beschl. des OLG Hamm vom 19.10.2010 – III-3 RVs 87/10 liest.

Der Angeklagte legt gegen das Berufungsurteil Revision ein und beantragt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Der Vorsitzende tut nichts, sondern wartet ab, bis die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen ist und verwirft dann die Revision wegen fehlender Begründung als unzulässig. Auf den dagegen eingelegten „Widerspruch“, den das OLG als Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO ausslegt, hebt das OLG Hamm auf und führt aus:

Der nach § 346 Abs. 2 S. 1 StPO zulässige Antrag des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Detmold vom 13. September 2010. Zwar hat der Angeklagte die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 345 Abs. 1 S. 2 StPO, die nach Zustellung des Urteils am 4. August 2010 am 6. September 2010 endete, versäumt. Dies geschah indes ohne Verschulden des Angeklagten (§ 44 Abs. 1 S. 1 StPO), weil über seinen bereits mit der Revisionseinlegung gestellten Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entschieden worden ist (vgl. KK-Maul, StPO, 6. Aufl., § 44 Rdnr. 27; OLG Hamm, MDR 1976, 1038; BayObLG, NStZ 1995, 300).Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren und aus seinem Anspruch auf rechtliches Gehör ergab sich die Verpflichtung des Landgerichts, vor Verwerfung der Revision über den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO zu entscheiden. Der Senat ist – in Übereinstimmung mit der o.g. früheren Rechtsprechung des OLG Hamm und der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts – der Auffassung, dass in der gegebenen Konstellation ein Angeklagter darauf vertrauen darf, dass so rechtzeitig über den Beiordnungsantrag entschieden wird, dass der Angeklagte ggf. noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entweder selbst einen Verteidiger beauftragen oder die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären kann (vgl. auch BayObLG, StV 1988, 332).

Zutreffend, was das OLG sagt: Man hätte sich noch deutlichere Worte gewünscht.

Die verrücktesten Gesetze der Welt – es gibt auch welche zur Weihnachtszeit :-)

Man muss ja nur suchen, dann findet man auch. In einem Büchlein von Dr. Roman Leuthner – Nackt duschen verboten – und im Internet gibt es dann auch Hinweise auf Gesetze, dass sich mit Weihnachten befasst, mehr habe ich leider nicht gefunden:

Zunächst: Im Jahre 1659 wurde in Massachusetts Weihnachten als ungesetzlich erklärt.  1647 wurde in England Weihnachten gesetzlich abgeschafft. Na, da würde sich die heimische Wirtschaft aber freuen.

In einigen Länder, wie z.B. der Schweiz, herrscht an Weihnachten ein Tanzverbot. Also Vorsicht? Nein, natürlich nur öffentlich, privat darf man also um den Tannenbaum tanzen. Das Tanzverbot gibt es bei uns übrigens auch in den Bundesländern, wie z.B. Bayern, in denen der 24.12. ein sog. stiller Feiertag ist (aber erst ab 14.00 Uhr, bis dahin kann man also noch eine kesse Sohle aufs Parkett legen).

Und: In Minnesota ist es Frauen verboten, öffentlich verkleidet als Weihnachtsmann aufzutreten. Bei Zuwiderhandlung drohen 30 Tage Gefängnis. Wenn das Alice Schwarzer wüsste :-). Scheint es aber zu geben 🙂

Bei der Suche nach den „Weihnachtsgesetzen“ bin ich dann auf eine Vorschrift aus Florida gestoßen, nach der es Männern grundsätzlich verboten ist, sich mit einer sichtbaren Erektion in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Ok, das gibt es bei uns in § 183a StGB auch. Was mich nur stutzig machte, ist das „grundsätzlich“. Wann ist es denn in Florida erlaubt, fragt man sich? 🙂 🙂

Der rechtsschutzversicherte Rechtsanwalt im Straf- und Bußgeldverfahren

Es ist ja in den vergangenen Tagen schon an einigen Stellen über das BGH-Urt. v. 10.11.2010 – IV ZR 188/08 berichtet worden, vgl. hier und hier. Danach erfasst das in § 5 (1) a) Satz 1 ARB 94 enthaltene Leistungsversprechen des Rechtsschutzversicherers auch die Rechtsanwaltsvergütung, die durch die Selbstvertretung eines versicherten Rechtsanwalts in einem Zivilrechtsstreit entsteht.

Das Wichtige für das Strafverfahren: Der BGH hat die Erstattung der Gebühren bei Selbstvertretung nur für das Zivilverfahren bejaht. Für das Strafrecht ist die Erstattung hingegen abzulehnen. Ein Rechtsanwalt, der sich selbst verteidigt, hat keinen Anspruch gegen seinen Rechtschutzversicherer. In der StPO fehlt eine § 78 Abs.4 ZPO entsprechende Regelung. Eine Doppelrolle von Beschuldigter/Angeklagter/Betroffener und Verteidiger ist hier nicht vorgesehen. Dies sei auch von der Verfassung her nicht geboten (BVerfG NJW 1998, 2205). Eine solche Doppelrolle sei auch mit dem Verständnis des Verteidigers als einem selbständigen Organ der Rechtspflege nicht zu vereinbaren. Darauf weist der BGH ausdrücklich hin. Deshalb schuldet der Rechtschutzversicherer eben nicht die Erstattung von Verteidigergebühren bei einer Selbstverteidigung des Versicherungsnehmers/Versicherten.

Schade 🙂