Archiv für den Monat: August 2010

Der befangene LOStA

Ich schöpfe mal wieder aus meiner Fundgrube Forum bei LexisNexis Strafrecht. Ein Kollege teilt dort mit:

“ Hallo, in dieser Woche bleibt mir auch gar nichts erspart  🙁 In einer HV vor dem AG tritt der LOStA als Sitzungsvertreter auf. Es geht um ein Strafbefehlsverfahren wegen BtM. Mdt. ließ sich vertreten, da er seit 2 Wochen neuen Arbeitsplatz als Bauhelfer hat und keinen Urlaub bekommt, außerdem dem neuen Arbeitsgeber nicht gleich von einer Drogenanklage erzählen wollte.
Das Gericht zeigte hierfür Verständnis. Der LOStA meinte, der Angekl. habe offensichtlich keinerlei Interesse an der HV, was Einfluss auf die Strafzumessung nehmen könnte, und außerdem könne er auch anders blablabla, dann bleibe es nicht bei den 40 TS, sondern es gäbe eine Freiheitsstrafe.
In seinem Schlussvortrag wertete er allen Ernstes zu Ungunsten des Angekl., dass er der HV fern blieb. Zitat: „Dem Angekl. ist es offensichtlich lieber, auf der Baustelle Bierkisten rumzutragen.“
Ich habe mich in meinem Schlussvortrag auf den Hinweis beschränkt, dass ich die abschätzende Äußerung des LOStA über den Arbeitsplatz des Angekl. ungehörig finde.“

Dem Kollegen ging es um die „Ablehnung“ des LOStA, woran man ja nun wirklich denken kann. Die Frage hat sich aber wohl erledigt, da das Verfahren beendet ist. Zuständig dürfte aber der General sein (vgl. § 147 GVG).

Im Übrigen: „Ungehörig“ finde ich noch sehr maßvoll.

Ach so: Man fragt sich, warum ist ein LOStA beim AG. Dazu gleich mehr.

Betreutes Wohnen ist nicht Haft

Die Anwendung des im RVG vorgesehenen sog. Haftzuschlages (vgl. Vorbem. 4 Abs. 4 VV RVG) läuft in der Praxis nicht ganz problemlos.

Schwierigkeiten gibt es einmal, weil vielfach auf die Frage abgestellt wird, ob in der Person des Verteidigers aufgrund der Inhaftierung des Mandanten Erschwernisse tatsächlich entstanden sein müssen, was nicht der Fall ist, da es sich um eine Pauschalregelung handelt. Zum anderen gibt es auch Problem bei der Frage, was eigentlich „nicht auf freiem Fuß“ bedeutet. Klar, das U-Haft und Strafhaft „nicht auf freiem Fuß ist. Aber was ist mit dem offenen Vollzug und was ist mit der Unterbringung, wenn die schon in einem Wohnheim in der Form des betreuten Wohnens vollzogen wird.

Zu letzterem hat jetzt das OLG Stuttgart in einem Beschl. v. 27.07.2010 – 5 Ws 120/10 ausgeführt, dass das nicht „nicht auf freiem Fuß“ ist, da sich der Untergebrachte – anders als im offenen Vollzug – frei bewegen könne.

Stimmt m.E. Stimmt im Übrigen auch überein mit der Rechtsprechung des KG (RVGreport 2008, 463 = RVGprofessionell 2008, 212 = NStZ-RR 2009, 31 = JurBüro 2009, 83 = StRR 2009, 156).

Durchsuchungsanordnung setzt Anfangsverdacht voraus, sie soll/darf nicht erst den Anfangsverdacht ergeben

Vor lauter Blutentnahme und Videomessung ist in der letzten Zeit die Durchsuchung und die Rechtmäßigkeit ihrer Anordnung ein wenig aus dem Blick geraten. Um so schöner, wenn man dann auf einen interessanten Beschl. des BVerfG aus dem Bereich stößt, so der Beschl. v. 11.06.2010 – 2 BvR 3044/09. In dem hat das BVerfG mal wieder zum Anfangsverdacht Stellung genommen bzw. nehmen müssen.

Danach ist eine Wohnungsdurchsuchung eben rechtswidrig, wenn es für die vorgeblich vorliegende Straftat lediglich Verdachtsgründe gibt, die aber über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen nicht hinausgehen. Eine Durchsuchung darf nicht erst der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, da sie einen Verdacht bereits voraussetzt. So verhielt es sich aber im entschiedenen Fall. Bei einem wegen Betäubungsmittelhandel vorbestraften Beifahrers wurde im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle Marihuana nur in der Größenordnung des Eigenkonsums gefunden. Dann wurde wegen angeblich abwegiger Aussagen bei der Polizei eine Durchsuchung seiner Wohnung durchgeführt, bei der weitere Betäubungsmittel aufgefunden werden. In einem solchen Fall bringt – so das BVerfG – erst die Durchsuchung einen tragenden Tatverdacht und ist damit rechtswidrig.

Zu Beweisverwertungsverbot (natürlich) nichts.

„Munition“ für die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren – immer wieder Kampf um Eichschein, Bedienungsanleitung u.a.

Der Kollege Melchior berichtet gerade (vgl. hier) über ein Akteneinsichtsgesuch, bei dem ihm der Eichschein nicht übersandt worden ist mit der Begründung (in Bayern), dass der nicht Bestandteil der Akten sei und nur auf gerichtliche Anforderung übersandt werde. Der Kollege Voigt berichtet in einem Kommentar dazu, dass es in NRW etwa heißt, „haben wir nicht, gibt es also auch nicht, im Übrigen sind die Beamten geschult“.

Der dauernde Kampf um diese oder andere Unterlagen erstaunt mich dann doch immer wieder. Schließlich geht es bei der Frage der Akteneinsicht – auch des Umfangs – um das rechtliche Gehör. Wie soll eigentlich der Betroffene die Ordnunsgemäßheit einer Messung überprüfen, wenn er nicht alle Unterlagen kennt, die dafür von Bedeutung sind. Und dazu gehören m.E. Eichschein usw. Auch das Argument: Urheberrecht des Verfassers der Bedienungsanleitung zieht m.E. nicht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör geht m.E. vor. M.E. muss sich der Verteidiger auch nicht damit zufrieden geben, dass die Behörde sagt: War geeicht und die Beamten sind geschult. Das ist m.E. nichts anderes als „Parteivortrag“.

In dem Kampf 🙂 muss man gut gerüstet sein. Dazu gehört die entsprechende Rechtsprechung der AG, die sich m.E. auf dem richtigen Weg befinden und dem Verteidiger ein Akteneinsichstrecht in all die Unterlagen einräumen, die auch einem Sachverständigen für ein Gutachten zur Verfügung gestellt werden müssen. Das sind:

Jeweils für Bedienungsanleitung bzw. Messfilm oder Messfoto

über AG Erfurt und AG Schwelm haben wir ja auch hier schon berichtet.

Die Bedienungsanleitung für das Dräger-Gerät findet sich im Internet unter: http://www.draeger.com/DE/de/products/alcohol_drug_detection/evidential/cdi_alcotest_7110_evidential.jsp

Für die sog. Lebensakte ist ganz interessant:

Ach so: Und dann muss man natürlich, wenn man Munition für die Rechtsbeschwerde haben will, mit der Problematik auch verfahrensrechtlich richtig umgehen. Im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde natürlich Antrag nach § 62 OWiG, zu allem anderen: Fortsetzung folgt :-).

„Sperrberufung“ ist schon schlimm, aber eine „versteckte, bedingte Berufung“ m.E. ist noch schlimmer

Wir hatten vor einiger Zeit eine Diskussion über die sog. Sperrberufung der StA, wovon gerne Gebrauch gemacht wird (vgl. hier und hier). Heute berichtet im Forum bei LexisNexis Strafrecht (manchmal eine Fundgrube für Blog-Beiträge, aber nicht nur dafür 🙂 über einen anderen Fall betreffend die staatsanwaltschaftliche (Sperr)Berufung, der m.E. noch „schlimmer“ ist und ein – vorsichtig ausgedrückt – bedenkliches Licht auf das Vorgehen des handelnden StA wirft. Ich zitiere:

„Mdt. ist wegen Diebstahls angeklagt, die Beweislage ist dünn. Ich führe eine Freispruchverteidigung. Die StA beantragt in der HV 4 Monate oB.
Das Gericht verurtelit zu 90 TS. Die mündliche Urteilsbegründung ist schwammig.
Morgen läuft die Rechtsmittelfrist ab.
Heute rufe ich bei der Geschäftsstelle an, um zu fragen, ob ein Rechtsmittel der StA vorliegt. Die Antwort: Jein. Unter der Hand wird mir gesagt, dass eine Rechtsmittelschrift vorliege, jedoch nur für den Fall, dass der Angekl. Rechtsmittel einlege.
Das Urteil ist objektiv wohl richtig. Mit der Geldstrafe kommt Mdt. (15 Eintragungen im BZR, davon 11 einschlägig wg. § 242) extrem gut weg.
Ich habe Mdt. geraten, kein Rechtsmittel einzulegen. Bloß: Wäre es taktisch sinnvoll, Berufung einzulegen, um ein Argument für eine spätere gegenseitige Rücknahme zu haben? Wenn ich kein Rechtsmittel einlege und die StA sich doch noch unabhängig von einem Rechtsmittel des Angekl. dazu entschließt, schaue ich recht dumm.“

Lassen wir mal die Taktikfrage außen vor. Interessanter ist m.E. die Frage, welches Verständnis der StA eigentlich vom Rechtsstaat hat. Oder übersehe ich etwas und es gibt inzwischen in der StPO eine Vorschrift, wonach eine versteckte bedingte Berufung der StA möglich/zulässig ist.

Es tun sich auch interessante 🙂 🙁 Fragen auf. Wie soll das denn ablaufen?. Die Berufungsschrift der StA hat doch einen Eingangsstempel (?; sollte sie zumindest haben) und ist eingegangen und damit Aktenbestandteil. Oder nicht bzw. wo wird sie (dann) verwahrt?. Wenn der Kollege jetzt eine Minute vor Ablauf der Berufungsfrist Berufung einlegt, dann muss doch die Berufung in die Akte, oder? Und dann mit welchem Eingangsstempel? Wird keine Berufung eingelegt, dann wird der Aktenbestandteil wieder entfernt? Ist das dann § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB (habe ich jetzt nicht zu Ende geprüft). Die Sache schreit auf jeden Fall nach einer dicken Dienstaufsichtsbeschwerde. M.E darf man das nicht durchgehen lassen. Wehret den Anfängen…! Lässt man es nämlich durchgehen, dann können wir die StPO gleich abschaffen.