In einem Zusatz (!!) zu einer OU-Verwerfungsentscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO hat jetzt das OLG Hamm eine Frage entschieden, die – vorsichtig ausgedrückt – in der Rechtsprechung der OLG (höchst) umstritten ist. Nämlich die Frage, wie damit umzugehen ist, wenn vor einer Atemalkoholmessung die Wartezeit von 20 Minuten zwischen Trinkende und Beginn der Messung nicht beachtet worden ist (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 15. 10. 2009, 2 Ss OWi 737/09). Das OLG Hamm hat sich der Auffassung des OLG Karlsruhe angeschlossen, das davon ausgeht, dass bei einer deutlichen Überschreitung des Gefahrengrenzwertes, die mit der Nichteinhaltung der Wartezeit verbundenen Schwankungen durch Hinzuziehung eines Sachverständigen geklärt werden können, ob und ggf. in welchem Umfang sich die Unterschreitung der Mindestzeit seit Trinkende ausgewirkt hat. Andere OLG halten das für unzulässig und kommen zur Unverwertbarkeit der Messung und zum Freispruch des Betroffenen. Schön und (na ja) gut, in der Sache kann man sicherlich streiten. Nur: Ist dafür ein Zusatz der richtige Ort? Oder muss man eine solche Frage nicht in einem „ordentlichen“ Beschluss behandeln? Und: Wie ist es ggf. mit einer Vorlage nach § 121 GVG an den BGH?
Archiv für den Monat: November 2009
BVV nach Fehler bei der Blutentnahme, aber dennoch verurteilt
Inzwischen liegt die 2. Entscheidung des OLG Oldenburg zum Beweisverwertungsverbot bei einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 stPO vor (Beschl. v. 1 Ss 183/09), allerdings zunächst mal nur als Pressemitteilung des Gerichts (vgl. PM v. 24. 11. 2009). In der Sache hatte die Revision des Angeklagten zwar keinen Erfolg, weil in der Revisionsbegründung nichts dazu vorgetragen worden war, ob der Angeklagte mit der Blutentnahme einverstanden war. Gleichzeitig stellte der 1. Strafsenat jedoch klar, dass die Polizei den Richtervorbehalt zu beachten hat und vor der Entnahme einer Blutprobe gegen den Willen eines Verdächtigen versuchen muss, den zuständigen Richter zu erreichen. Die Polizei darf von der Einholung eines richterlichen Beschlusses nicht absehen, weil dies in einer innerdienstlichen Weisung allgemein so vorgesehen ist. In einem solchen Fall kann dann das Blutalkoholgutachten nicht als Beweismittel verwertet werden.
Was lernt man daraus:
- Die Diskussion um das Beweisverwertungsverbot ist noch lange nicht am Ende:
- Es kommt mitentscheidend für den Erfolg des Rechtsmittels auf seine Begründung an. Daran stellen die Gerichte hohe Anforderungen.
DAS – Oh Gott wie scheinheilig
Einer Hauptstreitpunkte im RVG ist/war die Frage, ob durch die Einstellung des Strafverfahrens und die Abgabe an die Verwaltungsbehörde auch die Befriedungsgebühr Nr. 4141 VV RVG entsteht. Das wurde von der einhelligen Meinung der Literatur und fast allen Amstgerichten, die sich mit der Frage befasst haben, bejaht. Nur Die RSV (natürlich) und das AG München haben das anders gesehen. Die RSV DAS hat dann eine Verfahren bis zum BGH getrieben, der jetzt am 05.11.2009 – IX ZR 237/08 – entschieden hat, und zwar im Sinne der RSV. Die Begründung liegt noch nicht vor. M.E. ist die Entscheidung aber falsch, nur: Jede RSV wird sich jetzt darauf beziehen.
Wenn man dann liest, wie der DAS dazu Stellung nimmt, macht einen die Scheinheiligkeit doch ärgerlich (vgl. http://www.rws-verlag.de/hauptnavigation/aktuell/news-detail/article/335/DAS-BGH-Urteil-zu-Rechtsanwaltsgebuehren-Finanzielle-Entlastung-fuer-Verbraucher.html. Da heißt es“ Die D.A.S. hat ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gewonnen, das eine finanzielle Entlastung für Rechtssuchende bedeutet. Gegenstand der Verhandlungen waren überzogene Rechtsanwaltsgebühren. Dabei ging es um die Frage, ob ein Anwalt bei Abgabe eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens an die Ordnungsbehörde zur weiteren Verfolgung eine zusätzliche Gebühr berechnen darf.
So wird beispielsweise bei Verkehrsunfällen mit geringfügigen Verletzungen der Beteiligten oder beim Verdacht einer anderen Verkehrsstrafsache generell zunächst ein Strafverfahren eingeleitet. Häufig werden solche Fälle jedoch umgehend an die Ordnungsbehörde abgeben, um sie als Ordnungswidrigkeiten weiter zu verfolgen.
„Für diesen Vorgang – also die Abgabe des Verfahrens an die Ordnungsbehörde – hat ein Teil der Anwaltschaft bislang eine zusätzliche Gebühr von ihren Kunden verlangt, obwohl dies die Gebührenordnung nicht vorsieht“, erläutert Rainer Tögel, Vorstandssprecher der D.A.S. Rechtsschutzversicherung.
Der BGH hat sich der Auffassung der D.A.S. als führendem europäischen Rechtsschutzversicherer angeschlossen und entschieden, dass diese Gebühr nicht erhoben werden darf (Aktenzeichen IX ZR 237/08). Bei einem solchen Vorgang liege noch keine endgültige Einstellung des Verfahrens vor. Für die Verbraucher bedeutet diese Entscheidung eine deutliche finanzielle Entlastung bei der Beauftragung eines Anwalts im Strafverfahren. Rainer Tögel: „Ich freue mich, dass mit der Entscheidung des BGH die Interessen der Verbraucher weiter gestärkt wurden.“
Man soll doch ehrlich sein. Es geht doch nicht um finanzielle Entlastung der Rechtssuchenden, sondern nur um die der RSV. Oder?
LG Chemnitz: Wenn schon, denn schon, oder: Wie wäre es denn mal mit einer Begründung
Da ist mal wieder eine gebührenrechtliche Entscheidung, die ärgerlich macht.
Der RA beantragt nach Freispruch im OWi-Verfahren die Festsetzung der Wahlanwaltsgebühren. Er geht von den Mittelgebühren aus, die um etwa 18 % überschritten werden. Das AG setzt die Mittelgebühren fest, dagegen Rechtsmittel. Das LG Chemnitz entscheidet im Beschluss vom 22.10.2009, 2 Qs 82/09 und verwirft die sofortige Beschwerde. Es hält die Mittelgebühren für angemessen. So weit, so gut (über die Frage kann man trefflich streiten). Aber: Was ist denn nun mit der 20%-Grenze? Da hilft sich das LG mit einem Hinweis auf OLG Düsseldorf NStZ 1998, 465; und Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., § 14 RVG, Rn.12. Danach ist auch bei nur geringerer, unter der sog. 20 %-Grenze liegender Überschreitung der Bestimmung der Festsetzung der Wahlanwaltsgebühren diese nicht bindend, wenn sie mit sachfremden Erwägungen ohne Ermessensausübung erfolgte in der Meinung, in diese Bestimmung unter der 20 %-Grenze könne nicht eingegriffen werden. Nur: Für diese Annahme bleibt das LG m.E. eine Begründung schuldig. Denn es führt nur aus: „Vorliegend war die Festsetzung von deutlich (bis zu 18,6 %) über der Mittelgebühr, aber knapp unter der 20 %-Grenze liegenden Beträgen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des unterdurchschnittlich einfach gelagerten Falls trotz der Auswirkungen des Fahrverbots erheblich überhöht, so dass die Gebührenbestimmung nicht bindend ist.“ Das passt auf jeden Fall und führt zur Abschaffung der 20%-Grenze.
BVerfG beschränkt Postverkehr, oder: Verteidiger aufgepasst, was du mit in die U-Haft nimmst.
In Rechtsprechung und Literatur war bislang umstritten, welche Schriftstücke vom Verteidigerprivileg des § 148 StPO erfasst werden. Sind es nur die, die unmittelbar die Verteidigung betreffen, oder auch diejenigen, die mittelbar für die Verteidigung von Bedeutung sind, also z.B. erkennen lassen, dass sich der Beschuldigte um die Aufnahme eines Darlehens für die Stellung einer Kaution bemüht usw.? Die Rechtsprechung hat die engere Auffassung vertreten, die Literatur vertrat überwiegend die weitergehende Ansicht.
Hier hat nun das BVerfG entschieden und sich in seinem Beschluss vom 13.10.2009 – 2 BvR 256/09 der engeren Auffassung der Rechtsprechung angeschlossen. Die weitere Auffassung würde dem Beschuldigten einen nahezu unkontrollierten Schriftverkehr ermöglichen und in Konflikt mit § 119 Abs. 3 StPO geraten. Für den Verteidiger, der diese Entscheidung nicht beachtet, droht also jetzt immer § 115 StGB OWiG (geändert am 25.11.2009). Und: Er wird seinen Mandanten darüber belehren müssen, „dass im Bereich der eigentlichen Strafverteidigung eine Kommunikation weitgehend unabhängig von der Postkontrolle möglich, dies jedoch im weiteren Tätigkeitsbereich des Rechtsanwalts – etwa einer familiengerichtlichen Auseinandersetzung wie hier – ausgeschlossen ist“. Das BVerfG sieht darin einen Baustein für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses.
Na ja, das kann man m.E. mit guten Gründen anders sehen. Alles in allem eine Entscheidung, die die Verteidigung (mal wieder) beschränkt. Denn jetzt lässt sich aus anderem Schriftverkehr, der offen gelegt werden muss, z.B. in Haftsachen ohne weiteres erkennen, ob nicht ggf. doch Haftgründe vorliegen (Trennung von der Ehefrau usw.?).