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Corona I: “Gelber Judenstern” mit “Ungeimpft”, oder: Nochmals – strafbar wegen Volksverhetzung?

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Ich beginne die Woche erneut mit „Corona-Entscheidungen“. An sich hatte ich etwas anderes geplant, aber das verschiebe ich dann auf morgen. Ich habe nämlich in der letzten Woche zwei interessante Entscheidungen zu Corona übersandt bekommen.

Zunächst stelle ich hier den LG Köln, Beschl. v. 04.04.2022 – 113 Qs 6/22 – vor. Es geht noch einmal um die Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB) in Zusammenhang mit dem „Verwenden“ des sog. „gelben Judensterns“ mit dem Aufdruch „Ungeimpft“. Dazu hatte ich in der vergangenen Woche den LG Aachen, Beschl. v. 18.08.2022 – 60 Qs 16/22 – zur Frage der Strafbarkeit der Verwendung des Sterns in einem Facebook-Profil (vgl. Corona I: “Gelber Judenstern” mit “Ungeimpft”, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?). Das Posting hat die Mitglieder der 13. Strafkammer des LG Köln veranlasst, mit „ihren“ Beschluss zu übersenden, den ich heute dann vorstelle.

Es geht wieder um einen vom AG abgelehnten Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeschuldigten vor, „am 31.07.2021 einen weißen PKW der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen xxx auf einem für jedermann einsehbaren Parkplatz in der R-Straße 22 in K abgestellt zu haben, auf dem ein gelber sogenannter „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ angebracht gewesen sei. Darin sieht sie den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB erfüllt. “ Das AG lehnt den Erlass des Strafbefehls ab. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Das allgemein sichtbare Abstellen eines PKW mit einem sogenannten „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, da es unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich verharmlost.

Das Zeigen eines sogenannten „Judensterns“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ verharmlost unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art.

Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsache herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert. Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen bagatellisieren (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 107). Als Gegenstand der Verharmlosung erfasst werden sämtliche nationalsozialistische Gewalt- und Willkürmaßnahmen wie Massenvernichtungen, Menschenversuche im Konzentrationslager, Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden, Zwangssterilisationen, Schaffung unmenschlicher Lebensbedingungen durch Einweisung in Konzentrationslager, Verfolgung und Ächtung nebst völligem Eigentumsentzug oder Ghettoisierung (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 108).

Der sogenannte „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ soll die Situation derjenigen, die in der heutigen Zeit in Deutschland nicht gegen die Infektionskrankheit Covid-19 geimpft sind, mit der Situation der jüdischen Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus gleichstellen, denn diese Menschen mussten den sogenannten „Judenstern“ tragen.

Mit der „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 01.09.1941, RGBl. I S. 547, in Kraft getreten am 19.09.1941, wurde in § 1 Abs. 2 angeordnet, dass es „Juden (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935), die das sechste Lebensjahr vollendet haben, […] verboten [ist], sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen“, sowie in § 1 Abs. 2: „Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift ‚Jude‘. Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen.“ In § 4 der Verordnung wurde „Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder […] Haft bis zu sechs Wochen“ für den Fall der Zuwiderhandlung angedroht.

Ungeimpften wurden während der Covid-19-Pandemie im Vergleich zu Geimpften weitergehende Einschränkungen auferlegt. Das betrifft etwa die Regelungen zu Isolation und Quarantäne oder den Besuch von bestimmten Geschäften und Gaststätten. Diese Regelungen, die auf dem Infektionsschutz fußten und die zu allenfalls unangenehmen Einschränkungen im Alltag führten, waren Gegenstand auch bundesverfassungsgerichtlicher Überprüfung (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021, 1 BvR 781/21 u. a.).

An denjenigen, die den sogenannten „Judenstern“ zur Zeit des Nationalsozialismus tragen mussten, wurde hingegen mit der Shoah von 1941 bis 1945 ein Völkermord verübt, der das Ziel hatte, sämtliche Juden und Jüdinnen im deutschen Machtbereich zu töten, dem etwa sechs Millionen von ihnen zum Opfer fielen und der von einer vollständigen Entrechtung vorbereitet und begleitet wurde.

Wer diese beiden Sachverhalte mittels Tragen des vorbeschriebenen Sterns gleichstellt, bagatellisiert das Ausmaß des Unrechts der Shoah und verharmlost damit den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord im Sinne des § 6 Abs. 1 VStGB (so zu einem Plakat mit der Aufschrift „Hetze in Deutschland“ und darunter nebeneinander gestellten Abbildungen eines sogenannten „Judensterns“ mit den Jahreszahlen „1933-1945“ sowie des Logos der Partei „Alternative für Deutschland“ mit der Jahreszahl „2013-?“ auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 8 – juris [die gegen das Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2021, 1 BvR 1787/20]; ohne Begründung ablehnend hingegen Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 130 Rn. 27; vgl. zum Meinungsstand auch „Ist das Tragen von ‚Ungeimpft‘-Sternen strafbar?“, Artikel vom 02.03.2022, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ungeimpft-judenstern-strafbar volksverhetzung-verharmlosung-holocaust-olg-entscheidungen/ – abgerufen am 04.04.2022, demzufolge zustimmend Heger und Kubiciel, ablehnend Hoven und Jahn).

Der angestellte Vergleich lässt sich auch nicht auf eine Gleichstellung von vermeintlicher öffentlicher Hetze gegen Ungeimpfte und deren angeblicher Stigmatisierung mit Hetze und Stigmatisierung betreffend jüdische Menschen im Nationalsozialismus – und damit unter Umständen nicht § 6 Abs. 1 VStGB unterfallenden Handlungen – reduzieren (so zu dem vorbeschriebenen Plakat auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 8 – juris). Die Verpflichtung zum Tragen des sogenannten „Judensterns“ mit oben dargestellter Verordnung vom 01.09.1941 war Teil der bereits kurz nach Machtübernahme der Nationalsozialisten mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 07.04.1933, RGBl. I S. 175, beginnenden und später etwa mit den sogenannten „Nürnberger Gesetzen“ vom 15.09.1935 (insbesondere dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ sowie dem „Reichsbürgergesetz“, beide RGBl. I S. 1146) fortgesetzten vollständigen Entrechtung jüdischer Menschen und steht überdies im unmittelbaren zeitlichen und geistigen Zusammenhang mit der 1941 grundsätzlich und auf der Wannseekonferenz am 20.01.1942 in ihrer organisatorischen Ausgestaltung beschlossenen restlosen Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen.

Die Tathandlung erfolgte auch öffentlich. Davon ist auszugehen, wenn sie unabhängig von der Öffentlichkeit des fraglichen Ortes von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann, wobei maßgeblich ist, dass der Täter aufgrund der Unüberschaubarkeit des Adressatenkreises die Wirkungen seiner Äußerung nicht abzusehen vermag (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 110).

Wird ein PKW wie hier mit einem farblich auffälligen Aufkleber von außen frei einsehbar auf einem Parkplatz abgestellt, sind diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob es sich um einen öffentlichen Parkplatz handelt.

Die Tathandlung ist auch in einer Art und Weise erfolgt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, ist für den Fall der Verharmlosung die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 23 – juris). Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG genügt insoweit nicht eine „Vergiftung des geistigen Klimas“ oder eine Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte – eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit deshalb nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 24 ff. – juris). Eine Verurteilung kann jedoch dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 27 – juris).

Unter Berücksichtigung des Gehalts der fraglichen Äußerung sowie sämtlicher Äußerungsmodalitäten einschließlich des zur Tatzeit – also am 31.07.2021 – herrschenden geistigen Klimas (vgl. zu diesen Gesichtspunkten Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 112) ist von einer solchen Eignung zum unmittelbaren Auslösen von rechtsgutgefährdenden Folgen und damit von der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens gemäß den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben auszugehen.

Spätestens im Laufe des Jahres 2021, in dessen Mitte die hiesige Tat begangen wurde, kam es zu zunehmenden Gewalttaten durch Personen, die sich durch die Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie in ihren Rechten beschnitten sahen und sich gegen eine vermeintliche unrechtmäßige Unterdrückung mit Angriffen etwa auf Personen, die die Schutzmaßnahmen durchzusetzen suchten, meinten wehren zu müssen:

Insgesamt gab es im Jahr 2021 mehr als 300 gewalttätige Angriffe im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie (vgl. „Die Pandemie der Gewalt“, Artikel vom 10.02.2022, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/corona-angriffe-deutschland-coronaleugner-gewalt – abgerufen am 04.04.2022). Ein Täter eines solchen Angriffs, der derzeit vor dem LG Bad Kreuznach wegen Mordes an Alexander W. angeklagte Mario N. hat in der dortigen Hauptverhandlung angegeben, dass er den als Tankstellenkassierer tätigen Studenten am 18.09.2021 – sieben Wochen nach der hiesigen Tat – erschossen habe, nachdem dieser ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen habe, weil ihn die Corona-Schutzmaßnahmen, insbesondere die Maskenpflicht, zermürbt hätten (vgl. „Ich war wie in einem Film, aus dem ich keinen Ausweg fand“, Artikel vom 25.03.2022, https://www.sueddeutsche.de/panorama/bad-kreuznach-idar-oberstein-prozess-tankstelle-gestaendnis-1.5554878 – abgerufen am 04.04.2022). Einzelnen Teilnehmern und Teilnehmerinnen von Demonstrationen gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen attestierte Ende des Jahres 2021 der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul: „Die sind brandgefährlich, weil sie mittlerweile nicht nur reden, schwätzen, sich gegenseitig hochstacheln, sondern auch zu Taten schreiten“ und bei diesen Demonstrationen kam es Ende 2021 – mithin in der Zeit unmittelbar nach der hiesigen Tat – zu zunehmenden Verletzungen auch von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen (vgl. „Die sind brandgefährlich“, Artikel vom 13.12.2021, https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-demo-deutschland-proteste-gewalt-1.5486489 – abgerufen am 04.04.2022).

Jedenfalls vor diesem Hintergrund erscheint die hiesige Tat geeignet, reale Gefährdungen von Rechtsgütern herbeizuführen. Denn wenn die Situation von Ungeimpften heute in Deutschland mit denen der europäischen Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus gleichgesetzt wird, wird den Ungeimpften eine Position der absoluten Entrechtung attestiert, in der es auch mit Gewalt berechtigt wäre, sich gegen den Unterdrücker zu wehren. Die Gleichstellung bleibt nicht rein geistig, sondern trifft auf die vorbeschriebene Situation, in der bereits tatsächlich Menschen, die sich zu Unrecht von den Covid-19-Schutzmaßnahmen eingeschränkt sehen, eine Vielzahl von Gewalttaten gegen diejenigen, von denen sie sich unterdrückt fühlen, begehen. Jede weitere Gleichstellung von Covid-19-Schutzmaßnahmen mit der Shoah ist deshalb geeignet, Bestätigung für die selbstempfundene Situation der Entrechtung und damit Rechtfertigung für den gewaltsamen Widerstand zu liefern und so den öffentlichen Frieden zu gefährden (ebenso für das oben beschriebene Plakat BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 5 – juris; ablehnend für auf einem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil gepostete Bilder von sogenannten „Judensternen“ mit den Aufschriften „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“ Saarländisches OLG, Urteil vom 08.03.2021, Ss 72/2020 (2/21), Rn. 22 ff. – juris).“

Ich denke, dass die Rechtsfrage auch irgendwann der BGH entscheiden wird/muss.

Corona I: „Gelber Judenstern“ mit „Ungeimpft“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?

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In die 45. KW. starte ich dann heute mit zwei Entscheidungen zu „Corona-Fragen“.

Zunächst stelle ich hier den LG Aachen, Beschl. v. 18.08.2022 – 60 Qs 16/22 – vor. Es geht im die Verwendung des sog. „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes Jude durch das Wort „ungeimpft“.

Gegen die Angeschuldigte wird von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, begangen am 01.12.2021, geführt. Durch die Meldestelle respect! wurde bekannt, dass die Angeschuldigte am 01.12.2021 ein Bild mit einem sogenannten „Judenstern“ in einer seinerzeit aus 27 Mitgliedern bestehenden Facebook-Gruppe „Impfzwang?? Nein danke!! Wir stehen auf!!“ als Gruppenbild hochgeladen hatte. Dabei handelte es sich um eine abgewandelte Version des „Judensterns“ dahingehend, dass auf dem Stern nicht der Begriff „Jude“, sondern der Begriff „Ungeimpft“ zu sehen war. Über und unter dem Judenstern standen die Worte „Der neue Judenstern“.

Von der Staatsanwaltschaft ist der Erlass eines Strafbefehls gegen die Angeschuldigte beantragt worden. Konkret wird der Angeschuldigten Folgendes zur Last gelegt:

„Am 01.12.2021 stellten Sie gegen 21:35 Uhr in der von Ihnen gegründeten öffentlich einsehbaren Facebook-Gruppe mit dem Titel „Impfzwang?? Nein Danke!! Wir stehen auf!!“ als Gruppenbild ein Foto ein, auf dem mittig ein auf einer Scheibe klebendes Plakat abgebildet ist. Das Plakat zeigt einen gelben Judenstern, der zur Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „Ungeimpft“ und der Überund Unterschrift „Der neue Judenstern“. Ihnen war bewusst, dass eine Impfung in keinem Zusammenhang zur Judenverfolgung steht. Sie nahmen billigend in Kauf, dass die unter den Nationalsozialisten begangene planmäßige Ermordung von Juden als Vergleich mit den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie wahrgenommen werden würde und dadurch eine Bagatellisierung der Art, des Ausmaßes und der Folgen der Unterdrückung, Gewalt und massenhaften Ermordung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht wird. Ihnen war bewusst, dass dies zu einer Herabsetzung von Hemmschwellen mit unmittelbar rechtsgutgefährdenden Folgen führen kann.“

Der Amtsrichter hat den Erlass des Strafbefehls abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die keinen Erfolg hat. Wegen der Einzelheiten der Ablehnungsentscheidung verweise ich auf den verlinkten Volltext der LG Entscheidung. Hier stelle ich nur die (amtlichen) Leitsätze ein, die lauten:

    1. Die Verwendung eines „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch das Wort „ungeimpft“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand des Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.03.2021 – Ss 72/2020 (2/21), BeckRS 2021, 4322; Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 27). Eine Deutung des „Judensterns“ als allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen ist aus der Sicht eines verständigen Zuhörers nicht ausgeschlossen. Es ist daher im Hinblick auf die gesellschaftlich geführte Debatte um eine Corona-Impfpflicht, Schutzmaßnahmen und die Privilegien für geimpfte Personen aus Sicht eines objektiven, verständigen Zuhörers auch eine Deutung denkbar, die lediglich die Nachteile der ungeimpften Bevölkerung durch die eingeschränkte Teilnahme am öffentlichen Leben gegenüber den Geimpften anprangert, ohne sich hierbei konkret auf den Völkermord an den Juden zu beziehen. Die Angeschuldigte hat im konkreten Fall nicht das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht bagatellisiert, sondern vielmehr ihre eigene Situation als Ungeimpfte in der Corona-Pandemie überdramatisiert.
    2. Zwar ist es auf sogenannten Corona-Demonstrationen des Häufigeren zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Demgegenüber haben an diesen Demonstrationen auch zahlreiche Personen teilgenommen, die friedlich gegen eine geplante Impfpflicht oder sonstige Corona-Maßnahmen demonstriert haben und sich mit den Gewalttaten Einzelner nicht identifiziert oder diese gebilligt haben. Vor diesem Hintergrund kann nicht jeder Aufruf, sich gegen eine Impfpflicht einzusetzen als Appell zum Rechtsbruch oder aggressive Emotionalisierung ausgelegt werden.

Zu der Problematik auch schon LG Würzburg, Beschl. v. 18.5.2022 – 1 Qs 80/22  und dazu. Corona II: „Gelber Judenstern“ mit „NICHT GEIMPFT“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?

StGB III: Fremdenfeindliches Bild bei WhatsApp, oder: Ist das strafbar oder von der Meinungsfreiheit gedeckt?

entnommen wikimedia.org
Autot WhatsApp

Und als dritte Entscheidung zu der Thematik stelle ich dann noch den OLG Celle, Beschl. v. 11.10.2022 – 2 Ss 127/22 – vor. Hier haben AG und LG den Angeklagten wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a STGB) verurteilt. Nach den Feststellungen des LG

„postete der Angeklagte am 3. Juni 2019 gegen 12:27:04 Uhr (Tat 1) in einer zu diesem Zeitpunkt aus jedenfalls 60 Personen bestehenden WhatsApp-Gruppe namens „B. H.“ ein Farbbild, das einen weißen Mann zeigt, der auf einem blauen Fahrrad fahrend ein dunkelhäutiges Kleinkind verfolgt. Dabei hält er in der rechten Hand eine Schusswaffe, mit der er auf das Kind zielt. Über dem Foto befindet sich der Schriftzug: „wenn beim Grillen die Kohle abhaut.“

Am 21. August 2019 postete der Angeklagte erneut in der weiter aus mindestens 60 Personen bestehenden Gruppe „B. H.“ binnen weniger Sekunden drei Bilder. Nach den Feststellungen des Landgerichts zeigt das erste dieser Bilder zwei offensichtlich als Bäcker oder Konditoren bekleidete Männer, die eine große Torte präsentieren, auf der sich in der Mitte ein Hakenkreuz sowie der Text: „Unserem Führer zum Geburtstag“ befinden (Bild 1). Das zweite Bild beinhaltet die Überschrift „Jung, Brutal, Gutaussehend“ und zeigt A. H. in Hakenkreuz-Uniform mit einer Sonnenbrille, wobei unten rechts der Slogan „Reich-Ban, Genuine Since 1933“ abgebildet ist. Auf dem dritten Farbbild ist schließlich eine Eule zu sehen, die eine Armeemütze der Reichswehr trägt, auf der vorne in der Mitte ein Totenkopf-Symbol angebracht ist. Das Bild weist unten in fetter weißer Schrift die Textzeile „Der Holokauz kommt dich holen“ auf (Bild 3).

Nach den Feststellungen des Landgerichts war dem Angeklagten bei Weiterleitung der Bilder, die früher von anderen Gruppen-Mitgliedern bereits einmal in die Gruppe eingestellt und dem Angeklagten so zugänglich geworden waren, der fremdenfeindliche und herabwürdigende Charakter des bzgl. Tat 1 geposteten Bildes ebenso bewusst wie der Umstand, dass die Bilder zu Tat 2 nationalsozialistische Symbole verherrlichten. Er wusste, dass die Mitglieder der Gruppe „B. H.“ derartigem Gedankengut positiv gegenüberstanden und ausländerfeindliche Gedanken hegten.“

Das OLG hat die dagegen eingelegte Revision verworfen:

„Der weiteren Erörterung bedarf mit Blick auf die Begründung der Revision lediglich Folgendes:

1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen hinsichtlich Tat 1 den Schuldspruch wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Es steht außer Frage, dass der Angeklagte durch das Hochladen des Bildes Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich gemacht und deren Menschenwürde angegriffen hat. Die Tathandlung war entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.

§ 130 Abs. 1 StGB setzt gerade nicht voraus, dass die Tat öffentlich begangen wird (Fischer, StGB 69. Auflage 2022, § 130, Rn. 13a). Als wesentliches Kriterium für die friedensstörende Eignung ist vielmehr die bloße Öffentlichkeitsfähigkeit des Angriffs ausreichend (OLG Celle, Urteil vom 06.06.1997 – 23 Ss 35/97; NStZ 1998, S. 88f.). Maßgeblich ist, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalles damit zu rechnen ist, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird (BGH Urteil vom 20. 6. 1979 – 3 StR 131/79, NJW 1979, 1992; BGH, Urteil vom 02-04-1987 – 4 StR 55/87, NJW 1987, 1898). Die Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 1 StGB setzt dabei nicht voraus, dass der Täter den Angriff auf die Menschenwürde im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB selbst der Öffentlichkeit zugänglich macht; vielmehr kann selbst die Zuschrift gegenüber einer Einzelperson genügen, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der Angriff hierdurch einer breiten Öffentlichkeit bekannt wird (BGH a.a.O.; Hörnle, Aktuelle Probleme aus dem materiellen Strafrecht bei rechtsextremistischen Delikten, NStZ 2002, S. 113ff.).

Hieran gemessen kommt dem durch die Berufungskammer festgestellten Hochladen des Bildes in die Whats-Gruppe namens „B. H.“ mit jedenfalls 60 Personen eine friedensstörende Eignung zu, denn der Angeklagte adressierte das Bild keineswegs an einige wenige Personen, auf deren Diskretion er vertrauen konnte. Nach den Feststellungen des Urteils waren dem Angeklagten die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe zwar nicht näher bekannt; es sei dem Angeklagten indes bewusst gewesen, dass die Gruppen-Mitglieder rechte und ausländerfeindliche Tendenzen gehabt hätten. Vor diesem Hintergrund war im Zeitpunkt der Tathandlung eindeutig damit zu rechnen, dass das von dem Angeklagten hochgeladene Bild über die Mitglieder der WhatsApp-Gruppe hinaus einer Vielzahl weiterer Personen zugänglich gemacht werden würde. Dies ergibt sich schon aus dem allgemeinkundigen Umstand der massenhaften, über den Instant-Messaging-Dienst vorgenommenen Weiterverbreitung dort ausgetauschter Bild-Dateien. Vorliegend tritt entscheidend hinzu, dass insbesondere aufgrund der festgestellten ausländerfeindlichen Gesinnung der Mitglieder der Gruppe sowie des fremdenfeindlichen und dunkelhäutigen Menschen herabwürdigenden Charakters des hochgeladenen Bildes mit einer Weiterverbreitung an eine unbekannte Vielzahl weiterer Personen zu rechnen war.

Soweit die Revision geltend macht, durch das erneute Hochladen des bereits früher in der Gruppe „B. H.“ geposteten Bildes habe der Angeklagte nicht die zur Erfüllung des Tatbestandes erforderliche eigene Äußerung vorgenommen, sondern Äußerungen Dritter wiedergegeben, geht der Einwand fehl. Insoweit macht die Revision zwar im Ansatz zutreffend geltend, dass es sich bei der Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB um ein persönliches Äußerungsdelikt handelt und das Verbreiten fremder Erklärungen nur dann den Tatbestand erfüllt, wenn der Täter sich den volksverhetzenden Inhalt erkennbar zu eigen macht (vgl. Fischer, a.a.O., § 130, Rn.  11; BGH, Beschl. v. 14.4.2015 ? 3 StR 602/14; NStZ 2015, 512). Nach den Urteilsfeststellungen besteht jedoch kein Zweifel daran, dass sich das (erneute) Hochladen des Bildes als Ausdruck eigener Missachtung und Feindseligkeit und damit als eigene Äußerung darstellt. Denn das Landgericht hat explizit festgestellt, dass der Angeklagte sich des herabwürdigenden Charakters des Bildes bewusst war, diesen begrüßte und das Bild in einer Gruppe teilte, deren Mitglieder in der Vergangenheit ähnliche Bilder und Texte gepostet hatten und deren Gedankengut er als „rechts“ und „ausländerfeindlich“ eingestuft habe. Mit dem Hochladen eines Bildes in einer WhatsApp-Gruppe, deren Ansichten man teilt, kommt stets eine sympathisierende Grundeinstellung zum Inhalt des Bildes zum Ausdruck. Jede andere Annahme würde den Sinngehalt von Äußerungen in den sozialen Netzwerken verkennen. Dementsprechend hat der Angeklagte sich auch eingelassen: Er habe die Bilder gut gefunden und sie deshalb gepostet.

2. Darüber hinaus ist hinsichtlich Tat 2 auch der Schuldspruch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. nicht zu beanstanden.

Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers ist ein „Verbreiten“ im Sinne der Norm durch die von dem Angeklagten hochgeladenen weiteren Bilder in der WhatsApp-Gruppe „B. H.“ gegeben, denn dieses setzt entweder voraus, dass Kennzeichen der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und 4 oder Absatz 2 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen einem größeren, nicht bestimmten Personenkreis zugänglich gemacht werden oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Erwerber in dieser Weise verfahren wird (BGH, Urteil vom 6. Oktober 1959 – 5 StR 384/59 –, BGHSt 13, 257-259; OLG Bremen, Beschluss vom 03. 12. 1986 – Ws 156/86, NJW 1987, S. 1427).

Hieran gemessen liegt ein Verbreiten i.S.d. Norm vor, denn der Angeklagte machte auch die der Tat 2 zugrundeliegenden Bilder jedenfalls 60 Personen zugänglich, hinsichtlich derer er es nach den Urteilsfeststellungen angesichts ihrer politischen Einstellung für möglich hielt, sie würden die hochgeladenen Bilder über WhatsApp an Dritte und damit einen größeren, nicht bestimmbaren Personenkreis weiterleiten.

Überdies greift der Einwand, die Tathandlung des Angeklagten sei durch die Kunstfreiheit gedeckt, nicht durch.

Dabei kann der Senat offenlassen, ob das mit der Überschrift „Jung, Brutal, Gutaussehend“ überschriebene Bild, das A. H. in Uniform mit einer Sonnenbrille zeigt und mit dem Slogan „Reich-Ban“ versehen ist, jedenfalls auch einer satirischen Interpretation zugänglich sein könnte, so dass eine Strafbarkeit ausscheiden würde, wenn nicht das eigentliche Ziel der Darbietung die Werbung für die verfassungswidrige Organisation ist (BVerfG, Beschluss vom 03.04.1990 – 1 BvR 680, 681/86, NJW 1990, S. 2541).

Denn hinsichtlich der beiden weiteren in engem zeitlichen Zusammenhang hiermit hochgeladenen Bilder ist der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG von vornherein nicht betroffen, weil sie unzweifelhaft keinen satirischen Charakter aufweisen (Bild 1) bzw. das eigentliche Ziel der Darbietung eindeutig die Werbung für die verfassungswidrige Organisation ist (Bild 2). Da das Landgericht angesichts der Tatsache, dass die Bilder binnen Sekunden hochgeladen wurden, zutreffend von Idealkonkurrenz ausgegangen ist und dem Umstand, dass der Angeklagte nicht nur ein Bild mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verbreitet hat, keinerlei strafschärfende Wirkung beigemessen hat (vgl. UA S. 15), kann der Senat ausschließen, dass die Berufungskammer zu einer milderen Einzelstrafe gelangt wäre, wenn sie das Bild zu Ziffer 2 unberücksichtigt gelassen hätte.“

Pflichti III: Potpourri von Beiordnungsgründen, oder: Ausländer, Steuer, „ungeimpft“, Betreuung, Beweislage

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Und zum Tagesschluss dann noch einige Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen – also i.d.R. §3 140 Abs. 2 StPO. Hier stelle ich aber nur die Leitsätze vor, sonst wird es zu viel. Den Volltext muss man dann ggf. selbst lesen 🙂 . Und da sind dann.

Zur (verneinten) Bestellung eines Pflichtverteidigers für ein ukrainische Beschuldigte, der ein Vergehen gem. § 235 StGB vorgeworfen wird, deren Sprachdefizite durch die Zuziehung eines Dolmetschers ausgeglichen werden können.

Steht der Beschuldigte unter Betreuung und zählt zum Aufgabenkreis des Betreuers die Vertretung vor Behörden, ist insoweit stets von einer notwendigen Verteidigung wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung auszugehen.

Es liegt eine schwierige Beweislage, die die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfordert vor, wenn zwei Justizorgane die Beweislage unterschiedlich beurteilen.

1. Es besteht schon eine schwierige Rechtslage, wenn divergierende obergerichtliche zu einer Rechtsfrage vorliegen, ohne dass bislang der BGH dazu entschieden hat (im Hinblick auf die Frage der Volksverhetzung für ein Profilbild, auf dem der gelbe Stern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ abgebildet ist.
2. Eine schwierige Rechtslage besteht wohl auch, wenn eine Verständigung erörtert wird.
3. Bei der Beurteilung der Schwere der Rechtsfolge sind in die Beurteilung ggf. durch eine Verurteilung drohende Nebenfolgen einzubeziehen.

In einem Verfahren wegen Steuerhinterziehung ist die Mitwirkung eines Verteidigers wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten (§ 140 Abs. 2 StPO).

Corona II: „Gelber Judenstern“ mit „NICHT GEIMPFT“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?

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Und als zweite Entscheidung aus dem Komplex „Corona“ hier der LG Würzburg, Beschl. v. 18.5.2022 – 1 Qs 80/22. Es geht um die Anordnung einer Durchsuchung bei einem Beschuldigten, einem Polizeibeamten im Ruhestand , der wohl der sog. „Querdenker-Szene“ zuzurechnen ist. Der hat auf seinem Telegram-Account als Profilbild i das Bild eines gelben Sterns, der in dieser Art in der Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“, eingestellt.

Die Staatsanwaltschaft hat den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragt. Das AG hat den Erlass abgelehnt. Das LG hat den Beschluss erlassen. Es bejaht den Anfangsverdacht einer Strafbarkeit wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB:

„Demnach macht sich wegen Volksverhetzung strafbar, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet, oder verharmlost.

Durch die Verwendung des „gelben Judensterns“ mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ zieht der Beschuldigte einen Vergleich zwischen der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung und Behandlung ungeimpfter Personen und jüdischer Bürger unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Das Tragen des Judensterns sollte jüdischstämmige Mitbürger nach außen hin für jedermann erkennbar machen und war eine von den Nationalsozialisten im Jahr 1941 gesetzlich eingeführte Zwangskennzeichnung. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, wurde hierdurch nicht nur die systematische Ausgrenzung und Entrechtung der jüdischstämmigen Bevölkerung fortgesetzt, vielmehr bereitete es letztlich die staatlich betriebene Enteignung, Massendeportation und -vernichtung vor. Der Judenstern diente damit nicht „nur“ der Ausgrenzung jüdischer Mitbürger, sondern war vielmehr eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts. Durch die Verwendung des Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ bringt der Verwender unmissverständlich zum Ausdruck, dass er sich in vergleichbarer Weise öffentlich gebrandmarkt, ausgegrenzt, rechtlos gestellt, verfolgt und existentiell bedroht fühlt. Ein derartiger Vergleich entbehrt jedoch offenkundig jeglicher Tatsachengrundlage. Die Situation ungeimpfter Personen ist nicht einmal ansatzweise mit der jüdischer Bürger unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vergleichbar und bagatellisiert die Qualität der damals begangenen Gräueltaten. Andere – nicht strafbare – Deutungsmöglichkeiten kommen nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht in Betracht. Im Gegenteil – die Teilnahme des Beschuldigten an insgesamt 59 systemkritischen Telegram-Gruppen, in denen z. T. fortlaufend antisemitische und holocaustleugnende Äußerungen getätigt und Inhalte geteilt werden, legen die obige Lesart jedenfalls im Sinne eines Anfangsverdachts nahe (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020 – 205 StRR 240/20).

Diese Verharmlosung erfolgte öffentlich im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB. Dies ist dann der Fall, wenn die Äußerung – unabhängig von der Öffentlichkeit des Ortes – von einem größeren nach Zahl und Individualität unbestimmten und durch nähere Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann (vgl. Rackow in: Beck OKStG, 52. Ed. 1.2.2022, StGB § 130 Rn. 35). Die Verwendung des gelben Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ erfolgte auf dem öffentlich einsehbaren Telegram-Profil des Beschuldigten. Sie war damit für jeden Nutzer des Messengerdienstes Telegram zugänglich. Deren stetig wachsender Nutzerkreis ist zahlenmäßig nicht überschaubar und nicht durch nähere Beziehungen miteinander verbunden, sodass die Verwendung des verfahrensgegenständlichen Profilbildes im Sinne des § 130 Abs .3 StGB öffentlich erfolgte.

Die Äußerung war darüber hinaus geeignet den öffentlichen Frieden zu stören. Eingriffe in die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Dementsprechend ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingrenzendes Verständnis zugrunde zu legen. Der öffentliche Friede umfasst dabei den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Nicht tragfähig ist dagegen ein Verständnis, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung durch Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Ziel ist vielmehr der Schutz vor Äußerungen, die erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich demnach auf die Außenwirkung von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern können. Zwar ist die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt und erfordert demnach keine konkrete Gefährdung oder gar tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens. Im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss jedoch die Tat bei einer objektiven ex-ante Betrachtung nach Inhalt, Ort oder anderen Umständen konkret geeignet gewesen sein, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen. Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form, Umfeld der Äußerung, Stimmungslage der Bevölkerung und politischer Situation zu bestimmen, wobei bereits die Verhetzung eines aufnahme-/gewaltbereiten Publikums genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018 – 1 BvR 2083/15; Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 68. Auflage 2021, § 130 Rn. 13 ff.; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 130 Rn. 23 f., 86; Rackow in: Beck OKStG, 52. Ed. 1.2.2022, StGB § 130 Rn. 22 f.). Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabes besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen zumindest ein Anfangsverdacht für eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Nach den bislang vorliegenden Ermittlungserkenntnissen ist der Beschuldigte seit über zwei Jahren in der Querdenkerszene aktiv. Er ist Mitglied in 59 systemkritischen Telegram-Gruppen, deren Namen und Inhalte auf eine extreme rechte politische Gesinnung schließen lassen. Insbesondere im „P. Netzwerk“ werden fortlaufend antisemitische und holocaustleugnende Äußerungen getätigt und Beiträge geteilt. Den freiheitsbeschränkenden staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und den jeweiligen politischen Entscheidungsträgern wird in diesen Gruppen bisweilen nicht bloß kritisch, sondern offen feindselig entgegengetreten. Das Diskussionsklima ist aufgeheizt und vergiftet. Man stilisiert sich zum Opfer einer staatlichen Willkürherrschaft und in diesem Zusammenhang kommt es mitunter auch zu Gewaltaufrufen. Bezeichnenderweise zeigen weitere Profilbilder des Beschuldigten „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, „Söder muss weg“ und „Volksbegehren Landtag abberufen“. Aus der kürzlich veröffentlichten Statistik des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2021 ergibt sich, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 23 % auf insgesamt 55.048 angestiegen ist. Dies gilt nicht nur für die Propagandadelikte. Auch bei den Gewalttaten stieg die Zahl um 15,5 % auf 3.899 an. Einen Anstieg verzeichneten insbesondere antisemitische Delikte. Deren Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr um knapp 29 % auf 3.027. Den stärksten Zuwachs (147 %) verzeichneten allerdings Straftaten, die von der Polizei keiner speziellen Ideologie zugeordnet wurden, allerdings nach bisherigen Erkenntnissen in weiten Teilen mit Protesten gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zusammenhingen. Deren Anzahl betrug insgesamt 21.399. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen und in dem derzeitigen Diskussionsklima erscheint die Verwendung des gelben Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ dazu geeignet, den empfundenen Opferstatuts und das Gefühl vermeintlicher Unterdrückung zu bestärken, die ohnehin bereits aufgeheizte politische Stimmung weiter zu verschärfen, die Hemmschwelle für gewaltsame staatsfeindliche Handlungen herabzusetzen und eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft zu entfesseln. Die Tatsache, dass der Beschuldigte – zumindest soweit bislang bekannt – den gelben Judenstern ausschließlich als Profilbild seines Telegram-Accounts benutzt hat, steht dieser Annahme nicht entgegen. Die forensische Erfahrung der letzten Jahre hat zunehmend gezeigt, dass die Anzahl derer, die sich über das Internet radikalisieren und Gewaltbereitschaft zeigten, stetig zunimmt. Dementsprechend ist die in der Verwendung dieses speziellen Profilbildes zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung über die bloße Meinungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkung angelegt und kann unmittelbar rechtsgutgefährdende Folgen auslösen.

Aufgrund der allgemein bekannten historischen Bedeutung des gelben Judensterns muss sich dem Beschuldigten die eklatante Diskrepanz seines Vergleichs und damit dessen verharmlosende Wirkung aufgedrängt haben. Demnach ist ebenfalls davon auszugehen, dass dem Beschuldigten die provozierende Wirkung seines haltlosen Vergleichs bewusst gewesen ist. Schließlich dürfte der Beschuldigte angesichts des aufgeheizten Diskussionsklimas und nicht zuletzt wegen seiner langjährigen beruflichen Erfahrung die potentielle Gefährlichkeit seines Verhaltens erkannt haben. Dass er sich in Anbetracht all dieser Umstände dennoch zur Tatbegehung entschloss, legt nahe, dass er eine Gefährdung des öffentlichen Friedens zumindest billigend in Kauf genommen hat.

Schließlich bestehen nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen keine Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Tatbestands nach § 130 Abs. 7 StGB i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB (Sozialadäquanzklausel).“