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Corona I: „Judenstern“ mit „Ungeimpft“ bei FB, oder: (Keine) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens?

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So, und heute dann seit längerem mal wieder „Corona-Entscheidungen“ bzw. Entscheidungen zu Fragen, die sich aus der Corona-Pandemie ergeben haben.

Zunächst das KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22) – mit einem Sachverhalt, den man kennt. Das AG Tiergarten hat den  wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hin hat das LG das Urteil aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Die hatte keinen Erfolg.

Das KG geht von folgenden amtsgerichtlichen Feststellungen aus:

2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

„Am 12. März 2021 um 12.18 Uhr teilte der Angeklagte in B. auf seinem öffentlich einsehbaren Profil der Internet-Plattform Facebook den Post eines Bekannten. Dieser Post beinhaltete das Bild eines gelben Sterns, der in dieser Art in der Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „Nicht geimpft“ und der unmittelbar darüber plazierten Überschrift „Die Jagd auf Menschen kann nun wieder beginnen“. Den Post versah der Angeklagte zusätzlich mit dem Kommentar: „Ich bin dabei, einen Judenstern zu basteln und an meine Jacke zu stecken, wenn die indirekte Impfpflicht kommt!“

Der Beitrag wurde bei Facebock von Nutzern sowohl positiv als auch – überwiegend – negativ kommentiert, wobei die negativen Kommentare unter anderem auf die Unverhältnismäßigkeit des Vergleichs mit dem Holocaust und die damit verbundene Verharmlosung desselben hinwiesen.

Der Angeklagte, der jüdische Vorfahren hat, seit 2017 Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V. ist und im Jahr 2015 versuchte, zum Judentum zu konvertieren, wollte mit dem Post auf die Diskriminierung von Ungeimpften und Impfgegnern – wie ihm selbst – hinweisen und sich als Opfer der Coronapolitik der deutschen Bundesregierung darstellen.“

Hier der Leitsatz zu der KG-Entscheidung:

Die für jedermann zugängliche Veröffentlichung eines sogenannten „Judensterns“ mit dem Zusatz „Ungeimpft“ auf der Plattform Facebook ist zur Störung des öffentlichen Friedens jedenfalls dann nicht geeignet, wenn sie auf ein kritisches persönliches Umfeld trifft und sich aus ihrem übrigen Inhalt – hier der Ankündigung, sich einen „Judenstern“ zu „basteln“ – ergibt, dass sie nicht auf die Provokation unfriedlicher Reaktionen oder die Herabsetzung von Hemmschwellen gegen rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt ist.

Volksverhetzung II: Feststellungen beim Freispruch, oder: Auslegung einer mehrdeutigen Äußerung

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um das OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2023 – 3 Ss 123/22. Das AG hatte vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) aus rechtlichen Gründen frei gesprochen.

Das OLG hat aufgehoben. Ihm haben die amtsgerichtlichen Feststellungen nicht gereicht. Dazu hier nur der Leitsatz:

Bei einem Freispruch aus rechtlichen Gründen müssen sich die Urteilsgründe dazu verhalten, warum das Gericht die für erwiesen erachtete Tat in rechtlicher Hinsicht als nicht strafbar erachtet. Um dies zu ermöglichen, muss die in der Anklageschrift vorgeworfene Tat (§ 264 StPO) hinreichend konkret dargestellt werden. Denn weird den Adressaten der Urteilsgründe schon der Tatvorwurf nicht hinreichend verständlich gemacht, kann auch nicht nachvollziehbar werden, warum von diesem Vorwurf von Rechts wegen freigesprochen wurde.

Außerdem hat das OLG aber für die neue Hauptverhandlung eine „Segelanweisung“ gegeben, und zwar:

„Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen, soweit sie sich aus dem (freisprechenden) Urteil zu erschließen vermögen, die Verwirklichung einer Tat nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB noch nicht ohne Weiteres erkennbar ist.

Die Äußerungen des Angeklagten richten sich, soweit sie für den Senat angesichts der Urteilsgründe einer Entscheidung mit dem in § 267 Abs. 5 S. 1 StPO genannten Tenor greifbar sind, nach den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht eindeutig gegen eine klar abgrenzbare religiöse Gruppe. Dies können neben den in § 6 VStGB genannten Personenmehrheiten zwar auch Bevölkerungsteile sein, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung als besondere Gruppe erkennbar sind (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 4).

Da sich die Äußerungen des Angeklagten ihrem Wortlaut nach nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Kultur schlechthin richten, sondern gegen eine Gruppe von von ihm als „Zionisten“ bezeichneter Menschen, deren Abgrenzung ihm selbst ersichtlich schwerfällt, wird ein Schwergewicht der erneuten tatrichterlichen Feststellung und Erörterung auch darauf liegen müssen, ob sich die Äußerungen ihrem objektiven Sinngehalt nach gegen Juden im Allgemeinen richten. Insoweit darf sich die Kammer einerseits nicht mit dem bloßen Wortlaut der Äußerungen zufriedengeben. Denn entscheidend ist der objektive Sinngehalt. Wenn die Auslegung einer Erklärung aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen Dritten und Berücksichtigung des Adressatenkreises der Aussage ergibt, dass der Erklärende den Begriff „Juden“ nur deshalb vermeidet, weil er Strafbarkeit befürchtet, seinen Zuhörern aber unmissverständlich vermittelt, dass er nicht nur eine nicht abgrenzbare Teilmenge, sondern „die“ Juden meint, ist er auch an diesem Sinngehalt festzuhalten. Denn auch im Rahmen des § 130 StGB können nicht nur ausdrückliche, sondern auch konkludente Äußerungen strafbar sein.

Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB sind zudem die aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die besondere wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene des einfachen Rechts zur Geltung kommt. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so müssen, soll die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung der rechtlichen Würdigung zu Grunde gelegt werden, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen ausgeschlossen werden (BVerfGE 82, 43 50 ff.; vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2020, 310 [311] – Wahlkampfplakat „Zionismus stoppen – Israel ist unser Unglück!“ neben einer Synagoge; AG Essen, Urt. v. 30.1.2015 – 57 Cs 631/14, juris Tz. 17 – Aufruf „Tod und Hass den Zionisten“).

Volksverhetzung I: Auslegung einer Äußerung auf FB, oder: Recht auf freie Meinungsäußerung beachten

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In die neue Woche starte ich heute mit zwei Entscheidungen zum StGB-Entscheidungen. Es handelt sich um Verstöße gegen § 130 StGB – „Straftaten gegen die öffentliche Ordnung“.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.11.2022- 3 Ss 131/22. Das hatte etwa betreffend den Vorwurf „Volksverhetzung“ folgenden Sachverhalt:

Angeklagt war ein hessischer Kommunalpolitiker. Dem ist das Teilen einer Bild-Text-Collage auf Facebook vorgeworfen worden. Auf dem einen Bild waren mehrere Männer schwarzer Hautfarbe, die mit Unterhemden oder T-Shirts bekleidet waren, zu sehen, die freudig Papiere in die Kamera zu halten schienen, versehen mit der Textzeile „Wir sind EU-Bürger“. Darunter waren mehrere Löwen abgebildet mit der Textzeile „und wir sind Vegetarier“.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung frei gesprochen. Das LG hat die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Revision hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Soweit die Revision mit der Darstellungsrüge Beweiswürdigungsfehler bei der Verneinung der Voraussetzungen eines den öffentlichen Frieden zu stören geeigneten Angriffs auf die Menschenwürde einer durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe durch Beschimpfen sowie eines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Inhaltes (§ 11 Abs. 3 StGB), der die Menschenwürde von diesen genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft werden, gem. § 130 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. c StGB rügt, zeigt sie keine revisiblen Rechtsfehler auf.

a) Die Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer beanstandeten Äußerung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 40, 97, 101; BGHSt 54, 15, 18 Tz. 8 f.; BGHSt 64, 252, 259 Tz. 23).

Kommt der Tatrichter zu einem vertretbaren Ergebnis, so hat das Revisionsgericht dessen Auslegung hinzunehmen, sofern sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, mag auch ein anderes Ergebnis durchaus vertretbar sein oder aus Sicht der Rechtsmittelinstanz sogar näherliegen. Anders ist dies insbesondere dann, wenn die Erwägungen des Tatgerichts lückenhaft sind oder gegen Sprach- und Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen; die rechtliche Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob allgemeine Auslegungsregeln verletzt worden sind.

Kriterien der Auslegung sind neben dem Wortlaut der Äußerungen und ihrem sprachlichen Kontext auch sämtliche nach außen hervortretende Begleitumstände, namentlich etwa die erkennbare politische Grundhaltung der Zuhörer und ihr Vorverständnis, aber auch die nach dem objektiven Empfängerhorizont deutlich werdende Einstellung des sich Äußernden. Bei mehrdeutigen Äußerungen gebietet es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG jedoch nur dann, die dem Angeklagten günstigere Deutung zugrunde zu legen, wenn diese nicht ausgeschlossen ist (zu diesen Prüfungsmaßstäben der st. Rspr. vgl. BVerfGE 82, 236, 267; BVerfG, NJW 1994, 2943; BGH, NStZ 2017, 146).

b) Nach diesen Maßstäben unter Berücksichtigung des revisionsrechtlich eingeschränkten Zugriffs auf die Darstellung in den Urteilsgründen verstoßen die getroffenen Feststellungen im Ergebnis nicht gegen Erfahrungssätze oder sind lückenhaft.

aa) Das Berufungsgericht hat mit – noch – tragfähigen Gründen eine von mehreren alternativen Deutungen der Text-Bild-Kombination dergestalt dargelegt, dass ein Zusammenhang zu Einreisen, Grenzübertritten und dem Passwesen, allgemein also eine polemisch-kritische Betrachtungsweise der Migrationspolitik besteht, da drei der abgebildeten Männer ein gelbes Dokument vorzeigen, welches mutmaßlich ein Ausweisdokument darstellen soll. Auf dieser Grundlage kommt es zu der noch vertretbaren Deutung, dass allein nach Flucht, Vertreibung, Verfolgung oder aus sonstigem Grund eingereiste, nichteuropäische dunkelhäutige Menschen, nicht zugleich oder ausschließlich auch dunkelhäutige Menschen, die bereits die Staatsangehörigkeit eines Staates der EU innehaben, gemeint sind. Dies wird damit begründet, dass hier lebende dunkelhäutige Personen mit einer Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates keine Veranlassung haben, irgendwelche Ausweispapiere kollektiv für ein Foto zu präsentieren.

Das ist tragfähig, mag auch eine andere Deutung aus der Sicht eines Tatrichters vertretbar sein. Denn die Bildunterschrift „Wir sind EU-Bürger“ stellt die Abbildung in einen gesamteuropäischen Kontext unter Hervorhebung der Freizügigkeit, die nach dem objektiven Empfängerhorizont Raum für nicht strafbare Interpretationen zulässt, während dies beispielsweise bei einer Formulierung wie „Wir sind Deutsche“ möglicherweise anders wäre. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, eigene, möglicherweise auch politisch gefärbte Deutungen an die Stelle der dem Tatgericht obliegenden rational begründeten tatsachengestützten Beweisführung zu stellen (vgl. BGH NStZ 2007, 720; BGH NStZ 2009, 468 Rn. 12). Die tatrichterlichen Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein.

bb) Ein Rechtsfehler kann zwar darin liegen, dass das Tatgericht nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen (vgl. BGH StV 2012, 711, 713 Rn. 4) oder aber andere naheliegende Möglichkeiten erst gar nicht erörtert. Das Tatgericht muss sich daher mit allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen bzw. wenn sich ihre Erörterung aufdrängt (vgl. BGH NStZ-RR 2019, 57, 58; BGH, Urt. v. 08.03.2018 – 3 StR 571/17 Rn. 6, juris).

Diese Voraussetzungen erfüllt das angegriffene Urteil jedoch, da es auf mehrere naheliegende Deutungsmöglichkeiten eingeht. So verschweigt das Urteil unter anderem nicht, dass die Abbildung vordergründig in als rassistisch interpretierbarer Weise auszudrücken vermag, dass genauso wenig wie Löwen Vegetarier seien, Männer, wie sie dort – jeder mit dunkler Hautfarbe – beispielhaft abgebildet, „EU-Bürger“ sein könnten oder dürften. Gleichwohl kommt es in vom Senat revisionsrechtlich noch hinzunehmender Weise zu der nicht völlig auszuschließenden Deutungsmöglichkeit einer kritischen Betrachtungsweise der Migrationspolitik.

2. Ohne Erfolg rügt die Staatsanwaltschaft deshalb auch das Vorhandensein revisionsrechtlich rechtsfehlerhafter Spekulationen zugunsten des Angeklagten und auch, dass die Feststellung von Äußerungsinhalten mit dem objektiven Sinngehalt und Kontext der Äußerung nicht in Übereinstimmung zu bringen seien.

3. Die Revision vermag zuletzt auch mit der Rüge fehlender Feststellungen zur subjektiven Seite nicht durchzudringen.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts und es obliegt ihm, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGHSt 21, 149 [151]). Dem Tatgericht kann nicht vorgegeben werden, unter welchen Voraussetzungen es zu einer bestimmten Folgerung kommen muss (BGHSt 29, 18 [20]). Ein beachtlicher Rechtsfehler liegt lediglich dann vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, weil nicht erschöpfend ist (BGHSt 29, 18 (20); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – 1 StR 392/06 Rn. 13, juris). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, ist auch dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen (KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 189).

Angesichts dieses eingeschränkten Maßstabes sind entgegen der Auffassung der Revisionsführerin die Feststellungen zur subjektiven Seite tragfähig begründet. Denn ausweislich der Feststellungen hat der Angeklagte den Beitrag im ersten Impuls, ohne ihn weitergehend zu reflektieren, im Sinne „satirischer Zuspitzung“ als „witzig“ empfunden und sich gedacht, „irgendwie trifft es das“, was er mit dem von ihm kritisierten „gegenwärtigen“ Zustand der EU und der „zu Grunde liegenden deutschen Migrationspolitik“ verbunden hat. Dass das Tatgericht diese Feststellungen mit der Einlassung des Angeklagten begründet, der es Glauben schenkt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn Feststellungen zu der Frage, welchen Sinngehalt der Angeklagte der von ihm geteilten Text-Bild-Kombination konkret beimaß, unterblieben sind. Denn dem Senat ist es aus Gründen der Arbeitsteilung mit der Tatsacheninstanz in der Ordnung des Revisionsverfahrens verwehrt, die Beweiswürdigung durch seine eigene zu ersetzen (BGHSt 10, 208 [210]).

Soweit gerügt wird, die Kammer habe auf eine abwägende und kritische Würdigung des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten verzichtet und sich im Ergebnis auf fernliegende Behauptungen des Angeklagten gestützt, so vermag dies im Ergebnis genauso wenig einen Rechtsfehler aufzudecken wie das Vorbringen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen versierten, (parlaments-)erfahrenen und langjährigen Partei1-Politiker, bei dem sich das Tatgericht hätte gedrängt sehen müssen, zumindest kritisch zu hinterfragen, ob das von ihm behauptete völlige Verkennen des volksverhetzenden Sinngehalts der Text-Bild-Abbildung tatsächlich zutrifft.

Denn das Berufungsgericht hat sich auch mit dem politischen Engagement des Angeklagten und dessen Nachtatverhalten in vertretbarer Weise auseinandergesetzt. Letzteres wird insbesondere durch die Feststellungen deutlich, wonach der Angeklagte erst durch einen Anruf eines Journalisten auf die Kritikwürdigkeit aufmerksam gemacht wurde, er den Beitrag aus seiner Facebook-Chronik entfernt, sich öffentlich entschuldigt und versucht hat, klarzustellen, dass das Teilen des Beitrags weder rassistisch gemeint noch gegen Personen, Menschen oder Ethnien gerichtet gewesen ist, sondern die von ihm kritisierte Einwanderungspolitik mit der satirisch überzeichneten Abbildung habe darstellen sollen. Angesichts dieses Nachtatverhaltens und des dem Tatgerichts zustehenden Spielraums bei der Würdigung der Beweise rechtfertigt allein die Tatsache, dass der Angeklagte politisch langjährig erfahren ist, nicht die Annahme lückenhafter Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite. Insoweit erfolgte eine abwägende, kritische Würdigung der Vorstellungen des Angeklagten. So ist neben dem Tatzeitpunkt, – es handelte sich ausweislich der Feststellungen um den …abend des XX.XX.2019, bei dem der Angeklagte seinen Sohn im Kleinkindalter zu Bett brachte und versuchte ihn zum Schlafen zu bringen – der aus Sicht der Rechtsmittelinstanz nachvollziehbar indiziell für eine situative Unreflektiertheit spricht, zu berücksichtigen, dass das Tatgericht den Aussagegehalt kritisch gewürdigt hat, indem es u.a. zu dem Ergebnis gelangt ist, der Angeklagte habe unter dem Einfluss seiner kritischen Einstellung zur Flüchtlingspolitik kurzentschlossen und bedenkenlos einen Post mit geschmackloser Pointe, deren rassistischer Gehalt augenfällig sei, geteilt.“

Corona I: “Gelber Judenstern” mit “Ungeimpft”, oder: Nochmals – strafbar wegen Volksverhetzung?

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Ich beginne die Woche erneut mit „Corona-Entscheidungen“. An sich hatte ich etwas anderes geplant, aber das verschiebe ich dann auf morgen. Ich habe nämlich in der letzten Woche zwei interessante Entscheidungen zu Corona übersandt bekommen.

Zunächst stelle ich hier den LG Köln, Beschl. v. 04.04.2022 – 113 Qs 6/22 – vor. Es geht noch einmal um die Frage der Volksverhetzung (§ 130 StGB) in Zusammenhang mit dem „Verwenden“ des sog. „gelben Judensterns“ mit dem Aufdruch „Ungeimpft“. Dazu hatte ich in der vergangenen Woche den LG Aachen, Beschl. v. 18.08.2022 – 60 Qs 16/22 – zur Frage der Strafbarkeit der Verwendung des Sterns in einem Facebook-Profil (vgl. Corona I: “Gelber Judenstern” mit “Ungeimpft”, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?). Das Posting hat die Mitglieder der 13. Strafkammer des LG Köln veranlasst, mit „ihren“ Beschluss zu übersenden, den ich heute dann vorstelle.

Es geht wieder um einen vom AG abgelehnten Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeschuldigten vor, „am 31.07.2021 einen weißen PKW der Marke Opel mit dem amtlichen Kennzeichen xxx auf einem für jedermann einsehbaren Parkplatz in der R-Straße 22 in K abgestellt zu haben, auf dem ein gelber sogenannter „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ angebracht gewesen sei. Darin sieht sie den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB erfüllt. “ Das AG lehnt den Erlass des Strafbefehls ab. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Das allgemein sichtbare Abstellen eines PKW mit einem sogenannten „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB, da es unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich verharmlost.

Das Zeigen eines sogenannten „Judensterns“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ verharmlost unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art.

Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde die Anknüpfungstatsache herunterspielt, beschönigt, in ihrem wahren Gewicht verschleiert oder in ihrem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert. Der Täter muss in qualitativer oder quantitativer Hinsicht Art, Ausmaß, Folgen oder Unrechtsgehalt einzelner oder die Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen bagatellisieren (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 107). Als Gegenstand der Verharmlosung erfasst werden sämtliche nationalsozialistische Gewalt- und Willkürmaßnahmen wie Massenvernichtungen, Menschenversuche im Konzentrationslager, Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden, Zwangssterilisationen, Schaffung unmenschlicher Lebensbedingungen durch Einweisung in Konzentrationslager, Verfolgung und Ächtung nebst völligem Eigentumsentzug oder Ghettoisierung (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 108).

Der sogenannte „Judenstern“ mit der Aufschrift „UNGEIMPFT“ soll die Situation derjenigen, die in der heutigen Zeit in Deutschland nicht gegen die Infektionskrankheit Covid-19 geimpft sind, mit der Situation der jüdischen Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus gleichstellen, denn diese Menschen mussten den sogenannten „Judenstern“ tragen.

Mit der „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 01.09.1941, RGBl. I S. 547, in Kraft getreten am 19.09.1941, wurde in § 1 Abs. 2 angeordnet, dass es „Juden (§ 5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935), die das sechste Lebensjahr vollendet haben, […] verboten [ist], sich in der Öffentlichkeit ohne einen Judenstern zu zeigen“, sowie in § 1 Abs. 2: „Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift ‚Jude‘. Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstücks fest aufgenäht zu tragen.“ In § 4 der Verordnung wurde „Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark oder […] Haft bis zu sechs Wochen“ für den Fall der Zuwiderhandlung angedroht.

Ungeimpften wurden während der Covid-19-Pandemie im Vergleich zu Geimpften weitergehende Einschränkungen auferlegt. Das betrifft etwa die Regelungen zu Isolation und Quarantäne oder den Besuch von bestimmten Geschäften und Gaststätten. Diese Regelungen, die auf dem Infektionsschutz fußten und die zu allenfalls unangenehmen Einschränkungen im Alltag führten, waren Gegenstand auch bundesverfassungsgerichtlicher Überprüfung (vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021, 1 BvR 781/21 u. a.).

An denjenigen, die den sogenannten „Judenstern“ zur Zeit des Nationalsozialismus tragen mussten, wurde hingegen mit der Shoah von 1941 bis 1945 ein Völkermord verübt, der das Ziel hatte, sämtliche Juden und Jüdinnen im deutschen Machtbereich zu töten, dem etwa sechs Millionen von ihnen zum Opfer fielen und der von einer vollständigen Entrechtung vorbereitet und begleitet wurde.

Wer diese beiden Sachverhalte mittels Tragen des vorbeschriebenen Sterns gleichstellt, bagatellisiert das Ausmaß des Unrechts der Shoah und verharmlost damit den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermord im Sinne des § 6 Abs. 1 VStGB (so zu einem Plakat mit der Aufschrift „Hetze in Deutschland“ und darunter nebeneinander gestellten Abbildungen eines sogenannten „Judensterns“ mit den Jahreszahlen „1933-1945“ sowie des Logos der Partei „Alternative für Deutschland“ mit der Jahreszahl „2013-?“ auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 8 – juris [die gegen das Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.09.2021, 1 BvR 1787/20]; ohne Begründung ablehnend hingegen Fischer, StGB, 69. Auflage 2022, § 130 Rn. 27; vgl. zum Meinungsstand auch „Ist das Tragen von ‚Ungeimpft‘-Sternen strafbar?“, Artikel vom 02.03.2022, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ungeimpft-judenstern-strafbar volksverhetzung-verharmlosung-holocaust-olg-entscheidungen/ – abgerufen am 04.04.2022, demzufolge zustimmend Heger und Kubiciel, ablehnend Hoven und Jahn).

Der angestellte Vergleich lässt sich auch nicht auf eine Gleichstellung von vermeintlicher öffentlicher Hetze gegen Ungeimpfte und deren angeblicher Stigmatisierung mit Hetze und Stigmatisierung betreffend jüdische Menschen im Nationalsozialismus – und damit unter Umständen nicht § 6 Abs. 1 VStGB unterfallenden Handlungen – reduzieren (so zu dem vorbeschriebenen Plakat auch BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 8 – juris). Die Verpflichtung zum Tragen des sogenannten „Judensterns“ mit oben dargestellter Verordnung vom 01.09.1941 war Teil der bereits kurz nach Machtübernahme der Nationalsozialisten mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 07.04.1933, RGBl. I S. 175, beginnenden und später etwa mit den sogenannten „Nürnberger Gesetzen“ vom 15.09.1935 (insbesondere dem „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ sowie dem „Reichsbürgergesetz“, beide RGBl. I S. 1146) fortgesetzten vollständigen Entrechtung jüdischer Menschen und steht überdies im unmittelbaren zeitlichen und geistigen Zusammenhang mit der 1941 grundsätzlich und auf der Wannseekonferenz am 20.01.1942 in ihrer organisatorischen Ausgestaltung beschlossenen restlosen Ermordung der europäischen Juden und Jüdinnen.

Die Tathandlung erfolgte auch öffentlich. Davon ist auszugehen, wenn sie unabhängig von der Öffentlichkeit des fraglichen Ortes von einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann, wobei maßgeblich ist, dass der Täter aufgrund der Unüberschaubarkeit des Adressatenkreises die Wirkungen seiner Äußerung nicht abzusehen vermag (vgl. Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 110).

Wird ein PKW wie hier mit einem farblich auffälligen Aufkleber von außen frei einsehbar auf einem Parkplatz abgestellt, sind diese Voraussetzungen unabhängig davon erfüllt, ob es sich um einen öffentlichen Parkplatz handelt.

Die Tathandlung ist auch in einer Art und Weise erfolgt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Anders als in den Fällen der Leugnung und der Billigung, in denen die Störung des öffentlichen Friedens indiziert ist, ist für den Fall der Verharmlosung die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens eigens festzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 23 – juris). Im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG genügt insoweit nicht eine „Vergiftung des geistigen Klimas“ oder eine Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte – eine Verharmlosung des Nationalsozialismus als Ideologie oder eine anstößige Geschichtsinterpretation dieser Zeit allein begründen eine Strafbarkeit deshalb nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 24 ff. – juris). Eine Verurteilung kann jedoch dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018, 1 BvR 2083/15, Rn. 27 – juris).

Unter Berücksichtigung des Gehalts der fraglichen Äußerung sowie sämtlicher Äußerungsmodalitäten einschließlich des zur Tatzeit – also am 31.07.2021 – herrschenden geistigen Klimas (vgl. zu diesen Gesichtspunkten Krauß, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2009, § 130 Rn. 112) ist von einer solchen Eignung zum unmittelbaren Auslösen von rechtsgutgefährdenden Folgen und damit von der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens gemäß den bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben auszugehen.

Spätestens im Laufe des Jahres 2021, in dessen Mitte die hiesige Tat begangen wurde, kam es zu zunehmenden Gewalttaten durch Personen, die sich durch die Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie in ihren Rechten beschnitten sahen und sich gegen eine vermeintliche unrechtmäßige Unterdrückung mit Angriffen etwa auf Personen, die die Schutzmaßnahmen durchzusetzen suchten, meinten wehren zu müssen:

Insgesamt gab es im Jahr 2021 mehr als 300 gewalttätige Angriffe im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie (vgl. „Die Pandemie der Gewalt“, Artikel vom 10.02.2022, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-02/corona-angriffe-deutschland-coronaleugner-gewalt – abgerufen am 04.04.2022). Ein Täter eines solchen Angriffs, der derzeit vor dem LG Bad Kreuznach wegen Mordes an Alexander W. angeklagte Mario N. hat in der dortigen Hauptverhandlung angegeben, dass er den als Tankstellenkassierer tätigen Studenten am 18.09.2021 – sieben Wochen nach der hiesigen Tat – erschossen habe, nachdem dieser ihn auf die Maskenpflicht hingewiesen habe, weil ihn die Corona-Schutzmaßnahmen, insbesondere die Maskenpflicht, zermürbt hätten (vgl. „Ich war wie in einem Film, aus dem ich keinen Ausweg fand“, Artikel vom 25.03.2022, https://www.sueddeutsche.de/panorama/bad-kreuznach-idar-oberstein-prozess-tankstelle-gestaendnis-1.5554878 – abgerufen am 04.04.2022). Einzelnen Teilnehmern und Teilnehmerinnen von Demonstrationen gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen attestierte Ende des Jahres 2021 der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul: „Die sind brandgefährlich, weil sie mittlerweile nicht nur reden, schwätzen, sich gegenseitig hochstacheln, sondern auch zu Taten schreiten“ und bei diesen Demonstrationen kam es Ende 2021 – mithin in der Zeit unmittelbar nach der hiesigen Tat – zu zunehmenden Verletzungen auch von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen (vgl. „Die sind brandgefährlich“, Artikel vom 13.12.2021, https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-demo-deutschland-proteste-gewalt-1.5486489 – abgerufen am 04.04.2022).

Jedenfalls vor diesem Hintergrund erscheint die hiesige Tat geeignet, reale Gefährdungen von Rechtsgütern herbeizuführen. Denn wenn die Situation von Ungeimpften heute in Deutschland mit denen der europäischen Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus gleichgesetzt wird, wird den Ungeimpften eine Position der absoluten Entrechtung attestiert, in der es auch mit Gewalt berechtigt wäre, sich gegen den Unterdrücker zu wehren. Die Gleichstellung bleibt nicht rein geistig, sondern trifft auf die vorbeschriebene Situation, in der bereits tatsächlich Menschen, die sich zu Unrecht von den Covid-19-Schutzmaßnahmen eingeschränkt sehen, eine Vielzahl von Gewalttaten gegen diejenigen, von denen sie sich unterdrückt fühlen, begehen. Jede weitere Gleichstellung von Covid-19-Schutzmaßnahmen mit der Shoah ist deshalb geeignet, Bestätigung für die selbstempfundene Situation der Entrechtung und damit Rechtfertigung für den gewaltsamen Widerstand zu liefern und so den öffentlichen Frieden zu gefährden (ebenso für das oben beschriebene Plakat BayObLG, Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20, Rn. 5 – juris; ablehnend für auf einem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil gepostete Bilder von sogenannten „Judensternen“ mit den Aufschriften „nicht geimpft“, „AFD Wähler“, „SUV Fahrer“ und „Islamophob“ Saarländisches OLG, Urteil vom 08.03.2021, Ss 72/2020 (2/21), Rn. 22 ff. – juris).“

Ich denke, dass die Rechtsfrage auch irgendwann der BGH entscheiden wird/muss.

Corona I: „Gelber Judenstern“ mit „Ungeimpft“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?

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In die 45. KW. starte ich dann heute mit zwei Entscheidungen zu „Corona-Fragen“.

Zunächst stelle ich hier den LG Aachen, Beschl. v. 18.08.2022 – 60 Qs 16/22 – vor. Es geht im die Verwendung des sog. „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes Jude durch das Wort „ungeimpft“.

Gegen die Angeschuldigte wird von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung, begangen am 01.12.2021, geführt. Durch die Meldestelle respect! wurde bekannt, dass die Angeschuldigte am 01.12.2021 ein Bild mit einem sogenannten „Judenstern“ in einer seinerzeit aus 27 Mitgliedern bestehenden Facebook-Gruppe „Impfzwang?? Nein danke!! Wir stehen auf!!“ als Gruppenbild hochgeladen hatte. Dabei handelte es sich um eine abgewandelte Version des „Judensterns“ dahingehend, dass auf dem Stern nicht der Begriff „Jude“, sondern der Begriff „Ungeimpft“ zu sehen war. Über und unter dem Judenstern standen die Worte „Der neue Judenstern“.

Von der Staatsanwaltschaft ist der Erlass eines Strafbefehls gegen die Angeschuldigte beantragt worden. Konkret wird der Angeschuldigten Folgendes zur Last gelegt:

„Am 01.12.2021 stellten Sie gegen 21:35 Uhr in der von Ihnen gegründeten öffentlich einsehbaren Facebook-Gruppe mit dem Titel „Impfzwang?? Nein Danke!! Wir stehen auf!!“ als Gruppenbild ein Foto ein, auf dem mittig ein auf einer Scheibe klebendes Plakat abgebildet ist. Das Plakat zeigt einen gelben Judenstern, der zur Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „Ungeimpft“ und der Überund Unterschrift „Der neue Judenstern“. Ihnen war bewusst, dass eine Impfung in keinem Zusammenhang zur Judenverfolgung steht. Sie nahmen billigend in Kauf, dass die unter den Nationalsozialisten begangene planmäßige Ermordung von Juden als Vergleich mit den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie wahrgenommen werden würde und dadurch eine Bagatellisierung der Art, des Ausmaßes und der Folgen der Unterdrückung, Gewalt und massenhaften Ermordung der Juden zur Zeit des Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht wird. Ihnen war bewusst, dass dies zu einer Herabsetzung von Hemmschwellen mit unmittelbar rechtsgutgefährdenden Folgen führen kann.“

Der Amtsrichter hat den Erlass des Strafbefehls abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die keinen Erfolg hat. Wegen der Einzelheiten der Ablehnungsentscheidung verweise ich auf den verlinkten Volltext der LG Entscheidung. Hier stelle ich nur die (amtlichen) Leitsätze ein, die lauten:

    1. Die Verwendung eines „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch das Wort „ungeimpft“ in einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil erfüllt als Beitrag zur öffentlich geistigen Auseinandersetzung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand des Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.03.2021 – Ss 72/2020 (2/21), BeckRS 2021, 4322; Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn. 27). Eine Deutung des „Judensterns“ als allgemeines Symbol für eine staatlich veranlasste Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen ist aus der Sicht eines verständigen Zuhörers nicht ausgeschlossen. Es ist daher im Hinblick auf die gesellschaftlich geführte Debatte um eine Corona-Impfpflicht, Schutzmaßnahmen und die Privilegien für geimpfte Personen aus Sicht eines objektiven, verständigen Zuhörers auch eine Deutung denkbar, die lediglich die Nachteile der ungeimpften Bevölkerung durch die eingeschränkte Teilnahme am öffentlichen Leben gegenüber den Geimpften anprangert, ohne sich hierbei konkret auf den Völkermord an den Juden zu beziehen. Die Angeschuldigte hat im konkreten Fall nicht das den Juden unter der NS-Herrschaft zugefügte Unrecht bagatellisiert, sondern vielmehr ihre eigene Situation als Ungeimpfte in der Corona-Pandemie überdramatisiert.
    2. Zwar ist es auf sogenannten Corona-Demonstrationen des Häufigeren zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen. Demgegenüber haben an diesen Demonstrationen auch zahlreiche Personen teilgenommen, die friedlich gegen eine geplante Impfpflicht oder sonstige Corona-Maßnahmen demonstriert haben und sich mit den Gewalttaten Einzelner nicht identifiziert oder diese gebilligt haben. Vor diesem Hintergrund kann nicht jeder Aufruf, sich gegen eine Impfpflicht einzusetzen als Appell zum Rechtsbruch oder aggressive Emotionalisierung ausgelegt werden.

Zu der Problematik auch schon LG Würzburg, Beschl. v. 18.5.2022 – 1 Qs 80/22  und dazu. Corona II: „Gelber Judenstern“ mit „NICHT GEIMPFT“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?