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Verkehrsrecht III: Entziehung der FE nach 9 Monaten, oder: Verstoß gegen des Verhältnismäßigkeitsgebot

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Und dann noch der LG Hamburg, Beschl. v. 05.08.2024 – 612 Qs 67/24  – ebenfalls zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach längerem Zeitablauf nach der Anlasstat.

Das AG hat dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis in einem Verfahren mit dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort vorläufig entzogen. Dagegen dann die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Beschuldigten durch das Amtsgericht Hamburg stellt sich im vorliegenden Fall mit Blick auf die Verfahrensdauer als nicht mehr verhältnismäßig dar.

a) Es besteht indes der dringende Tatverdacht, dass der Beschuldigte eine Straftat nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen hat.

…..

3. Der Beschuldigte ist nach vorläufiger Würdigung der Beweislage auch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Dies folgt aus der vorliegend einschlägigen und nicht widerlegten Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in Verbindung mit § 142 StGB.

…..

4. Die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht Hamburg genügt jedoch mit Blick auf die Verfahrensdauer nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist aufzuheben, wenn durch schwerwiegende Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens eintritt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 14.02.2006 – Az. 1 Ws 119/06, Rn. 21, juris). Dies gilt insbesondere für eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens, die den Beschuldigten sodann in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren verletzt (BVerfG, Beschluss vom 15.03.2005 – 2 BvR 364/05, NJW 2005, 1767 (1768)). Es sind mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen Tatgeschehen und dem Zeitpunkt der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erhöhte Anforderungen an die Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz der Allgemeinheit einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis andererseits zu stellen. Darüber hinaus ist grundsätzlich in den Blick zu nehmen, dass wenn der Beschuldigte nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitz seiner Fahrerlaubnis ist und beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilnimmt, sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis wächst, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verliert (zum Ganzen: KG, Beschluss vom 08.02.2017 – Az. 3 Ws 39/17, BeckRS 2017, 113772).

Gemessen an diesen Maßstäben stellt sich die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend als nicht mehr verhältnismäßig dar.

Dabei ist die erhebliche, gegen das Beschleunigungsgebot verstoßende Verfahrensdauer zwischen der hochwahrscheinlich begangenen Tat und den ersten Maßnahmen der Strafermittlungsbehörden in den Blick zu nehmen. Die Tat wurde seitens der Zeugin pp. durch eine E-Mail ihres Rechtsanwaltes pp. am 20.09.2023 dem Polizeikommissariat 43 zur Kenntnis gebracht (Bl. 5 ff. d.A.). Als nächstes Schriftstück befindet sich ein Schreiben des Rechtsanwalts pp. vom 13.11.2023 in der Akte, in dem dieser mitteilt, dass die Akte nicht mehr benötigt werde (Bl. 11 d.A.). In der Akte folgt sodann ein Vermerk der Polizeidienststelle VD 42 vom 09.04.2024, in dem mitgeteilt wird, dass die Sachbearbeitung übernommen wurde. Demzufolge sind fast sieben Monate vergangen, ohne dass ersichtliche Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet wurden. Der Beschluss über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erging sodann am 16.06.2024 (Bl. 31 d.A.) und damit mehr als neun Monate nach der hochwahrscheinlich begangenen Tat, was bereits für sich genommen in erheblicher Spannung zum Charakter des vorläufigen Entzuges der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO als Eilmaßnahme steht.

Hinzu kommt, dass der Beschuldigte zumindest laut der in der Akte befindlichen Auskunft des Kraftfahrbundesamtes vom 07.05.2024 seit der hochwahrscheinlich begangenen Tat am 05.09.2023 beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat, wodurch neben der langen Verfahrensdauer zusätzlich Vertrauen in den – zumindest vorläufigen – Bestand der Fahrerlaubnis beim Beschuldigten entstanden ist.“

Tja, vielleicht ein Phyrrussieg? Einerseits sicherlich sehr schön die Aufhebung, andererseits macht das LG aber – an sich nicht notwendige – Ausführungen zur Tat und zur Beweiswürdigung, die das AG – je nach Einlassung des Beschuldigten – wahrscheinlich mit Freuden lesen wird. Denn da kann es ggf. schän „abschreiben“.

Drei Beschlüsse zur Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: KCanG, Cannabiskonsum, berufliche Gründe, Diabetes

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“, und zwar mit einigen verwaltungsrechtlichen Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG.

Ich beginne mit drei Entscheidungen aus Bayern, von denen ich aber nur die Leitsätze vorstelle. Das sind:

1. Die regelmäßige Einnahme von Cannabis hat nach der Rechtslage vor dem 01.04.2024 gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 FeV ohne das Hinzutreten weiterer Umstände im Regelfall die Fahreignung ausgeschlossen.

2. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der Anfechtung einer Entziehung der Fahrerlaubnis ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich. Eine Rückwirkung der für den Fahrerlaubnisinhaber günstigeren Neuregelung nach der Rechtsänderung am 01.04.2024 hat der Gesetz- und Verordnungsgeber nicht vorgesehen. Sie ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der bisherigen Regelung auch nicht verfassungsrechtlich geboten.

  • BayVGH, Beschl. v. 19.12.2024 – 11 CS 24.1933 – Zur Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem und zur – verneinten – Unverhältnismäßigkeit bei beruflicher Angewiesenheit auf die Fahrerlaubnis:

Dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt angesichts der Gefahren durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen.

Ergeben sich Zweifel an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers aus einer feststehenden insulinbehandelten Diabetes-Erkrankung mit einer reduzierten Hypoglykämiewahrnehmung und überdies aus einer Polyneuropathie mit einer einer leichtgradigen Gangunsicherheit und einer eingeschränkten linken Fußhebung, kann die Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entziehen.

StPO II: Wenn die Beschuldigtenvernehmung „platzt“, oder: Endgerätedurchsicht vor Ort vor Beschlagnahme

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Und dann als zweite Entscheidung – ebenfalls aus Bayern – der LG München I, Beschl. v. 18.1.2024 – 19 Qs 24/24.

Ergangen ist der Beschluss in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Erpressung. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, bezugnehmend auf ein Schreiben in einer Zwangsvollstreckungssache, mit welchem er wegen eines nicht beglichenen Rundfunkbeitrags in Höhe von 376,06 EUR zur Abgabe einer Vermögensauskunft geladen wurde, in einem Schreiben vom 17.04.2023 gegenüber pp. ARD ZDF Deutschlandradio, erklärt zu haben, dass er die Ladung als Angebot sehe, welche er u.a. unter die Bedingung stelle, dass sie ihm binnen einer Frist von 21 Tagen „eine amtliche Legitimation“ in notarieller Form und die „Gründungsurkunde des Staates“ vorlegen. Sofern dies nicht geschehe, habe dies die „unwiderrufliche“ und „absolute Zustimmung“ zu einem „privaten kommerziellen Pfandrecht in Höhe von 700.000 EUR“ zu seinen Gunsten zur Folge. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 17.04.2023.

Die Staatsanwaltschaft hat auf der Grundlage dieses Schreibens die Polizei beauftragt, den Beschuldigten im Strafverfahren zu vernehmen. Die Polizei teilt dann mit, dass der Beschuldigte bereits am 01.07.2023 von seiner ursprünglichen Wohnadresse in Unterhaching nach 04519 Rackwitz verzogen sei, wo er auch einwohnermelderechtlich gemeldet sei. Daraufhin teilte die Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei mit, dass unter diesen Umständen keine weiteren Maßnahmen – wie beispielsweise die Einvernahme im Rahmen eines Ermittlungsersuchens an die für seinen Wohnsitz zuständige Kriminalpolizei – veranlasst seien.

Stattdessen beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschwerdeführer an dessen Wohnsitz in Rackwitz. Der wird erlassen und vollzogen. Beschlagnahmt werden1 Dell PC Tower mit Kabel, 1 USB-Stick EMTEC, 1 Mobiltelefon Microsoft, 1 Mobiltelefon Nokia und 1 Klapp-Handy Nokia. Dagegen die Beschwerde des Beschuldigten,die Erfolg hatte:

„Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und die Beschwerde gegen die Beschlagnahmebestätigung der konkret beschlagnahmten Gegenstände erweisen sich in der Sache als erfolgreich, da zwar ein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer bestand, jedoch aufgrund des Zeitablaufs von mehreren Monaten nur noch eine geringe Auffindevermutung bestand und sowohl die Durchsuchung als auch die Beschlagnahme mangels Verhältnismäßigkeit rechtswidrig waren.

a) Bei jeder Anordnung einer Durchsuchung gem. §§ 102, 105 Abs. 1 S. 1 StPO ist aufgrund der Erheblichkeit des Eingriffs der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Teilurteil vom 5. August 1966 – 1 BvR 586/62, 610/63, 512/64). Die Durchsuchung muss den Erfolg versprechen, geeignete Beweismittel zu erbringen. Auch muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat erforderlich sein. Dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen.

Ferner muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Straftat und
der Stärke des bestehenden Tatverdachts stehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 – 2 BvR 1027/02).

Mit diesen Voraussetzungen setzt sich der amtsgerichtliche Beschluss nicht weiter auseinander. Er enthält neben der Vermutung, die Durchsuchung werde zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere Speichermedien und EDV führen, keine weiteren Ausführungen. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe hätte sich dem Amtsgericht bei seiner Entscheidung jedoch aufdrängen müssen, dass bereits Zweifel an der Auffindevermutung und Erforderlichkeit der Maßnahme bestehen – welchen durch Aufnehmen einer Abwendungsbefugnis hätte begegnet werden können – sie aber jedenfalls unangemessen ist und somit im vorliegenden Fall das Schutzinteresse aus Art. 13 GG gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse des Staates überwiegt (vgl. LG Hamburg Beschl. v. 26.7.2022 – 631 Qs 17/22, BeckRS 2022, 35057).

Denn dafür, dass der Beschuldigte tatsächlich noch im Besitz einer digitalen Form des Schreibens vom 17.04.2023 stehen könnte, bestanden bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses am 07.02.2024 angesichts des Zeitablaufs von 10 Monaten zumindest Zweifel. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Durchsuchung tatsächlich erst am 29.05.2024 – mithin erst über ein Jahr nach der Verfassung des gegenständlichen Schreibens vollzogen wurde – erachtet die Kammer die Durchführung der Durchsuchung zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht mehr als erfolgsversprechend.

Zudem bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit der Maßnahme. Denn auch die Staatsanwaltschaft München I hielt ursprünglich keine weiteren Ermittlungsmaßnahmen für erforderlich, um den Tatnachweis zu führen. Ausweislich des Akteninhalts sollte vor Abschluss des Verfahrens ursprünglich lediglich eine Beschuldigtenvernehmung durchgeführt werden, sodass die Akte zu diesem Zweck der Polizei zugeleitet wurde.

Erst als die Polizei nach weiteren 5 Monaten mitteilte, dass der Beschwerdeführer nicht mehr im Zuständigkeitsbereich wohnhaft sei und bislang nicht vernommen worden sei, beantragte die Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss, obwohl seither keine weiteren Ermittlungsergebnisse dazugekommen waren, welche nunmehr weitere Maßnahmen zur Verfolgung der im Raum stehenden Straftat nachvollziehbar erscheinen lassen. Dass ein Termin zur Beschuldigtenvernehmung nicht zustande kam, für den der Beschwerdeführer offiziell auch nicht geladen wurde, kann jedenfalls nicht zulasten des Beschwerdeführers gehen und nicht den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses begründen.

b) Hinsichtlich der Beschlagnahmebestätigung ist anzuführen, dass die Beschlagnahme sämtlicher beim Beschwerdeführer vorgefundener EDV in Form von einem Dell PC Tower mit Kabel, einem USB-Stick EMTEC, seinem Mobiltelefon Microsoft, einem Mobiltelefon Nokia und einem Klapp-Handy Nokia (Bl. 86) außer Verhältnis zu dem Eingriff auf das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung steht.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist von dem Grundrecht aus Art. 2 I i.V. mit Art. 1 I GG verbürgt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419). Das Grundrecht dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Aus-übung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (vgl. BVerfGE 65, 1 [43] = NJW 1984, 419).

Demnach sind bei dem Vollzug der Beschlagnahme – insbesondere beim Zugriff auf umfangreiche elektronisch gespeicherte Datenbestände – die verfassungsrechtlichen Grundsätze zu gewährleisten, die der Senat in seinem Beschluss vom 12.4.2005 (NJW 2005, 1917 [1921f.]) entwickelt hat. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, dass die Gewinnung überschießender, für das Verfahren bedeutungsloser Daten nach Möglichkeit vermieden wird.

Die Beschlagnahme sämtlicher gespeicherter Daten zum Zweck der Erfassung von Kommunikationsdaten, etwa des E-Mail-Verkehrs, ist dabei regelmäßig nicht erforderlich. Vielmehr muss im Regelfall wegen des von vornherein beschränkten Durchsuchungsziels die Durchsicht der Endgeräte vor Ort genügen.

Das Amtsgericht München hat in dem angegriffenen Bestätigungsbeschluss nicht berücksichtigt, dass insoweit erhöhte Anforderungen an die Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu stellen waren und hat hierzu keine Ausführungen gemacht.

Auch ist vorliegend nicht ersichtlich, warum die Beschlagnahme eines nicht internetfähigen Klapp-Handys ohne Datei-Verarbeitungsprogramm bestätigt wurde, welches offensichtlich gera-de nicht zum Verfassen, Verarbeiten oder Speichern des Schreibens genutzt werden konnte.

Auch lagen aus Sicht der Beschwerdekammer die Voraussetzungen der Einziehung nicht vor, sodass die Gegenstände nicht zur Sicherung der Vollstreckung beschlagnahmt werden konnten, § 111b Abs. 1 S. 1 StPO. Denn vorliegend sind weder der Computer des Beschwerdeführers noch sonstige Speichermedien als eigentliches Mittel der im Raum stehenden Straftat eingesetzt worden. Die dem Beschwerdeführer angelastete versuchte Erpressung war insbesondere nicht von der Verwendung der zur Einziehung angeordneten EDV und Speichermedien abhängig. Ent-sprechend unterliegt ein Computer, den der Täter zum Schreiben eines – später abgesandten – Briefes mit strafrechtlich relevanten Inhalt benutzt hat, nicht der Einziehung nach § 74 StGB (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23-12-1992 – 5 Ss 378/92, 5 Ss 120/92 I).

c) Wegen des hohen Eingriffs in das Rechtsgut der Unverletzlichkeit der Wohnung erachtet
die Kammer angesichts des im Raum stehenden Delikts des Versuchs einer Erpressung, der Tatsache, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist und des dargestellten Zeitablaufs die Anordnung der Durchsuchung und die Bestätigung der Beschlagnahme als nicht mehr angemessen und insgesamt unverhältnismäßig.“

StPO II: Freiwillige Herausgabe vor der Durchsuchung, oder: Dann braucht man keine Durchsuchung mehr

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Im zweiten Posting dann noch eine Entscheidung zur Durchsuchung und sie kommt ebenfalls aus Sachsen. Es handelt sich um den LG Dresden, Beschl. v. 23.10.2024 – 2 Qs 13/24.

Nach dem Sachverhalt führt die StA gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vergewaltigung. Er soll in den frühen Morgenstunden des 16.03.2024 gegen 02:50 Uhr der Beschuldigte durch das Eintreten der Tür in die Wohnung seiner ehemaligen Lebensgefährtin eingedrungen sein und ihr im dortigen Schlafzimmer mehrmals mit der Faust und dem Ellenbogen in das Gesicht von pp. geschlagen haben. Anschließend soll er mit Gewalt für etwa zehn Minuten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durchgeführt haben.

Der Beschuldigte wurde am 16.03.2024 vorläufig festgenommen und das Amtsgericht Dresden ordnete mit Beschluss vom 16.03.2024 die Untersuchungshaft gegen ihn an. Im Rahmen des Termins zur Haftbefehlseröffnung vor dem AG am 16.03.2024 beantragte die Staatsanwaltschaft den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für die Wohnung des Beschuldigten zum Auffinden von dessen Mobiltelefon, seiner Schuhe, von Betäubungsmitteln und von Unterlagen über die Beziehung zwischen dem Beschuldigten und pp. Der Beschuldigte erklärte daraufhin, dass die gesuchten Unterlagen ausschließlich bei pp. aufzufinden seien und er sein Mobiltelefon und seine Schuhe mit Widerspruch übergeben würde, um den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses zu vermeiden.

Das Amtsgericht Dresden ordnete daraufhin mit Beschluss vom 16.03.2024 (dennoch) die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten zum Zwecke des Auffindens des Mobiltelefons des Beschuldigten, seiner zur Tatzeit getragenen Bekleidung sowie von Unterlagen über die persönliche Beziehung zwischen dem Beschuldigten und pp. an. Im Hinblick auf die ebenfalls beantragte Durchsuchung der Wohnung nach Betäubungsmitteln sah das Amtsgericht den erforderlichen Anfangsverdacht für nicht gegeben.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte Beschwerde ein und widersprach zugleich der Verwertung der aufzufindenden Beweismittel. Die Durchsuchungsanordnung vom 16.03.2024 wurde noch am selben Tag vollzogen. Der beschuldigte begehrt nunmehr die Feststellung, dass die Durchsuchung rechtswidrig erfolgt sei. Mit Erfolg:

„1. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Ein Rechtsschutzinteresse für die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der hier gegenständlichen, prozessual überholten Durchsuchungsmaßnahme ist wegen des mit der Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs gegeben (BVerfG, Beschluss vom 05.07.2023 – 2 BvR 370/13, BeckOK StPO/Cirener, § 296, Rn. 12 ff.).

2. Die Beschwerde des Beschuldigten hat auch in der Sache Erfolg.

a) Gegenüber der durch Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 angeordneten Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten standen den Ermittlungsbehörden gleichermaßen geeignete, aber grundrechtsschonendere Maßnahmen zur Verfügung, weshalb die angeordnete Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieß und der Beschluss mithin rechtswidrig war.

Bei der Anordnung einer Durchsuchungsmaßnahme gemäß §§ 102, 105 Abs. 1 Satz 1 StPO muss aufgrund des damit für den Betroffenen einhergehenden intensiven Grundrechtseingriffs dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße Rechnung getragen werden (BVerfG NJW 1966, 1603 (1607)). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet daher, nahe liegende gleichermaßen geeignete grundrechtsschonendere Ermittlungsmaßnahmen der Maßnahme nach § 102 StPO vorzuziehen (BVerfG NStZ-RR 2006, 110). Eine Durchsuchungsmaßnahme muss aus Gründen der Verhältnismäßigkeit daher unterbleiben, wenn der Betroffene die im Beschluss konkret benannten Gegenstände freiwillig und vollständig herauszugeben bereit ist (MüKoStPO/Hauschild, 2. Aufl., § 102, Rn. 31). Gleichermaßen unterbleiben muss eine Durchsuchungsmaßnahme, wenn durch weniger einschneidende Maßnahmen, wie die Vernehmung von Zeugen oder die Beiziehung von Akten, der Durchsuchungszweck erreicht werden kann (BVerfG BeckRS 2005, 32877; BVerfG NJW 2009, 281 (282); OLG Dresden BeckRS 2008, 7878).

Im Haftprüfungstermin am 16.03.2024 wurde durch den Beschuldigten erklärt, dass er bereit sei, sein Mobiltelefon und die am Tattag getragene Kleidung freiwillig herauszugeben. Diese im Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 konkret genannten Gegenstände hätten somit durch freiwillige Übergabe von dem Beschuldigten erlangt werden können, ohne dass es einer polizeilichen Wohnungsdurchsuchung bedurft hätte. Sachliche Erwägungen, weshalb diese weniger einschneidende Maßnahme zurückgestellt wurde, sind nicht erkennbar. Die angeordnete Maßnahme war daher im Hinblick auf die Durchsuchung zum Zwecke des Auffindens des Mobiltelefons und der am Tattag getragenen Kleidung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unvereinbar.

Gleichermaßen unvereinbar mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz war die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten im Hinblick auf die Unterlagen zu der persönlichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und der Zeugin pp. Im Haftprüfungstermin am 16.03.2024 wurde durch den Beschuldigten diesbezüglich erklärt, dass die gesuchten Unterlagen ausschließlich bei der Zeugin pp. aufzufinden seien. In Anbetracht dieser Aussage wäre es zunächst angezeigt gewesen, den konkreten Verbleib der Unterlagen durch Einvernahme der Zeugin pp. zu erforschen bzw. die freiwillige Herausgabe zu erwirken. Weiterhin bestand von Seiten der Ermittlungsbehörde, die hier insbesondere ein Interesse am Auffinden von Unterlagen zu familienrechtlichen Streitigkeiten hatte, die Möglichkeit der Aktenanforderung beim zuständigen Familiengericht. Die Ermittlungsbehörden wären daher angehalten gewesen, sich zu bemühen, zunächst durch weniger einschneidende Maßnahmen an die relevanten Unterlagen zu gelangen und die grundrechtsintensive Maßnahme der Wohnungs-durchsuchung zumindest zurückzustellen, insbesondere auch in Anbetracht des Um-standes, dass den Unterlagen zu der persönlichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und hinsichtlich des Tatverdachts der Vergewaltigung nur ein mittelbarer Beweiswert zukommt.

b) Der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 16.03.2024, Az. 273 Gs 1363/24 ist indes nicht aufgrund eines Verstoßes gegen das allgemeine Willkürverbot rechtswidrig.

Ein Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot liegt nicht bereits bei der zweifelsfrei fehlerhaften Anwendung einfachen Rechts vor, sondern erfordert, dass eine zweifelsfrei einschlägige Norm nicht angewendet wurde oder deren Inhalt in erheblicher Weise missgedeutet wurde (BeckOK GG/Kischel, Art. 3, Rn. 84).

Wenngleich das Amtsgericht Dresden bei Auslegung und Anwendung des § 102 StPO die Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verkannt hat, wurde in Ermangelung eines Anfangsverdachts wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln ein darauf gerichteter Durchsuchungsbeschluss ausdrücklich nicht erlassen. Anhaltspunkte dafür, dass der Durchsuchungsbeschluss gleichwohl zur weiteren Erforschung eines etwaigen Betäubungsmitteldelikts erlassen wurde, sind nicht ersichtlich.“

Zwang III: Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen, oder: Originale, Kopien und Kopierkosten

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Und als dritte und letzte Entscheidung dann hier der der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 01.08.2024 – 18 Qs 14/24 – zur Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme von (Original-) Geschäftsunterlagen und/oder der Erforderlichkeit der Herausgabe von Kopien an den Betroffenen sowie zum Ersatz von Kopierauslagen.

„Ein umfangreiches „Programm, was zur Folge hat, dass der LG-Beschluss mit rund 17 Seiten so lang geworden ist, dass man ihn hier nicht – auch nicht teilweise – einstellen kann. Daher stelle ich nur die (gerichtlichen) Leitsätze vor und verweise im Übrigen auf den verlinktenVolltext.

Die Leitsätze lauten:

1. In Fällen, in denen gefertigte Kopien oder eine elektronische Erfassung durch Einscannen im weiteren Verfahren nicht in gleicher Weise zu Beweiszwecken verwendet werden können wie die Originale, sind in Papierform aufgefundene (Original-) Unterlagen – insbesondere solche im Sinne der §§ 257 HGB, 140-148 AO – im Original zu beschlagnahmen.

2. Bei derartigen Unterlagen und der Prüfung einer Verdachtslage nach § 370 AO ist dieses bereits dann der Fall, wenn nur mittels der (Sach-) Gesamtheit derartiger Unterlagen und ihres – auch bildlichen – Zustandes überprüft werden kann, ob eine Befugnis zur Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO gegeben ist.

3. Dem Betroffenen ist dann die Möglichkeit einzuräumen, Kopien derartiger Unterlagen zu erhalten, wenn er diese für einen von ihm darzulegenden oder sonst allgemein nachvollziehbaren dringenden Zweck benötigt. Er hat nicht das Recht, pauschal die Fertigung und Herausgabe einer Kopie aller sichergestellter Unterlagen zu verlangen.

4. Die Fertigung von Ablichtungen durch die Ermittlungsbehörden kann und darf u. U. nicht kostenneutral für den Antragsteller erfolgen, wenn die hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere der §§ 464a Abs. 1 Satz 2 StPO; 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, 3 Abs. 2 i. V. m. Nr. 9000 Kostenverzeichnis der Anlage 1 zum GKG, erfüllt sind.