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StGB I: Vorsatz-Vorsatz-Kombination bei der Straßenverkehrsgefährdung, oder: Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe

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Heute dann ein wenig – oder auch ein wenig mehr – materielles Recht. Und da kommt dann zunächst der BGH, Beschl. v. 15.01.2019 – 4 StR 569/18 – zur sog. Vorsatz-Vorsatz-Kombination bei der Straßenverkehrsgefährdung. Die beinhaltet: Bei einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung nach § 315c StGB muss sich aus dem Urteil Vorsatz hinsichtlich der Handlung und Vorsatz hinsichtlich der herbeigeführten Gefahr ergeben. Darauf weist der BGh noch einmal hin.

Das LG hatte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB – falsches Verhalten beim Überholen – verurteilt. Es hatte aber keine ausdrücklichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Vorsatz-Vorsatz-Kombination getroffen. In der rechtlichen Würdigung hat es lediglich kurz ausgeführt, dass dem Angeklagten die Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst war; zur Begründung hat es auf vergleichbare Fahrten des Angeklagten in der Vergangenheit sowie auf die mehrfache Gefährdung von Fußgängern beim Abbiegen und Überfahren roter Lichtzeichenanlagen kurz vor der konkreten Gefährdung des vom Angeklagten überholten Pkw verwiesen. Bei einer der vorangegangenen Gefährdungen hatte er die die Einmündung passierende Fußgängerin allerdings übersehen, also hinsichtlich deren Gefährdung lediglich fahrlässig gehandelt.

Der BGH hat das aber durchgehen lassen und auf den „Gesamtzusammenhang“ der Urteilsgründe abgestellt:

„Im Ergebnis begegnet die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.1. der Urteilsgründe wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar hat das Landgericht keine ausdrücklichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite der von ihm angenommenen Vorsatz-Vorsatz-Kombination getroffen. In der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht lediglich kurz ausgeführt, dass dem Angeklagten die Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst war; zur Begründung hat es auf vergleichbare Fahrten in der Vergangenheit sowie auf die mehrfache Gefährdung von Fußgängern beim Abbiegen und Überfahren roter Lichtzeichenanlagen kurz vor der konkreten Gefährdung des von ihm überholten Pkw verwiesen. Bei einer der vorangegangenen Gefährdungen hatte er die die Einmündung passierende Fußgängerin allerdings übersehen, also hinsichtlich deren Gefährdung lediglich fahrlässig gehandelt. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe dennoch, dass der Angeklagte sowohl hinsichtlich des falschen Überholens als auch hinsichtlich der konkreten Gefährdung des überholten Fahrzeugs mit zumindest bedingtem Vorsatz handelte (vgl. König in LK-StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 189 ff.): Er beschleunigte den von ihm gefahrenen Pkw auf „bis zu 120 km/h“ im Stadtgebiet von Kassel, auch in einem Wohngebiet, um der ihn mit eingeschaltetem Blaulicht verfolgenden Polizei zu entkommen. Er fuhr auf dem linken der beiden Fahrstreifen der Leipziger Straße „deutlich über 100 km/h“, als er plötzlich ohne zu blinken scharf nach rechts abbog und einen auf der rechten Fahrspur fahrenden, sich in etwa auf gleicher Höhe befindlichen Pkw sowie dessen Fahrer konkret gefährdete. Angesichts der aus diesen Feststellungen hervortretenden erheblichen Differenzgeschwindigkeit und der besonders naheliegenden Gefahr eines Unfalls vermag der Senat insbesondere auszuschließen, dass er das überholte und konkret gefährdete Fahrzeug übersehen oder sonst dessen Gefährdung nicht bemerkt haben könnte.Der Angeklagte hatte den von ihm gefahrenen Pkw beschleunigt auf „bis zu 120 km/h“ im Stadtgebiet von Kassel, auch in einem Wohngebiet, um der ihn mit eingeschaltetem Blaulicht verfolgenden Polizei zu entkommen. Er fuhr auf dem linken der beiden Fahrstreifen der von ihm befahrenen Straße „deutlich über 100 km/h“, als er plötzlich ohne zu blinken scharf nach rechts abbog und einen auf der rechten Fahrspur fahrenden, sich in etwa auf gleicher Höhe befindlichen Pkw sowie dessen Fahrer konkret gefährdete. Angesichts der aus diesen Feststellungen hervortretenden erheblichen Differenzgeschwindigkeit und der besonders naheliegenden Gefahr eines Unfalls hat der BGH ausgeschlossen, dass der Angeklagte das überholte und konkret gefährdete Fahrzeug übersehen oder sonst dessen Gefährdung nicht bemerkt haben könnte. Dem wird man kaum etwas entgegen halten können.“

Straßenverkehrsgefährdung, oder: Rücksichtslosigkeit beim Überholen

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Der zweite „Verkehrsakt“ ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.08.2017 – 3 Rv 25 Ss 606/17 -, den mir der Kollege Kabus aus Bad Saulgau übersandt hat. Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) verurteilt. Der Angeklagte war bei Dämmerung nach Passieren einer Strecke mit Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h zu einem vor ihm fahrenden Fahrzeug aufgeschlossen. Er wollte dieses Fahrzeug überholen, das mit etwa 90 km/h fuhr, und nahm dabei an, vor ihm liege ein langes gerades Straßenstück. Tatsächlich folgte aber ein in einer leichten Rechtskurve verlaufendes Stück, welches in eine unübersichtliche Linkskurve übergeht, sodass erkennbar ein gefahrloses Überholen nicht möglich war. Während des Überholvorgangs kam dem Angeklagten ein Pkw entgegen. Der überholte und der entgegenkommende Fahrer versuchten sodann auszuweichen, konnten aber eine Kollision nicht mehr verhindern. Bei dieser wurde der entgegenkommende Fahrer verletzt und sein Fahrzeug beschädigt. Auf die Revision des Angeklagten hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das OLG hat Bedenken wegen der „Rücksichtslosigkeit“:

„2. Ob der Angeklagte rücksichtslos gehandelt hat, ist unter besonderer Berücksichtigung des äußeren Tatgeschehens zu beurteilen (vgl. LK-König, StGB 12. Aufl. 2008, § 315c Rn. 141; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, StGB, 29. Aufl. 2014, § 315c Rn. 28).

a) Dabei kann aus einem gefährlichen Verstoß gegen Straßenverkehrspflichten auch auf Rücksichtslosigkeit geschlossen werden, wenn dem Täter nicht nur die die Gefährlichkeit begründenden Umstände bekannt, sondern ihm auch die Gefährlichkeit der Situation bewusst gewesen war (vgl. dazu BayObLG, Urt. v. 5.1 1.1982 – RReg. 1 St 311/28, VRS 64, 123, 124f).

b) Ein solcher Rückschluss auf ein rücksichtsloses Verhalten des Angeklagte ist vorliegend aufgrund dessen – vom Amtsgericht festgestellten – Fehlvorstellung über den tatsächlichen Streckenverlauf nicht möglich. Dieser hatte sich subjektiv Umstände vorgestellt – eine gerade Strecke, die ein Überholen gefahrlos zugelassen hätten. Dass dieser Irrtum für ihn wohl ohne weiteres vermeidbar gewesen wäre, weil er die Strecke aufgrund früherer Fahrten gut gekannt hatte, ändert nichts daran, dass ihm die konkreten Verkehrsumstände und die Gefährlichkeit seines Fahrmanövers nicht bewusst gewesen waren.

3. Diese Fehlvorstellung des Angeklagten stellt ein sogenanntes Augenblicksversagen dar (vgl. LK-König, StGB 12. Aufl. 2008, § 315c Rn. 145 m. w. N.), wie es – vermeidbar -jedem Verkehrsteilnehmer unterlaufen kann. Der Gesetzgeber hat die Strafbarkeit in § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht nur objektiv mit dem Kriterium „grob verkehrswidrig“, sondern auch subjektiv mit dem Tatbestandsmerkmal „rücksichtslos“ auf solche Verkehrsverstöße eingegrenzt, die sowohl objektiv als auch subjektiv aus der Masse der im Straßenverkehr begangenen Zuwiderhandlungen herausragen (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, StGB, 29. Aufl. 2014, § 315c Rn. 28; LK-König, StGB, 12. Aufl. 2008, § 315b Rn. 131). Das Merkmal der Rücksichtslosigkeit verlangt eine üble Verkehrsgesinnung, eine geradezu unverständliche Nachlässigkeit (vgl. OLG Braunschweig, Urt. v. 20.08.1965 – Ss 119/65, VRS 30, 286, 288). Eine lediglich auf menschlichem Versagen beruhende falsche Beurteilung der Verkehrslage – wie sie vorliegend das Amtsgericht festgestellt hat – genügt hingegen nicht (vgl. OLG Braunschweig a. a. O. BGH, Urt. v. 13.03.1959 – 4 StR 30/59, VRS 16, 354ff, 357).

4. Auch den weiteren Feststellungen lässt sich – unter Berücksichtigung dieser Fehlvorstellung – kein rücksichtloses Verhalten im Sinn von § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB entnehmen.

a) Dass der Angeklagte sich – nach den Feststellungen des Amtsgerichts – entschlossen hat ohne weiteres Abbremsen zu überholen, kann bereits deshalb kein Indiz für ein rücksichtsloses Verhalten sein, da ein derartiges beabsichtigtes Fahrmanöver auf Basis der subjektiven Vorstellung des Angeklagten, sich auf einer geraden Strecke zu befinden, bereits nicht verkehrswidrig ist – abgesehen von der mitverwirklichten Geschwindigkeitsüberschreitung.
 
b) Dass der Angeklagte bei diesem Fahrmanöver die zulässige Höchstgeschwindigkeit von
80 km/h in erheblicher Weise überschritten hat, stellt zwar einen Verkehrsverstoß gegen § 41 Abs. 1 StVO i. V. m. Zeichen 274 Anlage 2 zur StVO dar, lässt aber nicht erkennen, dass dieser Verstoß Ausdruck einer Gleichgültigkeit des Angeklagten gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern gewesen und damit rücksichtslos gewesen war.

c) Soweit das Amtsgericht ausführt, der Angeklagte hätte bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit und Anspannung ohne weiteres erkennen können, dass ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen war, lässt dies keinen Schluss auf ein rücksichtsloses Verhalten zu. Denn dass die Fehlvorstellung für den Angeklagten vermeidbar gewesen wäre, steht einem Augenblicksversagen nicht entgegen (siehe oben 2. b.).

d) Dass das Amtsgericht eine Gedankenlosigkeit des Angeklagten feststellt, möglicherweise, weil es – wie unter IV. seiner Gründe dargelegt – nicht nachvollziehen kann, wieso der Angeklagte zu seiner Fehlvorstellung über den Verlauf der ihm aus der Vergangenheit gut bekannten Strecke gekommen ist, reicht dies auch zusammen mit der Vermeidbarkeit der Fehlvorstellung und der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht aus, ein – unbewusst fahrlässiges – rücksichtsloses Verhalten des Angeklagten festzustellen. Denn hierzu hätte der Angeklagte nicht nur aus Gedankenlosigkeit sondern aus Gleichgültigkeit sich um die mögliche Verletzung der ihm obliegenden Verkehrspflichten keine Gedanken gemacht haben müssen (vgl. u. a. BGH, Urt. v. 13.03.1959 -4 StR 30/59, VRS 16, 354ff, 356). zu einem gleichgültigen Verhalten des Angeklagten lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts unter Beachtung der Fehlvorstellung des Angeklagten – aber nichts entnehmen.“

Und ich bin dann mal „rücksichtslos“. Standort heute: Auf dem Weg zu den Malediven.

Nach Drogenkonsum auf Polizeiflucht, oder: Kleiner Grundkurs des BGH zur Straßenverkehrsgefährdung

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Heute dann (mal wieder) ein wenig Verkehrs(straf)recht. Und den Tag eröffent der BGH, Beschl. v. 31.01.2017 – 4 StR 597/16. Das Verfahren ist gelaufen unter der Überschrift: „wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. “ Und in dem „u.a.“ steckt dann das Verkehrsstrafrecht. Verurteilt worden ist der Angeklagte nämlich „wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen von Waffen“ und Urkundenfälschung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz“. Und wegen der verkerhsrechtlichen Problematik gibt es dann vom 4. Strafsenat einen kleinen Grundkurs/einige Hinweise, und zwar:

  • Die BGH beanstandet die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a), Abs. 3 Nr. 1 StGB. Begründung: Die zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen sind widersprüchlich. Denn es ist nicht unklar, ob sich der Angeklagte – wovon das LG in der rechtlichen Würdigung ausgegangen ist – einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination) oder nur einer Fahrlässigkeitstat gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a), Abs. 3 Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat.
  • Ein Hinweis des BGH gibt es dann noch einmal zum Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a), § 316 StGB. Der „kann nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15, NZV 2015, 562 [Ls]). Grundsätzlich kann hierbei auch aus der Fahrweise auf eine relative Fahruntüchtigkeit geschlossen wer-den. Befand sich der Täter – wie hier – auf der Flucht vor der Polizei, muss dies in die Beurteilung des Indizwertes seines Fahrverhaltens einbezogen werden. Dabei ist der Tatrichter nicht gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000 – 4 StR 171/00, NStZ-RR 2001, 173; Beschluss vom 29. November 1994 – 4 StR 651/94, DAR 1995, 166; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 316 Rn. 111 f. mwN).“
  • Und dann noch – auch das ein „Dauerbrenner“: „§ 315c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat. Es sind daher stets zwei Prüfschritte erforderlich, zu denen im Strafurteil entsprechende Feststellungen zu treffen sind: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt, was etwa bei älteren oder bereits vorbeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert und die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289; Ernemann in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 315c Rn. 25 mwN).

Dies alles – und auch noch viel mehr – findet man übrigens in dem von mir bearbeiteten § 4 von Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Auflage, 2015, zu dem derzeit eine Mängelaktion läuft (vgl. hier: „Geiz ist geil“, oder: Schnäppchen bei Burhoff).

Aufgehoben hat der BGH das landgerichtliche Urteil übrigens insgesamt: Begründung u.a.: Die Verurteilungen wegen der anderen stehen zur  vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit stehen. Würden sie in Rechtskraft erwachsen, hätte dies zur Folge, dass einer weiteren Verfolgung der zugrunde liegenden Tat unter dem Gesichtspunkt des § 315c StGB das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) entgegenstünde.

Straßenverkehrsgefährdung wird nach § 153a StPO eingestellt — Strafklageverbrauch wegen Unfallflucht

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So, der letzte Arbeitstag des Jahres ist angebrochen, jedenfalls für die Meisten, bevor es dann ins Neue Jahr rübergeht. Und da das ist in diesem Jahr ein ganz normales Wochenende ist, schließe ich die Woche auch (fast) normal. Es gibt also heute dann auch wieder ein Gebührenrätsel, denn Montag ist ja normaler Arbeitstag. Das habe ich dann nachher aber ein wenig vorgezogen, weil ich zum Abschluss des heutigen Tages den Wochenspiegel für die 52. KW. bringen werde, der passt an Neujahr dann nicht so gut.

Den Opener macht dann heute der KG, Beschl. v. 30.08.2016 – (3) 161 Ss 146/16 (82/16) –, eine für den Angeklagten erfreuliche Entscheidung. Das LG Berlin hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) verurteilt. Das KG hebt auf die Revision hin auf und stellt ein. Grundlage der Entscheidung war folgendes Verfahrensgeschehen:

Das AG Tiergarten hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt, seine Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von 15 Monaten angeordnet. Die auf sein Rechtsmittel anberaumte Berufungshauptverhandlung hat an insgesamt sieben Tagen stattgefunden. Am sechsten Verhandlungstag sind die Verfahrenbeteiligten übereingekommen, dass das Verfahren bezüglich des Vorwurfs der Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) nach § 153a Abs. 2 StPO eingestellt werden soll. Ohne dass es zu einer vorläufigen Einstellung gekommen wäre, ist das Verfahren am nächsten Verhandlungstag insoweit endgültig eingestellt worden, nachdem der Angeklagte erklärt hatte, 3.000 € an die Kosteneinziehungsstelle der Justiz gezahlt zu haben. Sodann ist die Strafverfolgung (unter Wegfall des Vorwurfs nach § 316 Abs. 1 StPO) gemäß § 155a StPO auf den verbleibenden Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) beschränkt worden, und der Angeklagte ist schließlich durch das angefochtene Urteil wegen dieses Vergehens u.a. zu einer Geldstrafe von verurteilt worden. Seine Revision führt dann zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses (§ 206a StPO). denn:

„Auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts ist von Amts wegen zu prüfen, ob ein Verfahrenshindernis besteht. Dies ist hier der Fall, denn dadurch, dass der Angeklagte eine Zahlungsauflage erfüllt hat und das Verfahren bezüglich des Tatvorwurfs der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 153a Abs. 2 StPO (endgültig) eingestellt worden ist, ist nach § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO Strafklageverbrauch für die gesamte Tat im prozessualen Sinn eingetreten (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1990, 38; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 59. Aufl., § 153a Rn. 45; Beulke in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 153a Rn. 97 mwN). Die angeklagte und erstinstanzlich abgeurteilte Tat der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs steht zwar sachlich-rechtlich mit dem nachfolgenden Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr) in Tatmehrheit. Die Taten bilden aber einen einheitlichen Lebensvorgang, so dass sie sich als eine Tat im prozessualen Sinn darstellen (vgl. BGHSt 23, 141; 25, 72; Senat DAR 1968, 244; OLG Celle VRS 54, 38; Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 264 Rn. 90 mwN). Die den ersten Tatvorwurf betreffende Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO verbraucht damit die Strafklage auch für das Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der zufolge bei der Verurteilung wegen einer ordnungswidrigen Verursachung eines Verkehrsunfalls und wegen anschließenden Entfernens vom Unfallort die Beschränkung der Berufung auf die Verurteilung wegen des Vergehens zulässig sein soll (vgl. BGHSt 24, 185), ergibt sich nichts anderes. Denn der BGH nimmt hiervon ausdrücklich jene Fälle aus, bei denen der Schuldspruch nicht teilbar wäre, zB den „Fall einer beide Ereignisse umfassenden Trunkenheitsfahrt“ (vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1971, 157). Diese Konstellation ist hier gegeben, denn der Alkohol- und Drogenkonsum hatte sowohl Einfluss auf das Unfall- als auch auf das nachfolgende Tatgeschehen. Dies wird schon dadurch deutlich, dass er die Strafkammer dazu veranlasste, die Strafe nach § 21 StGB zu mildern.“

Straßenverkehrsgefährdung/Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Warum schweigt das OLG München?

FragezeichenDer Kollege Florian C.A. Alte aus Anzing hat mir den OLG München, Beschl. v. 04.10.2016 – 4 OLG 15 Ss 456/16 – übersandt. Problematik des Beschlusses: Ist die vom Angeklagten, der vom Amtsgericht wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) verurteilt worden ist, erklärte Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß wirksam oder nicht. Voraussetzung dafür ist, dass vom AG ausreichende tatsächliche Feststellungen getroffen worden sind, um den Rechtsfolgenausspruch zu tragen. Das hat das OLG verneint:

„Insbesondere zu den Verkehrsdelikten hat der Senat in ständiger Rechtsprechung, an der jedenfalls derzeit festzuhalten ist, erkannt, dass der Tatrichter sich nicht auf Feststellungen beschränken darf, die nur die reine tatbestandsmäßige Schuldform betreffen. Vielmehr ist der Tatrichter wegen der Bedeutung für die Rechtsfolgen gehalten, Feststellungen auch zur Motivation der Tat, den konkreten Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung, insbesondere zu möglichen Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer, und zum Anlass der Tat zu treffen. Beschränkt sich das Erstgericht auf die Feststellungen allein zur Schuldform und unterlässt es die weiteren Feststellungen, ist eine Beschränkung des Rechtsmittels nach § 318 StPO unwirksam und der Berufungsrichter gehalten, den Sachverhalt unter Beachtung der revisionsrechtlichen Vorgaben vollumfänglich festzustellen. (OLG München aaO).

Die vom Amtsgericht Ebersberg getroffenen und unter 1. dieses Beschlusses ausgewiesenen Feststellungen betreffen weitestgehend nur die reine Schuldform. Das Urteil des ersten Rechtszugs teilt nichts zur gefahrenen Fahrstrecke, zum Anlass der Fahrt und zur tatsächlichen Geschwindigkeit des Kfz mit. Nach Ansicht des Senats wären derartige Feststellungen notwendig, um den Anforderungen an einen alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte abwägenden Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Mithin war das Urteil lückenhaft und einer Beschränkung der Berufung nach § 318 StPO nicht zugänglich. Das hat die Berufungskammer verkannt.“

Was den Kollegen erstaunt hat und was auch schon ein wenig ungewöhnlich ist: Im Beschluss des OLG München kein Hinweis auf den OLG Nürnberg, Beschl. v. 21. 10. 2015 – 1 OLG 2 Ss 182/15., mit dem das OLG Nürnberg dem BGH vorgelegt hat, um die umstrittene Frage des Umfangs der tatsächlichen Feststellungen – beim Fahren ohne Fahrerlaubnis – klären zu lassen (vgl. dazu Das OLG Nürnberg traut sich: BGH-Vorlage zum Fahren ohne Fahrerlaubnis). Nun, ich denke, dass das OLG München die Entscheidung aus Nürnberg nicht übersehen hat, sondern das Schweigen daran liegt, dass es bei dem OLG Nürnberg-Beschluss nur um eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ging, im Fall des OLG München aber auch eine fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) ausgeurteilt worden ist. Ich meine, da kann man schon unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich des Umfangs der Feststellungen sein. Und immerhin schreibt der Senat ja: „….. in ständiger Rechtsprechung, an der jedenfalls derzeit festzuhalten ist, ..“.

Schauen wir mal, was passiert, wenn der BGH entschieden hat. Ggf. werden sich die Tatgerichte dann umtun müssen.