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Rücksichtslos?

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„Rücksichtslos“ hatte nach Auffassung des AG und des LG ein Verkehrsteilnehmer vor/in einer Kurve überholt und war deshalb wegen eines Verstoßes gegen § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt worden. Das OLG Koblenz ist zwar übr das Verkehrsverhalten erkennbar auch „not amused“, meint aber, dass es für „Rücksichtslosigkeit“ i.S. des § 315c StGB nach den bisherigen Feststellungen nicht reicht (vgl. den OLG Koblenz, Beschl. v. 17.03.2016 – 2 OLG 4 Ss 18/16).

Zu beurteilen war/ist folgendes Verkehrsgeschehen:

„Am Vormittag des 10. August 2014 befuhr der Angeklagte mit einem Personenkraftwagen Renault Espace – amtliches Kennzeichen … – die Bundesstraße 258 vom „P.“ (Kreuzung mit der Bundesstraße 257) her in Richtung des „N.“. Seine Ehefrau saß auf dem vorderen Beifahrersitz. Die drei Kinder des Ehepaares, die elf, neun und vier Jahre alt sind, saßen ebenfalls im Wagen. Vor dem Renault Espace bewegten sich mehrere Fahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 70 km/h voran. Erstes Fahrzeug der Kolonne war ein „Oldtimer“ MG Cabrio. Ihm folgte ein Personenkraftwagen Ford Mondeo. Der „Oldtimer“ wurde von dem Zeugen W. G. geführt, auf dem – einzigen – Beifahrersitz saß seine Ehefrau mit dem gemeinsamen drei Jahre alten Enkelkind. Insassen des Ford Mondeo waren der Zeuge L. als Fahrzeugführer und seine Lebenspartnerin C. G., die Eltern des Kindes. Beide Wagen waren in W. auf die Bundesstraße 258 eingebogen.

In dem ansteigenden Streckenbereich vor der links gelegenen Einmündung der Kreisstraße 73 in die Bundesstraße 258 begann der Angeklagte, die Fahrzeuge vor ihm zu überholen, obwohl er sah, dass er sich einer vor der Einmündung beginnenden, nicht weit einsehbaren Rechtskurve der Straße näherte. Nachdem er mehrere Fahrzeuge überholt hatte, erreichte er den Ford Mondeo. Der Zeuge L., der die Situation als gefährlich einschätzte, reduzierte die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs, um dem Angeklagten zu ermöglichen, den Renault Espace vor ihm wieder einzuordnen. Indes fuhr der Angeklagte weiter im Kurvenbereich auf dem für den Gegenverkehr bestimmten Teil der Fahrbahn. Ihm war bewusst, dass jederzeit Fahrzeuge entgegen kommen konnten, denen er würde ausweichen müssen. Er vertraute darauf, dass es dann nicht zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kommen werde. Als sich der Renault Espace neben den MG Cabrio befand, sah der Angeklagte Fahrzeuge entgegenkommen. Er überholte den „Oldtimer“ und lenkte den Renault Espace unmittelbar vor dem Wagen nach rechts. Der Zeuge W. G. bremste den MG stark ab und lenkte zugleich nach rechts. Auch das erste entgegenkommende Fahrzeug wurde gebremst und nach rechts gelenkt. Hätten die Fahrzeugführer nicht derart reagiert, wäre es zu einer Kollision mit dem Wagen des Angeklagten gekommen.“

Und dazu das OLG:

Zwar ist nicht zu beanstanden, dass die Berufungskammer aufgrund der getroffenen Feststellungen von einem grob verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen ist. Ein rücksichtsloses Handeln, das eine Verurteilung nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB zusätzlich voraussetzt, geht daraus jedoch nicht hervor.

Nach der Rechtsprechung handelt rücksichtslos im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt, oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise darauf losfährt (BGHSt 5, 392; OLG Koblenz, Beschlüsse 2 Ss 284/02 vom 26.02.2003, NZV 2003, 617, 1 Ss 107/07 vom 25.06.2007, BeckRS 2008, 08777, und 1 Ss 95/13 vom 08.11.2013; vgl. auch OLG Düsseldorf NZV 1995, 115; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 315c Rn. 14 m.w.N.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. StGB § 315c Rn. 24). Betrifft das Merkmal der groben Verkehrswidrigkeit im Wesentlichen die objektive Seite des Verkehrsverstoßes, bezieht sich die Voraussetzung der Rücksichtslosigkeit mehr auf die subjektive Tatseite (OLG Koblenz, Beschlüsse 2 Ss 284/02 vom 26.02.2003, aaO, 1 Ss 107/07 vom 25.06.2007, aaO, und 2 Ss 110/08 vom 04.08.2008, jeweils mwN; Fischer aaO Rn. 12). In subjektiver Hinsicht darf die Rücksichtslosigkeit des Täters nicht allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen werden (OLG Koblenz, Beschluss 1 Ss 95/13 vom 08.11.2013; König aaO Rn. 25). Zur subjektiven Seite der Rücksichtslosigkeit hat die Berufungskammer keine Feststellungen getroffen. Es fehlt an jeglicher Auseinandersetzung mit dem Merkmal der Rücksichtslosigkeit.

Darauf durfte auch nicht etwa deshalb verzichtet werden, weil Angaben des Angeklagten zu seiner Motivationslage als unmittelbare Erkenntnisgrundlage fehlten. Nach allgemeinen Grundsätzen der Beweiswürdigung wäre vielmehr zu prüfen gewesen, ob die subjektive Tatseite, mithin auch eine grob verkehrswidrige Gesinnung (vgl. BGH NJW 1962, 2165, 2166), aus einer wertenden Gesamtschau aller Tatumstände geschlossen werden kann. Neben der Frage, inwieweit der Täter die Verkehrsumstände erkannt hat, können hierbei der Grad der objektiven Verkehrswidrigkeit, vorangehendes oder nachfolgendes Verhalten des Täters und der Ausschluss entlastender subjektiver Faktoren – beispielsweise ein mögliches Augenblicksversagen, Schreck, Eile aus nachvollziehbaren Gründen – Bedeutung gewinnen (OLG Koblenz, Beschluss 1 Ss 95/13 vom 08.11.2013; vgl. Senat, Beschluss 2 Ss 110/08 vom 04.08.2008; Groeschke, in: Münchener Kommentar, StGB, 1. Aufl., § 315c Rn. 27; Zieschang, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl., § 315c Rn. 35).“

Und gehapert hat es auch mit dem weiteren Tatbestandsbestandsmerkmal der konkreten Gefährdung. Da vermisst das OLG Kriterien, aus denen sich folgern lässt, dass der Eintritt eines Unfalls nur noch vom Zufall abhing

2,28 Promille – aber Fahrerlaubnis nicht entzogen….

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Da ist mal wieder eine Entscheidung aus der Kategorie: Klein, aber fein. Es ist das AG Tiergarten, Urt. v. 18.02.2016 – (315 Cs) 3012 Js 1817/15 (281/15), das der Kollege Kroll aus Berlin erstritten hat. Ergangen im zweiten Durchlauf, nachdem die Sache schon mal beim KG war.

Verurteilt worden ist der Angeklagte wegen einer fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB). BAK 2,28 Promille. Zur Zeit der Verurteilung lag die Tat schon mehr als ein Jahr zurück. Und: Der Angeklagte hat inzwischen dem Alkohol abgeschworen. Das führt dazu dass das AG von der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 sTGB) absieht und nur noch ein Fahrverbot von drei Monaten als erforderlich ansieht. Das ist aber durch die Zeit der vorläufigen Entziehung „verbüßt“:

„Im Rahmen der Strafzumessung wurde insbesondere zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist und die Tat bereits über ein Jahr zurückliegt. Zudem war der Angeklagte im Rahmen der Hauptverhandlung umfassend geständig und setzte sich mit der Tat reflektiert auseinander. Auch die Ursachen und Beweggründe seines damaligen Alkoholkonsums konnte er nicht nur benennen, sondern hat auch seine Lebensumstände entsprechend geändert. Ferner fiel das weitere Nachtatverhalten erheblich — positiv— ins Gewicht. Nach eigenen und glaubhaften Angaben des Angeklagten verzichtet er nunmehr vollständig auf den Konsum von Alkohol. Er besucht regelmäßig (1-2 mal die Woche) seit dem 12.2.2015 eine suchtherapeutische Motivationsgruppe des Humboldt-Klinikums. Seine Abstinenz hat er ferner durch die Einreichung von entsprechend negativen Laborbefunden nachgewiesen.

Zuletzt war in die Strafzumessung mit einzubeziehen, dass der Baum zwar eine fremde Sache von bedeutendem Wert ist und dieser auch gefährdet wurde. Die eingetretene Schadenshöhe bewegt sich gleichwohl im unteren Bereich.

Auf Entschädigungsansprüche wurde ferner ebenfalls verzichtet.

Strafschärfend wurde die Eintragung im Fahreignungsregister beachtet

Die Tagessatzhöhe wurde unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten festgesetzt, § 40 Abs. 2 StGB.

Aufgrund des Nachtatverhaltens schied eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne der §§ 69, 69 a StGB aus. Der Angeklagte ist nicht ungeeignet im Sinne der Vorschrift.

Es war jedoch als Warn- und Denkzettel ein Fahrverbot im Sinne des § 44 StGB für die Dauer von 3 Monaten festzusetzen. Das Fahrverbot ist aufgrund der amtlichen Beschlagnahme des Führerscheins vom 31.1.2015 bis zum 18.2.2016 bereits abgegolten, § 44 Abs. 3 S. 1 StGB.“

Na bitte, geht doch….

Geisterfahrer, oder: Wer gegen das Rechtsfahrgebot verstößt, ist nicht automatisch „Geisterfahrer“

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Die Presseberichterstattung befasst sich m.E. recht häufig mit dem Phänomen des sog. Geisterfahrers und den damit meist zusammenhängenden schweren Folgen für andere Verkehrsteilnehmer. Dann handelt es sich allerdings i.d.R. um Verkehrsvorgänge auf einer BAB. In der Rechtsprechung gibt es zu der Problematik nicht ganz so viel Entscheidungen, wie man glaubt. Daher sind die, die sich mit den Fragen befassen, von Interesse. Und dazu gehört der OLG Köln, Beschl. v. 10.12.2015 – III-1 RVs 225/15. Er behandelt allerdings kein Tatgeschehen auf einer BAB, sondern eins im wohl innerstädtischen Verkehr. Dort hatte der Angeklagte versucht, sich einer Polizeikontrolle zu entziehen und hatte eine Verfolgungsfahrt in Gang gesetzt (nun ja, er war „abgehauen“). Bei dieser Verfolgungsfahrt fuhr er in den zweispurigen Gegenverkehr einer Straße ein, auf der er und die anderen Verkehrsteilnehmer nur mit Mühe Zusammenstöße verhindern konnten. Das ist vom AG als fahrlässige Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 Abs. 1 Nr. 2e StGB – Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot – gewertet worden. Anders sieht das das OLG:

„Ausweislich der Ausführungen zur rechtlichen Bewertung des Geschehens lastet das Tatgericht dem Angeklagten einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 315c Abs. 1 Ziff. 2 lit e) StGB (mit fahrlässiger Gefahrherbeiführung gemäß § 315c Abs. 3 Ziff. 1 StGB) an. Das begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Rechtsfahrgebot seinem Sinn nach denjenigen Verkehrsteilnehmer nicht trifft, der – wie hier – entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fährt (Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 315c Rz. 18 aE; LK-StGB-König, 12. Auflage 2009, § 315c Rz.114). Das erhellt zudem aus § 315c Abs. 1 Ziff. 2 lit. f) StGB, der das Fahren entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung unter Strafe stellt, allerdings beschränkt auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen. Diese Beschränkung würde durch die Subsumtion einer „Geisterfahrt“ auf einer sonstigen Straße mit nur einer Fahrtrichtung unter § 315c Abs. 1 Ziff. 2 lit. e) StGB umgangen.“

Aber – und das führt das OLG dann näher aus: Das Verhalten des Angeklagten kann sich als Verstoß gegen § 315c Abs. 1 Ziff. 2 lit. d) StGB – zu schnelles Fahren an unübersichtlichen Stellen – darstellen. Und davon ist das OLG dann aufgrund der Umstände ausgegangen.

Übermüdung am Steuer – der (berühmte) Sekundenschlaf

© Cyril Comtat - Fotolia.com

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Mal nicht Alkohol am Steuer, sondern ggf. „Übermüdung am Steuer“ war die Ursache für einen Verkehrsunfall, der dann zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch das AG Wiesbaden geführt hat. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte dann beim LG Wiesbaden keinen Erfolg. Das ist im LG Wiesbaden, Beschl. v. 22.06.2015 – 1 Qs 61/15 – ist also schon etwas älter – dann auch vom dringenden Tatverdacht eines Verstoßes gegen § 315c Abs. 1 Nr. 1 b StGB ausgegangen:

„Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass der Beschuldigte am 13.04.2015 gegen 00:14 Uhr in pp. mit seinem Fahrzeug, einem BMW 5er, amtliches Kennzeichen pp., gegen ein ordnungsgemäß am Straßenrand geparktes Fahrzeug gefahren ist, nachdem er am Steuer eingeschlafen war. Durch den Aufprall wurde das geparkte Fahrzeug mehr als 14 m nach vorne gegen einen dort geparkten Anhänger geschoben. An allen drei Fahrzeugen entstand ein erheblicher Sachschaden.

Der Zeuge PK-A pp. hat bekundet, dass der Beschuldigte ihm gegenüber erklärt habe, dass er während der Fahrt in seinem Fahrzeug eingeschlafen und es deshalb zu dem Unfall gekommen sei. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Zeugen unzutreffend sein könnten, ergeben sich aus dem Akteninhalt nicht.

Soweit der Beschuldigte vorgetragen hat, dass er gegenüber dem Zeugen PK-A pp. nicht definitiv ausgesagt habe, dass er in seinem Fahrzeug eingeschlafen sei, sondern vielmehr nur Überlegungen hinsichtlich der Unfallursachen (überhöhte Geschwindigkeit, Sichtverhältnisse, leichte Übermüdung) angestellt habe und ihn der Zeuge aufgrund seiner unzulänglichen Sprachkenntnisse missverstanden habe, muss dies der abschließenden Beurteilung im Rahmen einer Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

Im Übrigen erscheint der Vortrag des Beschuldigten wenig überzeugend. Denn die am Unfallort aufgenommenen Lichtbilder belegen, dass sich der Unfall auf einer kaum befahrenen Straße ereignete, trockene Witterungsverhältnisse herrschten und die Sichtverhältnisse aufgrund der Straßenbeleuchtung entsprechend gut waren. Wenn der Beschuldigte gegenüber der Polizei lediglich „Überlegungen“ zur Unfallursache angegeben haben will, lässt dies auch den Schluss zu, dass er sich an den Unfallhergang nicht erinnern kann. Dies wiederum spricht dafür, dass er tatsächlich, wie von ihm nach Aktenlage angegeben, eingeschlafen ist. Da der Beschuldigte bereits seit 1994 einen deutschen Führschein besitzt, ist ebenfalls davon auszugehen, dass dieser über entsprechende Deutschkenntnisse verfügte, um sich gegenüber dem Zeugen PK-A pp. verständlich auszudrücken.

Eine Übermüdung kann auch einen geistigen oder körperlichen Mangel im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 1 b) StGB darstellen. Allerdings ist ein solcher Übermüdungszustand zu verlangen, welcher für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahen Sekundenschlafes mit sich bringt, d.h. der Fahrer bei sorgfältiger Selbstbeobachtung die Übermüdung hätte bemerken oder mit ihrem Eintritt hätte rechnen müssen (BayOLG, Urt. v. 18.08.2003 – 1 St RR 67/03; Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Auflage 2014, § 315c StGB, Rn. 16 m.w.N.).

Der BGH hat hierzu anerkannt, dass ein Kraftfahrer, bevor er am Steuer einschläft, stets deutliche Zeichen der Übermüdung an sich wahrnimmt oder zumindest wahrnehmen kann. Dies beruhe auf der in den berufenen Fachkreisen gesicherten Kenntnis, dass ein gesunder, bislang hellwacher Mensch nicht plötzlich von einer Müdigkeit überfallen wird (BGH, Beschl. v. 18.11.1969 – 4 StR 66/69; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 26.05.1992 – 8 U 184/91; BayOLG, Urt. v. 18.08.2003 – 1 St RR 67/03).

Vor diesem Hintergrund können die Ausführungen des Beschuldigten, wonach er keine Anzeichen einer Ermüdung oder Übermüdung bemerkt habe und auch während der Fahrt keine Anzeichen einer Ermüdung wahrgenommen habe, den dringenden Tatverdacht nicht entkräften. Die Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens war für die Annahme des dringenden Tatverdachts daher ebenfalls nicht notwendig (a.A. LG Traunstein, Beschl. v. 08.07.2011 – 1 Qs 225/11). Vielmehr muss dies der abschließenden Beurteilung im Rahmen einer Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.“

Für die Hauptverhandlung wird man da aber wohl an einem Sachverständigengutachten nicht vorbeikommen. Nun ja- und ein bisschen Werbung muss auch mal wieder sein 🙂 : Zur Straßenverkehrsgefährdung steht einiges bei „Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 5. Auflage, 2015„. Von dem Link aus kommt man auch zum Bestellformular 🙂 .

Falsch gefahren – deshalb „fahrunsicher“? – so einfach nicht

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Ich hatte ja heute morgen schon auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 24.08.2015 – 2 RV 104/15 hingewiesen (vgl.: Selbstläufer).  Die Entscheidung ist aber nicht nur wegen der angesprochenen Revisions-Rechtsbeschwerdeproblematik interessant, sondern auch wegen der weiteren Frage, zu der das OLG Stellung genommen hat, nämlich dazu, ob die Feststellungen des Amtsgerichts zu der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit der wegen eines Verstoßes gegen § 315c StGB verurteilten Angeklagten ausreichend sind. Das AG hatte – wie häufig/üblich – abgestellt auf nachträglichen Ausfallerscheinungen wie „Gang der Angeklagten unsicher, plötzliche Kehrtwendung nach vorherigem Gehen unsicher und Finger-Finger-Probe unsicher“. Das reicht dem OLG – auch in Zusammenhnag mit einem Fahrfehler nicht:

Allerdings hätte es für die Annahme alkoholbedingter Ausfallerscheinungen einer Gesamtwürdigung sämtlicher Tatumstände unter Einbeziehung des Unfallhergangs und von Darlegungen zu der Kausalität zwischen der festgestellten Alkoholisierung und dem Unfallereignis bedurft.

Zwar teilt das Gericht mit, dass die Angeklagte beim Abbiegevorgang in eine vorfahrtsberechtigten Straße den aus ihrer Fahrtrichtung gesehen von links kommenden Pkw des Zeugen pp.   aufgrund ihrer hohen Alkoholisierung und der damit einhergehenden Einschränkung ihrer Reaktions- und Wahrnehmungsfähigkeit übersehen habe (UA S. 3), obgleich die Straße für die Angeklagte nach links zum Tatzeitpunkt etwa 30 m frei einsehbar gewesen sei, zum Tatzeitpunkt um 7:35 Uhr Berufsverkehr geherrscht habe (UA S. 5) und es dunkel gewesen sei (UA S. 3). Allerdings stellt das Amtsgericht auch fest, dass das Übersehen eines Vorfahrtsberechtigten, der für die Angeklagte auf der vorfahrtsberechtigten Straße von links käme, einen typischen bedingten Fahrfehler darstelle (UA S. 5).

Hierbei verkennt das Gericht, dass eine falsche Einschätzung einer Verkehrssituation für sich alleine keine Ausfallerscheinung ist, die als Indiz für eine alkoholbedingte Fahruntauglichkeit genügt. Selbst ein verkehrswidriges Fahrverhalten stellt nur dann ein Untauglichkeitsindiz dar, wenn es sich dabei um typische Fahrweisen alkoholisierte Kraftfahrer im Straßenverkehr handelt (vgl. BGH, 20.03.1959, 4 StR 306/58). Es ist jedoch allgemein bekannt und entspricht der Verkehrserfahrung, dass es auch einem nüchternen Kraftfahrer passieren kann, beim Linksabbiegen in eine bevorrechtigte Straße ein entgegenkommendes Fahrzeug zu übersehen. Bei dem Fahrfehler der Angeklagten, wie es sich im Urteil darstellt, handelt es sich daher nicht um einen der „klassischen“ Ausfälle unter Alkoholeinfluss, wie etwa Schlangenlinienfahren, grundloses Abkommen von der Fahrbahn oder auffallend übervorsichtiges Fahrverhalten. Vielmehr könnte der Unfall auch durch alkoholunabhängige Unachtsamkeit, wie z. B. eine den morgendlichen Beleuchtungsverhältnissen geschuldete Fehleinschätzung wie z. B. eine den morgendlichen Beleuchtungsverhältnissen geschuldete Fehleinschätzung der Verkehrssituation, der Entfernung sowie der Geschwindigkeit des entgegenkommenden Fahrzeugs, verursacht worden sein. Einen Erfahrungsgrundsatz, dass ein Übersehen eines Vorfahrtsberechtigten, der für die Angeklagte auf der vorfahrtsberechtigten Straße von links kam, ein typisch alkoholbedingter Fahrfehler sei (vgl. UA S. 5), besteht jedenfalls nicht. Vor diesem Hintergrund ist es daher rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht von einem nichtbestehenden Erfahrungssatz ausgeht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 337 Rn. 31 m.w. N.).“

Tja, so einfach ist das also nicht mit dem § 315c StGB.