Schlagwort-Archive: Selbstbelastungsfreiheit

StPO III: Unglaubhafte bestreitende Einlassung, oder: „Wenn es stimmt, hättest du dich eher eingelassen.“

Smiley

Und dann noch der BGH, Beschl. v. 27.04.2023 – 5 StR 52/23 – mit einer „klassischen“ Problemati, bei der man sich wieder mal fragt: Warum?

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung  verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Dagegen die Revision des Angeklagten, die ein Selbstläufer ist/war. Der BGH hat aufgehoben:

„Nach den Feststellungen des Landgerichts sprach die Geschädigte den Angeklagten am 6. September 2021 auf die Zahlung seiner Schulden in Höhe von zwei Euro an. Um sie zum Forderungsverzicht zu bewegen, sprühte er ihr unvermittelt Pfefferspray ins Gesicht und forderte sie vergeblich zum Weggehen auf. Daraufhin versetzte er ihr mit der Metallschnalle seines Ledergürtels mehrere Schläge auf Kopf und Oberkörper; sie erlitt eine Platzwunde am Hinterkopf und Schwellungen an den Händen. Nach dem letzten Schlag hielt der Angeklagte es für möglich, alles getan zu haben, um die Geschädigte endgültig zum Verzicht auf ihre Forderung zu bewegen. Dies war aber entgegen seiner Erwartung nicht der Fall.

Der Angeklagte hat angegeben, er habe keine Schulden bei der Geschädigten gehabt, vielmehr habe sie ihm seinen Rucksack weggenommen. Als er sich diesen zurückholen wollte, habe sie ihn geschubst und geschlagen, so dass er zu Boden gegangen sei. Um ihre Angriffe abzuwehren, habe er sie mit dem Gürtel geschlagen.

Das Landgericht hat diese bestreitende Einlassung als unglaubhaft angesehen. Denn für den Fall, dass seine Schilderung zuträfe, sei zu erwarten gewesen, dass er diese bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Verfahrens zu seiner Verteidigung gemacht hätte und nicht erst, nachdem er sich bereits seit über drei Monaten in Untersuchungshaft befunden hatte.

Diese Erwägung verstößt gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten. Diesem kann der Zeitpunkt, zu dem er erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, nicht zum Nachteil gereichen.

Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus einer durchgängigen noch aus einer anfänglichen Aussageverweigerung eines Angeklagten – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem er sich erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Juni 2022 – 1 StR 139/22 Rn. 12; vom 23. März 2021 – 3 StR 68/21 Rn. 11, jeweils mwN).

Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass der Angeklagte sich erstmals gegenüber dem Sachverständigen geäußert hat. Dass er nicht schon früher geltend gemacht hat, in Notwehr gehandelt zu haben, darf deshalb bei der Bewertung seiner Aussage keine Berücksichtigung finden. Dieser Rechtsfehler ist auf die Sachrüge hin zu beachten (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220).

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Würdigung der Einlassung des Angeklagten zu einer anderen, dem Angeklagten günstigeren Überzeugung vom Tatablauf gelangt wäre (§ 337 Abs. 1 StPO).“

Oh Mann.

OWi I: Selbstbelastungsfreiheit im OWi-Verfahren, oder: Das BVerfG und das Auskunftsverweigerungsrecht

© Klaus Eppele – Fotolia.com

Ich stelle dann heute mal wieder drei OWi-Entscheidungen vor. Derzeit ist es im (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren recht ruhig. Hoffentlich nicht die Ruhe vor dem Sturm 🙂 .

Ich beginne mit dem schon etwas älteren BVerG, Beschl. v. 25.01.2022 – 2 BvR 2462/18. Das BVerfG nimmt in ihm zur Selbstbelastungsfreiheit im Bußgeldverfahren Stellung. Folgender Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist geschäftsführender Inhaber eines Speditionsunternehmens. Die Polizei kontrollierte ein Lastfahrzeug seines Unternehmens und stellte dabei fest, dass das Fahrzeug nicht mit Feuerlöschgeräten ausgerüstet war und seit mehr als zwei Jahren keine Nachprüfung eines Kontrollgerätes stattgefunden hatte. Das Unternehmen des Beschwerdeführers wurde „zur Ermittlung des für den Sachverhalt Verantwortlichen“ zur Mitteilung aufgefordert, wer im Sinne des § 9 Abs. 1, Abs. 2 OWiG die für die Einhaltung der gefahrgutrechtlichen Vorschriften im Betrieb verantwortliche und beauftragte Person sei. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Unternehmer oder Inhaber des Betriebs gemäß § 9 Abs. 2, Abs. 5 GGBefG zur vollständigen und unverzüglichen Auskunftserteilung verpflichtet sei und die Verletzung dieser Auskunftspflicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 GGBefG mit einer Geldbuße geahndet werden könne.

Daraufhin teilte eine Fahrzeugführer N mit, er sei die für den Verstoß verantwortliche Person. Hierauf erwiderte die Polizei mit einem an das Unternehmen gerichteten Schreiben, der Fahrzeugführer könne rechtlich nicht der verantwortliche Beförderer sein und habe keine Unternehmenspflichten. Da offensichtlich im Betrieb keine verantwortliche beauftragte Person bestellt sei, sei der Beschwerdeführer als eingetragener Geschäftsführer selbst verantwortlich und werde aufgefordert, seine vollständigen Personalien in den beiliegenden Anhörungsbogen einzutragen und diesen unverzüglich zurückzusenden. Der Beschwerdeführer teilte seine Personalien mit. Zudem gab er an, dass im Betrieb eine verantwortlich beauftragte Person bestellt sei. Da er aber weder sich selbst noch einen Familienangehörigen belasten müsse oder wolle, mache er von seinem „Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 9 GGBefG“ Gebrauch.

Gegen den Beschwerdeführer wurde vom AG wegen vorsätzlich nicht erteilter Auskunft gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 5, § 10 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 GGBefG in Verbindung mit § 9 Abs. 2, § 17 OWiG zu einer Geldbuße verurteitl. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde hatte beim OLG Bamberg keinen Erfolg. Das BVerfG hat es dann aber „gerichtet“:

„1. Die in Bezug auf die fachgerichtlichen Entscheidungen zulässige und annahmefähige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 14. Juli 2017 (Ziffern 1 und 4 des Tenors) und der Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. Juni 2018 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Selbstbelastungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

a) Die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) sind notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung. Denn durch rechtlich vorgeschriebene Auskunftspflichten kann die Auskunftsperson in die Konfliktsituation geraten, sich entweder selbst einer strafbaren Handlung zu bezichtigen oder durch eine Falschaussage gegebenenfalls ein neues Delikt zu begehen oder aber wegen ihres Schweigens Zwangsmitteln ausgesetzt zu werden (vgl. BVerfGE 56, 37 <41>). Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist zum einen im allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie zum anderen im Rechtsstaatsprinzip verankert und wird von dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG umfasst (vgl. BVerfGE 38, 105 <113 f.>; 55, 144 <150 f.>; 56, 37 <41 ff.>; 80, 109 <119 ff.>; 95, 220 <241>; 109, 279 <324>; 110, 1 <31>; 133, 168 <201 Rn. 60>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. September 2016 – 2 BvR 890/16 -, Rn. 34 m.w.N.). Ein Zwang, durch selbstbelastendes Verhalten zur eigenen strafrechtlichen Verurteilung beitragen zu müssen, wäre mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar (vgl. BVerfGE 80, 109 <121>; 95, 220 <241 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 916/11 u.a. -, Rn. 190).

Das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung umfasst das Recht auf Aussage- und Entschließungsfreiheit im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren. Dazu gehört, dass im Rahmen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens niemand gezwungen werden darf, sich durch seine eigene Aussage einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu bezichtigen oder zu seiner Überführung aktiv beizutragen. Der Beschuldigte beziehungsweise Betroffene muss frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er mitwirkt (vgl. BVerfGE 38, 105 <113>; 56, 37 <43>; 133, 168 <201 Rn. 60>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. September 2016 – 2 BvR 890/16 -, Rn. 35).

Aus der Verfassung ergibt sich zwar kein ausnahmsloses Gebot, dass niemand zu Auskünften oder zu sonstigen Handlungen gezwungen werden darf, durch die er eine von ihm begangene strafbare Handlung offenbart (vgl. BVerfGE 56, 37 <42, 49>; BVerfGK 4, 105 <108>; 18, 144 <150>). Handelt es sich um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Eine außerhalb des Strafverfahrens erzwungene Selbstbezichtigung ist aber nur dann zulässig, wenn sie mit einem strafrechtlichen Verwertungsverbot einhergeht (vgl. BVerfGE 56, 37 <49 f.>; BVerfGK 4, 105 <108>). Auch bloße Mitwirkungspflichten verletzen das Verbot der Selbstbelastung nicht, wenn durch sie Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren nicht berührt werden (vgl. BVerfGE 55, 144 <150 f.>; BVerfG, Beschluss des Dreierausschusses des Zweiten Senats vom 7. Dezember 1981 – 2 BvR 1172/81 -, juris, Rn. 7; Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 916/11 u.a. -, Rn. 310). Daher schützt das Verbot der Selbstbelastung nicht davor, dass Erkenntnismöglichkeiten, die den Bereich der Aussagefreiheit nicht berühren, genutzt werden und insoweit die Freiheit des Betroffenen eingeschränkt wird (vgl. BVerfGE 55, 144 <151>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 916/11 u.a. -, Rn. 310). So betreffen gesetzliche Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten nicht den Kernbereich der grundgesetzlichen Selbstbelastungsfreiheit, sondern können zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 81, 70 <97>; BVerfGK 17, 253 <264>).

Unzumutbar und mit der Würde des Menschen unvereinbar ist aber ein Zwang, durch eigene Aussagen die Voraussetzungen für eine strafgerichtliche Verurteilung oder die Verhängung entsprechender Sanktionen liefern zu müssen (vgl. BVerfGE 56, 37 <49>; BVerfGK 1, 156 <157>; 15, 457 <471>; 17, 253 <264>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. September 2016 – 2 BvR 890/16 -, Rn. 35). Die in den jeweiligen Prozessordnungen und sonstigen Gesetzen vorgesehenen Aussageverweigerungsrechte dienen der Verwirklichung des rechtsstaatlichen Grundsatzes, dass niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen (vgl. BVerfG, Beschluss des Dreierausschusses des Zweiten Senats vom 7. September 1984 – 2 BvR 159/84 -, S. 2).

Dies gilt sowohl für die strafprozessuale Aussagefreiheit gemäß §§ 136, 163a, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO (vgl. BVerfGE 56, 37 <43>), die gemäß § 46 Abs. 1 OWiG auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung findet (vgl. Lutz, in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 55 Rn. 15), als auch für das in § 9 Abs. 4 GGBefG normierte Auskunftsverweigerungsrecht (vgl. Begründung des Bundesrates zum Ergänzungsvorschlag zu § 9 <Absatz 4> des Gesetzes vom 6. August 1975, zitiert aus Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch <Hrsg.>, Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 95; zur ähnlich konzipierten Regelung in § 4 Abs. 4 FPersG vgl. BVerfG, Beschluss des Dreierausschusses des Zweiten Senats vom 7. September 1984 – 2 BvR 159/84 -, S. 2). Die in § 9 GGBefG angeordnete behördliche Überwachungsbefugnis und die entsprechenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Verantwortlichen dienen dem Schutz vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die von der Beförderung gefährlicher Güter ausgehen (vgl. Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch <Hrsg.>, Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 96 Rn. 1; vgl. auch § 1, S. 29 Rn. 30). Um die Wirksamkeit der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten und damit der Überwachungsmaßnahmen sicherzustellen, ist eine Verweigerung der Auskunftserteilung und Mitwirkung grundsätzlich bußgeldbewehrt (vgl. Begründung des Bundesrates zum Ergänzungsvorschlag zu § 10 <neuer Absatz 1 Nr. 5>, zitiert aus: Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch <Hrsg.>, Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 10, S. 116). Jedoch darf der zur Auskunft Verpflichtete nach § 9 Abs. 4 GGBefG die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn oder einen nahen Angehörigen der Gefahr straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verfolgung aussetzen würde. Damit überträgt die Norm die allgemeinen prozessualen Grundsätze der Zeugenvernehmung auf das Überwachungsverfahren in Bezug auf den an sich auskunftsverpflichteten Verantwortlichen nach § 9 GGBefG (vgl. Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch <Hrsg.>, Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 102 Rn. 15). Die Einschränkung der Auskunftspflicht bezieht sich auf Verfahren wegen möglicher Verstöße bei der Beförderung gefährlicher Güter. Deshalb kann der Auskunftspflichtige eine Antwort verweigern, wenn er sich dadurch der Gefahr eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach § 10 Abs. 1 GGBefG aussetzen würde (vgl. Hole, in: GGBefG Kommentar, 2015, Auszug aus der Loseblattsammlung Busch <Hrsg.>, Gefahrgut für die Praxis, Bd. 2, § 9, S. 103 Rn. 16, 18).

Nichts anderes ergibt sich aus der von den Fachgerichten herangezogenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1984 (vgl. BVerfG, Beschluss des Dreierausschusses des Zweiten Senats vom 7. September 1984 – 2 BvR 159/84 -, S. 2). Zum einen betraf das damals festgesetzte Bußgeld eine verweigerte Herausgabe von Unterlagen und nicht eine verweigerte Auskunft. Gesetzliche Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten betreffen den Kernbereich der grundgesetzlichen Selbstbelastungsfreiheit auch dann nicht, wenn die zu erstellenden oder vorzulegenden Unterlagen auch zur Ahndung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verwendet werden dürfen. Vielmehr können solche anderweitigen Mitwirkungspflichten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts namentlich zum Schutz von Gemeinwohlbelangen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGK 17, 253 <264>). Zum anderen bestätigt die Entscheidung das nach § 4 Abs. 4 Fahrpersonalgesetz (entspricht § 9 Abs. 4 GGBefG) bestehende Recht, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung den Betroffenen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten aussetzen würde. Die weiteren Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts bezogen sich auf solche Fragen, mit deren Beantwortung sich der Betroffene nicht selbst belastet.

b) Im vorliegenden Verfahren verstößt die Verurteilung wegen Nichterteilung einer Auskunft gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit.

Der Beschwerdeführer war aufgrund der Gefahr einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfolgung wegen eines vorherigen gefahrgutrechtlichen Verstoßes nicht zur Auskunft über seine Verantwortlichkeit verpflichtet. Denn das polizeiliche Auskunftsersuchen diente nicht der allgemeinen Überwachung von gefahrgutbefördernden Transportunternehmen und war damit nicht präventiv auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerichtet. Vielmehr verfolgte die Polizeiinspektion bereits mit dem ersten Anhörungsschreiben ersichtlich repressive Ziele, namentlich die Verfolgung von zwei zuvor begangenen Ordnungswidrigkeiten. Dies zeigt sich bereits darin, dass schon das erste Anhörungsschreiben vom 15. Dezember 2014 eine Anlage namens „Anhörung wegen einer Ordnungswidrigkeit“ enthielt, das Schreiben den Vorwurf begangener Ordnungswidrigkeiten erhob und eine Belehrung nach § 55 OWiG beigefügt war. Dieses Ordnungswidrigkeitenverfahren richtete sich spätestens mit Schreiben vom 13. Juli 2015 gegen den Beschwerdeführer persönlich, als diesem ein nicht an sein Unternehmen, sondern an ihn persönlich adressiertes Schreiben zur „Anhörung des Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit“ bekanntgegeben wurde, wobei die Belehrung nun mit der Belehrung zu § 55 OWiG begann. Im letzten Anhörungsschreiben vom 21. September 2015 teilte die Polizeiinspektion dem Beschwerdeführer mit, dass er selbst als eingetragener Geschäftsführer für die Verstöße nach dem Gefahrgutrecht angezeigt werde, sollte er nicht die Personalien der beauftragten Person mitteilen. Die Polizeiinspektion zog den Beschwerdeführer folglich nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ernstlich als Täter der verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeiten in Betracht. Darüber hinaus zeigt sich der Verfolgungswille der Polizeiinspektion deutlich in der späteren Realisierung dieser Verfolgungsgefahr, als der Beschwerdeführer zeitgleich nicht nur einen Bußgeldbescheid wegen der verweigerten Auskunft, sondern auch wegen der gefahrgutrechtlichen Verstöße in Bezug auf den Feuerlöscher und das Kontrollgerät erhielt. Durch den Erlass dieses Bußgeldbescheids gab die Polizeiinspektion eindeutig zu erkennen, dass sie den Beschwerdeführer als Verantwortlichen für die gefahrgutrechtlichen Verstöße ansah. Das Verfahren gegen den Beschwerdeführer war daher von Beginn an repressiv auf die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit gerichtet, sodass der Beschwerdeführer nicht verpflichtet war, sich im laufenden Ordnungswidrigkeitenverfahren durch das Eingeständnis seiner Verantwortlichkeit für die bußgeldbewehrten Verstöße gegen das Gefahrgutbeförderungsgesetz selbst zu bezichtigen. Darüber hinaus war sein Auskunftsverweigerungsrecht in § 9 Abs. 4 GGBefG gesetzlich verankert.

Die Ausübung dieses Rechts darf nicht – wie hier geschehen – mit einer Geldbuße sanktioniert werden, weil hiervon eine nötigende Wirkung ausgeht und der Betroffene andernfalls gezwungen wäre, zur Vermeidung einer (weiteren) Geldbuße auf sein Auskunftsverweigerungsrecht zu verzichten.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft meint, der Beschwerdeführer habe sich „nur“ im gefahrgutrechtlichen Verfahren in Bezug auf die Feuerlöscher und das Kontrollgerät, nicht aber im auskunftsrechtlichen Verfahren ausdrücklich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht berufen, greift dieser Einwand nicht durch. Die eindeutige Erklärung des Beschwerdeführers mit E-Mail vom 25. August 2015, von nun an im Hinblick auf sein Auskunftsverweigerungsrecht zu schweigen und keine weiteren Auskünfte mehr zu erteilen, brauchte nicht bei jedem neuen Anhörungsschreiben „aktualisiert“ zu werden. Darüber hinaus bezog sich das Auskunftsverweigerungsrecht auf den gefahrgutrechtlichen Verstoß in Bezug auf die Feuerlöscher und das Kontrollgerät. In diesem Verfahren hat der Beschwerdeführer berechtigterweise sein Auskunftsverweigerungsrecht ausgeübt.“

Nemo-Tenetur-Grundsatz, oder: Wenn das Schweigen des Angeklagten gegen ihn verwendet wird

© Alex White – Fotolia.com

Ich eröffne die 33. KW. mit zwei BGH-Entscheidungen.

Den Anfang macht der BGH, Beschl. v. 05.07.2018 – 1 StR 42/18. Problematik: Fehler in der Beweiswürdigung durch Verstoß gegen die so. Selbstbelastungsfreiheit:

a) Die Angeklagten haben zum Tatvorwurf im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung geschwiegen. Der Angeklagte W.   hat gegenüber dem Sachverständigen lediglich geäußert, dass das „sein Material“ gewesen sei, und seine Schwester, „ohne etwas damit zu tun zu haben“, ihn begleitet habe.

b) Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte W. das Rauschgift in Tschechien erworben und nach Deutschland eingeführt und seine Schwester ihn begleitet habe, im Wesentlichen aus der Festnahmesituation gewonnen. Beide Angeklagten befanden sich etwa einen Kilometer von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt; sie gingen zu Fuß auf einem Fuß-/Radweg landeinwärts zum nächst gelegenen Bahnhof, als sie aufgegriffen wurden. In seiner Jackentasche trug der Angeklagte W. das in zwei Kondome eingepackte Rauschgift. Die Angeklagte R. trug einen Rucksack, in dem sich das zum Teil leere Verpackungsmaterial für die Kondome und Einweghandschuhe befanden. Beweiswürdigend hat das Landgericht ausgeführt, dass es vor diesem Hintergrund davon überzeugt sei, „dass beide Angeklagten vor der Kontrolle in der Tschechischen Republik gewesen“ seien. In diesem Zusammenhang sei „insbesondere in den Blick genommen“ worden, „dass die Angeklagten keine Erklärung zum Grund ihres Aufenthalts im Bereich“ des Festnahmeortes „abgegeben haben“. Es werde nicht verkannt, dass, wenn ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden könne. Allerdings sei es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestünden (UA S. 20).

c) Mit diesen Erwägungen verstößt die Strafkammer gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit der Angeklagten.

aa) Der Grundsatz, dass niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen braucht, insoweit also ein Schweigerecht besteht, ist notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 243 Abs. 5 Satz 1 StPO). Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220 mwN). So liegt der Fall aber hier.

bb) Es ist zwar rechtlich zutreffend, dass der Zweifelssatz es nicht gebietet, zugunsten eines Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen. Das Landgericht stellt jedoch in seiner Beweiswürdigung, aber auch in der rechtlichen Würdigung, an mehreren Passagen (UA S. 20, 21, 22, 23 und 39) ausdrücklich darauf ab, dass sich die Angeklagten nicht zu den Gründen ihres Aufenthalts im Bereich des Festnahmeortes geäußert oder erklärt haben. Damit wird im Ergebnis zum Nachteil gewertet, dass die Angeklagten von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben.“

Tja, sollte man wissen als große Strafkammer, dass das so nicht geht…..

Nemo-tenetur, oder: Die (verweigerte) (Dauer)Befragung führt zu einem Beweisverwertungsverbot

entnommen openclipart.org

Heute dann ein wenig Verfahrensrecht. Und den Reigen der Entscheidungen eröffnet das BGH, Urt. v. 06.03.2018 – 1 StR 277/17, ergangen zu Belehrungsmängeln/-fehlern und einem Beweisverwertungsverbot.

Das LG hat die Angeklagten M. und R.  wegen vorsätzlicher Brandstiftung verurteilt. Nach den Feststellungen der Strafkammer kam es bei einem im Dezember 2013 abgeschlossenen Mietverhältnis der M. und R. mit dem Vermieter zu Mietstreitigkeiten, welche zu einem Räumungsprozess führten, der am 13.05.2016 durch einen Vergleich beendet wurde. Hierauf gestützt wurde vom zuständigen Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung für den 19.07.2016 festgesetzt. An diesem Tag wurde an/in dem Mietobjekt ein Brand gelegt. Das LG hat sich seine Überzeugung hinsichtlich der Täterschaft der beiden Angeklagten u.a. maßgeblich auf Grund der Angaben der Angeklagten R. gegenüber einem behandelnden Arzt D. im Beisein der Zeugin KHMin K. gebildet. Die Angeklagte R. hat die Verfahrensrüge erhoben und u.a. beanstandet u.a., dass sie unter Verletzung auf ihr Recht zu Schweigen polizeilich vernommen und „unmenschlich behandelt“ worden sei, sie berufe sich auf „§ 136 Abs. 1 S. 2, 136a Abs. 1 S. 1 StPO“ und „Art. 3 MRK“.

Die Verfahrensrüge hatte Erfolg. Der BGH ist in etwa von folgendem Verfahrensgeschehen ausgegangen: Die Angeklagte R. wurde noch im Bereich des Brandobjektes durch KHK Ra. über ihre Rechte nach §§ 136, 163a StPO belehrt. Sie äußerte daraufhin, wie auch ihre mitangeklagte Tochter, die Angeklagte M., zur Sache nicht aussagen zu wollen. In der Folge wurden die beiden Angeklagten in unterschiedlichen Polizeifahrzeugen ins Klinikum Ro. verbracht, um mögliche gesundheitliche Folgen der Raucheinwirkungen abklären zu lassen. Mit der Begleitung der Angeklagten R. war die Kriminalbeamtin KHMin K. beauftragt worden, welche, wie bei der Kriminalpolizei üblich, Zivilkleidung trug. Auf dem Weg zum Auto fragte die Angeklagte R. die Beamtin, obgleich es hierfür keinen Anlass gab, ob sie Ärztin sei, was diese verneinte und auf ihren Polizeibeamtenstatus hinwies.

Im Krankenhaus wartete die Zeugin KHMin K. mit der Angeklagten auf den zuständigen Arzt D., wobei die Beamtin das Gespräch mit der Angeklagten in Kenntnis dessen fortführte, dass sich diese vor einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt nicht zur Sache äußern wollte. Als der Arzt eintraf, ging sie zusammen mit der Angeklagten in das Behandlungszimmer. Als die Angeklagte sich zur Untersuchung durch den Arzt teilweise entkleidete, fragte sie, ob sie hinausgehen sollte, erhielt jedoch weder vom Arzt noch der Angeklagten irgendeine Antwort, worauf sie im Raum verblieb. Die Angeklagte gab auf Befragen des Arztes an, sie habe, genauso wie ihre Tochter, die Angeklagte M., zehn Tabletten des Medikamentes Sertralin genommen. Zudem wäre viel Rauch entstanden. Sie hätten „Benzin ausgeschüttet und das ausgeschüttete Benzin angezündet, überall im Erdgeschoss“, davor hätten sie „Tabletten genommen“. Nachdem die Angeklagte auf Fragen des Arztes zur Brandentstehung und -entwicklung wie vorstehend geantwortet hatte, verließ die Zeugin KHMin K. kurz den Raum, um sich bei ihren Kollegen zu vergewissern, dass die Angeklagte bereits belehrt worden sei, und ging dann – nach Bejahung der Frage – in den Untersuchungsraum zurück, wo sie bis zum Ende der ärztlichen Untersuchung verblieb.

Danach begleitete die Zeugin KHMin K. die Angeklagte R. zur Bewachung auf die Intensivstation des Krankenhauses, für die sie bis 18.45 Uhr abgestellt war. Auch dort kam es zu weiteren Gesprächen, nachdem die Angeklagte die Zeugin KHMin K. mehrfach an ihr Bett kommen ließ, um in Erfahrung zu bringen, wie es ihrer Tochter gehe. Dabei äußerte sie u.a. wörtlich, dass sie einfach „nicht mehr konnten“ und „wir haben einfach alles angezündet“.

Am nächsten Morgen transportierten die Zeugen KHK S. und KHK F. die Angeklagte zur Vorführung zum Amtsgericht, wobei sie erneut belehrt wurde. Nach der Belehrung führte der Zeuge KHK F. ein „Gespräch“, in dem sich die Angeklagte R. dahingehend einließ, dass „alles zu viel gewesen sei“.

Der Verwertung dieser Angaben – nach der Berufung auf das Schweigerecht der Angeklagten R. – haben beide Angeklagte am zweiten Hauptverhandlungstag vor der Vernehmung der Ermittlungsbeamten widersprochen. Trotz des Widerspruchs hat die Strafkammer ihre Überzeugung von der Mittäterschaft der Angeklagten R. und M. insbesondere auf die Aussagen der Zeugen KHMin K. und KHK F. gestützt. Die Angaben gegenüber dem Zeugen KHK Ra.  am Tatort hat sie nicht verwertet. Hinsichtlich der Verwertung der Angaben im Behandlungszimmer hatte die Strafkammer – im Gegensatz zur Vernehmung durch KHK Ra. – keine Bedenken, da der Angeklagten R. bewusst gewesen sei, dass die Polizistin den Untersuchungsraum nicht verlassen habe. Die Angaben am Krankenbett hält die Strafkammer für verwertbare freiwillige Spontanäußerungen außerhalb einer Vernehmungssituation, die Angaben gegenüber dem Zeugen KHK F. seien nach erneuter Belehrung eigenverantwortlich und aus freiem Willen erfolgt.

Ist ein bisschen viel Sachverhalt, aber den braucht man, um die Entscheidung des BGH zu verstehen. Denn der BGH sieht die verfassungsrechtlich garantierte Selbstbelastungsfreiheit der Angeklagten R. als verletzt, was zu einem Beweisverwertungsverbot führe. Dazu verweist er auf die Rechtsprechung des BVerfG – bitte selbst nachlesen – , wonach die Aussagefreiheit des Beschuldigten und das Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung (nemo tenetur se ipsum accusare) notwendiger Ausdruck einer auf dem Leitgedanken der Achtung der Menschenwürde beruhenden rechtsstaatlichen Grundhaltung seien. Der Beschuldigte müsse frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und ggf. inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt. Eine solche eigenverantwortliche Entscheidung sei bei der Angeklagten R. nicht gegeben. Dies ergebe – so der BGH – eine Gesamtbewertung der Vorgänge um die Zuführung der Angeklagten zu dem Arzt D. und die dort stattgefundene Untersuchung. Entscheidend ist für den BGH, dass sich die Angeklagte nach der ersten Belehrung im ununterbrochenen polizeilichen Gewahrsam befand, in dem zu keinem Zeitpunkt auf ihr Recht zu Schweigen Rücksicht genommen wurde.

Letztlich sei sie auf diese Weise einer dauerhaften Befragung ausgesetzt gewesen. Das habe schon während des Transports der Angeklagten zum Arzt begonnen, obwohl die Angeklagte zuvor ausdrücklich von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte. Sie sei zudem in einer gesundheitlich sehr angeschlagenen Verfassung gewesen und hatte eine Überdosis Psychopharmaka zu sich genommen und befand sich bei deutlich erhöhter Pulsfrequenz in der Angst, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Schon diese prekäre gesundheitliche Verfassung der dezidiert nicht aussagebereiten Angeklagten R. habe weitere Fragen verboten. Weiterhin hätten die Gesamtumstände der ärztlichen Untersuchung der dringend behandlungsbedürftigen Angeklagte R. in ihrer Aussagefreiheit beeinträchtigt. Um einen korrekten ärztlichen Befund zu erhalten, sei sie gezwungen gewesen, möglichst genaue Angaben zur Brandentstehung zu machen, auch wenn dies mit einer Selbstbelastung einherging. Diese Zwangssituation habe die Zeugin KHMin K. mit ihrer Anwesenheit bewusst ausgenutzt, um die entsprechenden Erkenntnisse zu erheben, gerade weil sie genau wusste, dass die Angeklagte erklärt hatte, keine Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden machen zu wollen. Unerheblich sei, dass die Polizeibeamtin im Behandlungszimmer die Frage gestellt hatte, ob sie hinausgehen solle, ohne allerdings irgendeine Antwort zu erhalten. Dies habe sie nicht automatisch als Zustimmung werten können, weil auch die Möglichkeit bestand, dass die Frage weder vom Arzt noch der Angeklagten gehört worden war, zumal die Zeugin aus dem Vorgeschehen entnehmen musste, dass die bereits ältere Angeklagte in ihrer Orientierung offensichtlich beeinträchtigt war.

Tja, Angeklagte/Beschuldigte unter „Dauerbeschuss“. Das konnte m.E. nicht gut gehen. Denn die Angeklagte hatte recht früh geäußert, dass sie nicht aussagen wolle. Und danach hat dann Schluss zu sein mit Befragungen. Wer das nicht hören will, muss eben fühlen = ein Beweisverwertungsverbot hinnehmen. Die Kammer muss es jetzt noch einmal machen/versuchen, allerdings ohne die Äußerungen/Angaben, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Und für Verteidiger: Widerspruch nicht vergessen!

Verstoß gegen nemo-tenetur, oder: Wenn der Polizeibeamte die Schuhsohlen sehen will

entnommen wikimedia.org
Urheber Anmab82

Und als Mittagsentscheidung dann ein kleines Schmankerl vom BGH, nämlich den BGH, Beschl. v. 11.04.2018 – 5 StR 609/17. Gerügt worden war in der Revision gegen ein Urteil (wohl) wegen Wohnungseinbruchdiebstahls mit der Verfahrensrüge ein Verst0ß gegen § 163a StPO, also ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatz). Dazu vom BGH nur:

„Zur Verfahrensrüge einer Verletzung des § 163a Abs. 4 StPO bemerkt der Senat:

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Selbstbelastungsfreiheit überhaupt berührt ist. Jedenfalls besteht kein Beweisverwertungsverbot, da das Anheben der Füße zum Anfertigen von Lichtbildern der Schuhsohlen eine Mitwirkungshandlung von allenfalls geringer Intensität ist und die Erlangung des Beweismittels auch auf strafprozessual unangreifbare Weise möglich war.“

Na ja. Da fragt man sich natürlich, was ist bei größerer Intensität und wer legt den Grad der Intensität fest? Und wenn „die Erlangung des Beweismittels auch auf strafprozessual unangreifbare Weise möglich war„, warum schlägt man dann den Weg nicht ein?