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Sondermeldung!! BVerfG schafft das Schweigerecht des Beschuldigten ab….

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Ja, in der Tat. Das wäre eine Sondermeldung (wert), wenn das BVerfG das Schweigerecht des Beschuldigten abschaffen würde bzw. abgeschafft hätte. Nun, so schlimm ist es dann doch (noch) nicht, aber: Ich habe mit dem BVerfG, Beschl. v. 30.07.2015 – 1 BvR 1951/13 – Probleme. Und nicht nur ich. Denn ich bin auf den Beschluss von verschiedenen Seiten hingewiesen worden, und zwar von meiner „Urteilsmutter“ hier für das Blog sowie auch von einem Mitherausgeber des StRR für den StRR. Beiden „gefiel“ der Beschluss nicht.

Und in der Tat: Zu Recht. Denn im Beschluss ist eine Passage enthalten, die stutzen lässt bzw. sauer aufstößt. In der Sache ging es um die Durchsuchung bei einer Bloggerin, die sich in ihrem Blog vor allem mit Themen aus dem Bereich sozialer Medien auseinandersetzt. Die hatte zuu ihrem Geburtstag einen „Ehrendoktor“ geschenkt bekommen, der über das Internet zum Kauf angeboten worden war. In ihrem Blog schrieb die Bloggerin dann dazu in einem Beitrag: „Sollte ich mir also zum Geburtstag einen Ehrendoktortitel gönnen? Meine Kinder fanden die Idee gut und wollten sich an der Aktion gern beteiligen (…). Im Internet fand ich einige Dr. h.c.?s, denen ihr Ehrentitel alles andere als unangenehm war: …. Ich bin stolz auf das, was um mich herum entstanden ist, auf unser Netzwerk, unsere Zusammenarbeit, unser Wirken (…). Herzlichen Dank für diese unsichtbare Fakultät von großartigen Menschen, mit deren Hilfe ich das geworden bin, was ich seit dem 10.3.2012 bin: Dr. h.c. of Ministry I., MLDC Miami!“ Unterzeichnet hat die Bloggerin den Beitrag mit ihrem Namen, aber ohne den Zusatz.

Daraus wird dann ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen § 132a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB. Das AG ordnet nach §§ 94 ff. StPO die Durchsuchung u.a. der Wohn- und Geschäftsräume der Bloggerin an. Es werden die Geschäftsräume durchsucht und es wird die Ernennungsurkunde aufgefunden und beschlagnahmt. Der von der Bloggerin eingelegten Beschwerde half das AG nicht ab; das LG hat die Beschwerde verworfen. Das Strafverfahren ist dann später nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt worden.  Die Verfassungsbeschwerde hatte dann allerdings Erfolg.

Das BVerfG sieht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt. Denn die Durchsuchung wäre zur Ermittlung und Verfolgung der Straftat nicht erforderlich gewesen. Hierfür hätten andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung gestanden. Die tatsächlichen Umstände für die Prüfung eines tatbestandsmäßigen Handelns seien nämlich aufgrund einer Internetrecherche bekannt gewesen. Für das Ermittlungsverfahren wegen Missbrauchs von Titeln hätte es daher der Ernennungsurkunde als Beweismittel nicht bedurft. Der Zweck, verwertbare und verfahrenserhebliche Beweismittel zu erlangen, hätte auch durch die Aufforderung wirksam erreicht werden können, den Strafverfolgungsbehörden die Ernennungsurkunde und weitere Beweismittel (Visitenkarten, etc.) zeitnah vorzulegen. Diese wäre gegenüber der Durchsuchung ein milderes, aber für die Verfolgung der eher gering wiegenden Straftat ein hinreichend wirksames Mittel gewesen.

Und dann kommt es:

Zwar ist die Beschwerdeführerin als Beschuldigte nicht dazu verpflichtet, zu ihrer Strafverfolgung durch aktives Handeln beizutragen (vgl. BGHSt 34, 39 <46>) und unterliegt im Strafverfahren keiner Darlegungs- und Beweislast (vgl. BVerfGK 4, 227, 234 m.w.N.). Im Falle einer etwaigen Nichtvorlage der Ernennungsurkunde wären die Fachgerichte jedoch nicht gehindert gewesen, hieraus verwertbare Schlüsse zu ziehen. Diese Folgerungen hätten dem Beweiswert einer vollzogenen, die Beschwerdeführerin in schwer wiegender Weise belastenden Durchsuchung im Wesentlichen entsprochen….“

Im Klartext heißt das: Die Ermittlungsbehörden hätten aus einer Nichtvorlage der Ernennungsurkunde – verwertbare – Schlüsse ziehen dürfen. Wäre also die Bloggerin einem Herausgabeverlangen nicht nachgekommen, hätte unterstellt werden dürfen, dass sie nicht im Besitz einer Promotionsurkunde war, die sie zum Führen des Doktorgrades berechtigte. Die bloße Untätigkeit der Bloggerin hätte daher als Beweiszeichen gegen sie gewertet werden. Das ist dann doch ein „Hammer“. Denn das widerspricht ganz eindeutig dem  Prinzip der Selbstbelastungsfreiheit, das aus den Art. 1; 2 Abs. 1; 20 Abs. 3 GG  und den §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO folgt.

Tja, und nun? Änderung der Rechtsprechung und/oder sogar der Prinzipien des Strafverfahrens? Im Zweifel wohl nicht. Ich vermute mal, dass da jemand im Schlossbezirk nicht richtig aufgepasst hat. Denn das BVerfG nimmt in seiner Entscheidung Bezug auf BVerfGK 4, 227, 234 m.w.N. = NJW 2005, 1640 und will die Grundsätze wohl übertragen. Allerdings hat man dabei dann übersehen, dass der Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen hat. Da ging es nämlich um eine Art „Teilschweigen“ bzw. dort hatte der Beschuldigte in seiner Einlassung behauptet, er besitze entlastende Beweismittel, dann aber deren Herausgabe verweigert. Das ist etwas ganz anderes als hier, wo die Bloggerin sich überhaupt noch nicht zur Sache eingelassen hatte.

Ableiten kann man daraus allerdings: Auch im „Schlossbezirk“ werden Fehler gemacht 🙂 .

Und man kann aus der Entscheidung noch mehr ableiten, was allerdings die Ermittlungsbehörden nicht so freuen wird: Nach dieser Entscheidung werden sie sich vor der Beantragung einer Durchsuchung verstärkt die Frage nach „Verhältnismäßigkeit“ stellen und prüfen müssen, ob man an die erstrebten Beweismittel nicht auch einfach mit einem Herausgabeverlangen kommt. Das geht schneller und belastet den Betroffenen wenigr. Und das müssen sich auch die AG fragen. Wenn sie es nicht tun, wird sie sonst ggf. das BVerfG fragen, warum sie es sich nicht gefragt haben 🙂 .

 

Spontanäußerung erlaubt keine Nachfrage. Wenn doch: Beweisverwertungsverbot!

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Entscheidungen des BGH, die sich mit Vernehmungs- und Belehrungsfragen und ggf. mit Beweisverwertungsverboten befassen sind für die Praxis immer von Bedeutung. Deshalb lohnt ein Blick – und mehr 🙂 – in den BGH, Beschl. v. 27.06.2013 – 3 StR 435/13, in dem sich der BGH mit der Selbstbelastungsfreiheit, dem Verteidigerkonsultationsrecht und einem Beweisverwertungsverbot befasst. Im Verfahren war der Angeklagte wegen des Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen und am folgenden Tag gegen 13.30 Uhr der zuständigen Ermittlungsrichterin vorgeführt worden, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß u.a. über seine in § 136 Abs.1 Satz 2 StPO geregelten Rechte belehrte. Der Angeklagte benannte daraufhin seinen Verteidiger und erklärte, er wolle diesen beigeordnet bekommen. Daraufhin unterbrach die Ermittlungsrichterin die Vernehmung und versuchte, den Verteidiger telefonisch zu erreichen, was jedoch nicht gelang, da das Büro, worauf eine Bandansage hinwies, während der Mittagspause von 13.00 bis 15.00 Uhr nicht besetzt war. Die Ermittlungsrichterin teilte dem Angeklagten sodann mit, sie habe den Verteidiger nicht erreichen können, woraufhin dieser erklärte, sich nicht zur Sache äußern zu wollen. Dieser Erklärung fügte der Angeklagte spontan hinzu, er kenne eine im Haftbefehl genannte Person, habe mit dieser aber nichts zu tun. Zum Verhalten dieser Person und zum eigentlichen Tatgeschehen äußerte sich der Angeklagte bis zu diesem Zeitpunkt nicht. An die Äußerung des Angeklagten anknüpfend stellte die Ermittlungsrichterin eine Frage zu dem Vorgang, aus dem sich später das eigentliche Tatgeschehen entwickelte. Es folgten weitere gezielte Fragen, und im weiteren Verlauf der Befragung ließ sich der Angeklagte umfassend zur Sache ein, wobei er einräumte, das Opfer zwei Mal gegen den Kopf getreten zu haben. Diese Einlassung revidierte er später im Rahmen eines Haftprüfungstermins und gab nunmehr an, sich nicht erinnern zu können, ob er das Opfer getreten habe. In der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte dann nicht eingelassen. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren hat das LG die Ermittlungsrichterin und den Protokollführer vernommen. Der Verteidiger sowohl gegen die Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch gegen Verwertung ihrer Aussage Widerspruch erhoben. Das LG hat den Widerspruch zurückgewiesen und die Einlassung des Angeklagten anlässlich der Haftbefehlseröffnung im Urteil gegen ihn verwertet. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH das Urteil aufgehoben.

Zur  Selbstbelastungsfreiheit und Verteidigerkonsultation hier nur kurz: Der BGH hat einen unzulässigen Eingriff der Ermittlungsrichterin in das in § 136 Abs.1 Satz 2 StPO normierte Recht des Angeklagten, sich nicht zur Sache äußern zu müssen und vor seiner Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, angenommen und das in dem Leitsatz zu der Entscheidung zusammengefasst:

Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen – zumal zum Randgeschehen – nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs.1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

Und: Er bejaht (!!) ein Beweisverwertungsverbot:

„Der aufgezeigte Verstoß bei der Vernehmung des Angeklagten führt zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben anlässlich der Haftbefehlsverkündung.

Zwar zieht nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung al-ler maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede ste-henden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 117/12, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfah-rensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 f.).

So verhält es sich hier. Die von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören – wie dargelegt – zu den wichtigsten verfahrensrechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbedacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht sel-ten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem – wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt – selbst bei einer späteren Änderung des Aus-sageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des Beschuldigten entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht entsprechend (BGH, Urteil vom 22. November 2001 – 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).

Der Annahme eines nach diesen Maßstäben gegebenen Beweisverwertungsverbotes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte aufgrund der eingangs der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultationsrecht erlangt hatte (vgl. dazu BGH, aaO und BGH, Beschluss vom 18. Dezem-ber 2003 – 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451). Grundsätzlich mag der Beschuldigte, der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zu Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Der aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen dem Verteidigerkonsultations- und dem Schweigerecht erfordert hier jedoch die Annahme eines hohen Schutzniveaus: Der Angeklagte hatte mit seinem Wunsch nach Verteidigerkonsultation zum Ausdruck gebracht, dass er der Be-ratung bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sache, was zum Abbruch der Vernehmung hätte führen müssen.“

Und wieder mal: Ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit – Fehler bei der Strafzumessung

Ich hatte ja neulich schon mal zur Strafzumessung gebloggt. Dazu passt ganz gut der Beschl. des BGH v. 11.05.2010 – 3 StR 125/10, in dem es heißt:

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte die Nebenklägerin im Schlafzimmer seines Hauses gefesselt und vergewaltigt. Als die Polizei bei ihm nach dem Verbleib der Nebenklägerin fragte, leugnete er jede Kenntnis und versteckte die Frau aus Sorge vor weiteren polizeilichen Ermittlungen. Die Strafkammer hat straferschwerend gewürdigt, „dass der Angeklagte trotz mehrfacher Nachfrage durch die Polizei, als er erkennen musste, dass eine folgenlose Freilassung der Nebenklägerin für ihn nicht mehr in Betracht kam, deren Anwesenheit nicht preisgegeben hat. Darüber hinaus war zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass der Angeklagte um seiner eigenen Sicherheit Willen, nämlich um eine Entdeckung der Nebenklägerin zu verhindern, diese zwang, sich für ca. 2 ½ Stunden unter das Lattenrost mit Matratze in einen geschlossenen Bettkasten zu legen, wo sie lediglich zufällig von den durchsuchenden Beamten wahrgenommen worden ist.“

Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, hat das Landgericht damit gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstoßen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 16 m. w. N.). Dies gilt ohne jede Einschränkung für den ersten Satz dieser Urteilspassage. Auch dem zweiten Satz stehen Rechtsbedenken entgegen, soweit er die Motivation des Angeklagten („eigene Sicherheit“) aufgreift. Die für das Opfer mit der Unterbringung im Bettkasten verbundenen zusätzlichen Beschwernisse könnten allerdings – isoliert betrachtet – straferhöhend berücksichtigt werden.“

Und – ein wenig ungewöhnlich – dann:

Die Aufhebung der Einzelstrafe von fünf Jahren führt zum Wegfall der Gesamtstrafe. Anders als der Generalbundesanwalt kann der Senat diese Rechtsfolgen unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände, insbesondere der bisherigen Straffreiheit des Angeklagten und der Konfliktsituation, aus der sich das Tatgeschehen entwickelt hat, nicht als im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO „angemessen“ ansehen.“

Ungewöhnlich deshalb, weil der BGH ja meistens ausschließen kann, dass der Fehler Auswirkungen hatte.

Hochaktuell und hochinteressant: BGH zum Verwertungsverbot für verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten

Heute ist auf der Homepage des BGH der für BGHSt bestimmte Beschl. des BGH v. 18.05.2010 – 5 StR 51/10 eingestellt worden, in der der Senat zu einem Verwertungsverbot für ein verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten nicht offen ermittelnden Polizeibeamten unter Zwangseinwirkung Stellung nimmt und – man lese und staune – zu einem Beweisverwertungsverbot kommt. Allerdings noch nicht zum Freispruch, da nach Auffassung des BGH eine Verurteilung aufgrund anderer Beweismittel nicht ausgeschlossen ist.

Der BGH schreibt u.a.:

„Das Vorgehen verstieß nämlich gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 MRK) unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes, dass niemand verpflichtet ist, zu seiner eigenen Überführung beizutragen, insbesondere sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare). Dabei schließt sich der Senat – wie bereits der Sache nach der 4. Strafsenat in StV 2009, 225 – den Darlegungen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in BGHSt 52, 11, 17 Tz. 20 zur Genese, Verankerung und Bedeutung dieses Grundsatzes an (vgl. auch BGHSt 53, 294, 309 Tz. 49). Da der Beamte sogar eindeutig die Kompetenzen überschritten hat, die einem Verdeckten Ermittler zugestanden hätten, stünden einem noch nicht formal als unzulässig bewerteten entsprechenden Vorgehen als nicht offen ermittelnder Polizeibeamter identische durchgreifende Bedenken – erst recht – entgegen (vgl. Roxin StV 1998, 43, 44; Meyer-Goßner aaO § 110a Rdn. 4; BT-Drucks 14/1484 S. 24).

aa) Die Aushorchung des Angeklagten unter Ausnutzung der besonderen Situation seiner Inhaftierung begründet von vornherein Bedenken gegen die Zulässigkeit der heimlichen Ermittlungsmaßnahme. Nicht weniger als in anderen von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beanstandeten Fällen heimlicher Informationsgewinnung unter Ausnutzung begleitender belastender Haftsituationen (vgl. BGHSt 34, 362; 44, 129; 52, 11; 53, 294) liegen auch hier Umstände vor, die zur Bewertung des Vorgehens als unfaire Vernachlässigung der zu achtenden Selbstbelastungsfreiheit führt.

Im Einklang mit der Auffassung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 42, 139, 152; vgl. auch BGHSt 49, 56, 58) und in Übereinstimmung mit der die Selbstbelastungsfreiheit auf Art. 6 Abs. 1 MRK stützenden Rechtsprechung des EGMR (StV 2003, 257; NJW 2008, 3549; 2010, 213) sieht der Senat durch die Anwendung von Zwang den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten als verletzt an. Zwar sind Verdeckte Ermittler berechtigt, unter Nutzung einer Legende selbstbelastende Äußerungen eines Beschuldigten entgegenzunehmen und an die Ermittlungsbehörden weiterzuleiten. Sie sind aber nicht befugt, in diesem Rahmen den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen zu drängen (BGHSt 52, 11, 15 Tz. 14; vgl. auch BGH StV 2009, 225, 226).“

Lesenswerte Entscheidung, die die bisherige Rechtsprechung des BGH fortführt.