Spontanäußerung erlaubt keine Nachfrage. Wenn doch: Beweisverwertungsverbot!

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Entscheidungen des BGH, die sich mit Vernehmungs- und Belehrungsfragen und ggf. mit Beweisverwertungsverboten befassen sind für die Praxis immer von Bedeutung. Deshalb lohnt ein Blick – und mehr 🙂 – in den BGH, Beschl. v. 27.06.2013 – 3 StR 435/13, in dem sich der BGH mit der Selbstbelastungsfreiheit, dem Verteidigerkonsultationsrecht und einem Beweisverwertungsverbot befasst. Im Verfahren war der Angeklagte wegen des Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen und am folgenden Tag gegen 13.30 Uhr der zuständigen Ermittlungsrichterin vorgeführt worden, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß u.a. über seine in § 136 Abs.1 Satz 2 StPO geregelten Rechte belehrte. Der Angeklagte benannte daraufhin seinen Verteidiger und erklärte, er wolle diesen beigeordnet bekommen. Daraufhin unterbrach die Ermittlungsrichterin die Vernehmung und versuchte, den Verteidiger telefonisch zu erreichen, was jedoch nicht gelang, da das Büro, worauf eine Bandansage hinwies, während der Mittagspause von 13.00 bis 15.00 Uhr nicht besetzt war. Die Ermittlungsrichterin teilte dem Angeklagten sodann mit, sie habe den Verteidiger nicht erreichen können, woraufhin dieser erklärte, sich nicht zur Sache äußern zu wollen. Dieser Erklärung fügte der Angeklagte spontan hinzu, er kenne eine im Haftbefehl genannte Person, habe mit dieser aber nichts zu tun. Zum Verhalten dieser Person und zum eigentlichen Tatgeschehen äußerte sich der Angeklagte bis zu diesem Zeitpunkt nicht. An die Äußerung des Angeklagten anknüpfend stellte die Ermittlungsrichterin eine Frage zu dem Vorgang, aus dem sich später das eigentliche Tatgeschehen entwickelte. Es folgten weitere gezielte Fragen, und im weiteren Verlauf der Befragung ließ sich der Angeklagte umfassend zur Sache ein, wobei er einräumte, das Opfer zwei Mal gegen den Kopf getreten zu haben. Diese Einlassung revidierte er später im Rahmen eines Haftprüfungstermins und gab nunmehr an, sich nicht erinnern zu können, ob er das Opfer getreten habe. In der Hauptverhandlung hat sich der Angeklagte dann nicht eingelassen. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren hat das LG die Ermittlungsrichterin und den Protokollführer vernommen. Der Verteidiger sowohl gegen die Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch gegen Verwertung ihrer Aussage Widerspruch erhoben. Das LG hat den Widerspruch zurückgewiesen und die Einlassung des Angeklagten anlässlich der Haftbefehlseröffnung im Urteil gegen ihn verwertet. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH das Urteil aufgehoben.

Zur  Selbstbelastungsfreiheit und Verteidigerkonsultation hier nur kurz: Der BGH hat einen unzulässigen Eingriff der Ermittlungsrichterin in das in § 136 Abs.1 Satz 2 StPO normierte Recht des Angeklagten, sich nicht zur Sache äußern zu müssen und vor seiner Vernehmung einen Verteidiger zu befragen, angenommen und das in dem Leitsatz zu der Entscheidung zusammengefasst:

Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen – zumal zum Randgeschehen – nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs.1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.

Und: Er bejaht (!!) ein Beweisverwertungsverbot:

„Der aufgezeigte Verstoß bei der Vernehmung des Angeklagten führt zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben anlässlich der Haftbefehlsverkündung.

Zwar zieht nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung al-ler maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede ste-henden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 117/12, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfah-rensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.; Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 f.).

So verhält es sich hier. Die von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören – wie dargelegt – zu den wichtigsten verfahrensrechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbedacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht sel-ten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem – wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt – selbst bei einer späteren Änderung des Aus-sageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 – 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des Beschuldigten entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht entsprechend (BGH, Urteil vom 22. November 2001 – 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).

Der Annahme eines nach diesen Maßstäben gegebenen Beweisverwertungsverbotes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte aufgrund der eingangs der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultationsrecht erlangt hatte (vgl. dazu BGH, aaO und BGH, Beschluss vom 18. Dezem-ber 2003 – 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451). Grundsätzlich mag der Beschuldigte, der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zu Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Der aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen dem Verteidigerkonsultations- und dem Schweigerecht erfordert hier jedoch die Annahme eines hohen Schutzniveaus: Der Angeklagte hatte mit seinem Wunsch nach Verteidigerkonsultation zum Ausdruck gebracht, dass er der Be-ratung bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sache, was zum Abbruch der Vernehmung hätte führen müssen.“

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