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Richtervorbehalt: Neues zu den Anforderungen an die Revisionsbegründung

Hinsichtlich des Richtervorbehalts (§ 81a Abs. 2 StPO) ist es ja derzeit verhältnismäßig ruhig, vgl, aber hier. Jetzt hat sich allerdings das OLG Hamm dann doch noch einmal zu den Anforderungen  an die Revisionsbegründung gemeldet (vgl. Beschl.  v. 25. 10. 2010 – III-3 RVs 85/10) und ausgeführt, dass der Widerspruch gegen die Verwertung einer unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt gewonnenen Blutprobe durch den verteidigten Angeklagten bereits in der ersten Tatsacheninstanz erhoben werden muss. Und: Die Verfahrensrüge der Verletzung der Verfahrensvorschriften verlange die Darlegung der von der Polizei zur Begründung von Gefahr im Verzug herangezogenen Umstände. Fehle es an der gebotenen Dokumentation dieser Umstände durch die Polizei, verkürzt sich die Darlegungslast der Revision entsprechend.

Diese Entscheidung führt zu weiter erhöhten Anforderungen an die Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit dem ersten Leitsatz nimmt das OLG zunächst zwar nur auf die h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung zu dieser der Frage Bezug (vgl. BGH NJW 2006, 707, 708; zuletzt u.a. OLG Hamm StRR 2010, 147; OLG Karlsruhe VRR 2010, 354 und OLG Schleswig-Holstein VA 2010, 193; zu allem auch VA 2010, 140), insoweit also nichts Neues. Erhöht werden die Anforderungen jedoch durch den zweiten Punkt, der den Verteidiger zwingt, darauf zu achten, ob die Ermittlungsbehörden ausreichend dokumentiert haben, warum Gefahr im Verzug vorgelegen hat. Erst dann, wenn die erforderliche Dokumentation durch die Polizei fehlt, verkürzt sich die Darlegungslast der Revision entsprechend. Die Revision muss daher entweder darlegen, dass es an einer entsprechenden Dokumentation durch die Ermittlungsbehörden fehlt oder aber deren Inhalt vortragen.

Unverschämt

… anders kann man m.E. das Verhalten des Vorsitzenden der Berufungskammer nicht bezeichnen, wenn man den Beschl. des OLG Hamm vom 19.10.2010 – III-3 RVs 87/10 liest.

Der Angeklagte legt gegen das Berufungsurteil Revision ein und beantragt die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Der Vorsitzende tut nichts, sondern wartet ab, bis die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen ist und verwirft dann die Revision wegen fehlender Begründung als unzulässig. Auf den dagegen eingelegten „Widerspruch“, den das OLG als Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO ausslegt, hebt das OLG Hamm auf und führt aus:

Der nach § 346 Abs. 2 S. 1 StPO zulässige Antrag des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts Detmold vom 13. September 2010. Zwar hat der Angeklagte die Frist zur Begründung der Revision gemäß § 345 Abs. 1 S. 2 StPO, die nach Zustellung des Urteils am 4. August 2010 am 6. September 2010 endete, versäumt. Dies geschah indes ohne Verschulden des Angeklagten (§ 44 Abs. 1 S. 1 StPO), weil über seinen bereits mit der Revisionseinlegung gestellten Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entschieden worden ist (vgl. KK-Maul, StPO, 6. Aufl., § 44 Rdnr. 27; OLG Hamm, MDR 1976, 1038; BayObLG, NStZ 1995, 300).Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren und aus seinem Anspruch auf rechtliches Gehör ergab sich die Verpflichtung des Landgerichts, vor Verwerfung der Revision über den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO zu entscheiden. Der Senat ist – in Übereinstimmung mit der o.g. früheren Rechtsprechung des OLG Hamm und der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts – der Auffassung, dass in der gegebenen Konstellation ein Angeklagter darauf vertrauen darf, dass so rechtzeitig über den Beiordnungsantrag entschieden wird, dass der Angeklagte ggf. noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entweder selbst einen Verteidiger beauftragen oder die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären kann (vgl. auch BayObLG, StV 1988, 332).

Zutreffend, was das OLG sagt: Man hätte sich noch deutlichere Worte gewünscht.

Manchmal kann eine gewisse Unschärfe auch gut sein

An den Spruch: Manchmal ist weniger mehr, habe ich mich erinnert, als ich den Beschl. des BGH v. 11.05.2010 – 1 StR 210/10 – gelesen habe. Es geht um die Frage, ob der Eingang der Revisionsbegründung verspätet war oder nicht, wofür der Zeitpunkt der Zustellung der Urteils von Bedeutung ist. Dazu heißt es dann:

Die Frist für die Begründung der rechtzeitig eingelegten Revision ist nicht versäumt worden, weil sie bisher noch nicht in Lauf gesetzt worden ist. Voraussetzung hierfür ist gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO die wirksame Zustellung des Urteils. Hieran fehlt es, wie der Generalbundesanwalt unter Hinweis auf BGHR StPO § 37 Abs. 1 Wirksamkeit 3 zutreffend ausgeführt hat. Eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO (vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 23. November 2004 – 5 StR 429/04) kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, da das Schreiben vom 12. Januar 2010 nur mitteilt, „dass das Urteil am 23.12.2009 in der Kanzlei eingegangen ist“. Dem lässt sich nicht eindeutig entnehmen, dass das Urteil der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war (Pflichtverteidiger Rechtsanwalt T. ), tatsächlich zugegangen ist. Die ordnungsgemäße Zustellung ist deshalb nachzuholen.“

Tja, manchmal ist eine gewisse „Unschärfe“ eben von Vorteil, aber eben nur manchmal.

Wochenspiegel für die 18.KW – oder wir schauen mal wieder über den Tellerrand

In der 18. KW waren folgende Beiträge interessant:

  1. Der Beck-Blog weist als Lesetipp auf den Aufsatz von Deutscher zum Fahrverbot in NZV 2010, 175 hin; der Link führt aber leider ins „Nirwana“.
  2. Mit der geplanten Erscheinenspflicht für Zeugen für Aussagen/Vernehmungen bei der Polizei und der Stellungnahme des DAV befasst sich ebenfalls der Beck-Blog, und zwar hier.
  3. Die „schönsten“ oder zumindest skurilsten Fälle schreibt immer das Leben; über einen solchen kann man hier nachlesen.
  4. Nach dem Lesen dieses Beitrags wird man sich das Trinken von Mate-Tee überlegen. 🙂
  5. Mit der Frage der Fluchtgefahr bei Bischof Mixa befasst sich der Beitrag: „Fluchtgefahr bei dem doch nicht„.
  6. In Berlin hat man besser Plastikgeld bei sich, denn sonst bekommt man im Verwarnungsfall Probleme mit dem Bezahlen, weil bar nicht mehr gern gesehen ist, vgl. dazu hier.
  7. Der Beck-Blog weist auf einige Entscheidungen des OLG Hamm zur Videomessung hin, über die wir z.T. auch schon berichtet hatten; vgl. zu den Volltexten hier, hier und hier. Eine Zusammenstellung der Rechtsprechung – Stand etwa Anfang 03/2010 – ist hier eingestellt.
  8. Eine heftige Diskussion (vgl. hier mit weiteren Nachweisen) hat es um die Länge oder zu lange Revisionsbegründungen gegeben, in die sich dann auch noch die Kollegin Braun eingeschaltet hat, mit der zutreffenden Feststellung: „Ob lang oder kurz, richtig sollte es sein„; vgl. auch noch hier.

Ich breche eine Lanze für den Revisionsverteidiger, oder: Manchmal sind 100 Seiten noch zu wenig

Der Kollege Nebgen hatte gestern in seinem Blog über einen ZAP-Beitrag von Egon Schneider zu „100 Seiten Revision“ berichtet. Zur Länge von Schriftsätzen ist dann hier kritisch Stellung genommen worden. Die Stellungnahme gipfelt darin, dass es heißt:

Sicher gibt es Fälle, wo auch 100 Seiten eigentlich kurz und knapp sind; z.B. wenn es in einem Bauprozess um 200 Positionen geht. Geht es aber nur um ein Ding: nämlich z.B.: ist dem Verurteilten im Prozess ordnungsgemäß ein Mord nachgewiesen worden? dann sind 100 Seiten einfach zu viel. ….Böse gesagt: im zitierten Beispiel reicht schon die Angabe der Länge des Schriftsatzes aus, um zur Auffassung zu kommen, dass der Bescheid des BGH den Nagel auf den Kopf trifft.“

Der Kollege Nebgen hat sich darauf noch einmal gemeldet und die Rechtsprechung des BGH beklagt, die zu diesen langen Revisionsbegründungen führt.

Ich kann dem nur zustimmen und damit eine Lanze für den Revisionsverteidiger brechen. Wenn man die Rechtsprechung des BGH zu § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO – und leider auch die der OLG – sieht/kennt, dann hat man als Revisionsverteidiger gar keine andere Möglichkeit, als wirklich alles, aber auch alles vorzutragen, was mit dem geltend gemachten Verfahrensverstoß in Zusammenhang steht und möglicherweise von Bedeutung sein kann, wenn man nicht Gefahr laufen will, dass die Rüge unzulässig ist/wird (vgl. dazu auch hier). Das ist nicht nur bei sog. Negativtatsachen der Fall, sondern z.B. auch, wenn es um Verfahrensverzögerung geht, wenn es um einen Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO geht usw., usw. Da sind schnell ganze Bücher zusammengeschrieben und auch schnell, da ja auch alle Beschlüsse und sonstige Verfahrenstatsachen vorgetragen werden müssen, 100 Seiten erreicht und manchmal auch übertroffen.

Im Zivilrecht mag es richtig sein, dass „10 oder eher noch 5 Seiten, gefüllt mit knackigen Argumenten“ – wie der Kollege in seinem Blog meint – genügen mögen. Im Strafverfahren zwingt eben die Rechtsprechung der Revisionsgerichte , „ganze Romane“ vorzutragen. Wenn ein Bauprozess mit einem Mordverfahren verglichen wird, vergleicht man Birnen mit Äpfeln. Die Aussage

„Geht es aber nur um ein Ding: nämlich z.B.: ist dem Verurteilten im Prozess ordnungsgemäß ein Mord nachgewiesen worden? dann sind 100 Seiten einfach zu viel.“

ist m.E. in ihrer Allgemeinheit falsch.

Sorry, aber ich habe ja nun selbst 15 Jahre lang mit Revisionen gekämpft :-). Manchmal sind 100 Seiten sogar noch zu wenig. Das Einzige was den Verteidiger „beruhigen“ sollte: Der Revisionsrichter muss es alles lesen :-).