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Gerade herein bekommen: Auch das KG entscheidet positiv zur Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung

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Das neue Jahr fängt gut, im Grunde mit einem kleinen Paukenschlag an. Gerade habe ich den KG, Beschl. v. 07.01.2013, 3 Ws (B) 596/12 – 162 Ss 178/12 – hereinbekommen, der sich mit der Frage der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung im Bußgeldverfahren befasst.

Und: Das KG gibt dem Verteidiger Recht. Der Leitsatz:

„Dem Verteidiger eines Betroffenen ist bei auf die Anwendung eines standardisierten Messverfahrens gestützten Verkehrsordnungswidrigkeitsvorwürfen im Rahmen des ihm zustehenden Akteneinsichtsrechts auch Einsicht in die dem Messverfahren zugrunde liegende Bedienungsanleitung zu gewähren, die dafür im Original oder in Kopie zu den Gerichtsakten zu nehmen ist.“

Der Beschluss enthält eine schöne Zusammenstellung der Rechtsprechung zu dieser Problematik; viele der Entscheidungen sind auch hier veröffentlicht worden. Und natürlich ist auch ein Hinweis auf den Cierniak-Aufsatz in zfs 2012, 664 (vgl. “Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen) enthalten. Der und die veröffentlichte Rechtsprechung ziehen also Kreise. Das freut mich :-).

Das KG hat im Übrigen auch zum Urheberrecht Stellung genommen und das grundsätzlich bejaht, allerdings auf § 45 UrhG verwiesen (s. auch Cierniak und mein Beitrag in in VRR 2011, 250, 253 ).

Schöner Beschluss, der zur Abrundung auch noch eine schöne Anleitung für den Verteidiger enthält, wie er im Verfahren vorgehen und was er in der Rechtsbeschwerde vortragen muss.

Akteneinsicht II: OLG Hamm kneift, finde ich…und verwirft lieber die Rechtsbeschwerde

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Nach „Akteneinsicht a la AG Langenfeld“ nun das OLG Hamm und der OLG Hamm, Beschl. v.03.09.2012 – III 3 RBs 235/12, mit dem das OLG m.E. eine Chance vertan hat, ein klärendes Wort in dem „Akteneinsichtsmarathon“ zu sprechen. Das tut das OLG Hamm nicht, sondern kneift und versteckte sich (mal wieder) hinter der nicht ausreichenden Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Was ist passiert? Dazu aus dem OLG Beschluss: .

a) Der Verfahrensrüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde: Bei der Anhörung des Betroffenen hatte die Stadt Bielefeld als Verwaltungsbehörde ein so bezeichnetes „Merkblatt für Rechtsanwälte“ übersandt, in dem es u. a. hieß: „Der Übersendung von Kopien der Betriebsanleitung der Messanlage steht der urheberrechtliche Schutz dieser Aufzeichnungen entgegen.“

 Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. Dezember 2011 erklärte der Betroffene, er sehe das Merkblatt als „antizipierte Ablehnung einer Übersendung“ der Bedienungsanleitung in Kopie an und beantragte gerichtliche Entscheidung. Das Amtsgericht Bielefeld wies den Antrag mit Beschluss vom 11. Januar 2012 zurück. In der Beschlussbegründung, die in der Begründung der Rechtsbeschwerde mitgeteilt ist, führte es aus, der Verteidiger habe keinen Anspruch auf eine Übersendung einer Kopie. Es bleibe ihm aber unbenommen, die Bedienungsanleitung in den Räumen der Verwaltungsbehörde einzusehen.

 In der Hauptverhandlung vom 10. Mai 2012 beantragte der Betroffene die Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß §§ 145 Abs. 3, 265 Abs. 4 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG. Die Akteneinsicht sei unzureichend gewesen, weil die Bedienungsanleitung nicht übersandt worden sei. Das Amtsgericht verwarf den Antrag als unzulässig, da ihm die Rechtskraft des Beschlusses vom 11. Januar 2012 entgegenstehe.

Alles richtig gemacht. Und was macht das OLG? Es kneift und zieht sich auf eine nicht ausreichende Begründung der Verfahrensrüge zurück.

„Daran fehlt es hier jedoch. Der Begründung der Rechtsbeschwerde zufolge hat der Verteidiger bis auf die Anträge im Verwaltungsverfahren und in der Hauptverhandlung nichts weiter unternommen, um Einsicht in die Bedienungsanleitung zu erhalten. Insbesondere hat er nicht die Möglichkeit genutzt, die Bedienungsanleitung in den Räumen der Verwaltungsbehörde einzusehen. Dabei kann offen bleiben, ob dies unzumutbar ist, wenn — wie hier — zwischen dem Sitz der Verwaltungsbehörde und der Niederlassung des Verteidigers eine große Entfernung liegt. Denn jedenfalls zur Hauptverhandlung am 10. Mai 2012 hatte sich der Verteidiger nach Bielefeld begeben. Dass ihm an diesem Tag ein Aufsuchen der Verwaltungsbehörde und die Einsicht in die Bedienungsanleitung nicht möglich waren, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.“

Der Verteidiger soll/muss also auch noch vortragen, dass am HV-Tag eine Einsicht in die Bedienungsanleitung nicht möglich war. Wirklich. Oder geht das weit über das hinaus, was man vom Betroffenen und vom Verteidiger erwarten darf und bekommen wir damit Probleme mit der Rechtsprechung des BVerfG? Und: Kein Wort verliert das OLG zu der Frage,was denn nun eigentlich eine Akteneinsicht am HV-Tag noch bringen soll. Akteneinsicht bedeutet ja nicht nur, dass ich mal in die Akten hinein sehe. Nein das Recht auf rechtliches Gehör, auf dem das Akteneinsichtsrecht basiert, gewährt an sich auch genügend Zeit und auch die Möglichkeit, sich auf den Inhalt der Akten einzustellen. Das ist aber so doch wohl kaum möglich. Das OLG unterstellt damit, dass der Verteidiger die technischen Fragen, die sich aufgrund einer Akteneinsicht ggf. stellen, selbst beantworten kann. Und zwar sofort. Kann er das? Muss er das können? Wohl nicht.

Also gekniffen, oder?

 

Der übersehene Grünpfeil

Dem Betroffenen wird ein Rotlichtverstoß (§ 37 StVO) zur Last gelegt. ER trägt vor, er sei an der fraglichen Kreuzung, die Tatort des Rotlichtverstoßes gewesen sein soll, rechts am grünen Pfeil abgebogen und sei nach F. gefahren, ohne andere Verkehrsteilnehmer zu behindern. Damit hat sich der Betroffene auf § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 8-10 StVO berufen. Diese Vorschriften sehen vor, dass nach dem Anhalten das Abbiegen nach rechts auch bei rotem Licht der Lichtzeichenanlage erlaubt ist, wenn rechts neben dem Lichtzeichen „Rot“ ein Schild mit grünem Pfeil auf schwarzem Grund (Grünpfeil) angebracht ist. Der Fahrzeugführer darf dann aus dem rechten Fahrstreifen heraus abbiegen, wobei er sich so verhalten muss, dass eine Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Das AG setzt sich in seinem Urteil mit dieser Einlassung des Betroffenen mit keinem Wort auseinander. Das führt zur Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagungen des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Und das, obwohl die Rechtsbeschwerde insoweit nicht ausreichend begründet war.Es gelten an der Stelle nämlich die strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (Verfahrensrüge), so der schon etwas ältere OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.09.2011 – Ss (OWiZ) 154/11:

„Zwar muss bei der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs grundsätzlich dargelegt werden, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte. Dies gilt aber nicht, wenn die Versagung rechtlichen Gehörs darin liegt, dass ein Verteidigungsvorbringen nicht berücksichtigt worden ist, da es in einem solchen Fall für die Beruhensfrage nicht darauf ankommt, was der Betroffene noch weiter hätte vortragen können, sondern nur darauf, ob das nicht berücksichtigte Verteidigungsvorbringen entscheidungserheblich sein könnte (vgl. OLG Köln, 12.04.2002, Ss 141/02 nach juris, Rn. 12 m. w. N.). Die Rüge erscheint auch begründet…“

„Akte außer Kontrolle geraten“ – aber dennoch keine Verjährung…

Das AG verurteilt den Betroffenen am 25.02.2010 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung und verhängt auch ein Fahrverbot. Dagegen legt der Betroffene Rechtsbeschwerde ein. Ausweislich eines richterlichen Vermerks vom 19. 10.2011 wurde das in Rede stehende, am 25. Februar 2010 verkündete Urteil in der Folge zunächst „(…) aus Gründen, die aus der Akte nicht ersichtlich sind (…) nicht abgesetzt und zugestellt“. Nachdem man die Akte wieder gefunden hat (vom Verf. :-)) wird das Rechtsbeschwerdeverfahren betrieben und die Sache kommt endlich zum OLG. Der Betroffene hatte sicherlich schon auf eine Einstellung wegen Verjährung gehofft. Aber das OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.03.2012 – 6 Ss 54/12 belehrt ihn eines Besseren, na ja zumindest anders:

„b. Hinsichtlich der von der Verteidigung erhobenen Einrede der Verjährung verhält es sich wie folgt:

Gemäß § 32 Abs. 2 OWiG läuft die (Frist der) Verfolgungsverjährung, die als Verfahrensvoraussetzung/-hindernis vom Senat im Rahmen der Rechtsbeschwerde von Amts wegen eigenständig unter Benutzung aller verfügbaren Erkenntnisquellen im Freibeweisverfahren zu überprüfen ist (vgl. Gürtler, in Göhler, OWiG, 15. Aufl., Vor § 31 Rdnr. 3 sowie Seitz in Göhler, aaO., § 79 Rdnr. 47a), in Bußgeldsachen nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, sofern vor Ablauf der Verjährungsfrist ein Urteil des ersten Rechtszuges oder ein Beschluss nach § 72 OWiG ergangen ist; eine zeitliche Limitierung gibt es in diesem Zusammenhang nicht (vgl. Bohnert, OWiG, 3. Aufl., § 32 Rdnr. 16), weshalb infolge der Ablaufhemmung auch die Grenze der absoluten Verjährung durchbrochen werden kann.

Hiernach ist festzustellen, dass die Tat vom 22. Januar 2009 nicht verjährt ist. Durch das angefochtene Urteil wurde die am 25. Februar 2010 noch nicht abgelaufene Verjährungsfrist gemäß § 32 Abs. 2 OWiG zum Ruhen gebracht. Der Senat verkennt nicht, dass eine gerichtliche Entscheidung im Sinne der genannten Vorschrift, die an einem wesentlichen Formmangel leidet und sich (insofern) als unvollständig erweist, für den Eintritt dieser Hemmungswirkung nicht ausreichen kann (vgl. Gürtler in Göhler, aaO., § 32 Rdnr. 7; OLG Frankfurt, DAR 2007, 38 f.; OLG Hamm ZfS 2004, 92 f.). Ein entsprechendes, dem Ruhen der Verfolgungsverjährung entgegen stehendes Defizit lässt sich vorliegend indes nicht feststellen: Für den Fall eines erstinstanzlichen Urteils ist die Verkündung der betreffenden Entscheidung für das Ruhen der Verfolgungsverjährung gemäß § 32 Abs. 2 OWiG notwendig aber auch ausreichend. Auf die inhaltliche Richtigkeit des Urteils kommt es nicht an (vgl. Bohnert, aaO., § 32 Rdnr. 11); demzufolge sind auch rechtlich fehlerhafte Entscheidungen geeignet, den Ablauf der Verjährungsfrist zu hemmen, sofern kein nichtiges Urteil anzunehmen ist, was (ausnahmsweise) dann in Betracht kommen kann, wenn besonders gravierende Mängel vorliegen, die der Strafprozessordnung und wesentlichen Rechtsstaatsprinzipien so evident widersprechen, dass es für die Rechtsgemeinschaft unerträglich wäre, sie als verbindlich hinzunehmen (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2002, 341; OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.01.2008 – Az. 4 Ws 412/07 -, jeweils m. w. N.).

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist in vorliegender Sache ein Ruhen der Verfolgungsverjährung seit dem 25. Februar 2010 gegeben. Auch wenn – wie hier – lediglich eine schriftlich fixierte Urteilsformel vorliegt und die Fertigstellung eines Urteils im Sinne von §§ 275 StPO, 46 Abs. 1 OWiG wegen Fehlens der hiernach vorgeschriebenen weiteren notwendigen Bestandteile (Rubrum, schriftliche Entscheidungsgründe, Unterschrift/en der/des an der Entscheidung beteiligten Berufsrichter/s) nicht gegeben ist, führt dies zu keiner Nichtigkeit der getroffenen Entscheidung. Die aus dem beschriebenen Versäumnis resultierende (Rechts-) Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils steht dem Eintritt der Ablaufhemmung im Sinne von § 32 Abs. 2 OWiG mithin nicht entgegen. …“

Aber wenigstens etwas:

Für das weitere Verfahren bleibt anzumerken, dass für den Fall einer (erneuten) Verurteilung der Betroffenen vor dem Hintergrund des bisherigen Verfahrensgangs in entsprechender Anwendung der vom Bundesgerichtshof in Strafsachen entwickelten Grundsätze bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen eine Kompensation im Rechtsfolgenausspruch zu erwägen ist (vgl. OLG Hamm DAR 2011, 409 ff.). Bei Berücksichtigung des mittlerweile gegebenen (längeren) zeitlichen Abstands zur Tat (-begehung) und der (bisherigen) – außerhalb des Einflussbereichs der Betroffenen liegenden – Dauer des Verfahrens, kann insofern auch eine Erhöhung der Geldbuße unter Wegfall der Fahrverbotsanordnung in den Blick zu nehmen sein (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 323).

An dem Letzteren dürfte wohl nach mehr als zwei Jahren Rechtsbeschwerdezeit kein Weg vorbei gehen.

Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen: Rechtsbeschwerde und Halterhaftung

Wir hatten ja vor einigen Tagen über den Beschluss des AG Bochum vom 27.02.2012 – 29 Gs 2/12 – betreffend die Vollstreckung ausländischer Geldsanktionen berichtet. Die damit zusammenhängenden Fragen sind dann doch inzwischen auch bei den OLG angekommen.

Es gibt dazu den OLG Koblenz, Beschl. v. 20.1.2012 – 1 SsRs 4/12 – , der sich mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 87j, 87k IRG auseinandersetzt und davon ausgeht, dass eine Zulassung nicht in Betracht kommt, wenn keine klärungsbedürftige Rechtsfrage im Raum steht und auch kein Risiko eines Nachahmungseffekts besteht. Er weist außerdem darauf hin, dass für die Anpassung einer niederländischen Geldsanktion, die wegen einer dort begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung verhängt wurde, an deutsche Regelsätze es keine Rechtsgrundlage gibt. Es ist also so zu vollstrecken, wie es im Ausland festgesetzt worden ist. (OLG Koblenz, Beschl. v. 20.1.2012 – 1 SsRs 4/12).

Und dann hat sich das OLG Düsseldorf zu Wort gemeldet und zwar im OLG Düsseldorf, Beschl. v. v. 9.2.2012 – III-3 AR 6/11. Der liegt auf der Linie des AG Bochum bzw. das AG Bochum auf der Linie des OLG Düsseldorf – aber es haben wohl beide nichts voneinander gewusst. Der nimmt zur Vorschrift des § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG Stellung, den Fällen der sog. Halterhaftung im Straßenverkehr, in denen der Betroffene allein deswegen für Verkehrsver­stöße haftet, weil er Halter des Fahrzeugs ist, mit dem der Verstoß begangen wurde. Danach ist eine Vollstreckung nur dann unzulässig, wenn der Betroffene den Einwand des fehlenden eigenen Verschuldens gegenüber der Bewil­ligungsbehörde geltend macht. Da muss der Betroffene/Verteidiger sich also rühren.

Zu dem Ganzen gibt es eine Anmerkung in ZIS 2012, 77, die auch noch einmal Grundsätzliches zusammenfasst.