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Pflichti III: Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung, oder: Viermal bejaht, zweimal verneint

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Und dann noch das Posting zur rückwirkenden Bestellung – ohne geht es dann leider nicht. Das sind heute sechs Entscheidungen – vier positive, die Zulässigkeit bejahende, und zwei negative, die Zulässigkeit verneinende Entscheidungen – bei denen verwundert mich immer wieder, wie hartnäckig doch manche LG die richtige Sicht der Dinge verweigern. Im Einzelnen:

Die Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung bejaht haben:

1. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist ausnahmsweise zulässig.

2. Es existiert keine starre zeitliche Grenze, ab welcher eine Unverzüglichkeit nicht mehr gegeben ist.

1. Eine rückwirkende Bestellung zum Pflichtverteidiger ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Beschuldigte rechtzeitig eine Pflichtverteidigerbestellung ausdrücklich beantragt hatte, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen haben und wenn eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag ohne zwingenden Grund nicht unverzüglich erfolgt ist, da die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

2. Zur Frage der unverzüglichen Vorlage der Akte.

Die rückwirkende Bestellung zum Pflichtverteidiger ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Beschuldigte rechtzeitig eine Pflichtverteidigerbestellung ausdrücklich beantragt hatte, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen haben und wenn eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag ohne zwingenden Grund nicht unverzüglich erfolgt ist, da die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.

Zur zulässigen rückwirkenden Bestellung des Pflichtverteidigers.

Die Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung verneint haben:

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist schlechthin unzulässig und unwirksam.

Es ist daran festzuhalten, dass eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht zulässig ist.

Pflichti II: Ablehnung im Wiederaufnahmeverfahren, oder: Erstreckung im Adhäsionsverfahren

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Im zweiten Posting dann hier zwei Entscheidungen zu verfahrensrechtlichen Fragen, und zwar einmal BGH und einmal OLG.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 16.10.2024 – StB 58/24. In dem Verfahren hatte das OLG München einen Antrag des Verurteilten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für die Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens hinsichtlich eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens abgelehnt. Hiergegen wendete sich der Verurteilte mit seiner Beschwerde, die der BGH als unzulässig verworfen hat. Denn:

„Der auf der Grundlage des § 364b StPO ergangene Beschluss des Oberlandesgerichts ist nach § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 StPO der Anfechtung entzogen, weil keiner der in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO geregelten Ausnahmetatbestände erfüllt ist. Satz 2 Halbsatz 2 Nummer 5 erfasst Entscheidungen, welche die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffen (§ 372 Satz 1 StPO), nicht aber solche, die gemäß §§ 364a, 364b StPO die Bestellung eines Pflichtverteidigers zum Gegenstand haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. August 2022 – 3 ARs 9/22, juris Rn. 6; vom 18. Dezember 1975 – StB 64/75, NJW 1976, 431 f.; BeckOK StPO/Singelnstein, 52. Ed., § 364a Rn. 9, § 364b Rn. 10; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 364b Rn. 10). Auch Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 findet keine Anwendung, da ein im Wiederaufnahmeverfahren nach § 364a StPO zu bestellender Verteidiger kein Pflichtverteidiger im Sinne dieser Vorschrift ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – 3 ARs 9/22, juris Rn. 6).“

Und als zweite Entscheidung hier der OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2024 – 1 Ws 187/24 – zur Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren. Das OLG schließt sich der inzwischen wohl h.M. – Nachweise im Beschluss – in der Frage an und hat, was ja auch gebührenrechtliche Auswirkungen hat, entschieden – hier nur der Leitsatz:

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers umfasst auch die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren.

Pflichti I: Unfähigkeit einer Selbstverteidigung, oder: Im „Betreuungsfall“ grundsätzlich immer

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Ich stelle heute dann einige „Pflichti-Entscheidungen“ vor. Das Schwergewicht liegt heute Nachmittag bei den Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung. Ansonsten ist es nicht ganz so viel wie sonst schon mal.

Hier zum Warmwerden erst mal LG Münster, Beschl. v. 23.10.2024 – 11 Qs 58/24 – zu den Beiordnungsgründen, und zwar dem Beiordnungsgrund: Unfähigkeit der Selbstverteidigung. Es handelt sich um einen „Betreuuungsfall“. Da hat das LG Münster nicht viel „Theater“ gemacht, sondern hat auf Beschwerde des Verteidigers gegen den AG-Beschluss, der die Bestellung abgelehnt hatte, bestellt:

„Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Der Beschuldigte steht seit Jahren unter nahezu umfassender Betreuung, die insbesondere auch den Aufgabenkreis der Vertretung vor Behörden umfasst, so dass ihm schon allein aus diesem Grund gem. § 140 Abs.2 StPO wegen der daraus folgenden erheblichen Zweifel an seiner Selbstverteidigungsfähigkeit ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 67.Aufl., § 140 Rn.30, OLG Celle , Beschluss vom 04.05.2023 – 2 Ws 135/23 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Überdies belegen sowohl das ärztliche Gutachten vom 15.09.2013 als auch das Attest vom 08.11 2023 eine nicht bloß unerhebliche und zudem fortbestehende geistige Beeinträchtigung des Beschuldigten.“

Richtig so.

Strafbefehl II: Angeklagter hat keinen Pflichti, oder: Wiedereinsetzung gegen versäumte Einspruchsfrist

Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern, es handelt sich um den LG Kempten, Beschl. v. 13.06.2024 – 2 Qs 80/24. Es geht um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das AG hatte den Einspruch des Abgeklagten als unzulässig, weil verspätet angesehen. Anders das LG:

„Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 16.05.2024 ist zulässig und begründet.

Der Verteidiger hatte zwar ausweislich BI. 30 d. A. bereits am 08.05.2024 Einsicht in das Vollstreckungsheft, aus diesem ergibt sich jedoch nicht der Verstoß gegen die Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO. Somit hatte der Verteidiger erst im Rahmen der Einsicht in die Ermittlungsakte am 14.05.2024 Kenntnis von diesem Umstand, sodass die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO am 16.05.2024 noch nicht abgelaufen war.

Der Antrag ist auch begründet. Die Begründung des Antrags erfordert zwar grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung sämtlicher Tatsachen, aus denen sich die nicht schuldhafte Fristversäumnis des Antragstellers ergibt. Es müssen deshalb alle zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände mitgeteilt werden, die für die Frage bedeutsam sind, wie und ggf. durch wessen Verschulden es zur Versäumnis gekommen ist. Zu benennen sind deshalb die Frist, der Grund der Säumnis sowie der Zeitpunkt, zu dem das Hindernis weggefallen ist. Nicht der Darlegungspflicht unterliegen jedoch Umstände, die den Akten zu entnehmen sind oder gerichtskundig sind (BVerfG NJW 1995, 2544; OLG Düsseldorf StraFo 1997, 77; Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg Rn. 14; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt Rn. 5).

Vorliegend enthält der Antrag des Verteidigers vom 16.05.2024 nicht den geforderten Sachvortrag. Jedoch ergibt sich hier der gesamte Sachverhalt aus der Akte und ist deswegen von Amts wegen zu berücksichtigen. Eine andere Ansicht widerspräche dem Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 3 c EMRK.

2. Der Einspruch des Verteidigers vom 16.05.2024 gegen den Strafbefehl vom 06.08.2021 ist zulässig. Der Strafbefehl wurde dem Angeklagten am 10.08.2021 zugestellt und damit war die zweiwöchige Einspruchsfrist bereits abgelaufen. Jedoch wurde es bei Erlass des Strafbefehls unterlassen, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger nach § 408b StPO zu bestellen.

Weil § 408b StPO als Gegengewicht zu rechtsstaatlichen Bedenken fungiert, die gegen die Verhängung einer Freiheitsstrafe in einem summarischen Verfahren sprechen, überzeugt es, die Versäumung der Einspruchsfrist entsprechend § 44 S. 2 StPO als unverschuldet anzusehen, wenn § 408b StPO verletzt wurde. (MüKoStPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, StPO § 408b Rn. 22).“

Pflichti III: Bestellung im KCanG-Nachverfahren?, oder: Ja, Verfahrensfairness und kostenrechtliche Sicherheit

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Und dann habe ich hier noch den LG Neuruppin, Beschl. v. 22.07.2024 – 11 Kls 5/22 – der zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Nachverfahren über die anlässlich des teilweisen Inkrafttretens des KCanG zum 01.04.2024 nach Maßgabe der Art. 313 Abs. 3 Satz 3, 316p EGStGB gebotene Strafermäßigungsprüfung Stellung nimmt. Für mich ein für die Praxis wichtiger Beschluss. Vor allem, weil ich bisher zu der Frage noch keinen Beschluss kannte.

Das LG führt zu der Frage aus:

§ 143 Abs. 1 StPO bestimmt, dass die – wie vorliegend geschehen – im Erkenntnisverfahren erfolgte Bestellung eines Pflichtverteidigers auch für das in § 460 StPO geregelte Nachverfahren über die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe fortwirkt. Ob eine derartige Erstreckung allerdings auch für das Nachverfahren über die anlässlich des teilweisen Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes zum 01.04.2024 nach Maßgabe der Art. 313 Abs. 3 Satz 3, 316p EGStGB gebotene Strafermäßigungsprüfung gilt, erscheint mit Blick auf die fehlende Nennung des § 460 StPO in Art. 313 Abs. 5 EGStGB zumindest nicht unproblematisch. Da jedoch die Festsetzung von Freiheitsstrafen über einem Jahr nach den zu § 140 Abs. 2 StPO in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben ohne Verteidigung des Verurteilten in der Sache offenkundig ausscheiden muss, erscheint es aus Gründen der Verfahrensfairness wie zugleich auch, der kostenrechtlichen Sicherheit für den im Erkenntnisverfahren bereits bestellten Pflichtverteidiger geboten, dessen Bestellung auch für das vorliegende besondere Nachverfahren – und sei es mit bloß deklaratorischer Wirkung – erneut ausdrücklich auszusprechen.“