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Verein II: Abberufung/Wahl eines Vorstandsmitgliedes, oder: War die Ladung zur Mitgliederversammlung ok?

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Und als zweite Entscheidung dann das OLG Naumburg, Urt. v. 26.10.2023 – 4 U 11/23. In dem Verfahren wurde um die Wirksamkeit der Abberufung des 2. Vorsitzenden eines Vereins und die Neuwahl eines (neuen) 2. Vorsitzenden auf einer Mitgliederversammlung gestritten. Es geht um den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Der Kläger war 2. Vorsitzender des beklagten Vereins.

Das LG hat den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, die keinen Erfolg hatte:

„Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, denn dem Kläger steht weder ein Verfügungsanspruch (1.) noch ein Verfügungsgrund (2.) zur Seite.

Die Nichtigkeit von Beschlüssen eines Vereins ist im Wege der Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO geltend zu machen (Ellenberger, in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 32 Rn. 11). Demzufolge ist auch der prozessuale Weg eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eröffnet, im einstweiligen Verfügungsverfahren jedoch nur nach Maßgabe der zuletzt im Termin der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2023 gestellten Anträge. Denn die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses der Mitgliederversammlung des Beklagten vom 22. Oktober 2022 zur Abberufung des Klägers als 2. Vorsitzender des Beklagten nähme die Hauptsache vorweg, was nicht zulässig ist. Im einstweiligen Verfügungsverfahren kann aber entschieden werden, dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache ein Beschluss keine Wirkungen entfaltet.

Der Kläger dringt jedoch auch mit den aktualisierten Anträgen nicht durch, weder mit den Haupt- noch mit den Hilfsanträgen. Es fehlt sowohl am Verfügungsanspruch als auch an einem Verfügungsgrund i.S.d. §§ 935, 940 ZPO.

Das Landgericht geht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon aus, dass ein Verfügungsanspruch nicht vorliegt, weil der am 22. Oktober 2022 in der Mitgliederversammlung des Verfügungsbeklagten unter Tagungsordnungspunkt 3 gefasste Beschluss (Amtsenthebung von Herrn pp. als 2. Vorsitzenden) wirksam ist.

Die Nichtigkeit eines Beschlusses eines Vereins (§ 32 BGB) kann vorliegen bei Nichtladung eines Teils der Mitglieder (BGH 59, 369, NJW-RR 06, 831, BayObLG NJW-RR 97, 289). Mängel der Beschlussfassung eines Vereins sind jedoch weder direkt noch analog nach §§ 241 ff. AktG oder nach § 51 GenG zu beurteilen (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007, II ZR 111/05, NJW 2008, 69 Tz 36).

Der streitige Beschluss ist nicht schon deshalb unwirksam, weil der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte den (rechtzeitige) Zugang der Ladung zur Mitgliederversammlung am 22. Oktober 2022 beim Kläger nicht bewiesen hat. Der Mangel der Ladung ist im vorliegenden Fall durch die unstreitige persönliche Anwesenheit des Klägers in der Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022 und seine dortige Mitwirkung geheilt.

Eine ordnungsgemäße Ladung zu einer Mitgliederversammlung erfordert, dass der Gegenstand der Beschlussfassung in der Einladung zu einer Mitgliederversammlung so genau bestimmt ist, dass den Mitgliedern eine sachgerechte Vorbereitung der Versammlung und eine Entscheidung, ob sie an der Versammlung teilnehmen wollen, möglich ist (BGH vom 2. Juli 2007, II ZR 111/05, Rn 38, juris,). Eine Heilung ist möglich, wenn dem nicht ordnungsgemäß geladenen Mitglied der Gegenstand der Beschlussfassung auch ohne Ladung rechtzeitig bekannt wurde. Ferner führt ein Verfahrensfehler nur dann zur Ungültigkeit eines Beschlusses, wenn er für das Abstimmungsergebnis für die Ausübung der Mitwirkungsrechte relevant wurde. Dabei ist auf ein objektiv urteilendes Verbandsmitglied abzustellen (BGH, a.a.O., Rn. 44 unter Verweis auf BGHZ 385, 391 f.; 153, 32, 37). Im vorliegenden Fall kann der Senat nicht erkennen, dass die mangelhafte Ladung des Klägers für das Abstimmungsergebnis relevant wurde, wobei dem Senat bewusst ist, dass die Darlegungs- und Beweislast für die Irrelevanz beim Beklagten liegt.

Dem Kläger war die Zeit und die Tagesordnung der Versammlung vom 22. Oktober 2022 aus dem Protokoll der Vorstandssitzung vom 17. September 2022 bekannt. Dieses Protokoll hat er unstreitig erhalten. Er wusste somit, dass seine Abwahl als 2. Vorsitzender und ggf. die Nachwahl des 2. Vorsitzenden auf der Tagesordnung standen und er hatte Gelegenheit, sich gerade hierauf vorzubereiten. Soweit der Kläger mit der Berufungsbegründung in diesem Zusammenhang vorträgt, „Wären dem Berufungskläger die Tagesordnungspunkte der (außerordentlichen) Mitgliederversammlung – wie sie durchgeführt worden ist – sowie die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe im Einzelnen bekannt gewesen und hätten ihm als Vorbereitung auf diese Versammlung jedenfalls die satzungsmäßigen 14 Tage zur Verfügung gestanden, wäre in der Versammlung möglicherweise anders abgestimmt worden. Zum einen wären dem Antragsteller (bei Kenntnis der genauen Vorwürfe) insbesondere bei entsprechender Vorbereitungszeit in Kenntnis der Einzelheiten Gespräche mit den übrigen Vereinsmitgliedern, auch denjenigen, die zur Versammlung nicht erschienen sind, möglich gewesen, deren Ergebnisse möglicherweise die Willensbildung und somit die Stimmabgabe der übrigen Mitglieder beeinflusst hätten. Zum anderen hätte der Antragsteller die Versammlung bei Kenntnis der Einzelheiten zu den Vorwürfen und bei mehr (Vorbereitungs-) Zeit gewissenhafter vorbereiten und letztlich durch entsprechende Redebeiträge und Anträge in der Versammlung maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung und die Stimmabgabe der Mitglieder nehmen können. All dieses war ihm verwehrt. …“, vermag dieser Vortrag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn schon dem Vorstandsbeschluss vom 17. September 2022 waren mehrfach Unstimmigkeiten zwischen dem Kläger und dem Vorstand sowie den Vereinsmitgliedern vorausgegangen, welche das Verhalten des Klägers, insbesondere die Verwendung von Vereinsvermögen zum Gegenstand hatten. Auch in der Berufungsverhandlung ist nicht ersichtlich geworden, dass in der Versammlung vom 22. Oktober 2022 neue Vorwürfe gegen den Kläger Gegenstand der Diskussion geworden wären. Auch wäre es dem Kläger mit der unstreitigen Übersendung des Protokolls des Vorstandes vom 17. September 2022 möglich gewesen, Kontakt zu jedem Mitglied des Beklagten – der Verein hat insgesamt nur 17 Mitglieder – aufzunehmen und mit diesen Gespräche zu führen. Davon hat der Kläger offensichtlich keinen Gebrauch gemacht, jedenfalls lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass er insoweit – vergebliche – Versuche unternommen hat.

Der Kläger kann eine Nichtigkeit des Beschlusses der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022 auch nicht darauf stützen, dass kein wichtiger Grund für seine Abberufung vorläge. Gemäß § 27 Abs. 2 S. 2 BGB kann durch die Satzung vom Grundsatz der freien Widerruflichkeit der Vorstandsbestellung abgewichen und die Widerruflichkeit auf den Fall beschränkt werden, dass ein wichtiger Grund vorliegt. Eine solche Beschränkung sieht die Satzung des Beklagten nicht vor. Da der Kläger jedoch für eine bestimmte Amtszeit zum 2. Vorsitzenden bestimmt wurde, darf er grundsätzlich darauf vertrauen, während der laufenden Periode nicht ohne wichtigen Grund abberufen zu werden.

Ein wichtiger Grund für die Abberufung ist nach einhelliger Auffassung gegeben, wenn dem Verein eine Fortsetzung des Organverhältnisses mit dem Vorstandsmitglied bis zum Ende seiner Amtszeit nicht zugemutet werden kann (BeckOGK/Segna, 1.12.2022, BGB § 27 Rn. 4446.1; Staudinger/Schwennicke, 2019, Rn. 55; Soergel/Hadding Rn. 18; Wagner in Reichert/Schimke/Dauernheim Vereins- und VerbandsR-HdB Kap. 2 Rn. 2200). Ein solcher Fall liegt hier vor, weil das Verhältnis des Klägers zu den übrigen Vorstandsmitgliedern so gestört ist, dass eine konstruktive Zusammenarbeit ganz offensichtlich nicht mehr möglich ist. Dabei kommt es auf die Gründe für die Zerrüttung, die auch in der Berufungsverhandlung deutlich zu Tage getreten ist, nicht entscheidend an. Die Zerstörung der Vertrauensbeziehung im Vorstand war erkennbar Grund für die Absicht des Vorstandes des Beklagten, über die Abberufung des Klägers abstimmen zu lassen.

Auch der weitere Vortrag des Klägers, wonach die Verweigerung der Teilnahme und des Rederechts des gemäß § 11 Abs. 3 S. 3 der Satzung des Deutschen pp. e. V. von dessen Präsidium bevollmächtigte Herr Giersch in der Versammlung vom 22. Oktober 2022 zur Nichtigkeit der dort gefassten Beschlüsse führe, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass die Verweigerung der Teilnahme und des Rederechts des Herrn pp.3 durch den Mangel der Ladung des Klägers zu der Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022 verursacht wurde. Auch bildet diese Verweigerung keinen eigenständigen Grund für die Nichtigkeit des Beschlusses über die Abberufung des Klägers. Der Beklagte hat mit der Verweigerung zweifelsohne gegen seine Pflicht als Mitglied des Deutschen pp. e.V., dessen Vertreter in der Mitgliederversammlung ein Rederecht einzuräumen, verstoßen (§ 11 Abs. 3 S. 3 der Satzung des Deutschen pp. e. V). Daraus folgt aber nicht ohne Weiteres die Verletzung eines Mitgliedsrechts des Klägers.

Auch der Hauptantrag zu A 2.a), wonach der Beschluss des Beklagten aus der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 22. Oktober 2022, durch Nachwahl des 2. Vorsitzenden nunmehr Herrn pp.2 als neuen 2. Vorsitzenden des Berufungsbeklagten zu berufen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache keine Wirkungen entfalten soll, ist aus den vorgenannten Ausführungen unbegründet. Dies gilt auch für den Hauptantrag zu A 2.b).

Mit seinen Hilfsanträgen im Übrigen vermag der Kläger aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht durchzudringen.

Selbst unter Annahme des Vorliegens eines Verfügungsanspruches scheitert die Berufung jedenfalls daran, dass der Kläger einen Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat, § 940 ZPO……“

Pflichti II: Immer wieder Pflichtverteidigerwechsel, oder: Der nicht besuchte Mandant

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Im zweiten „Pflichti-Posting“ des Tages dann einige Entscheidungen zum Pflichtverteidigerwechsel.

Zunächst weise ich auf den BGH, Beschl. v. 25.08.2023 – 5 StR 350/23 – hin. Der bringt aber nichts Neues, sondern bestätigt nur noch einmal die Rechtsprechung des BGH. es gilt:

Eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses gemäß § 143a
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StPO ist vom Standpunkt eines vernünftigen und ver-
ständigen Angeklagten aus zu beurteilen und muss vom Antragsteller substanti-
iert dargelegt werden.

In den beiden nächsten Entscheidungen geht es ebenfalls um einen Pflichtverteidigerwechsel. Begründet worden ist der der Antrag damit, dass die bisherige Pflichtverteidigerin den Mandanten nicht (oft genug) besucht habe. Das LG Magedeburg lehnt im LG Magdeburg, Beschl. v. 10.08.2023 – 2 Ks 2/23 – ab. Zur Entscheidung passt folgender Leitsatz:

Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen. Insoweit kann von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt. Dass der Pflichtverteidiger den Angeklagten jedoch nicht so oft besucht hat, wie es sich dieser gewünscht hätte, ist aber kein Grund nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO und kann eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses nicht begründen.

Dagegen ist Beschwerde eingelegt worden. Es überrascht mich nicht, dass das OLG Naumburg die im OLG Naumburg, Beschl. v. 04.09.2023 – 1 Ws 326/23 – das Rechtsmittel verworfen worden ist; OLG Naumburg eben 🙂 . Da passt folgender Leitsatz:

Für die Störung des Vertrauensverhältnisses zum Pflichtverteidiger kann  von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt. Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält. Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen aber gewahrt sein.

M.E. sind beide Entscheidungen unter Berücksichtigung der besonderen Verfahrenssituation falsch. Es steht die Begutachtung des Mandanten an. Da reicht es nicht, den Mandanten anzuschreiben. M.E. muss sich der Pflichtverteidiger dann mal bewegen und den Mandanten, der sich nicht meldet, besuchen. Im Übrigen liegt die Formulierung mit dem „Kindermädchen“ im LG-Beschluss völlig neben der Sache.

StPO III: Die Begründung der sog. Inbegriffsrüge, oder: Was muss auf jeden Fall vorgetragen werden?

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Und zum „krönenden“ Abschluss des Tages hier dann noch der OLG Naumburg, Beschl. v. 22.05.2023  – 1 ORs 64/23 – zur Zulässigkeit und zur Begründetheit einer sog. Inbegriffsrüge. Die Entscheidung war übrigens neulich Gegenstand der Fortbildung bei den 4. Erfurter Strafrechtsgesprächen

Folgender Sachverhalt: Das AG verurteilt den Angeklagten wegen Diebstahls von Baumaschinen. Dagegen zunächst die Berufung. Der Verteidiger wechselt dann, als er die Begründung des AG gelesen hat 🙂 , zur Sprungrevision und begründet diese mit mehreren Verfahrensrügen und der Rüge materiellen Rechts näher. Und der Kollege Siebers aus Braunschweig, der mir den Beschluss geschickt hat, hat mit dem Rechtsmittel Erfolg:

„Die (Sprung-)Revision hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg und führt schon auf die erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffsrüge) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Eines Eingehens auf die weiter erhobenen Rügen bedarf es daher nicht mehr.

Die Inbegriffsrüge, mit welcher der Angeklagte beanstandet, dass die im angefochtenen Urteil enthaltenen Feststellungen zur Schadenshöhe, zu Folgen der Tat auf den Ablaufplan und die Organisation der Baustelle, zu Mehrkosten verursachenden Verzögerungen des Baufortschritts, zum Verbleib des Schadens bei der geschädigten Firma und zur Frage der Spontanität des Tatentschlusses nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel gewonnen worden sind, ist in zulässiger Weise erhoben. Die Revision trägt vor, dass außer der über seinen Verteidiger vorgebrachten Einlassung des Angeklagten, mit der der Tatvorwurf bis auf die Schadenshöhe eingeräumt wurde, keinerlei Beweise in der Hauptverhandlung erhoben wurden, was durch das in der Revisionsbegründung mitgeteilte Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen wird (§ 274 Abs. 1 StPO). Weiter trägt die Revision ¬wie erforderlich – vor, dass die Feststellungen auch nicht durch andere Vorgänge, die zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehören, gewonnen worden sind.

Die Verfahrensrüge ist begründet, da das Gericht seine Überzeugung von den Folgen der Tat für die geschädigte Firma unter Verstoß gegen § 261 StPO gewonnen hat, wonach die Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen ist. Es ist nicht ersichtlich, worauf das Gericht seine Überzeugung,

–  der Wiederbeschaffungswert der entwendeten Werkzeuge und Baumaschinen betrage 42.000,00 €,

– durch die Tat des Angeklagten sei der Ablaufplan und die Organisation der Baustelle massiv und empfindlich gestört worden,

– es sei davon auszugehen, dass der Baufortschritt der Baustelle sich erheblich verzögert habe. was mit erheblichen Mehrkosten verbunden sei

– der Schaden sei bei der geschädigten Firma verblieben,

stützt. Der Einlassung des Angeklagten sind diese Ausführungen nicht zu entnehmen. Weitere Beweise wurden nicht erhoben. Die Verzögerung des Baufortschritts oder der Verbleib des Schadens bei der geschädigten Firma sind auch nicht zwingende Folgen eines Diebstahls von Bauwerkzeugen, da die Möglichkeit der Verfügbarkeit von Ersatzgeräten beziehungsweise des Eintritts einer Versicherung besteht.

Auf der Verletzung des § 261 StPO beruht das Urteil, da das Amtsgericht den o.g. Feststellungen bei seiner Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten Relevanz beigemessen hat. Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör vor. Gründet das Gericht seine Überzeugung nämlich auch auf Tatsachen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, zu denen sich also der Angeklagte dem erkennenden Gericht gegenüber nicht abschließend äußern könnte, so verstößt das Verfahren nicht nur gegen § 261 StPO, sondern zugleich auch gegen den in § 261 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs (BGH, 2 StR 433/15 v. 21.01.2016, NStZ 2017, 375, beck-online; KG, 3 Ws 282/17122 Ss 174/17 v. 14.09.2017).“

Alles richtig gemacht. Vor allem hat die Revisionsbegründung den wichtigen Satz enthalten, „dass die Feststellungen auch nicht durch andere Vorgänge, die zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehören, gewonnen worden sind“. Ohne den wird die sog. Inbegriffsrüge keinen Erfolg haben. Schon gar nicht beim 1. Strafsenat des OLG Naumburg :-).

Im Übrigen auch hier: „zumindest – vorläufig Erfolg„. Die Formulierung ist m.E. – gelinde ausgedrückt – überflüssig, wenn nicht falsch. Denn diese Revision hat nicht nur „vorläufig Erfolg„, sondern endgültig. Das AG-Urteil wird aufgehoben.

OWi II: Mal wieder ein bisschen OWi-Verfahrensrecht, oder: Beweisinterlokut, SV-Gutachten, Urteilsgründe

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zum Owi-Verfahrensrecht, und zwar:

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt vom Tatrichter   keine Erklärung, wie er die erhobenen Beweise würdigen will. Ein solches Interlokut ist dem Strafprozessrecht fremd. Es ist vielmehr Aufgabe des Verteidigers, seine Prozessanträge umsichtig auf die Verfahrenssituationen auszurichten.

Die Urteilsgründe bilden eine Einheit, deren tatsächliche Angaben das Rechtsbeschwerdegericht auch dann berücksichtigt, wenn sie sich in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden.

Hat der Verteidiger konkrete Zweifel an einer ordnungsgemäßen Messung und der Verwertbarkeit geäußert, können die Zweifel nicht durch den Verweis des Gerichtes auf ein Sachverständigengutachten beseitigt werden, wenn dieses nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war.

Corona II: Quarantäne wegen positivem PCR-Test, oder: Kein Schmerzensgeld bei ggf. falschem Test

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Als zweite Entscheidung zu der Thematik aus dem Bereich „Corona“ stelle ich ein Verfahren vor, in dem das OLG Naumburg im OLG Naumburg, Beschl. v. 08.06.2022 – 5 U 35/22 – die Berufung gegen ein Urteil des LG Magdebrug zurückgewiesen hat. Die OLG Naumburg-Entscheidung habe ich im Volltext noch nicht gefunden, über sie haben bisher nur LTP und beck-online berichtet. Das zugrunde liegende LG Magdeburg, Urt. v. 01.92.2022 – 10 O 715/21 – habe ich aber vorliegen. Daher stelle ich das vor.

In dem Verfahren geht es um Schadensersatz wegen einer Quarantäneanordnung. Diese war gegen eine vierköpfige Familie aufgrund eines positiven PCR-Testergebnisses im April 2021 angeordnet worden. Alle waren ohne Symptome und haben behauptet, der Test sei falsch gewesen. Sie haben deshalb aus § 839 BGB 3.700 Euro pro Person Schmerzensgeld verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen und führt dazu u.a. aus:

„…. Bei dieser Quarantänemaßnahme handelt es sich entgegen der Auffassung der Kläger nicht etwa um eine Freiheitsentziehung, die in der Tat wohl nur mit richterlicher Genehmigung hätte erfolgen dürfen, sondern lediglich um eine Freiheitsbeschränkung. Denn den Klägern war es gestattet, während der Quarantäneanordnung in ihrer Häuslichkeit alles das zu tun und zu lassen, was sie wollten und über die vorhandenen technischen Medien auch Kontakt zur Außenwelt zu halten.

Eine feste zeitliche Grenze, ab der eine Freiheitseinschränkung als ausgleichspflichtig anzusehen wäre, gibt es nicht. Abzustellen ist vielmehr auf die konkrete Situation des Einzelfalls, bei der es insbesondere auch auf die Ausgestaltung und Intensität des Eingriffs sowie auf herabwürdigende Behandlungen und mögliche rufschädigende Wirkungen ankommt (vgl. LG Göttingen, Urteil vom 30. Januar 1990 – Aktenzeichen: 2 O 322/89 -, NJW 1991, 2.6, beck-online; LG Hannover, Urteil vom 20.08.2021 – Aktenzeichen: 8 O 2/21 -, zitiert nach juris). Daher kann aus dem bloßen Überschreiten der zeitlichen Grenzen, die in der Rechtsprechung als schmerzensgeldbegründend angesehen wurden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 7. März 2018 – Aktenzeichen: 1 U 1025/17 -, zitiert nach juris: 13 Stunden in psychiatrischem Krankenhaus; Landgericht Göttingen, a.a.O.: 2 Stunden mit 400 weiteren Personen in einem Polizeikessel) nicht abgeleitet werden, dass vorliegend allein wegen der zweiwöchigen Dauer die Billigkeitsschwelle überschritten wurde. Denn die Quarantäne der Kläger unterscheidet sich in gravierender Weise von den genannten Fällen. Die Kläger mussten keine demütigenden Zwangsbehandlungen erdulden. Sie wurden nicht mit psychischen Zwangsmitteln an einem fremden Ort festgehalten, sondern konnten sich innerhalb ihrer Wohnung ohne Überwachung Dritter frei bewegen und ihren Tagesablauf in diesem Rahmen vollkommen frei bestimmen. Schließlich wurde ihre Freiheitsbeschränkung auch auf einen Umstand gegründet, der – anders als bei einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder bei einer Festnahme als möglicher Straftäter – nicht geeignet war, ihr Ansehen und ihren Ruf in der Gesellschaft zu gefährden.

Die von den Klägern vorgetragenen Beeinträchtigungen durch die Quarantäne sind auch nicht geeignet, einen Schmerzensgeldanspruch unter dem Aspekt des Ausgleichsgedankens zu begründen.

Denn die in der Klageschrift geschilderten Einschränkungen in der Lebensführung der Kläger sind dafür zu pauschal gehalten. Die Kläger haben nicht konkret dargelegt, welche sozialen Einschränkungen und welche psychischen Belastungen sie durch die Quarantäne erlitten haben wollen. Konkret haben die Kläger lediglich vorgetragen, dass sie keinen Zugang zur Natur und keine Möglichkeit gehabt hätten, im Freien sportliche Aktivitäten auszuführen. Diese geschilderten Umstände sind jedoch nicht ausreichend, um ein Überschreiten der Geringfügigkeitsschwelle begründen zu können. Die angeordnete Quarantäne hatte eine Dauer von lediglich 14 Tagen. Die Kläger mussten daher für einen Zeitraum zuhause bleiben, wie er auch unter normalen Umständen, z.B. bei einem hinreichenden Auskurieren einer Grippe, eintreten kann. Zudem hätten die Kläger, da sie ja nach eigenem Bekunden symptomfrei waren, auch sportliche Aktivitäten innerhalb ihrer Wohnung durchführen können.

Der Vortrag der Kläger, die Beklagte habe gegen ihre Amtspflichten verstoßen, da sie auch den positiven PCR-Test an das RKI weitergeleitet habe, obwohl sie wisse, dass bei dem überwiegenden Teil der positiv getesteten Personen keine Infektion vorliege und dennoch den positiven PCR-Test dem RKI übermittelt habe, damit die Inzidenz gefälscht werde, ist nicht geeignet, einen Schmerzensgeldanspruch unter dem Aspekt der Genugtuungsfunktion zu begründen.

Denn die Beklagte konnte aufgrund der Pandemielage und der von Bund und den Ländern deswegen getroffenen Maßnahmen sowie der wissenschaftlichen Expertise beim RKI davon ausgehen, dass ein PCR-Test fundierte Ergebnisse für das Bestehen oder Nichtbestehen einer Infektion liefert und sich auch hierauf ohne weitere ärztliche Untersuchungen des Testergebnisses verlassen.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 20. April 2021 – Aktenzeichen: 1 S 1121/21 -, zitiert nach juris, insoweit ausgeführt:

„Der Senat geht davon aus, dass es sich bei einem PCR-Test um ein geeignetes Instrument handelt, das Vorliegen einer akuten SARS-CoV-2-Infektion zu ermitteln. Bei korrekter Durchführung der Tests und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse ist von einer sehr geringen Zahl falsch positiver Befunde auszugehen, denn aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und hohen Qualitätsanforderungen liegt die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100 %. Die Herausgabe eines klinischen Befundes unterliegt einer fachkundigen Validierung und schließt im klinischen Setting Anamnese und Differenzialdiagnosen ein. In der Regel werden nicht plausible Befunde in der Praxis durch Testwiederholung oder durch zusätzliche Testverfahren bestätigt bzw. verworfen. Die aufgestellte Behauptung, in 71,12 % der Fälle sei das Testergebnis offensichtlich falsch, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage“.

Diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg gibt auch die insoweit einhellige Rechtsprechung der übrigen Verwaltungsgerichtshöfe bzw. Oberverwaltungsgerichte der Länder wieder. Die von den Klägern dargelegte gegenteilige Auffassung der Professorin Dr. K. von der Universitätsklinik W.burg stellt insoweit eine absolute Mindermeinung dar und ist daher unbeachtlich……“