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OWi III: Inbegriff der OWi-Hauptverhandlung, oder: Wenn die OWi-Anzeige verlesen wurde

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Und als dritte Entscheidung dann etwas Verfahrensrechtliches aus dem OWi-Verfahren. Nichts Besonderes, aber immerhin und sicherlich ein Fehler, der häufiger gemacht wird. Es geht u.a. um den Begriff des Inbegriffs der Hauptverhandlung (§ 261 StPO).

Das AG hat den Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO – also verbotswidrige Benutzung eines elektronischen Gerätes – verurteilt. Nach den Feststellungen ist der unmittelbar nach dem Verstoß von einem Polizeibeamten angehalten worden, der die Personallen des Betroffenen anhand des ihm vorgelegten Passes des Betroffenen festgestellt hat.

Das OLG hat unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der GStA das Urteil des AG aufgehoben und führt dazu im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.11.2022 – IV-3 RBs 209/22 – aus:

„…. Zur Begründetheit des Rechtsmittels hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Senatszuschrift vom 10. November 2022 u.a. folgendes ausgeführt:

„Vorliegend beanstandet der Betroffene, dass das Urteil Bezug nimmt auf die in der Hauptverhandlung verlesene Ordnungswidrigkeitenanzeige (BI, 3 und 4 d.A.), diese Jedoch ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sei.

Gründet das Gericht seine Überzeugung auch auf Tatsachen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, zu denen sich also der Angeklagte dem erkennenden Gericht gegenüber nicht abschließend äußern könnte, so verstößt das Verfahren nicht nur gegen § 261 StPO, sondern zugleich auch gegen den In § 261 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs (zu vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 5, November 2021 — 2 OWi 32 SsRs 254/21 —, Rn, 10, Juris).

Der Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs liegt nicht darin begründet, dass das Gericht die Beweismittel nicht in die Hauptverhandlung eingeführt hat, sondern darin, dass es im Urteil Beweismittel verwertet hat, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, Der Mangel des Urteils und damit die Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen also in der Verwertung begründet (OLG Koblenz, a.a.O.),

Dem Hauptverhandlungsprotokoll ist die Einführung der Strafanzeige im Wege der Verlesung nicht zu entnehmen, Damit wurde das rechtliche Gehör verletzt, da das Gericht eine Urkunde verwertet hat, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne die Verwertung der schriftlichen Anzeige zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.“

 

Diesen Ausführungen schließt der Senat sich nach eigener Prüfung an….“

OWi II: Mal wieder ein bisschen OWi-Verfahrensrecht, oder: Beweisinterlokut, SV-Gutachten, Urteilsgründe

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zum Owi-Verfahrensrecht, und zwar:

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt vom Tatrichter   keine Erklärung, wie er die erhobenen Beweise würdigen will. Ein solches Interlokut ist dem Strafprozessrecht fremd. Es ist vielmehr Aufgabe des Verteidigers, seine Prozessanträge umsichtig auf die Verfahrenssituationen auszurichten.

Die Urteilsgründe bilden eine Einheit, deren tatsächliche Angaben das Rechtsbeschwerdegericht auch dann berücksichtigt, wenn sie sich in solchen Zusammenhängen befinden, in denen sie nach dem üblichen Urteilsaufbau nicht erwartet werden.

Hat der Verteidiger konkrete Zweifel an einer ordnungsgemäßen Messung und der Verwertbarkeit geäußert, können die Zweifel nicht durch den Verweis des Gerichtes auf ein Sachverständigengutachten beseitigt werden, wenn dieses nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war.

StPO II: Selbstleseverfahren, oder: Kenntnis genommen?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Naumburg, Beschl. v. 30.06.2020 – 1 Rv 94/20 -, hat mir mal wieder der Kollege Funck geschickt. Er behandelt einen Fall aus der Hauptverhandlung, nämlich das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO).

Das AG verurteilt den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe. Dagegen die Revision, die Erfolg hat:

„Zu Recht rügt die Revision einen Verstoß gegen § 261 StPO. Das Amtsgericht legt seinem Urteil Beweismittel zugrunde, namentlich das Betäubungsmittelgutachten des Landeskriminalamts vom 20. August 2019, die es nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht hat. Das Amtsgericht hat zwar durch Beschluss das Selbstleseverfahren im Sinne des § 249 Abs. 2 StPO unter anderem für dieses Behördengutachten angeordnet. Es hat sodann aber nicht festgestellt, dass die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben.

Die Verfahrensrüge ist zulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO erhoben worden. Der mitgeteilte Verfahrensablauf ist, wie sich dem auf die Verfahrensrüge hin eröffneten und auch durch die Revision mitgeteilten Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls entnehmen lässt, zutreffend wiedergegeben.

Die Rüge ist auch nicht deshalb unzulässig, weil eine vorherige Entscheidung des Gerichts gemäß § 249 Abs. 2 S, 2 StPO oder § 238 Abs. 2 StPO nicht herbeigeführt wurde (s. OLG Celle, Beschluss vom 3. Februar 2016 — 2 Ss 211/15, BeckRS 2016, 108236). Denn dies ist nur dann der Fall, wenn es darum geht, ob die Anordnung des Selbstleseverfahren als solches zulässig war (dann § 249 Abs. 2 S. 2 StPO) oder die Art und Weise der Durchführung des Selbstleseverfahren beanstandet werden soll (dann § 238 Abs. 2 StPO). Das ist hier nicht der Fall.

Die Rüge ist auch begründet. Im Urteil heißt es, dass die Feststellungen bezüglich der Qualität und Quantität der sichergestellten Betäubungsmittel aufgrund des in die Beweisaufnahme eingeführten Behördengutachtens vom 20. August 2019 getroffen worden seien (UA Seite 10). Dies verletzt § 261 StPO, weil aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls (vergleiche § 274 StPO) davon auszugehen ist, dass das Gutachten nicht zur Kenntnis gelangt und es dem Revisionsgericht auch verwehrt ist, dies im Wege des Freibeweises zu erforschen (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2004 – 5 StR 412/03, in: NStZ 2005, 160),

Die Revision trägt im Übrigen auch, was erforderlich ist (vgl. MüKoStPO/Kreicker, 1. Aufl. 2016, StPO § 249 Rn. 79), vor, dass der Inhalt des Gutachtens nicht auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt wurde. Auch geben weder das Hauptverhandlungsprotokoll noch die entsprechende Formulierung im Urteil („die Feststellungen […] hat das Gericht aufgrund des in die Beweisaufnahme eingeführten Behördengutachtens […] getroffen“) einen Anhaltspunkt dafür, dass die hier relevanten Teile des Gutachtens im Wege des Vorhalts bei der Vernehmung des Angeklagten oder der Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein könnten.“

Berufung I: Berufungshauptverhandlung, oder: Urteilsverlesung ist kein Urkundsbeweis

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Heute dann ein Tag mit StPO-Entscheidungen. Alle drei haben eine Thematik, die mit der Berufung im Straverfahren zusammenhängt.

Ich starte mit dem KG, Beschl. v. 04.03.2020 – (2) 121 Ss 32/20 (10/20). Es geht um den Inbegriff der Berufungshauptverhandlung (§ 261 StPO). Das KG hat das landgerichtliche Urteil auf die Verfahrensrüge hin aufgehoben:

„2. Die Revisionen dringen bereits mit der Verfahrensrüge durch, mit der die Angeklagten beanstanden, dass das Urteil nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhe.

a) Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist durch den Angeklagten W. zulässig erhoben. Die Inbegriffsrüge entspricht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn mit den Mitteln des Revisionsrechts ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass eine im Urteil getroffene Feststellung nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und auch sonst nicht aus zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 17; OLG Koblenz NStZ-RR 2011, 352; KG Berlin, Beschluss vom 18. April 2012 – (4) 121 Ss 53/12 (91/12) –juris Rn. 5). Die Revision des Angeklagten W. hat unter Mitteilung der maßgeblichen Urteilsgründe und der notwendigen Aktenteile ausreichend dargelegt, dass die kleine Strafkammer die Aussage des Zeugen Pr. anhand seiner Angaben in erster Instanz gewürdigt habe, ohne diese in prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung einzuführen. Dass die Revisionsbegründung der Angeklagten P. demgegenüber versäumt hat, den relevanten Wortlaut des Hauptverhandlungsprotokolls wiederzugeben (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 15. April 2016 – III-2 RBs 61/16 –, juris), ist unschädlich, weil sich die Wirkung des § 357 StPO nicht nur auf Mitangeklagte erstreckt, die keine Revision eingelegt haben, sondern auch auf solche, die mit ihrer Revision deshalb nicht durchdringen könnten, weil sie unzureichend begründet ist (vgl. Gericke in KK-StPO 8. Aufl. 2019, § 357 Rn. 12 mwN).

b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt hierzu Folgendes aus:

„Als Inbegriff der Hauptverhandlung darf nach einem der wesentlichen Grundsätze des Strafverfahrens, der seine gesetzliche Ausprägung namentlich in § 261 StPO findet, nur das verwertet und zur gerichtlichen Überzeugungsbildung herangezogen werden, was zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist; inhaltlich dürfen nur Beweiserhebungen zur Urteilsgrundlage gemacht werden, die in einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form in das Verfahren eingeführt worden sind.

Das Landgericht hat bei der Würdigung der Frage, ob es die Angabe des Zeugen Pr., die es – im Zusammenhang mit erhobenen Urkundsbeweisen – als Grundlage der Verurteilung der Angeklagten herangezogen hat, als glaubhaft angesehen hat, maßgeblich darauf abgestellt, dass diese gegenüber seinen Angaben in erster Instanz im Wesentlichen konstant waren (UA S. 6). Diesbezüglich bemängeln die Revisionen indes zutreffend, dass die Angaben, die der Zeuge in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung getätigt hatte, zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Beweisaufnahme vor dem Landgericht waren. Entsprechend sei die Strafkammer aus Rechtsgründen gehindert gewesen, einen Vergleich der jeweiligen Aussagen des Zeugen vor Amts- bzw. Landgericht und damit eine Überprüfung von deren möglicher Konstanz anzustellen. Diesem Vorbringen kann sich die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils nicht verschließen. Das Sitzungsprotokoll der Berufungshauptverhandlung (dort S. 2) weist zwar aus, dass gemäß dem gesetzlichen Gang der Berufungshauptverhandlung (§ 324 StPO) das erstinstanzliche Urteil – auszugsweise – verlesen worden ist. Dies ist aber – selbst wenn es sich vorliegend auch auf die Angaben des Zeugen Pr. erstreckt hätte – schon nach Auslegung des Gesetzeswortlautes des § 324 StPO (dort Inhalt des Abs. 2 im Anschluss an Abs. 1 Satz 2 der Norm) nicht Teil der Beweisaufnahme bzw. -erhebung und damit nicht als Urkundsbeweis verwertbar (vgl. KG StV 2013, 433 f., juris Rn. 8). Kommt es inhaltlich darauf an, was Angeklagte oder Zeugen vor dem erstinstanzlichen Spruchkörper ausgesagt haben, muss das Urteil (nochmals) nach § 249 StPO verlesen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 249 Rn. 21). Dies ist jedoch, worauf die Revisionen zu Recht hinweisen, nicht erfolgt; die stattgefundene Verlesung hat sich auf die Passagen zu den Lebensläufen der Angeklagten beschränkt. Die vorgeschriebene Verknüpfung zwischen dem Inbegriff der Hauptverhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts ist damit in diesem Punkt nicht gegeben.

Dieser Rechtsfehler hat auch zur Aufhebung des Urteils zu führen, da das Beruhen des Urteils hierauf anzunehmen ist, jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Die Strafkammer hat, wie ausgeführt, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Pr., auf denen die Überzeugung des Gerichts ,insbesondere‘ begründet (UA S. 5), maßgeblich an deren Konstanz festgemacht. Die diesbezügliche Prüfung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung anzustellen, war ihr jedoch aus den genannten Gründen nicht möglich.“

Diese Ausführungen treffen zu und zwingen zur Aufhebung des gesamten Urteils.“

Grundkurs „Inbegriff der Hauptverhandlung“, oder: Wo haben die eigentlich StPO gelernt?

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Wenn man manche Revisionsentscheidungen liest, fragt man sich, welchen StPO-Text das Tatgericht eigentlich vorliegen hatte, als es entschieden oder das verkündete Urteil schriftlich begründet hat. Ich kann auch provokanter nachfragen und formulieren: Wo haben die eigentlich StPO gelernt? Die Frage passt m.E. mehr als gut zu dem dem BGH, Beschl. v. 21.01.2016 – 2 StR 433/15 – zugrundeliegenden Urteil des LG Limburg. Das hat den den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen die Verfahrensrüge, und zwar als Inbegriffsrüge, die dann Erfolg hat.

Der Rüge lag folgendes – in meinen Augen – gelinde ausgedrückt – überraschendes – Verfahrensgeschehen zugrunde:

„Das angefochtene Urteil wurde am 26. Mai 2015 verkündet. Rund einen Monat später, am 23. Juni 2015, verfügte der Vorsitzende die Übersendung der Kopien Bl. 461-463 d.A. an den Sachverständigen Prof. Dr. G. „unter Bezug auf das heute geführte Telefonat“. Bei den übersandten Kopien handelte es sich entweder um den vorläufigen Arztbrief vom 16. Dezember 2010, in dem unter anderem die Ergebnisse der „CT-Schädel vom 4. Dezember 2010“ geschildert wurden (paginiert als Bl. 461-463 d.A.) oder aber um zwei polizeiliche Vermerke und einen Laborbefund betreffend den bei der Geschädigten entnommenen Abstrich (ebenfalls paginiert als Bl. 461-463 d.A.).

Mit einem (offensichtlich fehlerhaft) auf den 29. Juli 2015 datierten Anschreiben, eingegangen beim Landgericht am 1. Juli 2015, übersandte der Sachverständige daraufhin ein auf den 29. Juni 2015 datiertes Gutachten betreffend die „Befunde in Bezug auf die kognitive Leistungsfähigkeit und Realitätswahrnehmung“ der Geschädigten im gegenständlichen Tatzeitraum, in dem er sich unter Bezugnahme auf die „CT mit Angiographie vom 4. Dezember 2010“ zur Wahrnehmungsfähigkeit der Geschädigten sachverständig äußerte. In dem Anschreiben ließ der Sachverständige ergänzend anfragen, ob die an ihn gerichteten Fragen „durch die Erklärungen“ abgedeckt seien. Das schriftliche Urteil gelangte am 14. Juli 2015 zur Geschäftsstelle. In den Urteilsgründen wird das von Prof. Dr. G. in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten mitgeteilt und im Rahmen dessen auch das rund eineinhalb Seiten umfassende schriftliche Gutachten vom 29. Juni 2015 nahezu vollständig und wörtlich wiedergegeben.“

Dass das nicht halten kann, ist m.E. keine große Überraschung. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen § 261 StPO. Alles andere wäre überraschend gewesen. Dazu der BGH dann in einem kleinen Grundkurs zum „Inbegriff der Hauptverhandlung“:

2. Die Verurteilung des Angeklagten hält auf die von der Revision erhobene Verfahrensrüge nach § 261 StPO rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat seine Überzeugung nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft. Denn in den schriftlichen Urteilsgründen wird die Annahme der Aussagetüchtigkeit der Geschädigten auch auf Erkenntnisse gestützt, die erst nachträglich und nicht im Verfahren nach § 261 StPO gewonnen worden sind.

a) Grundlage der Überzeugungsbildung des Richters und der Urteilsfindung darf nur das sein, was innerhalb der Hauptverhandlung, d.h. vom Aufruf der Sache bis zum letzten Wort des Angeklagten mündlich so erörtert worden ist, dass alle Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hatten (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2001 – 5 StR 250/01, NStZ 2001, 595, 596; Urteil vom 5. August 2010 – 3 StR 195/10, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 47; KK-Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 6). Gründet das Gericht seine Überzeugung auch auf Tatsachen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, zu denen sich also der Angeklagte dem erkennenden Gericht gegenüber nicht abschließend äußern konnte, so verstößt das Verfahren nicht nur gegen § 261 StPO, sondern zugleich auch gegen den in § 261 StPO zum Ausdruck kommenden Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1967 – 2 StR 544/67, BGHSt 22, 26, 28 f.).

Eine Verletzung des § 261 StPO kann vorliegend nicht bereits an der Erwägung scheitern, das Urteil könne nicht auf einem Vorgang beruhen, der sich erst nach Verkündung des Urteils ereignet hat, weil dieser Vorgang bei der vorangegangen Überzeugungsbildung und Urteilsfindung keine Rolle gespielt haben könne.

Dem steht entgegen, dass das Revisionsgericht das angefochtene Urteil nur „in der untrennbaren Einheit“ nachprüfen kann, die der Urteilstenor und die schriftlichen Urteilsgründe miteinander bilden (vgl. schon RG, Urteil vom 24. September 1937 – 1 D 812/36, RGSt 71, 326, 327; vgl. auch OLG Stuttgart, NJW 1968, 2022). Andernfalls bestünde die Gefahr, dass eine nachträglich erkannte Lücke in der Beweiswürdigung durch Erkenntnisse, die nach Abschluss der Hauptverhandlung gewonnen werden, noch geschlossen werden könnte (vgl. auch Pegel in Radtke/Hohmann, StPO, § 261 Rn. 15 f.). Die schriftlichen Urteilsgründe sollen indes die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des Urteils wiedergeben, wie sie nach der Hauptverhandlung in der Beratung gewonnen worden sind, und dadurch dem Revisionsgericht die Nachprüfung der getroffenen Entscheidungen auf ihre Richtigkeit ermöglichen (KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 267 Rn. 2 mwN). Daher darf auch das schriftliche Urteil nur auf Erkenntnisse gestützt werden, die im Verfahren nach § 261 StPO gewonnen worden sind und zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 1987 – 4 StR 496/87; Beschluss vom 20. Oktober 1999 – 5 StR 496/99; Beschluss vom 10. Juli 2001 – 5 StR 250/01, NStZ 2001, 595, 596; KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 267 Rn. 1; LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 267 Rn. 10). Es dürfen mithin weder Erkenntnisse, die während (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2001 – 5 StR 250/01, NStZ 2001, 595, 596; Beschluss vom 20. Oktober 1999 – 5 StR 496/99) noch solche, die erst nach der Urteilsverkündung (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 449/10; vgl. auch OLG Karlsruhe, Justiz 1998, 601) erlangt wurden, zur schriftlichen Begründung der gewonnenen Überzeugung herangezogen werden.

b) Hiergegen hat das Landgericht verstoßen. Die in dem schriftlichen Gutachten gewonnenen und im Rahmen der Beweiswürdigung verwerteten Erkenntnisse hat das Landgericht erst nach der Urteilsverkündung gewonnen, ohne dass die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit hatten, hierzu Stellung zu nehmen.

aa) Das schriftliche Gutachten des Sachverständigen wurde erst am 29. Juni 2015 erstellt. Es kann daher weder durch Verlesung noch im Wege des Vorhalts an den Sachverständigen in der Hauptverhandlung eingeführt worden sein. Zudem enthält das in den Urteilsgründen wörtlich zitierte Gutachten umfangreiche, sowohl inhaltlich wie sprachlich komplex gestaltete Textpassagen, in denen Untersuchungsergebnisse referiert werden und eine zusammenfassende gutachterliche Wertung der erhobenen Befunde aus neurologisch-psychiatrischer Sicht formuliert ist. Der Senat schließt daher aus, dass das Landgericht den Inhalt des späteren schriftlichen Gutachtens schon aufgrund der Angaben der Sachverständigen in der Hauptverhandlung festgestellt hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015 – 2 StR 38/15; Urteil vom 6. September 2000 – 2 StR 190/00, NStZ-RR 2001, 18).

bb) Die telefonisch erbetene Stellungnahme des Vorsitzenden diente ersichtlich auch nicht der bloßen Auffrischung seines Gedächtnisses oder als Formulierungshilfe für die schriftlichen Urteilsgründe allein darüber, was der Sachverständige in der Hauptverhandlung sinngemäß ausgesagt hatte. Ungeachtet dessen, dass ein solches Vorgehen schon für sich genommen bedenklich erscheint, weil der Übergang vom bloßen Auffrischen bzw. bloßen Formulieren hin zum Gewinnen neuer Erkenntnisse merklich gering und schwer festzustellen ist (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1968, 2022; BeckOK-StPO/Eschelbach, § 261 Rn. 20; Eb. Schmidt, StPO, 1957, § 261 Rn. 4; weitergehend RG, Urteil vom 13. Februar 1939 – 2 D 4/39, HRR 1939 Nr. 1214), ist vorliegend bereits dem Aktenvermerk des Vorsitzenden sowie dem Antwortschreiben und Gutachten des Sachverständigen zu entnehmen, dass das nachträgliche Telefongespräch nicht nur der Vergewisserung des Inhalts der Hauptverhandlung diente. Denn dafür hätte es weder der ergänzenden Übersendung von Unterlagen an den Sachverständigen noch der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens bedurft.

Die Übernahme dieses Gutachtens in die schriftlichen Urteilsgründe könnte zwar dann unschädlich sein, wenn zweifelsfrei feststünde, dass das in der Beratung – rechtlich fehlerfrei – gewonnene Ergebnis lediglich durch Umstände bestätigt wurde, die nach Verkündung des Urteils entstanden sind (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 444/83; Beschluss vom 3. November 1987 – 4 StR 496/87, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 8). So verhält es sich hier aber nicht. Die Strafkammer ist gerade nicht von einer nur späteren Bestätigung ihrer – unabhängig von dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. – gewonnenen Überzeugung ausgegangen (vgl. insoweit OLG Karlsruhe, Justiz 1998, 601), sondern hat bereits verschwiegen, dass es sich um ein erst nachträglich erstattetes Gutachten handelt.“

Ob die Eselsbrücken, die der BGH baut, alle halten, lassen wir mal dahinstehen. Jedenfalls: So geht es nicht….“

Und: Vielleicht auch mal eine Entscheidung, die die OLG lesen sollten, die im Bußgeldverfahren vom Verteidiger in der Rechtsbeschwerde Vortrag dazu verlangen, was er eigentlich nach der Urteilsverkündung noch getan hat, um an Messdaten zu kommen usw. 🙂