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Pflichti II: Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, oder: Vollstreckung, stationäre Therapie, Einziehung

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Im zweiten Posting zu Pflichtverteidigungsentscheidungen dann hier drei Entscheidungen zu den Bestellungsvoraussetzung, und zwar:

    1. Das „Gebot bestmöglicher Sachaufklärung“ (BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 BvR 578/02) erhebt die gerichtliche Verpflichtung zur Einholung eines kriminalprognostisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens in § 454 Abs. 2 Satz 1 StPO zum gesetzlichen Regelfall und indiziert damit zugleich eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO.
    2. Die Verneinung des „Erwägens“ einer Strafaussetzung in § 454 Abs. 2Satz 1 StPO kommt nur dann in Betracht, wenn die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung völlig fernliegend ist und als ernsthafte Alternative zur Fortdauer der Strafhaft von vornherein ausgeschlossen erscheint (Festhalten an Senat, Beschluss vom 13. Juli 2009 – 2 Ws 291/09, NJW 2009, 3315 m.w.N.).
    3. Ob eine solche Ausnahme im konkreten Einzelfall vorliegt, stellt eine im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO schwer zu beurteilende Sachfrage dar, die regelmäßig nicht allein nach Aktenlage, sondern erst nach der durch § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO ausdrücklich vorgeschriebenen und aufgrund der Gesetzessystematik vorbehaltlich Satz 4 der Bestimmung grundsätzlich zuvor durchzuführenden mündlichen Anhörung des Verurteilten beantwortet werden kann.
    1. Zu der Anstaltsunterbringung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gehören insbesondere die verschiedenen Formen der Haft sowie die Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB, ebenso indes auch – in analoger Anwendung – die stationäre Behandlung in einer Drogentherapieeinrichtung nach § 35 BtMG sowie ein die persönliche Freiheit erheblich einschränkender Aufenthalt in einer stationären Alkoholentzugsbehandlung.
    2. Die Regelung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO ist sowohl ihrem Wortlaut als auch ihrer systematischen Stellung nach lediglich auf Fälle der Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO anzuwenden, nicht jedoch auf Fälle der Bestellung auf Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO.

Auch wenn es sich bei der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB nicht um eine Nebenstrafe handelt, sondern um eine Maßnahme im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB eigener Art, ist sie als sonstige Rechtsfolge, die einem Angeklagten ggf. im Fall seiner Verurteilung droht, bei der Beurteilung der „Schwere der Rechtsfolge“ i.S. des § 140 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen.

 

 

Für „inkompetente Ossi-Heulsuse“ ’ne „Kiste Bananen“, oder: Höhe des Streitwerts der Beleidigung

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 01.12.2021 – 4 W 797/21 – auch aus Sachsen. Sie hat nur mittelbar mit Straf(verfahrens)recht zu tun. Es geht nämlich um den Streit-/Gegenstandswert einer einstweiligen Verfügung, mit der dem Antragsgegner untersagt werden sollte, abfällige Äußerungen über den Antragsteller zu machen. Der Antragsgegner hatte mit E-Mail vom 16.09.2021 den Antragsgegner u.a. als „inkompetente Ossi-Heulsuse“ bezeichnet und ihm nach einer gescheiterten Kreditvermittlung als Honorar „eine Kiste Bananen“ angeboten, insoweit also ggf. die Berührung zum Strafrecht.

Das LG hatte seine sachliche Zuständigkeit verneint und den Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Der Streitwert der – nicht an die Öffentlichkeit gelangten – Äußerung betrage allenfalls 500,- EUR. Dagegen die sofortige Beschwerde des Antragstellers, die beim OLG keinen Erfolg hatte.

„1. Der Streitwert des hier geltend gemachten Unterlassungsanspruchs übersteigt jedenfalls die Zuständigkeitsschwelle des § 23 Nr. 1 GVG nicht. Entgegen der Auffassung der Beschwerde ergibt sich aus der Rechtsprechung des Senats keineswegs, dass bei „nicht öffentlichkeitswirksamen Beleidigungen“ der Streitwert stets über 5000,- € liegt und damit die Zuständigkeit des Landgerichts begründet wäre. Der Senat nimmt vielmehr in ständiger Rechtsprechung an, dass der Streitwert eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 823, 824, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB nicht schematisch auf einen bestimmten Wert festgelegt werden kann, sondern unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen ist. Maßgeblich ist neben dem Grad der Verbreitung die Schwere des Vorwurfs sowie die Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruches des Verletzten in der Öffentlichkeit, die wirtschaftliche Bedeutung sowie die sonstige Bedeutung der Sache einzubeziehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt, Urteil vom 10. August 2021 – 4 U 1156/21 –, Rn. 14, juris; Beschluss vom 20.11.2018 – 4 W 982/18 -, juris; Beschluss vom 09.04.2018 – 4 W 296/18 -, juris). Die Werte des § 52 Abs. 2 GKG und des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bieten lediglich einen ersten Anhalt, der je nach den Umständen zu ermäßigen oder zu erhöhen ist (Zöller-Herget, ZPO, 33. Aufl. 2018, § 3 Rn. 16, „Ehre“). Auch die Angabe des Verfahrenswerts in der Antragsschrift ist nicht mehr als ein Indiz für den Wert des Interesses an der Abwehr der Persönlichkeitsrechtsverletzung und unterliegt einer selbstständigen Überprüfung durch das Gericht (OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.12.2018 – 5 U 58/18 -, Rn. 26, juris; Toussaint in: Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, Kostenrecht, Ed. 23, 2018, § 48 GKG, Rn. 40). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Streitwert im einstweiligen Verfügungsverfahren unter dem der Hauptsache liegt, weil das für ein Verfahren maßgebende Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung im Regelfall nicht das Befriedigungsinteresse erreicht (Zöller-Herget, a.a.O. § 3 Rn. 16 Stichwort: „Einstweilige Verfügung“), beträgt der Streitwert einer Unterlassungsklage ohne besondere Bedeutung im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung regelmäßig 5.000,00 € (Senat, Beschluss vom 11.03.2019 – 4 W 171/19 –, Rn. 2, juris; Beschluss vom 23.01.2013 – 4 W 1363/12).

Unter Berücksichtigung dieser gefestigten Rechtsprechung kann von einer sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts gem. § 71 Abs. 1 GVG schon wegen der fehlenden Breitenwirkung und der dadurch nicht gegebenen Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruches des Antragstellers in der Öffentlichkeit und wegen der ebenfalls nicht gegebenen wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Unternehmen des Antragstellers nicht ausgegangen werden. Gegen die in der E-Mail vom 16.9.2021 vom Antragsgegner ebenfalls in Aussicht gestellten Bewertungen des Antragstellers „im Internet wendet“ sich dieser ausdrücklich nicht. Die in der Beschwerde versuchte Aufsplittung der streitgegenständlichen Äußerung in mehrere Teiläußerungen und die Auffassung, wegen einer „mehrfachen Missachtung“ des Antragstellers sei hier ein schwerwiegender Fall anzunehmen, teilt der Senat nicht. Die angegriffene Äußerung umfasst lediglich zwei kurze Sätze, die im Gesamtzusammenhang zu werten sind und weder für sich genommen noch in der Gesamtwürdigung eine so schwere Missachtung des Persönlichkeitsrechts des Antragstellers darstellen, dass eine Abweichung nach oben von dem o.a. Regelfall der Streitwertbemessung bei einer einstweiligen Verfügung gerechtfertigt erschiene; berücksichtigt man die o.a. Gesichtspunkte, erscheint vielmehr eine Festsetzung des Streitwerts von deutlich unter 5000,- € angezeigt. Die mit der Beschwerde herangezogenen Entscheidungen des Senats vom 30.7.2018 (4 U 620/18) und 9.8.2012 (4 U 700/12) betrafen beide Ansprüche auf Geldentschädigung, die betragsmäßig beziffert waren und schon aus diesem Grund nicht vergleichbar sind. Nach alledem trägt zwar eine Streitwertfestsetzung mit 500,- € dem Interesse des Antragstellers an der Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerung nicht hinreichend Rechnung, dieses Interesse bleibt jedoch klar unter der Zuständigkeitsschwelle des § 23 Abs. 1 GVG.“

Tätigkeit des Zeugenbeistands ist Einzeltätigkeit, oder: Danke BMJV für die Vorlage

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Und dann heute am „Weltkuscheltag“ 🙂 , einem Freitag, natürlich auch RVG-Entscheidungen.

Die erste Entscheidung, die ich vorstelle, ist aber leider gar nicht kuschelig. Das OLG Dresden hat im OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2021 – 6 Ws 42/21 – noch einmal/mal wieder zu den Gebühren des Rechtsanwalts für die Tätigkeit als Zeugenbeistand Stellung genommen. Leider falsch, das das OLG von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ausgeht:

„Das Landgericht hat die Tätigkeit des Zeugenbeistandes zu Recht als Einzeltätigkeit bewertet, für die lediglich die Gebühr nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG entstanden ist.

Die Frage, ob der nach § 68b StPO beiordnete Zeugenbeistand wie ein Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu vergüten ist oder lediglich die Gebühr für eine Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG beanspruchen kann, war in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.

Mit der Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG („Für die Tätigkeit als Beistand … sind die Vorschriften entsprechend anzuwenden“) war unklar geblieben, ob der nach § 68b StPO beigeordnete Rechtsanwalt die Gebühren eines Verteidigers nach Abschnitt 1 oder eine Einzeltätigkeit nach Abschnitt 3 abrechnen konnte. Vereinzelt wurde vor diesem Hintergrund in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass mit Blick auf den Willen des Gesetzgebers die Gebühren eines Verteidigers entstehen würden (vgl. nur OLG Dresden – 2. Strafsenat -, Beschluss vom 6. November 2007 – 2 Ws 495/06 – und vom 6. November 2008 – 2 Ws 103/08 -, juris m.w.N.). Ausweislich der Begründung des zugrundeliegenden Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts sollten erstmals auch im Strafverfahren die Gebühren des Rechtsanwalts für seine Tätigkeit als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen gesetzlich geregelt werden. Die Gleichstellung mit dem Verteidiger sah der Gesetzgeber als sachgerecht an, weil die Gebührenrahmen ausreichend Spielraum bieten würden, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen. Bei der Bestimmung der konkreten Gebühr werde sich der Rechtsanwalt als Beistand für einen Zeugen oder Sachverständigen an dem üblichen Aufwand eines Verteidigers in einem durchschnittlichen Verfahren messen lassen müssen (BT-Drs. 15/1971, Seite 220).

Wie das Landgericht weiter zutreffend ausführt, ist der Versuch, den Meinungsstreit durch eine Klarstellung im Gesetzgebungsverfahren zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zu beenden, gescheitert. Nach dem dort zugrunde liegenden Entwurf der Bundesregierung sollte der gesetzgeberische Wille durch eine klarstellende Formulierung der Vorbemerkung 4 Abs. 1, die der Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG folgt, deutlicher zum Ausdruck gebracht werden [BT-Drs. 17/11741 (neu), Seite 281]. Die Vorbemerkung 5 Abs. 1 zu Teil 5 (Bußgeldsachen) lautete seinerzeit: „Für die Tätigkeit als Beistand … eines Zeugen … entstehen die gleichen Gebühren wie für einen Verteidiger in diesem Verfahren“. Diese Klarstellung ist indes am Widerstand des Bundesrates gescheitert, der es nicht für sachgerecht hielt, für die begrenzte Tätigkeit eines Zeugenbeistandes die gleichen Gebühren anzusetzen wie für das Wirken als Verteidiger (BR-Drs. 517/1/12, Seite 94 f.).

Bereits damit konnte nicht mehr von einem gesetzgeberischen Willen ausgegangen werden, den Zeugenbeistand wie einen Verteidiger zu vergüten, sondern der Gesetzeswortlaut und die Verlautbarungen des Gesetzgebers ließen auch eine Vergütung als Einzeltätigkeit zu.

Den Widerspruch zur Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG, hat der Gesetzgeber schließlich mit der Begründung zum Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 vom 21. Dezember 2020 (BGBl. I, 3229) aufgelöst. Mit dem Gesetz ist die Vorbemerkung 5 Abs. 1 VV RVG ihrerseits an die unverändert gebliebene Vorbemerkung 4 Abs. 1 VV RVG angeglichen worden. Zur Begründung hat der Gesetzgeber angeführt, dass im Hinblick darauf, dass die Beiordnung durch § 68b Abs. 2 StPO ausdrücklich auf die Dauer der Vernehmung beschränkt ist, es sachgerecht erscheine, den Zeugenbeistand wie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu vergüten, die keine Verteidiger sind und nur eine Einzeltätigkeit ausüben (BT-Drs. 19/23484, Seite 87). Für die Annahme, der Zeugenbeistand sei wie ein Verteidiger nach Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG zu vergüten, ist danach kein Raum mehr (vgl. auch unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung OLG Dresden – 2. Strafsenat -, Beschluss vom 15. Februar 2021 – 2 Ws 20/21).2

War klar, dass die Argumentation mit der Änderung/Anpassung der Vorbem. 5 Abs. 1 VV RVG kommen würde. Danke BMJV. Aber das macht die Entscheidung und die Auffassung, die für Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG plädiert, nicht richtig(er). Die Zeugenbeistände dürfen sich gern beim BMJV bedanken. Ich verstehe nicht, warum man nicht endlich die Regelungen so trifft, wie sie 2004 gedacht waren.

OWi I: Nochmals Leivtec XV 3 nicht standardisiert, oder: Einstellung und Wiederaufnahme

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Heute am letzten Novembertag kommen dann OWi-Entscheidungen.

Zunächst drei Entscheidungen zu Leivtec XV3, und zwar:

Da der Abschlussbericht der PTB in der Fassung vom 09.062021 nicht eindeutig erkennen lässt, unter welchen Messbedingungen sich Messwertabweichungen zu Ungunsten bzw. ausschließlich zu Gunsten Betroffener auswirken können, besteht nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung bei dem Messgerät Leivtec XV § keine hinreichende Gewähr mehr, für die Annahme eines standardisierten Messverfahrens und für die Zuverlässigkeit der erzielten Messerergebnisse. Konsequenz des Nichtvorliegens eines standardisierten Messverfahrens ist, dass sich das Amtsgericht im Einzelfall mittels sachverständiger Hilfe von der Richtigkeit der Messung überzeugen muss. Daher ist jedenfalls in den Fällen, in denen das Maß der Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Verurteilung führt, gegen die lediglich ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 OWiG gegeben ist, schon aus prozessökonomischen Gründen die Einstellung des Verfahrens sachgerecht.

Spätestens mit der Stellungnahme der PTB vom 9.6.2021 ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Messverfahren Leivtec XV 3 nicht mehr um ein standardisiertes Messverfahren im Sinn der Rechtsprechung des BGH handelt und somit neue Beweismittel im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO, § 85 OWiG vorliegen, die zur Wiederaufnahme des Verfahrens führen.

Wenn sich der Sachverständige und ein Mitarbeiter der Beklagten duzen, oder: Reicht das für eine Ablehnung?

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Dresden, Beschl. v. 31.08.2021 – 4 W 587/21 – geht es noch einmal u, die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit (vgl. dazu auch schon OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 18.08.2021 – 17 W 12/21 und dazu Ablehnung II: Tatsachen im Gutachten unvollständig, oder: Ist der Sachverständige deshalb befangen?).

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen einer Klage auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung. Das LG hat ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. T. M. eingeholt und ihn in der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2021 angehört. Nach Abschluss der Anhörung wurde die mündliche Verhandlung kurzzeitig unterbrochen. In dieser Zeit unterhielt sich der Sachverständige mit dem Chefarzt der Beklagten. Nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung stellte der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen, weil er sich nach Eintritt in die Pause freundschaftlich mit Herrn Dr. S. per Du unterhalten habe.

Das LG hat den Befangenheitsantrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde dagegen hatte keinen Erfolg:

„Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die in den Augen einer vernünftigen Partei geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken (vgl. Senat, Beschluss vom 12.12.2017 – 4 W 1113/16 – juris). Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber (vgl. Senat, a.a.O.; vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12 – juris). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Allein die berufliche Bekanntschaft zwischen einem medizinischen Sachverständigen und einem oder mehreren Behandlern der Beklagten in einem Arzthaftungsverfahren vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 18.04.2017 – 4 W 288/17 – juris). Ebenso wenig genügt eine persönliche Bekanntschaft. Entscheidend ist vor allem die Nähe der Beziehung (vgl. Senat, Beschluss vom 25.07.2019 – 4 W 610/19 – juris). Ein solches persönliches Näheverhältnis, dass aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte, ist hier aber nicht festzustellen.

Es kann unterstellt werden, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Sachverständigen und Herrn Dr. S. nach Rückkehr in den Gerichtssaal in freundschaftlich wirkender Pose dicht beieinander gestanden gesehen hat, wobei der eine zum Abschied kurz die Schulter des anderen berührt hat. Ein solches Beieinanderstehen mag aus der Sicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers freundschaftlich ausgesehen haben. Dies stellt jedoch ebenso wie das kurze Berühren der Schulter keine belastbare Tatsache dar, aus der auf ein enges Näheverhältnis geschlossen werden könnte.

Soweit die Rechtsreferendarin der Prozessbevollmächtigten des Klägers in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben hat, dass der Sachverständige seine mitgebrachten Unterlagen provokativ zugeklappt habe, als die Klägervertreterin mit der Befragung begonnen habe und der Tonfall ihr gegenüber auch deutlich härter und abweisender gewesen sei, wird dies schon durch die entgegenstehenden Beobachtungen der Mitglieder der Kammer des Landgerichts widerlegt. Ein abweisendes und hartes Auftreten gegenüber der Klägerseite durch den Sachverständigen konnte die Kammer nicht wahrnehmen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die bereits schriftsätzlich vorformulierten und durch die Kammer bereits gestellten Fragen mit verschiedenen Bezugnahmen und Umstellungen erneut gestellt. Mit zunehmender Dauer der Anhörung des Sachverständigen und der mehrfachen Wiederholung derselben Fragen habe der Sachverständige jedoch in zunehmendem Maße auf seine bereits getätigten Ausführungen verwiesen. Weder verächtliche Blicke noch Reaktionen konnte die Kammer wahrnehmen. Soweit die Rechtsreferendarin E. in ihrer eidesstattlichen Versicherung schilderte, dass sich der Sachverständige und der Chefarzt Dr. S. geduzt hätten und sie Sätze gehört habe wie: „Lass uns am Fenster reden.“, „Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.“ und „Ich wünsche dir eine schöne Woche.“ steht dies im Widerspruch zu den übereinstimmenden Angaben des Prof. Dr. M. und des Dr. S., die erklärten, weder persönlich bekannt noch befreundet und auch nicht per Du zu sein. Eine irgendwie gearteten Arbeitsbeziehung wurde von dem Sachverständigen ebenfalls verneint. Herr Dr. S. erklärte, dass er den Sachverständigen lediglich gebeten habe, Grüße an einen bekannten Kollegen von ihm ausrichten zu lassen. Es besteht kein Anlass, den Angaben der Rechtsreferendarin E. mehr Glauben zu schenken als denen des Sachverständigen und des Arztes der Beklagten Dr. S. Unabhängig davon würde auch die Verwendung der Anrede „Du“ für sich genommen nicht den Schluss auf ein besonderes Näheverhältnis rechtfertigen, das aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich auch nicht, in welchem Zusammenhang der Satz „Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.“ gefallen sein soll. Eine Verfahrensbezogenheit der Aussage ist nicht ersichtlich.“