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OWi II: Gespeicherte Bilddateien/Filme als Abbildung?, oder: Ordnungsgemäße Bezugnahme?

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen, die sich mit Lichtbildern und der Frage, wie die im Urteil darzustellen sind, auseinandersetzten. Allerdings gibt es dazu nur die Leitsätze, das die Fragen nun doch schon ziemlich „abgearbeitet“ sind. Es überrascht dann gerade deswegen dann aber doch, dass von den AG an der Stelle aber immer wieder/noch Fehler gemacht werden.

Hier sind dann also:

Die Urteilsgründe müssen im Fall der Identifizierung des Betroffenen anhand eine Lichtbildes vom Verkehrsverstß so gefaßt sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

1. Auf elektronischen Medien gespeicherte Bilddateien und Filme sind keine sich bei den Akten befindliche „Abbildungen“ im Sinne des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO.
2. Wird in den Urteilsgründen lediglich erwähnt, dass sich „aus den Bild- und Tonaufzeichnungen“ ergibt, dass ein bestimmter Verkehrsvorgang vorliegt, reicht das für eine wirksame Verweisung gem. §§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, 46 OWiG nicht aus.

Wie gesagt: Nichts Besonderes. Das hatte sich dann wohl auch das OLG Oldenburg gedacht, als es die Beschlussgründe im Grunde auf ein Zitat aus der BGHSt-Entscheidung beschränkt hat. Na ja.

 

Pflichti I: Neues zum Pflichtverteidierwechsel, oder: Dauer der Bestellung, neuer Verteidiger, Rechtsmittel

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Und heute dann ein „Pflichti-Tag“. Wenn ich es richtig sehe, ist es der erste in 2024.

Und den eröffne ich mit einigen Entscheidungen zum Pflichtverteidigerwechsel und den damit zusammenhängenden Frage. Vier von den fünf Entscheidungen kommen vom BGH, eine vom OLG Braunschweig. Ich stelle hier nur die Leitsätze ein, den Rest dann bitte ggf. im verlinkten Volltext selbst lesen.

Im Einzelnen:

Für die Anwendung der Regelung des § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Möglichkeit für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren enthält, muss zumindest ein neuer Verteidiger bezeichnet werden.

Zwar endet die Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 143 Abs. 1 StPO grundsätzlich mit rechtskräftigem Verfahrensabschluss. Für Nachtragsverfahren wie das über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionseinlegungs- oder Revisionsbegründungsfrist sowie das Anhörungsrügeverfahren nach § 356a StPO gilt die Pflichtverteidigerbestellung indes fort.

Wird die Bestellung eines Pflichtverteidigers allein deshalb gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO aufgehoben, weil sich ein Wahlverteidiger gemeldet hat, ist im Falle der Beendigung seines Mandats zur Vermeidung einer Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen für einen Verteidigerwechsel regelmäßig der frühere Pflichtverteidiger wieder zu bestellen.

Zur Auslegung einer Eingabe als mögliches Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Auswechselung des Pflichtverteidigers bzw. als „Neuantrag“.

1. Der Rechtsmittelausschluss des § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO soll auf Fälle abstellen, die offenkundig der Regelung des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO unterfallen und damit im Sinne der Verfahrensbeschleunigung zu einer schnellen „Abhilfeentscheidung“ durch die Ausgangsinstanz führen.

2. Bezeichnet ein Beschuldiger innerhalb der Frist des § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO keine Verteidigerin oder keinen Verteidiger, liegt die Auswahl der beizuordnenden Person zwar bei dem Gericht, welchem dabei ein Auswahlermessen zukommt. Das Auswahlermessen ist jedoch auf Null reduzier, wenn ggf. ein besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschudlgiten und einem Rechtsanwalt besteht. Ob ein besonderes Vertrauensverhältnis  besteht, ist anhand der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen und hängt unter anderem von der bisherigen Dauer des Wahlmandats, einer bereits erfolgten Verteidigung in anderer Sache sowie der Häufigkeit und Intensität des Kontakts ab.

Verkehrsrecht I: Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis

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Und in die 2. KW., zu deren Beginn ich möglichst wenig Behinderungen durch die „Bauernproteste“ wünsche, starte ich dann mit verkehrsrechtlichen Entscheidungen.

Ich beginne hier mit zwei OLG-Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter, einer der derzeitigen verkehrsrechtlichen Dauerbrenner. Ich stelle, da ich zu den damit zusammenhängenden Fragen ja schon häufiger berichtet habe, hier allerdings nur die Leitsätze der beiden Entscheidungen vor. Die Einzelheiten dann bitte den verlinkten Volltexten entnehmen:

1. Für Führer eines als Elektrokleinstfahrzeug einzuordnenden E-Scooters kann zur Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit jedenfalls der für Fahrradfahrer geltende BAK-Grenzwert herangezogen werden.

2. Die Nutzung eines solchen E-Scooters an sich kann weder ein Absehen von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründen noch ist sie stets als mildernder Umstand für die An-nahme eines Ausnahmefalles von dieser zu werten. Ob ausnahmsweise von der Regelvermutung abzusehen ist, hängt jeweils von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab.

Ausführungen, die sich im Wesentlichen auf die allgemeine Betrachtung der Besonderheiten von sog. E-Scootern beschränken und die Würdigung der Umstände des Einzelfalles im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung vermissen lassen, werden den Anforderungen an die Begründung eines Abweichens vom Regelfall betreffend die Entziehung der Fahrerlaubnis bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Scooter nicht gerecht.

 

 

 

 

Bewährung II: Nachträgliche Erfüllung der Auflage, oder: Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung?

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Als zweite Entscheidung dann etwas zum Widerruf der Bewährung, aber: Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar Absehen vom Widerruf nach nachträglicher Auflagenerfüllung.

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.09.2023 – 1 Ws 166/23 :

„…..Darüber hinaus ist sie teilweise begründet.

a) Die Voraussetzungen für einen Widerruf der mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20. September 2021 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung liegen nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB vor. Danach widerruft ein Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person wie hier gröblich oder beharrlich gegen eine Auflage verstößt.

Der Verurteilte hat in der Zeit nach dem 21. August 2022 bis Ende Juli 2023 keine Zahlungen auf die ihm mit Beschluss vom 20. September 2023 erteilte  zulässige Zahlungsauflage geleistet, obwohl er seitens des Landgerichts auf diese Auflage sowie ausgebliebene Zahlungen, insbesondere auch nach der Zahlung vom 21. August 2022, hingewiesen worden ist. Dadurch hat er gröblich und beharrlich gegen die erteilte Zahlungsauflage verstoßen.

Dieser Verstoß war auch schuldhaft, insbesondere war der Verurteilte zahlungsfähig. Er konnte bis August 2021 die Zahlungen leisten und sich Ende des Jahres 2022 eine mehrmonatige Reise in die Türkei leisten, ohne seine Wohnung in Deutschland aufgeben zu müssen. Einer Leistung der Zahlungen stand auch nicht der Aufenthalt des Verurteilten in der Türkei entgegen, zumal der Verurteilte bereits vorher mehrere Monate gegen die Auflage gröblich und beharrlich  verstoßen hatte. Denn er hätte die Zahlungen auch von der Türkei aus ausführen können oder für deren Ausführung von dort durch Dritte sorgen müssen. Für seine Zahlungsfähigkeit spricht auch, dass es dem Verurteilten nach seiner Rückkehr aus der Türkei möglich war, die Auflage durch Zahlung von zwei nicht unerheblichen Beträgen in Höhe von 350,- und 1.000,¬€ vollständig zu begleichen.

Die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wäre deshalb grundsätzlich  wie zunächst zutreffend vom Landgericht Braunschweig beschlossen  zu widerrufen gewesen. Allein die nachträgliche und vollständige Erfüllung der Zahlungsauflage steht einem Widerruf  aufgrund des bereits eingetretenen Verstoßes gegen die Auflage nicht entgegen (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004  2 Ws 190/04 , Rn. 17, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. Oktober 1980 1 Ws 600/80 , juris).

b) Vorliegend genügt es aber, die Bewährungszeit als mildere Maßnahme um ein Jahr zu verlängern.

Nach § 56f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB sieht ein Gericht von einem Widerruf ab, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

„Letztlich reicht jedoch die als gegenüber dem Widerruf mildere Maßnahme der Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr vorliegend aus (§ 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB), ein Widerruf der Strafaussetzung dürfte sich demgegenüber nunmehr als unverhältnismäßig darstellen.

Eine Verlängerung der Bewährungszeit ist bei der vorliegenden Widerrufskonstellation auch dann zulässig, wenn sie weder zu spezialpräventiven Zwecken noch zu dem Zweck, die Ratenzahlung auf eine noch unerfüllte Auflage innerhalb der Bewährungszeit zu ermöglichen, erfolgt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004 – 2 Ws 190/04 -, juris, Rn. 21f.). Die Bewährungszeit kann trotz der unterschiedlichen Zwecke von Auflagenerteilung und Bemessung der Bewährungszeit auch dann gemäß § 56 f Abs. 2 StGB verlängert werden, wenn Grund für den Widerruf der Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 StGB der Verstoß gegen eine Auflage ist, die der Verurteilte nachträglich vollständig erfüllt hat (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., – Leitsatz ). Trotz des funktionalen Unterschiedes kann auf den Verstoß gegen eine inzwischen erledigte Auflage mit einer Verlängerung der Bewährungszeit reagiert werden (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O.; im Erg. ebenso OLG Koblenz in NStZ 1981, 101 – Leitsatz ).

Eine spürbare Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr reicht hier aus, erscheint aber angesichts der erheblichen Verzögerungen in der Auflagenerfüllung und dem Gewicht des entsprechenden Schuldvorwurfs auch geboten und deshalb im beantragten Umfang verhältnismäßig.“

Dem schließt sich der Senat an. Der Verurteilte hat nach Einreichung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Einlegung der sofortigen Beschwerde die Zahlungsauflage noch innerhalb der mit Beschluss vom 20. September 2021 festgesetzten Bewährungszeit vollständig erfüllt und damit nachträglich die Genugtuung für das begangene Unrecht in dem vollen vom erkennenden Landgericht für erforderlich erachteten Umfang geleistet. Weitere Gesichtspunkte  die für einen Widerruf der Strafaussetzung sprechen könnten  sind nicht ersichtlich. Daher genügt es, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern.“

Corona II: Judenstern mit Aufschrift „nicht geimpft“, oder: Keine Volksverhetzung

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Und als zweite Entscheidung zum „Corona-Komplex“ dann noch das OLG Braunschweig, Urt. v. 07.09.2023 – 1 ORs 10/23 – ebenfalls zur Volksverhetzung (§ 130 StGB).

Das AG hatte den Angeklagten mit Urteil v. 01.08.August 2022 von dem Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 3 StGB) freigesprochen. Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

„„Der Angeklagte postete am 18.11.2020 willentlich auf seinem Facebook-Profil unter dem Nutzernamen …. eine Abbildung mit einem gelbfarbenen sechseckigen Stern mit der Aufschrift „NICHT GEIMPFT“ auf hellblauem rechteckigen Hintergrund, der wiederum auf einem schwarzen Hintergrund mit der Überschrift „beginnen“ abgebildet war. Der Angeklagte war zuvor über die Internetsuchpräsenz Google auf die dort aufzufindende verfahrensgegenständliche Abbildung, die als Aufdruck für T-Shirts angeboten wurde, aufmerksam geworden und lud sie anschließend als Beitrag auf seinem Facebook-Profil hoch. Der Angeklagte wollte durch den Beitrag auf seinem Facebook-Profil auf sich aufmerksam machen und sich selbst und seine durch die zur Tatzeit geltenden Beschränkungen durch die Landesverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geprägte Lebenssituation darstellen, obwohl ihm die Bedeutung des sogenannten „Judensterns“ aus dem Geschichtsunterricht bekannt war.

Im Nachgang zur Tat erhielt der Angeklagte ihn anfeindende Reaktionen über die Plattform Facebook, in denen er teilweise auch als „Nazi“ betitelt wurde. Der Angeklagte löschte den Beitrag mit dem „Judenstern“ kurze Zeit nach seiner verantwortlichen Vernehmung bei der Polizei am 18.08.2021. Im weiteren Verlauf wurde der Facebook-Auftritt des Angeklagten durch die Plattformbetreiber gesperrt.“

Dagegen die (Sprung)Revision der StA, die keinen Erfolg hatte. Auch hier stelle ich nur die Leitsätze des OLG ein und verweise wegen der Begründung auf den Volltext:

1. Die Verwendung des „Judensterns“ unter Ersetzung des Wortes „Jude“ durch die Wörter „nicht geimpft“ erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB nicht, da die Verpflichtung der Juden zum Tragen des Judensterns, die durch die „Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden“ vom 1. September 1941 eingeführt wurde, für sich genommen noch keinen Völkermord im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 VStGB darstellt; die Kennzeichnung einer Gruppe ist juristisch von der „auf körperliche Zerstörung gerichteten lebensgefährlichen Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen“ zu trennen.

2. Die bloße Verwendung des „Ungeimpft-Sternes“ in einem – ggf. auch öffentlich zugänglichen – Facebook-Profil erfüllt ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB, da es an der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens fehlt.

3. Anschluss: KG, Urt. v. 11.05.2023 – (4) 121 Ss 124/22 (164/22); KG, Beschl. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22); OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.3.2021 – Ss 72/2020 (2/21)