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Pflichti I: Neues zum Pflichtverteidierwechsel, oder: Dauer der Bestellung, neuer Verteidiger, Rechtsmittel

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Und heute dann ein „Pflichti-Tag“. Wenn ich es richtig sehe, ist es der erste in 2024.

Und den eröffne ich mit einigen Entscheidungen zum Pflichtverteidigerwechsel und den damit zusammenhängenden Frage. Vier von den fünf Entscheidungen kommen vom BGH, eine vom OLG Braunschweig. Ich stelle hier nur die Leitsätze ein, den Rest dann bitte ggf. im verlinkten Volltext selbst lesen.

Im Einzelnen:

Für die Anwendung der Regelung des § 143a Abs. 3 StPO, der eine vereinfachte Möglichkeit für den Pflichtverteidigerwechsel im Revisionsverfahren enthält, muss zumindest ein neuer Verteidiger bezeichnet werden.

Zwar endet die Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 143 Abs. 1 StPO grundsätzlich mit rechtskräftigem Verfahrensabschluss. Für Nachtragsverfahren wie das über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionseinlegungs- oder Revisionsbegründungsfrist sowie das Anhörungsrügeverfahren nach § 356a StPO gilt die Pflichtverteidigerbestellung indes fort.

Wird die Bestellung eines Pflichtverteidigers allein deshalb gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO aufgehoben, weil sich ein Wahlverteidiger gemeldet hat, ist im Falle der Beendigung seines Mandats zur Vermeidung einer Umgehung der gesetzlichen Voraussetzungen für einen Verteidigerwechsel regelmäßig der frühere Pflichtverteidiger wieder zu bestellen.

Zur Auslegung einer Eingabe als mögliches Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Auswechselung des Pflichtverteidigers bzw. als „Neuantrag“.

1. Der Rechtsmittelausschluss des § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO soll auf Fälle abstellen, die offenkundig der Regelung des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO unterfallen und damit im Sinne der Verfahrensbeschleunigung zu einer schnellen „Abhilfeentscheidung“ durch die Ausgangsinstanz führen.

2. Bezeichnet ein Beschuldiger innerhalb der Frist des § 142 Abs. 5 Satz 1 StPO keine Verteidigerin oder keinen Verteidiger, liegt die Auswahl der beizuordnenden Person zwar bei dem Gericht, welchem dabei ein Auswahlermessen zukommt. Das Auswahlermessen ist jedoch auf Null reduzier, wenn ggf. ein besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beschudlgiten und einem Rechtsanwalt besteht. Ob ein besonderes Vertrauensverhältnis  besteht, ist anhand der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen und hängt unter anderem von der bisherigen Dauer des Wahlmandats, einer bereits erfolgten Verteidigung in anderer Sache sowie der Häufigkeit und Intensität des Kontakts ab.

StPO III: Der gemeinschaftliche Nebenklägerbeistand, oder: Ermessen für das „Wann“ und das „Wen“

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Die dritte und letzte Entscheidung hat auch eine Frage in Zusammenhang mit der Nebenklage zum Inhalt, und zwar zum (neuen) § 379b StPO. Geregelt/vorgesehen ist in der Vorschrift der „gemeinschaftliche Nebenklägerbeistand“, den das „Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens v. 10.12.2019“ (BGBl I, S. 2121) eingeführt hat (vgl. wegen der Einzelh. Burhoff ZAP F 22, S. 1009, 1025 ff. – Modernisierung des Strafverfahrens – Teil 2 Hauptverhandlung). Danach kann, wenn mehrere Nebenkläger gleichgelagerte Interessen verfolgen, ihnen das Gericht einen gemeinschaftlichen Rechtsanwalt als Beistand bestellen.

Zu dessen Auswahl hat das OLG Karlsruhe im Beschl. v. 08.05.2020 – 2 Ws 94/20 – Stellung genommen. Ich stelle hier aus dem doch rcht umfangreich begründeten Beschluss nur die Leitsätze vor, ggf. bitte im Volltext nachlesen:

1. Die Regelung des § 397b StPO ist als Kann-Vorschrift ausgestaltet und belässt dem Gericht sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen. Gleichgelagerte Interessen werden nach der ausdrücklichen gesetzlichen Vorgabe in § 397b Absatz 1 Satz 2 StPO in der Regel bei Nebenklägern anzunehmen sein, die nahe Angehörige desselben Getöteten sind (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO).

2. Nicht jeder Interessenunterschied begründet schon einen Interessenwiderstreit. Gleichgelagerte Interessen im Sinne der Neuregelung setzen keine Interessengleichheit oder vollständige Einigkeit der Nebenkläger voraus. Unterschiedlich weit gehende Interessen verschiedener Nebenkläger stehen der Annahme gleichgelagerter Interessen nicht entgegen.

3. Bei der gemäß § 397b Abs. 1 StPO zu treffenden Auswahlentscheidung sind nach der Intention des Gesetzgebers weder eine „Waffengleichheit“ der einzelnen Nebenkläger noch ein „besonderes Vertrauen“ zum selbst gewählten Beistand bestimmende Gesichtspunkte. Im Gegensatz zur in § 142 StPO n.F. geregelten Auswahl des zu bestellenden Pflichtverteidigers, bei welcher der bezeichnete Verteidiger regelmäßig zu bestellen ist, kommt dem objektiven Vorliegen gleichgelagerter Interessen der verschiedenen Nebenkläger maßgebliche Bedeutung zu. Eine Bindung des Gerichts an die jeweilige Wahl der verschiedenen Nebenkläger würde der gesetzlichen Regelung, mehreren Nebenklägern einen vom Gericht zu bestimmenden gemeinschaftlichen Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, ersichtlich zuwiderlaufen. Einen übereinstimmenden Antrag der betroffenen Nebenkläger hinsichtlich des auszuwählenden Nebenklägervertreters sieht das Gesetz gerade nicht vor.