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Raub/Erpressung im Knast

© ogressie Fotolia.cm

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Dass das Leben im Knast kein Urlaub ist, wissen wir alle. Und wir hören auch immer wieder von der dort vorhandenen „Subkultur“ und/oder von Übergriffen von Gefangenen auf andere. Mit einem „Ableger“ aus diesem Bereich hatte jetzt vor kurzem das OLG Bamberg zu tun. In dem dem OLG Bambwerg, Beschl. v. 29.09. 2015 – 3 OLG 7 Ss 96/15 – zugrunde liegenden Verfahren war der Angeklagte wegen versuchter räuberischer Erpressung verurteilt worden. Grundlage waren die Feststellungen des LG, wonach der Angeklagte von ihm verfasste Drohbriefe einem Mitgefangenen „in der Absicht zukommen [ließ], diesen zur Zahlung offener Kaufpreisforderungen in Höhe von insgesamt 320 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 80 € täglich für den Fall nicht fristgerechter Erfüllung der Hauptforderung bis zum 22.01.2014 zu veranlassen, die daher rührten, dass der Angeklagte an den Mitgefangenen zuvor „innerhalb der Justizvollzugsanstalt verbotenerweise Mobiltelefone verkaufte“, wobei er „seiner Zahlungsaufforderung durch die in den Briefen enthaltenen Drohungen massiv Nachdruck verleihen wollte“. Dem Angeklagten sei es „mit diesen Drohungen“ darauf angekommen, „dass der Geschädigte […] um Leib und Leben fürchtete und zur Abwendung der in Aussicht gestellten Übel die geforderte Geldsumme zzgl. der geforderten Zinsen zahlt“.

Das LG hatte darin eine versuchte räubersiche Erpressung gesehen. Soweit es um die Geltendmachung der Kaufpreisforderung geht, rechtfertigen nach seiner Auffassung diese Feststellungen nicht ein für die Annahme eines für einen entsprechenden Tatentschluss unverzichtbares vorsätzliches Handeln des Angeklagten im Hinblick auf das objektive Merkmal der Nachteilszufügung (vgl. § 253 Abs. 1 StGB). Es fehle insoweit an einem Vermögensschaden, weil durch die Erfüllung eines bestehenden Anspruchs die entsprechende Verpflichtung des Käufers aus § 433 Abs. 2 BGB in gleicher Höhe gemäß § 362 Abs. 1 BGB erlischt.

a) Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn ein Anspruch nicht bestanden hätte. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn der vom Landgericht zugrunde gelegte Kaufvertrag über die Mobiltelefone nichtig gewesen wäre. Hierfür gibt es indes nach den tatrichterlichen Feststellungen keinen Anhaltspunkt. Insbesondere scheidet eine Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gemäß § 134 BGB – anders als bei den noch vom Amtsgericht angenommenen Betäubungsmittelgeschäften, deren Unwirksamkeit ohne weiteres aus § 134 BGB in Verbindung mit dem Betäubungsmittelgesetz resultiert – von vornherein aus. Eine gesetzliche Vorschrift, welche Kaufverträge zwischen Strafgefangenen generell verbieten würde, existiert gerade nicht. Sie kann insbesondere auch nicht aus dem Bayerischen Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayerisches Strafvollzugsgesetz – BayStVollzG) abgeleitet werden.

b) Zwar dürfen Gefangene gemäß Art. 90 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG „nur Sachen in Gewahrsam haben oder annehmen, die ihnen von der Anstalt oder mit ihrer Zustimmung überlassen werden“. Ferner ist es ihnen nach Art. 90 Abs. 1 Satz 2 BayStVollzG untersagt, Sachen abzugeben oder anzunehmen, „außer solche von geringem Wert“.

c) Schon der Wortlaut der Bestimmung macht allerdings deutlich, dass es dem Gesetzgeber allein darum ging, den mit dem Sachbesitz an der persönlichen Habe verbundenen vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten im Interesse der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Anstalt effektiv dadurch zu begegnen, dass während des Vollzugs der Haft jeglicher unkontrollierter unmittelbaren Gewahrsams- bzw. Besitzübertragung auch und gerade unter den Gefangenen entgegen gewirkt werden soll.

d) Indessen kann Art. 90 Abs. 1 BayStVollzG ein dem Abschluss eines Kaufvertrages zwischen Gefangenen entgegen stehendes gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB und damit die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts gerade nicht entnommen werden. Art. 90 BayStVollzG normiert nach seinem klaren Wortlaut kein allgemeines Handels- und Geschäftsverbot unter Gefangenen, mag auch die auf Vermeidung subkulturellen Tauschhandels und vergleichbarer Tätigkeiten und hieraus entstehender Abhängigkeiten gerichtete Intention des Gesetzgebers bei Etablierung des Gesetzes hiervon mitbestimmt gewesen sein. Wie vor allem Art. 90 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 90 Abs. 1 Satz 3 BayStVollzG verdeutlicht, verpflichtet das Gesetz zwar den Gefangenen in den dort genannten Fällen dazu, die (vorherige) Zustimmung der Vollzugsbehörde einzuholen. Nachdem aber Gegenstand des Erlaubnisvorbehalts allein die tatsächliche Sachherrschaft des Gefangenen bleibt (vgl. Beck-OK/Arloth BayStVollzG [Stand: 15.02.2015] Art. 90 Rn. 2: „Der Zustimmungsvorbehalt begründet ein Besitzverbot bezüglicher aller Gegenstände, die dem Gefangenen nicht durch die Anstalt oder mit ihrer Zustimmung überlassen wurden, soweit nicht die Ausnahme des Satzes 2 eingreift“ und derselbe StVollzG 3. Aufl. [2011] § 83 Rn. 2), beschränkt es ihn nicht darin, rechtsgeschäftlich erhebliche und damit bindende (Willens-) Erklärungen abzugeben, gleichgültig, ob sich ihr (gering- oder hochwertiges) Bezugsobjekt innerhalb oder außerhalb der Anstalt befindet (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.08.1990 – 1 Vollz (WS) 7/90 = NStZ 1991, 208; siehe auch schon OLG Koblenz, Beschluss vom 25.08.1988 – 2 Vollz [Ws] 43/88 [bei juris] = ZfStrVo 1989, 313 und OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.02.1982 – 3 Ws 3/82 = NStZ 1982, 351; vgl. im gleichen Sinne Ver- rel in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel StVollzG 12. Aufl. [2015] § 82 [Bund] M Rn. 18 ff., insbesondere Rn. 25 a.E.; AK-StVollzG/Feest/Köhne Aufl. [2012] § 83 Rn. 2 a.E. und Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal StVollzG 6. Aufl. [2013] § 83 Rn. 2 und 4).“

Der entkleidete Gefangene, oder: Guantanamo ist wohl doch überall

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Die vorhin gestellte Frage, warum manche Dinge erst vom OLG entschieden werden (vgl: Die Besuchserlaubnis für die (mitangeklagte) Verlobte – warum erst vom OLG?), kann man noch toppen und fragen: Und warum ist manches so schwierig (?), dass erst das BVerfG die Lösung findet oder, um es salopp auszudrücken: Ran muss und dem jeweiligen Betroffenen zu seinem Recht verhelfen muss, obwohl die Lösung an sich auf der Hand liegen müsste. Ein Paradebeispiel ist dafür der BVerfG, Beschl. v. 05.03.2015 – 2 BvR 746/13, den man unter die Überschrift einordnen kann: Guantanamo ist wohl überall. Aufmerksam gemacht worden bin ich auf die Entscheidung in Zusammenhang mit dem Posting Causa Middelhoff, oder: Guantanamo ist vielleicht gar nicht so weit weg. Besten Dank an den „Informanten“.

Und es stimmt: Es ist nicht weit weg, sondern die Geschichte spielt in der JVA Gera, also in Thüringen. Der Gefangene, der dann später Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, war bis April 2014 in der JVA Mannheim inhaftiert. Am 06. 09. 2011 wurde er für eine Zeugenvernehmung in einem Verfahren vor dem AG Altenburg in die JVA Gera überstellt. Während der Zeit in der JV Gera erhielt er Besuch von seiner Großmutter. Jeweils kurz vor der Besuchsdurchführung und vor der Vorführung bei Gericht durchsuchten ihn Beamte der JVA. Nach seinen Angaben musste er sich bis auf die Unterhose ausziehen und seine Kleidung zur Kontrolle an einen Beamten weiterreichen. Danach musste er die Arme heben. Schließlich wurde er aufgefordert, die Unterhose herunterzuziehen, so dass seine unverdeckten Genitalien und nach einer Drehung auch seine unverdeckte Rückenansicht in Augenschein genommen werden konnten. Der Gefangene hat dann gegenüber dem Leiter der JVA beanstandet, dass er vor der Besuchsdurchführung einer mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung unterzogen worden sei. Für die Durchsuchung sei ihm kein Grund genannt worden. Auch sei ihm auf Nachfrage mitgeteilt worden, dass eine einzelfallbezogene Anordnung des Anstaltsleiters nicht vorliege. Vielmehr würden Durchsuchungen vor und nach jedem Kontakt mit Besuchern aufgrund einer allgemeinen Anordnung des Anstaltsleiters vorgenommen. Das BVerfG habe jedoch entschieden, dass eine Anordnung auf der Grundlage des § 84 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StVollzG jedenfalls nicht zur Durchsuchung aller oder fast aller Gefangenen vor jedem Besuchskontakt und damit nicht zu einer Durchsuchungspraxis führen dürfe, die das Strafvollzugsgesetz aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich nur in den Konstellationen des § 84 Abs. 3 StVollzG erlaube.

Und dann geht es los: Die Thüringer Justiz – das LG Gera – war der Auffassung, eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung liege nicht vor, wenn der Gefangene zwar seine Kleidung komplett ablegen, seine Unterhose indes „lediglich herunter-, aber nicht vollständig ausziehen“ müsse. Dass der Gefangene hierbei „vorübergehend unbekleidet“ sei, sei unerheblich. Denn eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung sei nur dann gegeben, „wenn der Bedienstete der Anstalt nach der Entkleidung den Gefangenen zunächst auffordere, die Arme zu heben, sich zu bücken, den Mund zu öffnen, sich zu drehen, sich in die Ohren oder Nase blicken zu lassen, den Kopf zu senken und die Haare zu schütteln“. Der Prozessbevollmächtigte des Gefangenen findet das „kreativ“ und geht zum OLG, wo aber aus formalen Gründen die Rechtsbeschwerde scheitert und PKH abgelehnt wird.

Das sieht dann das BVerfG anders und schreibt mit einem schönen Gruß an das OLG Jena:

„Die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe stelle eine unzulässige Verkürzung des Rechtswegs dar. Bei der in Streit stehenden Untersuchungspraxis der Thüringer Justizbehörden handele es sich zweifelsfrei um eine rechtswidrige Anwendung materiellen Strafvollzugsrechts bei der Auslegung des § 84 StVollzG. Dies sei ein schwerer Rechtsfehler, der die Rechtsbeschwerde zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zulässig mache. Für die Intensität des Grundrechtseingriffs mache es keinen Unterschied, ob die Entkleidung Zweck oder Folge der Maßnahme der Justizvollzugsanstalt sei.“

Und in der Sache. Nun, das BVerfG setzt das „Kreativität“ des LG Grenzen und sieht die Rechte des Verurteilten verletzt, denn:

„….Jedenfalls die explizite visuelle Kontrolle des Körpers des Gefangenen muss jedoch für die Bejahung einer ‚körperlichen Durchsuchung‘ im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG ausreichen. Zudem ist § 84 Abs. 2 StVollzG hinsichtlich des Entkleidungsgrades mindestens dann einschlägig, wenn die Genitalien des Gefangenen – unabhängig von der zeitlichen Dauer – entblößt werden müssen, da die visuelle Kontrolle dieser Körperteile durch Andere eine der schwerwiegendsten, mit einer Entkleidung verbundenen Beeinträchtigungen des menschlichen Schamgefühls darstellt….

c) Mit der Annahme, eine körperliche Durchsuchung im Sinne des § 84 Abs. 2 StVollzG liege nur dann vor, wenn der Bedienstete der Anstalt nach der Entkleidung den Gefangenen zunächst auffordere, die Arme zu heben, sich zu bücken, den Mund zu öffnen, sich zu drehen, sich in die Ohren und Nase blicken zu lassen, den Kopf zu senken und die Haare zu schütteln, hat das Landgericht diesen eindeutigen Sinn der vom Gesetzgeber getroffenen differenzierten, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichteten Regelung verkannt. Auch die Annahme, es handele sich jedenfalls – selbst wenn der Beschwerdeführer seine Unterhose herunterziehen müsse und seine unbedeckten Genitalien und seine unbedeckte Rückenansicht kontrolliert würden – nicht um eine mit Entkleidung verbundene Durchsuchung im Sinne von § 84 Abs. 2 StVollzG, lässt sich mit den dargestellten Grundsätzen nicht vereinbaren und die verfassungsrechtlich gebotene Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschwerdeführers vermissen. Die vom Landgericht ebenfalls zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Umstände, dass weder Unbefugte im Untersuchungsraum anwesend gewesen seien noch Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass der Beschwerdeführer willkürlich oder diskriminierend behandelt worden sei, sind zwar notwendige, jedoch in keiner Weise hinreichende Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der erfolgten Durchsuchung.“

Und was sagt man nun dazu, wenn man die Worte wieder gefunden hat? Einmal: Warum erst das BVerfG? Und: Unerklärlich/unfassbar, dass nicht nur die JVA, sondern auch das LG, das OLG und das Justizministerium Thüringen die vom BVerfG als unhaltbar angesehene Rechtsauffassung bis zum Schluss hartnäckig vertreten und verteidigt haben! Und zum Schluss: Guantanamo ist wohl doch überall.

Ich habe mal wieder eine Frage: Wie oft darf ich meinen Mandanten in der JVA besuchen? oder: Besuchstagekatalog?

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Zu den Problemen, die es gibt, die man aber nicht braucht, gehört die Frage/Problematik, wie häufig der (Pflicht)Verteidiger seinen Mandanten besuchen darf? Sie spielt in der Praxis im Rahmen der Vergütungsfestsetzung immer wieder eine Rolle, obwohl man sich häufig fragt, warum eigentlich und/oder, ob der jeweilige Rechtspfleger eigentlich der „Richtige“ ist, um dieses Fass aufzumachen. So m.E. auch in dem dem AG Backnang, Beschl. v. 04.03.2014 – 2 Ls 22 Js 43421/13 – zugrunde liegenden Verfahren. Der Verteidiger besucht den Mandanten in fast sechs Monaten Untersuchungshaft – §§ 121, 122 StPO lassen grüßen – sieben Mal. Was soll daran, möchte man den Rechtspfleger fragen, zu viel sein?. Das ist gerade mal etwas mehr als durchschnittlich ein Besuch im Monat. Wenn man die (allgemeinen) Erschwernisse der Untersuchungshaft und u.a. den schweren Vorwurf in dem Verfahren: sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, berücksichtigt, m.E. sicherlich angemessen und nicht zu beanstanden. Oder weiß der Rechtspfleger es besser? Aber vielleicht geht es darum, der Staatskasse die immerhin 18,53 € brutto zu retten, um die es an zusätzlicher Vergütung für diese beiden Besuche ging? So leer können die Kassen aber doch nicht sein, oder?

Das AG Backnang hat auf die Beanstandung m.E. die richtige Antwort gefunden, wenn es – übrigens auf der Grundlage der h.M. – von Folgendem ausgeht:

  • Es liegt grundsätzlich im Ermessen des Verteidigers, wie viele Gespräche jeweils mit dem Mandanten zur Vorbereitung des Prozesses notwendig sind.
  • Eine gerichtliche Zweckmäßigkeitskontrolle der verfahrensvorbereitenden Schritte des Verteidigers ist gesetzlich nicht vorgesehen, das Gericht hat die Erwägungen des Verteidigers hinsichtlich der Erforderlichkeit von Haftbesuchen nicht durch eigene Erwägungen zu ersetzen. Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass es im Ermessen des Verteidigers liegt, wie viele Besuche er bei seinem Mandanten für erforderlich hält.
  • Hält die Staatskasse dennoch die Kosten für mehrere Besuche des Pflichtverteidigers in der JVA nicht für erstattungsfähig, so obliegt ihr die Beweislast dafür, dass die hierdurch entstandenen Kosten zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Parteien nicht erforderlich waren. Nur wenn sich greifbare Anhaltspunkte für einen Missbrauch der Verpflichtung des Pflichtverteidigers zur kostensparenden Prozessführung ergeben, ist anstelle der Staatskasse der Verteidiger darlegungs- und beweispflichtig.
  • Die Frage, wann der Verteidiger die Grenze zum Missbrauch überschreitet, kann nur anhand des jeweiligen Einzelfalles geprüft werden. Bei allen Haftverfahren ist jedoch zu berücksichtigen, dass einer Inhaftierung in aller Regel erhebliche Tatvorwürfe zugrunde liegen und der inhaftierte Beschuldigte im Verurteilungsfalle mit einer erheblichen Freiheitsstrafe rechnen muss.
  • Das Gericht neigt zu der Auffassung zu, dass Besuche in einem zweiwöchigen Rhythmus, insbesondere wenn diese mit Besuchen anderer inhaftierten Mandanten verbunden werden, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht als missbräuchlich anzusehen sind. Ein solcher Maßstab könnte auch bei der Verbescheidung von Anträgen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 RVG zugrunde gelegt werden.

Und: Geschickt umschifft das AG ein „Abweichen“ von der Auffassung des (wohl „übergeordneten“) LG Stuttgart im LG Stuttgart, Beschl. v. 31. 07. 2012 – 14 Qs 8/12 (vgl. dazu: Wie oft darf der Verteidiger den Mandanten in der JVA besuchen?). Wenn man den liest, könnte man schon der Auffassung sein, dass das LG ggf. anderer Auffassung als das AG sein könnte. Denn das LG hatte (nur) fünf Besuche n während viermonatiger Untersuchungshaft anerkannt, acht hingegen als zu viel angesehen. Die Klippe umschifft das AG, wenn es meint, dass dann aber sieben Besuche bei beinahe sechsmonatiger Untersuchungshaft jedenfalls nicht missbräuchlich sein können. Und – auch zutreffend: „Darüber hinaus lässt sich der Entscheidung nach hiesigem Dafürhalten nicht entnehmen, dass die dort akzeptierten fünf Besuche eine allgemeine Obergrenze für sämtliche Haftverfahren darstellen sollen. Eine solche Obergrenze ist gesetzlich nicht vorgesehen.“ Wie soll das auch gehen? Ein Besuchstagekatalog?

Wenn es um „Zeug“ oder „Waschpulver“ geht, werden die JVA-Beamten schon eingreifen

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Nicht „Der Besuch der alten Dame“, sondern der Besuch der Lebensgefährtin in der JVA war Gegenstand des OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.11.2013 – 3 Ws 343/13. Der Angeklagte sitzt aufgrund eines auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls wegen des dringenden Verdachtes des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Untersuchungshaft. Er beantragt die Aufhebung der Besuchssperre für seine Lebensgefährtin. Der Vorsitzende der Strafkammer lehnt den Antrag mit der Begründung ab, die Lebensgefährtin sei selbst Beschuldigte in einem Ermittlungsverfahren, welches in engem Zusammenhang mit dem vorliegenden Strafverfahren stehe.

Die Ablehnung „hält“ beim OLG Düsseldorf nicht:

„2.       Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Nach § 119 StPO dürfen dem Verhafteten – der mangels rechtskräftiger Verurteilung noch als unschuldig gilt, Art. 6 Abs. 2 MRK – nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert. Dabei bedarf es immer einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Beschränkungen sind nur zulässig, wenn sie erforderlich sind, um eine reale Gefahr für die in § 119 StPO genannten öffentlichen Interessen abzuwehren, und dieses Ziel nicht mit weniger eingreifenden Maßnahmen erreicht werden kann (BVerfGE 35, 5, 10; 42, 234, 236; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 119 Rn. 6 f m.w.N.). Es müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Haftzwecks oder der Anstaltsordnung vorliegen, der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht nicht aus (BVerfG a.a.O.; OLG Hamm StV 1998, 35). Dies gilt umso mehr, wenn es um Besuche von dem Untersuchungsgefangenen nahe stehenden Personen geht, die der Aufrechterhaltung der sozialen Kontakte dienen.

Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte den Besuch seiner Lebensgefährtin zur Vorbereitung einer Flucht oder zur Verdunkelung missbrauchen würde, liegen jedoch nicht vor. Soweit die Beschwerdeführerin sich an den Taten des Angeklagten beteiligt haben sollte und insoweit anlässlich der Besuche Absprachen betreffend Prozessverhaltens erfolgten könnten, kann der Gefahr durch optische und akustische Überwachung der Kommunikation in — wie von der Beschwerdeführerin selbst angeregt – deutscher Sprache begegnet werden. Zwar hat der Vorsitzende in seiner Nichtabhilfeentscheidung dargelegt, der Angeklagte und die Beschwerdeführerin hätten sich in verschlüsselter und konspirativer Weise über die von ihm betriebenen Rauschgiftgeschäfte verständigt, so dass auch bei einem überwachten Besuch die Gefahr bestünde, dass in verschlüsselter Weise Verständigungen über Drogengeschäft erzielt oder sonstige verfahrenserhebliche Informationen ausgetauscht würden. Der Senat hat der Akte, insbesondere dem Protokoll der Fahrrauminnenüberwachung (Bd. 7, BI. 2680 ff.), jedoch nicht entnehmen können, dass der Angeklagte eine derart außergewöhnlich verschlüsselte Sprache benutzt, die keinen Argwohn des Besuchsüberwachungspersonals hervorrufen wird. Soweit der Angeklagte Betäubungsmittel als „Zeug“ oder „Waschpulver“ zu bezeichnen pflegt, werden die Beamten der JVA durchaus auf diese Schlüsselwörter reagieren können. Der Senat hat deshalb entsprechend § 19 UVollzG die Überwachung der Besuche angeordnet.

Nichts weltbewegend Neues, aber immerhin…..

Briefkontrolle in der JVA – zweimal Art. 10 GG

120px-BriefWenn man die Leitsätze des KG, Beschl. v. 31.07.2013 – 2 Ws 300 Vollz liest – ergangen in einer Strafvollzugssache -dann man als Fazit daraus ziehen, Das Brief- und Postgeheimnis des Art. 10 Abs. 1 GG wird durch strafvollzusrechtliche Vorschriften eingeschränkt, diese Vorschriften werden ihrerseits aber wiederum durch Art. 10 GG eingeschränkt. Also eine Einschränkung der Einschränkung, wenn es um die Breif und Postkontrolle im Strafvollzug geht. Die (amtlichen) Leitsätze des Beschlusses lauten:

  1. Zwar wird das grundrechtlich geschützte Brief- und Postgeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) durch § 29 Abs. 3 StVollzG in verfassungsmäßiger Weise eingeschränkt, jedoch muss die Vorschrift ihrerseits im Lichte der besonderen Bedeutung des Brief- und Postgeheimnisses unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgelegt und angewendet werden.
  2. Der Umstand, dass ein Strafgefangener einen Amtshaftungsprozess gegen das Land Berlin führt, in dem es maßgeblich um die Verhältnisse in der JVA geht, in der er untergebracht ist, begründet ein Bedürfnis dafür, den darauf bezogenen Briefverkehr mit seinem Prozessvertreter von der Briefkontrolle auszunehmen.
  3. Das Argument, im Hinblick auf die Vielzahl vergleichbarer Fälle, in denen wegen angeblich menschenrechtswidriger Unterbringung in der fraglichen JVA Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden, führe eine Einzelfallprüfung bei jedem deshalb in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit befindlichen Gefangenen zu einem um ein Vielfaches erhöhten Verwaltungs- und Organisationsaufwand, was der Vollzugsbehörde daher nicht „zuzumuten“ sei, misst dem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG und dem Recht auf effektiven Rechtschutz (Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) keine ausreichende Bedeutung zu.

Das KG folgt der Argumentation des Verurteilten und gibt Handreichungen für die Briefkontrolle:

Wenn insoweit Übereinstimmung besteht, kann – solange keine Tatsachen bekannt werden, die eine von dem Antragsteller konkret ausgehende Gefahr vermuten lassen – Gegenstand der Ermessensentscheidung der Vollzugsanstalt letztlich nur sein, wie die Vertraulichkeit des prozessbezogenen Schriftwechsels gewährleistet werden kann. Die von der Vollzugsbehörde ultimativ verlangte Bezeichnung der fraglichen Schriftstücke als „Verteidigerpost“, kann jedenfalls nicht zur Voraussetzung für einen Verzicht auf die Briefkontrolle gemacht werden, denn sie wäre eine Falschbezeichnung (wenngleich sie – entgegen der Sorge der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers – vor dem hier diskutierten Hintergrund wohl jedenfalls den subjektiven Tatbestand des § 115 OWiG nicht erfüllte).

Der Senat neigt – ohne dass dies hier jetzt bereits entscheidungserheblich wäre – zu der Ansicht, dass es im vorliegenden Fall am zweckmäßigsten wäre, als „Anwaltspost“ gekennzeichnete Schreiben von Rechtsanwältin B an den Antragsteller für die Dauer des anhängigen Amtshaftungsprozesses gar nicht zu kontrollieren oder in Gegenwart des Antragstellers lediglich einer groben Sichtung auf verbotene Beigaben oder Schriftstücke zu unterziehen, die offensichtlich nichts mit dem fraglichen Amtshaftungsverfahren zu tun haben (vgl. zu der ähnlichen Problematik bei der Durchsuchung von Hafträumen in Abwesenheit des Gefangenen: Senat, Beschluss vom 23. Mai 2003 – 5 Ws 99/03 Vollz – [[…]]).

Das letztlich rein fiskalische Argument der Rechtsbeschwerde, im Hinblick auf die Vielzahl vergleichbarer Fälle, in denen wegen angeblich menschenrechtswidriger Unterbringung in der JVA Tegel Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden, führe eine Einzelfallprüfung bei jedem deshalb in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit befindlichen Gefangenen zu einem um ein Vielfaches erhöhten Verwaltungs- und Organisationsaufwand, was der Vollzugsbehörde daher nicht „zuzumuten“ sei, misst dem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG und dem Recht auf effektiven Rechtschutz (Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG) keine ausreichende Bedeutung zu.“