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OWi I: (Drogen)Grenzwert nicht erreicht, oder: Aber Ausfallerscheinungen usw.

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Ich hatte schon länger keinen OWi-Tag mehr, daher heute dann mal wieder, und zwar zur „Sonderproblematik“ des § 24a StVG.

Zunächst weise ich in dem Zusammenhang hin auf das – schon etwas ältere – AG Dortmund, Urt. v. 02.04.2019 – 729 OWi-254 Js 281/19 -63/19. Das hatte eine Drogenfahrt zu verhandeln. Nach einem Verkehrsunfall auf einer privaten Stichstraße mit anschließendem Garagenhof – das AG sieht den Bereich als „öffentlich“ an – ist der Betroffene von der Polizei  routinemäßig nach möglichem Drogenkonsum gefrgat worden. Der Betroffene hat den für den Vorabend bejaht, Schnelltests haben dann Hinweise auf Cannabiskonsum und Kokainkonsum ergeben. Der Betroffene hatte am Vorabend einen „Joint“ geraucht. Die Polizei ordnete daraufhin eine Blutprobeentnahme an, die ergab, dass der Betroffene eine THC-Konzentration von 0,9 µg/l aufwies. Im Rahmen der ärztlichen Blutprobeentnahme konnte eine fehlende Pupillenlichtreaktion bei dem Betroffenen festgestellt werden.

Das AG hat dann nicht nach § 24a Abs. 2 StVG – Drogenfahrt – verurteilt:

Der Betroffene hat den Unfall eingestanden.

Die Höhe der THC-Konzentration im Blut des Betroffenen konnte das Gericht feststellen durch – mit Zustimmung des Betroffenen und des Verteidigers – erfolgte Verlesung des Sachverständigengutachtens des Labors V, dort als Sachverständiger tätig: Dr. R. Das Gutachten datiert vom 02.11.2018 und ergab den genannten Drogenbefund. Festzustellen war, dass der Betroffene unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat. Die Nachweisgrenze von 1,0 µg/l Blut war jedoch noch nicht erreicht.

Das Gericht hat daher im Weiteren entsprechend der Entscheidung des OLG Bamberg vom 11.12.2018, 3 Ss OWi 1526/18 geprüft, ob drogentypische Verhaltensauffälligkeiten oder Ausfallerscheinungen festzustellen waren, die trotz Unterschreitung der Nachweisgrenze eine für eine Verurteilung ausreichende Drogenwirkung nahelegten.

Hierzu hat das Gericht den ärztlichen Bericht, der begleitend zur Blutprobeentnahme gestellt wurde, urkundsbeweislich verlesen und zudem den Polizeibeamten P, der den Betroffenen angetroffen hat und der auch den Drogentest genommen hat, als Zeugen vernommen.

Während in dem ärztlichen Bericht das Verhalten des Betroffenen als redselig eingestuft wurde, ergab sich aus der polizeilichen Aussage distanzloser Kontakt.

Der Zeuge P erklärte insoweit, dass der Betroffene laut gewesen sein und viel geredet habe. Dies könne sich auch seiner Ansicht nach aus der Situation vor Ort ergeben haben und sei wohlmöglich nicht drogenbedingt. Zum Gedankenablauf stellte der Zeuge P fest, dass dieser nach seinen Aufzeichnungen schwerfällig und langsam gewesen sei, wobei sich aus dem ärztlichen Bericht ein sprunghafter Gedankenablauf ergab.

Diese Feststellungen sind nach Ansicht des Gerichtes eher als widersprüchlich anzusehen.

Zur Sprache des Betroffenen konnten sowohl die Polizei, als auch der Arzt feststellen, dass diese deutlich war.

Lediglich zur Pupillenlichtreaktion konnte deren Fehlen in dem ärztlichen Bericht festgestellt werden.

Da der Zeuge P als tatnächster Zeuge jedoch ausgesagt hat, dass der Betroffene für ihn in keinster Weise dahin auffällig gewesen sei, das er Drogen konsumiert habe, sondern lediglich auf routinemäßige Nachfrage einen Drogenkonsum eingeräumt habe, reichen nach Ansicht des Gerichtes weder die Feststellungen in dem ärztlichen Bericht zur Blutprobeentnahme noch die übrigen Feststellungen der Polizei nicht aus, um bei Unterschreitung der Nachweisgrenze des § 24 a StVG gleichwohl eine Verurteilung im Sinne dieser Norm vornehmen zu können.

Dementsprechend war der Betroffene lediglich wegen des Unfallgeschehens gemäß §§ 1 Abs. II, 49 StVO, 24 StVG zu verurteilen. Hierfür war die Regelgeldbuße von 35,00 EURO festzusetzen.

Trennungsvermögen fehlt ab 1 ng/ml THC-Konzentration, oder: Das haben wir schon immer so gemacht

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Im Kessel Buntes heute dann zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidung mit verkehrsrechtlichem Einschlag. Zunächst kommt der VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 03.01.2019 – VGH 10 S 1928/18, den mir der Kollege Urbanzyk aus Coesfeld vor einiger Zeit geschickt hat. Ergangen in einem Widerspruchsverfahren betreffend die Entziehung der Fahrerlaubnis. Es geht noch mal/mal wieder um den „Grenzwert“ betreffend das sog. Trennungsvermögen. Der VGH hält an der alten Rechtsprechung fest:

1. Der Senat geht trotz der neuen Empfehlungen der Grenzwertkommission vom September 2015 (Blutalkohol 2015, 322) nach wie vor bereits ab einer festgestellten THC-Konzentration von 1 ng/ml im Blutserum von einem fehlen­den Trennungsvermögen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV aus (vgl. Senatsbeschlüsse vom 07.03.2017 – 10 S 328/17VRS 132, 87 und vom 22.07.2016 – 10 S 738/16VRS 130, 272). Entscheidend ist insoweit – wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat (Beschlussabdruck, S. 5 f.) -, dass es sich hierbei um einen Risikogrenzwert handelt (vgl. BVerwG, Be­schluss vom 23.10.2014 – 3 C 3.13NJW 2015, 2439) und Verkehrsbeeinträch­tigungen sowie damit verbunden eine Gefährdung höchstrangiger Rechtsgüter auch nach Auffassung der Grenzwertkommission bereits ab diesem Wert nicht praktisch ausgeschlossen werden können. Die neueren Empfehlungen der Grenzwertkommission, erst ab einer THC-Konzentration von 3 ng/ml im Blutserum vom fehlenden Trennungsvermögen des Cannabiskonsumenten auszugehen, rechtfertigen es deswegen nicht, vom bisherigen Grenzwert abzuweichen (so auch OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.06.2018 – 4 MB 45/18 – Blutalkohol 55, 380; SächsOVG, Beschluss vom 12.12.2017 – 3 B 282/17 – Blut­alkohol 55, 266; OVG Hamburg, Beschluss vom 15.11.2017 – 4 Bs 180/17 ­VRS 132, 140; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.09.2017 – 3 M 171/17 ­Blutalkohol 55, 85; HessVGH, Beschluss vom 17.08.2017 – 2 B 1213/17 – Blut­alkohol 54, 390; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.03.2017 – 16 A 432/16 – Blutalkohol 54, 328; BayVGH, Beschluss vom 23.05.2016 – 11 CS 16.690 – VRS 130, 164).

2. Bis zur grundsätzlichen Klärung im anhängigen Revisionsverfahren hält der Senat jedenfalls im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes an seiner Recht­sprechung fest, derzufolge bei einem Betroffenen, der gelegentlich Cannabis konsumiert, die Kraftfahreignung nach Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV be­reits dann fehlt, wenn eine Fahrt mit einer THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml im Blutserum belegt ist (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss vom 07.03.2017, a.a.O.). Die systematischen Erwägungen, mit denen der Bayerische Verwal­tungsgerichtshof dem entgegengetreten ist, zwingen nicht zu einer Abkehr von dieser Rechtsansicht, die von den anderen Obergerichten noch immer ganz überwiegend geteilt wird (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.08.2018 – 3 M 290/18 – Blutalkohol 55, 449; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.06.2018, a.a.O.; OVG Bremen, Beschluss vom 30.04.2018 – 2 75/18 – VRS 134, 31; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.03.2018 – 10 10060/18 – VRS 133, 47; SächsOVG, Beschluss vom 26.01.2018 – 3 B 384/17 – VRS 133, 44; HessVGH, Beschluss vom 21.09.2017 – 2 D 1471/17 ­VRS 132, 79; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2017 – 1 S 27.17 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.03.2017, a.a.O.; NdsOVG, Beschluss vom 07.04.2017 – 12 ME 49/17 – Blutalkohol 54, 274). So verbleibt für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV auch danach ein Anwendungsbereich. Es fehlt überdies an Anhaltspunkten dafür, dass der Verordnungsgeber eine völ­lige Gleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsum beabsichtigt hätte oder eine solche zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erforderlich sein könnte.“

Haben wir schon immer so gemacht.

BTM: Die nicht „geringe Menge“/der Grenzwert bei „Alpha-Pyrrolidinovalerophenon-Hydrochlorid“

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Urheber Leyo

Heute dann zunächst eine BGH-Entscheidungen zu BtM, und zwar der BGH, Beschl. v,. 26.06.2018 – 1 StR 233/18. Das LG München hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Dazu hatte es Folgendes festgestellt:

„Der Angeklagte betrieb im Februar und März 2016 einen Onlinehandel mit Betäubungsmitteln. Am 19. April 2016 bewahrte er in dem von ihm bewohnten Zimmer 54 LSD-Trips mit einem Wirkstoffgehalt von 2,448 mg und 49,45 g Alpha-Pyrrolidinovalerophenon mit einem Basengehalt von 72 % auf, was einer Menge von 35,6 g Base und 41,3 g Alpha-Pyrrolidinovalerophenon-Hydro-chlorid entspricht. Beide Stoffe waren für den Weiterverkauf bestimmt. Auf dem Schreibtisch des Zimmers lag griffbereit ein Dolch mit einer 9,5 cm langen und 2,2 cm breiten feststehenden, beidseitig geschliffenen Klinge und ein Kampfmesser mit einer 16,5 cm langen, einseitig geschliffenen Klinge, das über eine Länge von 9 cm über eine Rückenschneide verfügte. Auf dem Sideboard in unmittelbarer Nähe zur Zimmertür befand sich eine Machete in einer Lederscheide mit einer 36,5 cm langen und 6 cm breiten feststehenden und geschliffenen Klinge. Der Angeklagte wollte sich mit diesen Gegenständen im Falle einer Entdeckung zur Wehr setzen und die im Zimmer befindlichen Betäubungsmittel damit verteidigen.“

Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass es sich bei der Menge des Alpha-Pyrrolidinovalerophenon-Hydrochlorid um eine nicht geringe Menge handelt, da der Grenzwert für diesen Wirkstoff bei sechs Gramm anzusetzen sei. Im Rahmen der Strafzumessung hat es das Überschreiten der Grenze zur nicht geringen Menge um das etwa siebenfache strafschärfend gewertet.

Dem BGH passt das so nicht:

„1. Zwar sind die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen und haben deshalb Bestand; dennoch konnte der Schuldspruch der auf die Sachrüge hin gebotenen Überprüfung des Urteils nicht standhalten. Die Bestimmung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge ist nicht tragfähig begründet, so dass dem Schuldspruch nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG die Grundlage fehlt. Dies zieht die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs nach sich.

a) Das Landgericht legt der Bestimmung der nicht geringen Menge zugrunde, dass es sich bei Alpha-Pyrrolidinovalerophenon-Hydrochlorid um ein Struktur-Analogon des früheren Arzneimittelwirkstoffes Pyrovaleron handele und den synthetischen Cathinon-Derivaten zuzuordnen sei. Es werde als Hydrochlorid-Salz oral, intranasal, inhalativ, intravenös und rektal appliziert. Es führe zu einer erhöhten Aktivität des Sympathikus, die zu einer Steigerung der Herzfrequenz, der Kontraktionskraft und des Blutdrucks führe. Die stimulierenden Wirkungen führten zu Reizbarkeit, Unwohlsein, Verwirrtheit, Angstzuständen, Depressionen, Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen und Schwindelgefühl, in körperlicher Hinsicht seien Zähneknirschen, verkrampfte Kiefermuskulatur, Augenzittern, Gänsehaut, Schüttelfrost, Tachykardie, Herzklopfen, Hypertonie, erektile Dysfunktion, Obstipation, Schwitzen, präkardiale Schmerzen die Folge.

Da keine gesicherten Erkenntnisse zu einer äußerst gefährlichen oder gar tödlichen Dosis vorliegen, hat das Landgericht den Grenzwert ausgehend von einer durchschnittlichen Konsumeinheit bestimmt. Diese hat es anhand von Angaben in Internetforen auf 30 mg bestimmt. Die Maßzahl hat es auf 200 festgelegt und so den Grenzwert auf sechs Gramm bestimmt.

b) Diese Berechnung des Grenzwerts ist nicht nachvollziehbar begründet.

aa) Das Tatgericht hat nach der vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angewandten Methode (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 ff. Rn. 35; Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 366/16 Rn. 7, NStZ-RR 2017, 47 und vom 5. November 2015 – 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37) den Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (BGH, Urteile vom 22. Dezember 1987 – 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179 und vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 ff. Rn. 35). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu bemessen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 – 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. BGH, Urteile vom 24. April 2007 – 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318; vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60 und vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 ff. Rn. 35).

bb) Zwar hat sich das Landgericht an dieser Vorgehensweise orientiert; es hat aber die Bestimmung der durchschnittlichen Konsumeinheit auf keine tragfähige Tatsachengrundlage gestellt und das Vielfache, die sogenannte Maßzahl, ohne weitere auf den Stoff bezogene Begründung festgesetzt.

(1) Soweit sich das Landgericht auf die in Internetforen berichteten „szenetypischen Durchschnittsdosierungen … für die genannten Applikationsformen“ stützt, stellt dies keine geeignete Erkenntnisgrundlage (vgl. Urteil vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 ff. Rn. 51) zur durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Konsum des Stoffes gewöhnten Konsumenten dar. Dies gilt zum einen, weil es sich bei Einträgen in User-Foren nicht um wissenschaftlich gesicherte Daten handelt (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 4. April 2016 – 2 OLG 8 Ss 173/15 zum Wirkstoff 3,4-Methylendioxypyro-valeron), diese Angaben häufig auf erfahrene Konsumenten zurückgehen, bei denen bereits mit einer Toleranzentwicklung zu rechnen ist und interindividuelle Unterschiede in der Reaktion auf den Wirkstoff unberücksichtigt bleiben. Wieso sich das Landgericht vor diesem Hintergrund angesichts der Angaben in den Foren zu „szenetypischen Durchschnittsdosierungen“ in der Lage sah, auf eine durchschnittliche Konsumeinheit als wirksame Dosis für einen „Drogenunerfahrenen“ zu schließen, bleibt unerörtert. Zum anderen beziehen sich ausweislich der Urteilsgründe diese Angaben in den Foren auf die „genannten Applikationsformen“, mithin die orale, intranasale, inhalative, intravenöse und rektale Konsumform. Dies lässt sowohl die Gebräuchlichkeit der jeweiligen Konsumform als auch deren jeweiligen Einfluss auf die Wirkungsweise offen. Es ist nicht dargelegt, wieso auf dieser, undifferenziert auf verschiedenste Konsumformen bezogenen Grundlage auf die durchschnittliche Konsumeinheit für die orale und nasale Applikation geschlossen werden kann.

(2) Zur Maßzahl hat das Landgericht nur angeführt, dass damit die bekannten pharmakologischen und forensischen Erkenntnisse zu „ATS“ eingebunden und auch das Gefährdungspotential gewichtet worden sei. An anderer Stelle ist angeführt, die „zentral stimulierenden Wirkungen beträfen u.a. die bekannten psychischen und körperlichen Störungen, die im Zusammenhang mit ATS (Amphetamine-Type-Stimulants) beobachtet werden“. Dies ist nicht ausreichend, um die für die Maßzahl relevante Gewichtung der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere das Abhängigkeits- und Gesundheitsschädigungspotenzial (vgl. BGH, Urteile vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 267, dort auch zur Berücksichtigung der die Gefährlichkeit steigernden szenetypischen Begleitumstände des Konsums und vom 17. November 2011 – 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60, 64 ff. Rn. 11 ff.) im Vergleich zu anderen Stoffen nachvollziehbar darzulegen.“

Also auf ein Neues. Und dafür gilt:

Wcc) Da der aufgezeigte Fehler die Feststellungen nicht betrifft, konnten diese bestehen bleiben. Das neu zuständige Tatgericht muss den Grenzwert für die nicht geringe Menge Alpha-Pyrrolidinovalerophenon-Hydrochlorid unter Hinzuziehung eines Sachverständigen klären. Dabei wird es in den Blick zu nehmen haben, dass das OLG Nürnberg für den Wirkstoff 3,4-Methylen-dioxypyrovaleron unter ausführlicher Begründung bereits nach der oben aufgezeigten Methode einen Grenzwert festgesetzt hat (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 4. April 2016 – 2 OLG 8 Ss 173/15 zum Wirkstoff 3,4-Methylen-dioxypyrovaleron) und ob zwischen diesem Stoff, der große chemisch strukturelle Ähnlichkeiten zum früher als Arzneimittel verwendeten Pyrovaleron aufweisen soll, und Alpha-Pyrrolidinovalerophenon-Hydrochlorid relevante Unterschiede bestehen oder sich neuere Erkenntnisse insoweit ergeben haben.“

Zur OLG Nürnberg-Entscheidung hier: BtM: Die “nicht geringe Menge” bei JWH-210 und bei MDPV

Regelentziehung nach Unfallflucht, oder: 1.500 EUR Schaden müssen es sein

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Und als dritte Entscheidung dann der LG Offenburg, Beschl. v. 19.06.2017 – 3 Qs 31/17 – über den der Vollege Gratz vor ein paar Tagen ja auch schon berichtet hat. Von ihm habe ich mir den Beschluss „geliehen“ 🙂 .

Das LG nimmt im Beschluss zum bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB Stellung. Der beschuldigte hatte bei einem Unfall einen Schaden in Höhe von 1.321,84 € angerichtet und hatt sich dann unerlaubt entfernt. Das LG sagt: Reicht nicht für die  Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Grenze liege bei mindestens 1.500 €:

„Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn die rechtswidrige Tat ein Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142) ist und der Täter weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist. Ob ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, bemisst sich nach wirtschaftlichen Kriterien. Die Grenze für einen bedeutenden Sachschaden wird in der herrschenden Kommentarliteratur und auch in der obergerichtflehen Rechtsprechung auf 1.300 Euro festgesetzt (vgl. Fischer, StGB, 64. Auflage 2017, § 69 StGB Rdnr. 29; Geppert in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Auflage 2007, § 69, Rn. 85 „Schäden ab 1.300 Euro (tendenziell wachsend)“; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage 2014, § 69 Rdnr. 39; OLG Hamm. Beschluss vom 06.11.2014 – 5 RVs 98/14 -, Rdnr 23, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.07.2013-3 Ws 225/13 -. juris, Rdnr. 6; OLG Hamburg, Beschluss vom 08. März 2007-2 Ws 43/07 -, Rdnr. 19, juris). Andererseits befindet sich in der aktuellen untergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung im Vordringen, die Wertgrenze auf 1.500 Euro festzusetzen (vgl. LG Braunschwelg, Beschluss vom 03. Juni 2016-8 Qs 113/16-. juris, Rdnr. 15; LG Lübeck, Beschluss vom 14. März 2014- 4 Qs 60/14 -, juris, Rdnr. 2; AG Tiergarten, Beschluss vom 15. Mai 2015-288 Gs 48/15-. Rdnr. 5, juris).

Dieser Ansicht schließt sich die Kammer mit Blick darauf, dass die allgemein anerkannte Wertgrenze von 1.300 Euro seit dem Jahr 2002 allgemein gelten dürfte (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 29), an. In der Kommentarliteratur ist anerkannt, dass der „bedeutende Schaden“ von der wirtschaftlichen Entwicklung bzw. der allgemeinen Geldentwicklung abhängt (vgl. Fischer, a.a.O ., Rdnr. 28; Stree/Kinzig, a.a.O; Geppert, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Teuerungsrate für sämtliche Verbrauchsgüter ist es sachgerecht, die Wertgrenze nach nunmehr 15 Jahren ohne Veränderung anzuheben. Denn auch in der Vergangenheit wurden die Wertgrenzen in der Rechtsprechung der Obergerichte regelmäßig angehoben. So sah das Oberlandesgericht Karlsruhe im Jahr 1977 einen Schaden in Höhe von 600 DM noch nicht als bedeutend im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB an (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Junl1977- 2 Ss 162/77-, juris), setzten das Oberlandesgericht Frankfurt im Jahr 1982 die Wertgrenze für seinen Bezirk auf 1.300 DM (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 01. Februar 1982-2 Ss 555/81 -, juris) und das Oberlandesgericht Düsseldorf im Jahr 1991 für seinen Bezirk auf 1.800 DM (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Januar 1991-2 Ss 1/91 -3/91 III-, juris ), während Stimmen in der Literatur bis ins Jahr 2002 von einer Wertgrenze von 2.000 DM ausgingen (vgl. Fischer, StGB, 56. Auflage 2009, § 69 Rdnr. 29, m. w. N.). Auch das Oberlandesgericht Köln etwa erhöhte die Wertgrenze für seinen Bezirk zwischen den Jahren 1991 und 2002 von 1.225 DM auf 2.000 DM (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 05. November 1991 – Ss 495/91 – 257 -. juris: 1.225 DM; OLG Köln, Beschluss vom 12. März 2002- Ss 54/02-. juris: 2.000 Dm). Vor diesem Hintergrund erscheint es angemessen, die Wertgrenze im Landgerichtsbezirk Offenburg nach nunmehr 15 Jahren zu erhöhen.
Um die Höhe des neuen Grenzwertes zu bestimmen, ist die prozentuale Erhöhung des durchschnittlichen Verbraucherpreisindex vom Jahr 2002 (88,6) bis zum Jahr 2016 (107,4) zu ermitteln (vgl. zu den Durchschnittswerten der Verbraucherpreisindizes die Internetseite des Statistischen Bundesamtes: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/PreiseVerbraucherpreisindizes/Tabellen_/VerbraucherpreiseKategorien.html). Der Verbraucherpreisindex hat sich vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2016 um 21,22 % ((107,4- 88,6) : 88,6) erhöht. Unter Berücksichtigung dieser Teuerungsrate errechnet sich ein Wert von exakt 1.575,85 Euro für das Jahr 2016. Es ist daher angemessen, den für einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB maßgeblichen Grenzwert ab dem Jahr 2017 auf zumindest 1.500 Euro festzusetzen (vgl. zum Ganzen auch: LG Braunschweig, a.a.O.).

Bei der Bestimmung der konkreten Schadenshöhe ist der Betrag maßgeblich, um den das Vermögen des Geschädigten unmittelbar infolge des Unfalls gemindert ist. Unter Berücksichtigung des geschützten Rechtsguts (Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtliehen Ansprüche bzw. Schutz vor unberechtigten Ansprüchen) dürfen im Rahmen des zugrundeliegenden wirtschaftlichen Schadensbegriffes nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind (vgl. OLG Hamm, a.a.O}. Zu berücksichtigen sind daher die Reparaturkosten, Bergungs- und Abschleppkosten sowie der merkantile Minderwert (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 28; Stree/Kinzig a.a.O.). Die Mehrwertsteuer bezüglich der Reparaturkosten ist hingegen nur dann berücksichtigungsfähig, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, vgl. § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte vorsteuerabzugberechtigt ist (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Umstände beläuft sich der für die Frage eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähige Schaden daher nach dem Haftpflichtschadengutachten der Generali Versicherung AG vom 20.03.2017 auf insgesamt 1.321,84 Euro. Dies entspricht den Reparaturkosten ohne Berücksichtigung der Mehrwertsteuer zuzüglich des merkantilen Minderwerts in Höhe von 200 Euro. Die Reparaturkosten und der merkantile Minderwert waren zu berücksichtigen, da der Angeklagte anhand der objektiven Umstände hätte erkennen können, dass diese Schadenspositionen entstanden sind. Die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % war hingegen nicht zu berücksichtigen, da angesichts der Unternehmereigenschaft und damit Vorsteuerabzugsberechtigung der Fahrzeughallerin nahe liegt, dass bei einer etwaigen (im Übrigen auch nach derzeitigem Stand der Ermittlungen nicht feststellbaren) Reparatur die Mehrwertsteuer in Höhe von 19% nicht anfällt. Angesichts der für den Landgerichtsbezirk Offenburg geltenden Wertgrenze von 1.500 Euro liegt daher noch kein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor.“

„Ich konsumiere Cannabis doch nur gelegentlich“, oder: Angaben bei der Verkehrskontrolle verwertbar

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Als zweite Entscheidung „kocht“ im „Kessel Buntes“ heute der Hess. VGH, Beschl. v. 17.08.2017 – 2 B 1213/17 -, also mal wieder Verkehrsverwaltungsrecht. Es geht um die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG/der FEV und um die mit dem (mangelnden) Trennungsvermöge bei gelegentlichem Konsum von Cannabis zusammenhängenden Fragen. In der Frage hat der VGH seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und sich der h.M. in der Rechtsprechung zum „Grenzwert angeschlossen. Das hat er in folgendem Leitsatz kund getant

„Bei gelegentlichem Konsum von Cannabis ist bereits bei Erreichen des Risikogrenzwertes von 1,0 ng/ml im Blutserum von einem fehlenden Trennungsvermögen im Sinne der Anlage 4 Nr. 9.2.2 der FeV auszugehen. Der Senat gibt damit seine bisherige, auf einen Grenzwert von 2,0 ng/ml abstellende Rechtsprechung auf.“

Aber mir geht es gar nicht so sehr um diese Frage, sondern um die Ausführungen des VGH zu einem vom Betroffenen geltend gemachten Beweisverwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben bei der Verkehrskontrolle, die dem Verfahren zugunde liegt. Da hatte er ein Beweisverwertungsverbot reklamiert. Der VGH lehnt das ab:

„Dass der Antragsteller gelegentlicher Konsument von Cannabis ist, ergibt sich für den beschließenden Senat aus seinen Angaben gegenüber der Polizei im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung, welche im Anschluss an die Verkehrskontrolle am 25. Mai 2016 stattfand. Hierbei führte er aus, dass er regelmäßig Cannabis in mäßiger Form seit drei Jahren konsumiere. Er mische die Droge mit Tabak. Selbst kaufe er nicht, rauche aber bei anderen Personen mit. Nach dem Konsum führe er nie ein Fahrzeug. Diese Einlassungen unterliegen entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers keinem Verwertungsverbot. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag des Antragstellers, er sei nicht ordnungsgemäß belehrt worden, ausweislich Blatt 30 der Behördenakte (Protokoll der Beschuldigtenvernehmung) unzutreffend ist. Daraus ergibt sich nämlich ausdrücklich, dass der Antragsteller belehrt worden ist, was er durch seine Unterschrift und den Vermerk „selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben“ bestätigt hat.

Selbst wenn eine Belehrung unterblieben wäre, stünde das strafrechtliche Beweisverwertungsverbot des § 136 Abs. 1 Strafprozessordnung – StPO – der Verwertung dieser Angaben im Fahrerlaubnisentzugsverfahren durch die Verwaltungsbehörde nicht entgegen. Auf den Umstand, dass eine Belehrung stattgefunden hatte, sowie darauf, dass die strafrechtlichen Beweisverwertungsverbote regelmäßig im dem Gefahrenabwehrrecht zuzuordnenden Fahrerlaubrecht keine Berücksichtigung finden, hat auch das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung (S. 4 des amtlichen Umdrucks) bereits zutreffend hingewiesen (vgl. auch: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Mai 2007 – 10 S 608/07-, NZV 2008, S. 55).

Im Fahrerlaubnisrecht sind Beweisverwertungsverbote nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen. Selbst wenn wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften im Strafprozess ein Verwertungsverbot besteht, wirkt sich dies in der Regel nicht auf das Verfahren der Fahrerlaubnisentziehung aus. Da im Fahrerlaubnisrecht ein Beweisverwertungsverbot nicht ausdrücklich normiert ist, ist im Wege der Interessenabwägung über die Beweisverwertung zu entscheiden. Diese führt regelmäßig zu einer Zulässigkeit der Verwertung, denn während Beweisverwertungsverbote im repressiv geprägten Strafprozess dem Grundrechtsschutz des Betroffenen dienen, sind im Fahrerlaubnisrecht präventive Ziele, nämlich der Schutz von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, maßgeblich (Hess. VGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 2 B 847/17 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. September 2016 ? 16 B 685/16 ?, juris Rz. 13 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 16. Dezember 2009 ? 12 ME 234/09 –, juris Rz. 4 f.; Bay. VGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 ? 11 CS 09.1443 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Februar 2016 ? 3 M 14/16 ?, juris).

Im Ergebnis ist es daher nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner, gestützt auf die eigenen Angaben des Antragstellers, zu der Einschätzung gelangt, dass es sich beim Antragsteller um einen zumindest gelegentlichen Konsumenten von Cannabis handelt.“