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Geringwertigkeit einer Sache, oder: Es bleibt bei 50 EUR

© Julydfg - Fotolia.com

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Auch in den Bereich der Strafzumessung gehört der OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.10.2016 – 1 Ss 80/16. Der Angeklagte ist vom AG wegen Diebstahls in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen zu je 7,- EUR verurteilt. Gegenstand einer der Taten war ein fahrtüchtiges Mountain-Bike. Dazu fehlte im Urteil eine ausdrückliche Wertangabe, die GStA ist aber davon ausgegangen, dass sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erschließe, dass das fahrtüchtige Mountain-Bike keine geringwertige Sache i.S.d. § 243 Abs. 2 StGB gewesen sei. Das OLG sieht das anders und hebut auf: Aus der Begründung:

„Die Annahme eines besonders schweren Falles gemäß § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB hält indes aus mehreren Gründen einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

aa) Hinsichtlich der Tat zu Ziff. 1 kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Tat gemäß § 243 Abs. 2 StGB auf eine geringwertige Sache bezogen hat, sodass ein besonders schwerer Fall des Diebstahls bereits aus diesem Grund ausscheidet.

Dabei hält der Senat an seiner st. Rspr. fest, nach der die Grenze der Geringwertigkeit i.S.d. §§ 243 Abs. 2; 248a StGB bei 50,- Euro anzusetzen ist (Senat, Beschl. v. 09.05.2008 – 1 Ss 67/08, juris [Rn. 6, 15] = NStZ-RR 2008, 311 m. zust. Anm. und ausf. Begr. bei Jahn, JuS 2008, 1024 m.w.N.; a.A. — freilich unter außendivergenzhindernder Betonung, dass die Geringwertigkeitsgrenze im Sinne des § 248a StGB nicht starr zu ziehen sei — KG, Beschl. v. 08.01.2015 — [4] 121 Ss 211/14 [276/14], juris [Rn. 18 ff.] = StV 2016, 652, 654 f. = OLGSt StGB § 252 Nr. 3).

Wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend erkennt, fehlt im amtsgerichtlichen Urteil jegliche Wertangabe bezüglich des Mountain-Bikes. Es finden sich auch keine Feststellungen dazu, um welches Fabrikat es sich handelt oder welches Alter das Mountain-Bike aufweist. Ein Erfahrungssatz, dass fahrtüchtige Mountain-Bikes einen Wert von mehr als 50,- Euro haben, existiert nicht. Auch aus dem Umstand, dass das Amtsgericht bezogen auf die Tat zu Ziff. 2 Ausführungen zur Geringwertigkeit (§ 248a StGB) gemacht hat, kann nichts für die Geringwertigkeitsfrage bei der Tat zu Ziff. 1 abgelesen werden.“

Na ja, alles wird teurer…..

Entziehung der Fahrerlaubnis erst mit 3,0 ng/ml THC im Blutserum?

© macrovector - Fotolia.com

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Hinweisen möchte ich heute in der Abteilung: „Ein Kessel-Buntes“ zunächst auf zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, und zwar auf das VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15 – und auf den VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15. In beiden Verfahren ist um die Rechtsmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung, die mit Cannabis-Konsum begründet worden ist, gestritten worden. Beide Entscheidungen haben die Entziehung der Fahrerlaubnis – zumindest vorläufig – „abgesegnet“, und dabei zur Frage Stellung genommen, ob eine Erhöhung des Grenzwertes angenommen werden kann/muss, ab dem ein Verstoß gegen das sog. Trennungsgebot vorliegt. Beide Entscheidungen lehnen das ab.

Dazu der Leitsatz zum VG Gelsenkirchen, Urt. v. 20.01.2016 – 9 K 4970/15

Und die Leitsätze vom VG Aachen, Beschl. v. 07.03.2016 – 3 L 972/15:

  • Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn der Betroffene in der Vergangenheit gelegentlich Cannabis konsumiert und zusätzlich unter Einwirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat.
  • Eine Fahrt unter Einwirkung von Cannabis ist im Fahrerlaubnisrecht ebenso wie im Ordnungswidrigkeitenrecht weiterhin ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum anzunehmen.
  • Der Charakter dieses Grenzwerts als „Risikogrenzwert“ lässt es nicht zu, ihn zu Gunsten des Betroffenen auf 3,0 ng/ml THC im Blutserum anzuheben, wie dies die Grenzwertkommission (Blutalkohol 52, 2015, S. 322) vorgeschlagen hat.

Wir werden zu der Frage dann sicherlich bald was vom OVG Münster hören.

Alkoholverbot für Fahranfänger/-innen, oder: Ab wann ist man zu „besoffen“?

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2007 ist die Vorschrift des § 24c StVG in das StVG eingefügt worden. Seitdem gilt für Fahranfänger und Fahranfängerinnen ein „absolutes Alkoholverbot“. Sie dürfen insbesondere eine Fahrt nicht antreten, wenn sie unter der Wirkung eines alkoholischen Getränkes stehen – „Ab wann ist man „besoffen“? – passt also nicht ganz. Das KG hat im KG, Beschl. v. 15.02.2016 – 3 Ws (B) 538/15 – 122 Ss 142/15 – nun noch einmal zur Auslegung dieses Begriffs der Wirkung Stellung genommen.

Das AG hatte gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen das Alkoholverbot für Fahranfänger (§ 24 c Abs. 1 Alt. 2 StVG) eine Geldbuße verhängt. Nach den Urteilsfeststellungen des AG hatte der 20 Jahre alte Betroffene einen PKW geführt, nachdem er in der Nacht zuvor Alkohol getrunken hatte. Die etwa eine halbe Stunde nach Fahrtende durchgeführte Atemalkoholmessung mit dem Gerät Dräger Alcotest 7110 Evidential ergab einen Wert von 0,05 mg/l. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

Das KG geht in seinem umfangreich begründeten Beschluss davon aus,

  • dass eine Wirkung im Sinne des § 24c Abs. 1 Alt. 2 StVG erst ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,1 mg/l angenommen werden kann, die der Betroffene mit der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,05 mg/l nicht erreicht hatte.
  • Es ist der Auffassung, dass die in der Gesetzesbegründung genannten Werte jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die Untergrenze darstellen, ab der eine Wirkung erst angenommen werden kann.
  • Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft sind Grenzwerte von 0,0 Promille bzw. 0,0 mg/l nicht bestimmbar. Die von der Alkohol-Kommission für das Alkoholverbot für Fahranfänger vorgeschlagenen Grenzwerte von 0,2 Promille bzw. 0,1 mg/l tragen dieser Erkenntnis Rechnung und stehen zudem im Einklang mit den Wertentscheidungen des § 24a Abs. 1 StVG. Die zu diesem Thema durchgeführten Untersuchungen haben keine Besonderheiten von sehr niedrigen Alkoholisierungsgraden nahe Null ergeben, die einer Übertragung von Rechtsgedanken des § 24a Abs. 1 StVG entgegenstehen würden.

Die zu § 24c StVG bisher bekannt gewordene Rechtsprechung ist nicht umfangreich und bietet kein einheitliches Bild. Das KG hat die vorliegenden Entscheidungen in der Entscheidung zusammengestellt. Darunter ist auch der OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.03.2013 – 1 Ss 661/12, der nur von einem „Grenzwert“ von 0,15 Promille ausgeht. Das KG hat eine insoweit eine Vorlagepflicht verneint. Irgendwann wird aber sicherlich der BGH in der Frage ran müssen.

Wie besoffen darf ich in einem Krankenfahrstuhl sein?

Die Antwort: An sich gar nicht :-), aber ab 1,1 Promille wird es richtig gefährlich. Denn das OLG Nürnberg hat in seinem Beschl. v. 13.12.2010 – 2 St OLG Ss 230/10 festgestellt: Der Grenzwert für die absolute Fahruntüchtigkeit von Fahrern motorisierter Krankenfahrstühle (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV), die nach dem Pflichtversicherungsgesetz zu versichern und mit einem Versicherungskennzeichen gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (FZV – in der Fassung vom 16.7.2009) zu versehen sind, beträgt 1,1 Promille.

Darüber wird/ist es dann – auch ohne Fahrfehler – ein § 316 StGB. Muss man im Alter dran denken. 🙂

Und immer wieder Messverfahren – OLG Rostock zum Anfangsverdacht bei eso ES 3.0

Ich hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass sich die Diskussion nach der Entscheidung des BVerfG v. 05.07.2010 auf die Frage des Anfangsverdachts, dessen Vorliegen für die Anwendung des § 100h StPO erforderlich ist, verlagern wird. Deshalb sind die Entscheidungen interessant, die sich mit dieser Frage – allerdings noch ohne Kenntnis von der Entscheidung des BVerfG – beschäftigen (vgl. auch AG Prenzlau).

Dazu gehört jetzt auch ein Beschl. des OLG Rostock v. 06.07.2010 – 2 Ss (OWi) 147/10 I 119/10. Nach dem OLG Brandenburg (VRR 2010, 153 = DAR 2010, 280 (Ls.) = NJW 2010, 1471) und dem OLG Celle (StraFo 2010, 247  = NZV 2010, 363) ist dieses das dritte OLG, das die „Klippe“ des für die Anwendung des § 100h StPO als Ermächtigungsgrundlage erforderlichen Anfangsverdachts“ mit dem zuvor vom Messbeamten eingestellten Grenzwert umschiffen will. M.E. gelingt das nicht. Dass es sich dabei um eine „konkret-individuellen Ermittlungsentscheidung“ handelt, ist nicht mehr als eine Behauptung. „Konkret-individuell“? Gegen wen denn? Die Einstellung des Grenzwertes ist nicht mehr als eine allgemeine Entscheidung des Messbeamten.

Allerdings: Man sollte nicht übersehen, dass das BVerfG in seinem Beschl. v 05.07.2010 die Frage auch wohl, wenn m.E. auch nur inzidenter, anders gesehen hat.