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Trennungsvermögen fehlt ab 1 ng/ml THC-Konzentration, oder: Das haben wir schon immer so gemacht

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Im Kessel Buntes heute dann zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidung mit verkehrsrechtlichem Einschlag. Zunächst kommt der VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 03.01.2019 – VGH 10 S 1928/18, den mir der Kollege Urbanzyk aus Coesfeld vor einiger Zeit geschickt hat. Ergangen in einem Widerspruchsverfahren betreffend die Entziehung der Fahrerlaubnis. Es geht noch mal/mal wieder um den „Grenzwert“ betreffend das sog. Trennungsvermögen. Der VGH hält an der alten Rechtsprechung fest:

1. Der Senat geht trotz der neuen Empfehlungen der Grenzwertkommission vom September 2015 (Blutalkohol 2015, 322) nach wie vor bereits ab einer festgestellten THC-Konzentration von 1 ng/ml im Blutserum von einem fehlen­den Trennungsvermögen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV aus (vgl. Senatsbeschlüsse vom 07.03.2017 – 10 S 328/17VRS 132, 87 und vom 22.07.2016 – 10 S 738/16VRS 130, 272). Entscheidend ist insoweit – wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat (Beschlussabdruck, S. 5 f.) -, dass es sich hierbei um einen Risikogrenzwert handelt (vgl. BVerwG, Be­schluss vom 23.10.2014 – 3 C 3.13NJW 2015, 2439) und Verkehrsbeeinträch­tigungen sowie damit verbunden eine Gefährdung höchstrangiger Rechtsgüter auch nach Auffassung der Grenzwertkommission bereits ab diesem Wert nicht praktisch ausgeschlossen werden können. Die neueren Empfehlungen der Grenzwertkommission, erst ab einer THC-Konzentration von 3 ng/ml im Blutserum vom fehlenden Trennungsvermögen des Cannabiskonsumenten auszugehen, rechtfertigen es deswegen nicht, vom bisherigen Grenzwert abzuweichen (so auch OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.06.2018 – 4 MB 45/18 – Blutalkohol 55, 380; SächsOVG, Beschluss vom 12.12.2017 – 3 B 282/17 – Blut­alkohol 55, 266; OVG Hamburg, Beschluss vom 15.11.2017 – 4 Bs 180/17 ­VRS 132, 140; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.09.2017 – 3 M 171/17 ­Blutalkohol 55, 85; HessVGH, Beschluss vom 17.08.2017 – 2 B 1213/17 – Blut­alkohol 54, 390; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.03.2017 – 16 A 432/16 – Blutalkohol 54, 328; BayVGH, Beschluss vom 23.05.2016 – 11 CS 16.690 – VRS 130, 164).

2. Bis zur grundsätzlichen Klärung im anhängigen Revisionsverfahren hält der Senat jedenfalls im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes an seiner Recht­sprechung fest, derzufolge bei einem Betroffenen, der gelegentlich Cannabis konsumiert, die Kraftfahreignung nach Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV be­reits dann fehlt, wenn eine Fahrt mit einer THC-Konzentration ab 1,0 ng/ml im Blutserum belegt ist (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss vom 07.03.2017, a.a.O.). Die systematischen Erwägungen, mit denen der Bayerische Verwal­tungsgerichtshof dem entgegengetreten ist, zwingen nicht zu einer Abkehr von dieser Rechtsansicht, die von den anderen Obergerichten noch immer ganz überwiegend geteilt wird (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.08.2018 – 3 M 290/18 – Blutalkohol 55, 449; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 27.06.2018, a.a.O.; OVG Bremen, Beschluss vom 30.04.2018 – 2 75/18 – VRS 134, 31; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.03.2018 – 10 10060/18 – VRS 133, 47; SächsOVG, Beschluss vom 26.01.2018 – 3 B 384/17 – VRS 133, 44; HessVGH, Beschluss vom 21.09.2017 – 2 D 1471/17 ­VRS 132, 79; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.06.2017 – 1 S 27.17 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.03.2017, a.a.O.; NdsOVG, Beschluss vom 07.04.2017 – 12 ME 49/17 – Blutalkohol 54, 274). So verbleibt für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV auch danach ein Anwendungsbereich. Es fehlt überdies an Anhaltspunkten dafür, dass der Verordnungsgeber eine völ­lige Gleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsum beabsichtigt hätte oder eine solche zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erforderlich sein könnte.“

Haben wir schon immer so gemacht.

Fahrerlaubnis II: Gelegentlicher (?) Cannabiskonsum, oder: Er hätte besser den Mund gehalten…

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Die zweite Entscheidung am heutigen Samstag kommt vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Im Hess.VGH, Beschl. v. 11.10.2018 – 2 B 1543/18 – ergangen in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO – geht es mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsum.

Der Antragsteller ist am 27.09.2017 erstmalig im Rahmen einer Polizeikontrolle angetroffen, als er unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr führte. Die durch das rechtsmedizinische Instituts der Universität Frankfurt durchgeführte Untersuchung der  entnommenen Blutprobe ergab folgende Werte: Tetrahydrocannabinol (THC): 3,5 ng/ml, Hydroxy-THC: 1,4 ng/ml sowie Carbonsäure (THCOOH): 38 ng/ml. Wegen dieses Vorfalls wurden gegen den Antragsteller ein einmonatiges Fahrverbot sowie eine Geldbuße verhängt. Im Rahmen einer weiteren Polizeikontrolle am 06.12.2017 wurde beim Antragsteller eine ebenfalls eine Blutprobe entnommen Die Analyse dieser Blutprobe ergab dass THC und Hydroxy-THC im Blut nicht nachweisbar waren und lediglich das THC-Abbauprodukt Carbonsäure in einer geringen Konzentration von 4,7 ng/ml festgestellt werden konnte. Aus diesen beiden Vorfällen schloss der Antragsgegner, dass der Antragsteller als gelegentlicher Konsument von Cannabis anzusehen sei und dass es bei ihm an dem nach der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der FeV erforderlichen Trennungsvermögen fehle.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit dem Argument, dass bezüglich des Trennungsvermögens nicht auf den ersten Vorfall abgestellt werden dürfe, da erst mit dem Vorfall am 06.12.2017 von einem „gelegentlichen“ Konsum auszugehen sei, wohingegen es sich bei dem Vorfall vom 27.092017 noch um einen einmaligen Konsumvorgang gehandelt habe. Das Ergebnis der Blutuntersuchung der Blutprobe vom 06.12.2017 zeige, dass der Antragsteller nicht unter dem Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug geführt habe und daher zwischen den Konsum der Droge und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trenne.

Der VGH sieht das anders:

„Dem Antragsteller ist zunächst zuzustimmen, dass es für die Beurteilung, ob er als gelegentlicher Konsument von Cannabis anzusehen ist, entgegen den Ausführungen des Antragsgegners im streitgegenständlichen Bescheid und auch des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Beschluss nicht auf die Feststellungen bei der Kontrolle am 6. Dezember 2017 ankommen kann, zumal entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts (S. 4 des amtlichen Umdrucks des Beschlusses vom 9. Juli 2018, Zeilen 1 – 4) bei der Fahrt am 6. Dezember 2017 aufgrund der festgestellten Blutwerte gerade nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller unter dem Einfluss von Cannabis ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat. Richtig ist, dass ein fehlendes Trennungsvermögen einem Fahrerlaubnisinhaber erst ab dem Zeitpunkt entgegengehalten werden kann, in dem auch feststeht, dass er mindestens gelegentlich Cannabis konsumiert hat. Der Rückschluss auf einen feststehenden mindestens zweimaligen und damit gelegentlichen Konsum lässt sich hier jedoch aus den Ergebnissen der Analyse der beim Antragsteller am 25. September 2018 entnommenen Blutprobe (vgl. Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Frankfurt vom 11. Oktober 2017) und den eigenen Angaben des Antragstellers gegenüber der Polizei zu seinem Cannabiskonsum ziehen.

Wie der Antragsteller selbst angegeben hat, fand am 23. September 2018 eine Feier anlässlich der Geburt seines Sohnes statt. Zu dieser Feier habe, so der Antragsteller, ein Besucher „Gras“ mitgebracht. Man habe ein bis zwei Joints gedreht und durch die Runde gereicht. Er, der Antragsteller, habe einige Züge genommen. Damit steht nach den eigenen Angaben des Antragstellers ein Konsumakt am 23. September 2018 fest. Die in der Blutprobe vom 25. September 2018 festgestellten Werte in Bezug auf THC und Hydroxy-THC lassen indessen nur den Schluss zu, dass der Antragsteller kurzfristig vor der Polizeikontrolle am 25. September 2018 ein weiteres Mal Cannabis konsumiert haben muss. Dies ergibt sich daraus, dass nach den dem Beschwerdegericht zugänglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. Tönnes/Auwärter/Knoche/Skopp: Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Feststellung einer mangelhaften Trennung von Cannabiskonsum und Fahren anhand der Konzentration von Tetracannabinol (THC) im Blutserum, Blutalkohol, Bd. 53 (2016), S. 409ff.), insbesondere ein THC-Wert in der beim Antragsteller festgestellten Höhe nur erklärbar ist, wenn wenige Stunden zuvor ein weiterer Konsumakt stattgefunden hat. Wie entsprechende Untersuchungen ergeben haben, beträgt die Wirkungsdauer von Cannabis nur wenige Stunden. Bei einer nach allgemeiner Praxiserfahrung realistischen Konsumeinheit (d.h. 35 mg THC bezogen auf 70 Kg Körpergewicht) hat sich in einer Auswertung kontrollierter Studien ergeben, dass bei einer Mehrzahl der Probanden bereits nach 6 Stunden die festgestellten THC-Werte deutlich unter 1,0 ng/ml lagen. In 95 % der Fälle lagen die Werte unter 1,5 ng/ml. Aus einer an zahlreichen Studienergebnissen überprüften Regressionsformel ergibt sich, dass eine Konzentration von 0,5 ng/ml einem Konsumzeitpunkt von maximal 17,5 Stunden (oberes 95 % Konfidenzintervall) entspricht (vgl. Tönnes /Auwärter/Knoche/Skopp a. a. O. S. 411; in die gleiche Richtung gehend unter Heranziehung weiterer Quellen: Hess. VGH, Beschlüsse vom 17. August 2017 – 2 B 1213/17 –; vom 27. April 2015 – 2 B 223/15 – sowie vom 4. September 2014 – 2 B 1182/14 -). Zwar ist es in seltenen Fällen möglich, dass bei einer als gelegentlich einzustufenden Konsumhäufigkeit auch noch mehr als 24 Stunden nach dem letzten Konsumakt noch THC-Konzentrationen von mehr als 1,0 ng/ml festgestellt werden können, hinreichend wahrscheinlich ist dies jedoch nicht. Dabei nimmt die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ausnahmefalls mit der Höhe der THC-Konzentration im entsprechenden zeitlichen Abstand zum Konsumakt weiter ab. Ein THC-Wert von 3,5 ng/ml, wie er hier in Rede steht, ist schlechterdings zwei Tage nach dem letzten Konsumakt kaum noch vorstellbar. Demgegenüber wurden derartige THC-Konzentrationen von 1,0 ng/ml und darüber nach dem letzten Konsumakt in mehreren Studien bei Personen festgestellt, die regelmäßig Cannabis konsumiert haben (vgl. Tönnes/Auwärter/Knoche/Skopp a. a. O.). Zugunsten des Antragstellers geht das Beschwerdegericht davon aus, dass dies auf den Antragsteller nicht zutrifft, da ansonsten unabhängig von der Frage, ob er zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuge zu trennen vermag, nach der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der FeV bereits von seiner fehlenden Fahreignung auszugehen wäre.

Ist somit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der aufgrund der Blutprobe vom 25. September 2017 ermittelte THC-Wert von 3,5 ng/ml von einem weiteren, nach dem 23. September 2017 liegenden Konsumakt herrühren muss, steht einerseits fest, dass der Antragsteller bereits zu diesem Zeitpunkt gelegentlicher Cannabiskonsument gewesen sein muss, andererseits zeigt die Höhe der THC-Konzentration zugleich, dass es der Antragsteller an dem nach der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 der FeV erforderlichen Vermögen, zwischen dem Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr zu trennen, fehlen lässt.“

Der Antragsteller hätte besser den Mund gehalten….

Erstmalige „Cannabisfahrt“ – weg ist die Fahrerlaubnis in Schleswig-Holstein, oder: Harsche/harte Töne

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Harsche/harte Töne kommen aus Schleswig-Holstein vom dortigen OVG. Das hat im OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27.06.2018 – 4 MB 45/18 – noch einmal zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach erstmaliger Fahrt unter Cannabiseinfluss Stellung genommen. Das ist ja eine Frage, die Rechtsprechung und Literatur immer wieder beschäftigt.

Grundlage war etwa folgender Sachverhalt. Ergangen ist der Beschluss im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO.  Der Antragsteller ist gelegentlicher Konsument von Cannabis. Gegen ihn wurde wegen einer Fahrt unter THC-Einfluss (1,5 nl/ml THC im Blutserum) ein Bußgeld mit Fahrverbot verhängt. Es handelte sich um die erste derartige Ahndung des Antragstellers. Die Fahrerlaubnisbehörde entzog dem Antragsteller daraufhin – nach Anhörung – die Fahrerlaubnis aller Klassen mit der Begründung, der gemessene THC-Wert belege, dass der Antragsteller nicht in der Lage sei, hinreichend zwischen Cannabiskonsum und Verkehrsteilnahme zu trennen. Dagegen dann der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs. Ergebnis: Weder beim VG noch beim OVG Erfolg.

Kurzfassung der Beschlussbegründung:

Nach Ansicht des OVG führt der beim Antragsteller festgestellte THC-Wert von 1,5 ng/ml im Blutserum zu der Annahme, dass er nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen könne. Ab einem Wert von 1,0 ng/ml könne es zu einer Gefahrerhöhung kommen. An dieser Einschätzung ändere auch der Umstand nichts, dass nach den Empfehlungen der Grenzwertkommission vom September 2015 und des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstags vom Januar 2018 der maßgebliche Grenzwerts von 1,0 ng/ml im Blutserum auf 3,0 ng/ml heraufgesetzt werden solle.

Es entspreche – so das OVG – gefestigter Rechtsprechung, dass ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml davon auszugehen sei, dass der Betroffene nicht zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs trennen kann (BVerwG, Beschl. v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 -, NJW 2015, 2439). Beim Antragsteller sei damit von fehlendem Trennungsvermögen auszugehen.

Die Empfehlung der Grenzwertkommission für die Konzentration von THC im Blutserum zur Feststellung des Trennungsvermögens von Cannabiskonsum und Fahren (abgedruckt in: BA 2015, 322 f.), erst bei Feststellung einer THC-Konzentration von 3,0 ng/ml oder mehr im Blutserum bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen eine Trennung von Konsum und Fahren im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu verneinen, biete keinen Anlass zu einer Heraufsetzung des Grenzwerts (OVG Schleswig, Beschl. v. 8.9.2016 – 3 MB 36/16). Es entspreche nämlich weiterhin dem Stand der Wissenschaft, dass bereits bei einem THC-Wert von 1,0 ng/ml die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit bestehe. Die Empfehlungen der Grenzwertkommission seien insoweit nicht bindend.

Auch der Ansicht des VGH München, wonach bei einer erstmaligen Fahrt eines gelegentlichen Cannabiskonsumenten unter THC-Einfluss nicht ohne weiteres eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgen könne, sondern vielmehr weitere Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen seien (vgl. VGH München, Urt. v. 24.4.2017 – 11 BV 17.33 -) verweigert das OVG Schleswig-Holstein die Gefolgschaft.

Fazit: Uns im hohen Norden ist es völlig egal, was die Grenzwertkommission meint. Und die Empfehlungen des 56. VGT interessieren uns auch nicht.

Wer in Schleswig-Holstein kifft, ist also im Zweifel den Führerschein los. Da lobe ich mir doch die Bayern (hört, hört…). Die verlangen zumindest weitere Aufklärung, ebvor das scharfe Schwert der Entziehung zuschlägt.

„Ich konsumiere Cannabis doch nur gelegentlich“, oder: Angaben bei der Verkehrskontrolle verwertbar

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Als zweite Entscheidung „kocht“ im „Kessel Buntes“ heute der Hess. VGH, Beschl. v. 17.08.2017 – 2 B 1213/17 -, also mal wieder Verkehrsverwaltungsrecht. Es geht um die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG/der FEV und um die mit dem (mangelnden) Trennungsvermöge bei gelegentlichem Konsum von Cannabis zusammenhängenden Fragen. In der Frage hat der VGH seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und sich der h.M. in der Rechtsprechung zum „Grenzwert angeschlossen. Das hat er in folgendem Leitsatz kund getant

„Bei gelegentlichem Konsum von Cannabis ist bereits bei Erreichen des Risikogrenzwertes von 1,0 ng/ml im Blutserum von einem fehlenden Trennungsvermögen im Sinne der Anlage 4 Nr. 9.2.2 der FeV auszugehen. Der Senat gibt damit seine bisherige, auf einen Grenzwert von 2,0 ng/ml abstellende Rechtsprechung auf.“

Aber mir geht es gar nicht so sehr um diese Frage, sondern um die Ausführungen des VGH zu einem vom Betroffenen geltend gemachten Beweisverwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben bei der Verkehrskontrolle, die dem Verfahren zugunde liegt. Da hatte er ein Beweisverwertungsverbot reklamiert. Der VGH lehnt das ab:

„Dass der Antragsteller gelegentlicher Konsument von Cannabis ist, ergibt sich für den beschließenden Senat aus seinen Angaben gegenüber der Polizei im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung, welche im Anschluss an die Verkehrskontrolle am 25. Mai 2016 stattfand. Hierbei führte er aus, dass er regelmäßig Cannabis in mäßiger Form seit drei Jahren konsumiere. Er mische die Droge mit Tabak. Selbst kaufe er nicht, rauche aber bei anderen Personen mit. Nach dem Konsum führe er nie ein Fahrzeug. Diese Einlassungen unterliegen entgegen der Rechtsauffassung des Antragstellers keinem Verwertungsverbot. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag des Antragstellers, er sei nicht ordnungsgemäß belehrt worden, ausweislich Blatt 30 der Behördenakte (Protokoll der Beschuldigtenvernehmung) unzutreffend ist. Daraus ergibt sich nämlich ausdrücklich, dass der Antragsteller belehrt worden ist, was er durch seine Unterschrift und den Vermerk „selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben“ bestätigt hat.

Selbst wenn eine Belehrung unterblieben wäre, stünde das strafrechtliche Beweisverwertungsverbot des § 136 Abs. 1 Strafprozessordnung – StPO – der Verwertung dieser Angaben im Fahrerlaubnisentzugsverfahren durch die Verwaltungsbehörde nicht entgegen. Auf den Umstand, dass eine Belehrung stattgefunden hatte, sowie darauf, dass die strafrechtlichen Beweisverwertungsverbote regelmäßig im dem Gefahrenabwehrrecht zuzuordnenden Fahrerlaubrecht keine Berücksichtigung finden, hat auch das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung (S. 4 des amtlichen Umdrucks) bereits zutreffend hingewiesen (vgl. auch: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 16. Mai 2007 – 10 S 608/07-, NZV 2008, S. 55).

Im Fahrerlaubnisrecht sind Beweisverwertungsverbote nur in besonderen Ausnahmefällen anzunehmen. Selbst wenn wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften im Strafprozess ein Verwertungsverbot besteht, wirkt sich dies in der Regel nicht auf das Verfahren der Fahrerlaubnisentziehung aus. Da im Fahrerlaubnisrecht ein Beweisverwertungsverbot nicht ausdrücklich normiert ist, ist im Wege der Interessenabwägung über die Beweisverwertung zu entscheiden. Diese führt regelmäßig zu einer Zulässigkeit der Verwertung, denn während Beweisverwertungsverbote im repressiv geprägten Strafprozess dem Grundrechtsschutz des Betroffenen dienen, sind im Fahrerlaubnisrecht präventive Ziele, nämlich der Schutz von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, maßgeblich (Hess. VGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 2 B 847/17 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. September 2016 ? 16 B 685/16 ?, juris Rz. 13 ff.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 16. Dezember 2009 ? 12 ME 234/09 –, juris Rz. 4 f.; Bay. VGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 ? 11 CS 09.1443 –, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Februar 2016 ? 3 M 14/16 ?, juris).

Im Ergebnis ist es daher nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner, gestützt auf die eigenen Angaben des Antragstellers, zu der Einschätzung gelangt, dass es sich beim Antragsteller um einen zumindest gelegentlichen Konsumenten von Cannabis handelt.“

„Bekifft“ am Steuer, oder Entziehung der Fahrerlaubnis nach wie vor bei 1,0 ng/ml

In meinem Blogordner hing dann noch eine weitere Entscheidung (zum ersten Posting des heutigen Tages zum BayVGH, Urt. v. 25.04.2017 – 11 BV 17.33 und dazu Entzug der Fahrerlaubnis: Nicht ohne MPU nach einmaligem Fahren unter Cannabiseinfluss) zur Entziehung der Fahrerlaubnis wegen einer Fahrt nach Cannabiskonsum. Es ist das OVG Münster, Urt. v. 05.03.2017 – 16 A 432/16 u.a. In ihm hat das OVG den (auch) von ihm angenommenen Grenzwert für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss bestätigt. Es gilt: Wer gelegentlich Cannabis konsumiert, ist ab einem THC-Wert von 1,0 ng/ml Serum nicht mehr geeignet, ein Kraftfahrzeug zu führen. Bei Überschreitung dieses Grenzwerts ist von einem fehlenden, aber erforderlichen Trennen zwischen dem Konsum des Betäubungsmittels und dem Führen von Kraftfahrzeugen auszugehen.

Betroffen von der Entscheidung waren drei Kläger, die bei Polizeikontrollen aufgefallen waren. Nach Blutentnahme wurde bei ihnen der psychoaktive Cannabisbestandteil THC in einer Konzentration von 1,1, bzw. 1,6 bzw. 1,9 ng/ml im Serum festgestellt. Daraufhin wurde ihnen die Fahrerlaubnis entzogen. Das OVG bestätigt seine Rechtsprechung, wonach die Grenze bei 1,0 ng/ml im Serum liegt.

Interessant an dem Urteil ist, dass das OVG nicht der sog. Grenzwertkommission folgt. Die hat 2015  für die Frage des Trennens einen Grenzwert von 3,0 ng/ml THC im Serum vorgeschlagen. Dem war schon das VG in den erstinstanzlichen Urteilen nicht gefolgt, sondern hat an dem bisherigen Wert festgehalten. Auch das OVG geht diesen (neuen) Weg nicht. Begründung bitte in dem umfangreichen Urteil selbst nachlesen. Ausschlaggebend war für das OVG, dass schon bei dem niedrigen Wert nicht in jedem Einzelfall mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden könne, dass Beeinträchtigungen von verkehrssicherheitsrelevanten Fähigkeiten der Betroffenen vorliegen. Nach der Anhörung des vormaligen und des derzeitigen Vorsitzenden der Grenzwertkommission als Sachverständige hat das OVG keinen durchgreifenden Grund für eine davon abweichende Gefährdungseinschätzung gesehen. Das gelte ungeachtet des von den Gutachtern dargestellten Umstandes, dass ein Wert von 1,0 ng/ml THC im Serum in Abhängigkeit vom individuellen Konsumschema gegebenenfalls auch nach einer längeren, also mehrtägigen, Abstinenz auftreten kann und dem Betroffenen eine Nachwirkung in solchen Fällen nicht notwendigerweise vor Augen stehen muss.

Die Leitsätze:

1. Auch in Ansehung der Empfehlung der Grenzwertkommission, für das Merkmal des Trennens zwischen Cannabiskonsum und Fahren einen Grenzwert von 3 ng/ml THC im Serum einzuführen, wird an dem bislang herangezogenen Grenzwert von 1 ng/ml THC im Serum festgehalten.
2. Dass ein wegen Cannabiseinfluss auffällig gewordener Führer eines Kraftfahrzeuges im Vorfeld dieses Auffälligwerdens zum ersten und einzigen Mal Cannabis konsumiert hat, kann nur dann geglaubt werden, wenn der Betroffene dies ausdrücklich behauptet und durch eine substanziierte, widerspruchsfreie und inhaltlich nachvollziehbare Schilderung der näheren Umstände des Konsums und des nachfolgenden Fahrentschlusses unterlegt.
3. Schon das einmalige Nicht Trennen zwischen Cannabiskonsum und Fahren durch einen gelegentlichen Cannabiskonsumenten trägt die Annahme fehlender Fahreignung und führt zur Entziehung der Fahrerlaubnis.

Die Revision ist vom OVG nicht zugelassen worden.