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Gegenstandswert der Verfassungsbeschwerde, oder: Bei 59,50 EUR im Ausgangsverfahren keine 35.370 EUR

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Und als zweite Entscheidung aus dem Gebührenbereich etwas zur Bemessung des Streitwertes in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, und zwar der VerfGH NRW, Beschl. v. 12.07.2022 – VerfGH 104/21.VB-2. Ergangen ist er in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren, in dem der VerfGH NRW durch den VerfGH NRW, Beschl. v. 21.06.2022 – VerfGH 104/21.VB-2 entschieden hat, den ich hier ja auch schon vorgestellt habe (vgl. Übergehen des wesentlichen Kerns des Vorbringens, oder: Rechtliches Gehör im Zivilverfahren).

Der Verfassungsgerichtshof hat der Verfassungsbeschwerde eines Klägers stattgegeben, mit der dieser sich gegen die teilweise Klageabweisung – es ging um einen Betrag von 59 EUR – in einem verkehrsrechtlichen Verfahren vor dem AG gewandt hatte. Der Verfassungsgerichtshof hat eine Verletzung des Klägers in seinem Recht auf rechtliches Gehör festgestellt, das angegriffene amtsgerichtliche Urteil im Umfang der Klageabweisung aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das AG zurückverwiesen. Der Bevollmächtigten des Klägers hat nunmehr die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren beantragt. Der Wert soll auf mindestens 35.370- EUR festgesetzt werden. Der VerfGH hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf (nur) 10.000 EUR festgesetzt:

„1. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 14 Abs. 1 RVG. Der Verfassungsgerichtshof folgt bei der Festsetzung des Gegenstandswerts nach diesen Vorschriften den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäben (vgl. grundlegend VerfGH NRW, Beschluss vom 18. Juni 2019 – VerfGH 2/19.VB-2, juris, Rn. 3 m. w. N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Danach kommt es sowohl auf die subjektive als auch die objektive Bedeutung der Sache an. In diesem Zusammenhang hat auch der Erfolg einer Verfassungsbeschwerde Einfluss auf die Höhe des festzusetzenden Gegenstandswerts. Ferner sind der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Schließlich fließen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers bei der Bemessung des Gegenstandswerts ein, soweit sie deutlich aus dem Rahmen fallen und dem Verfassungsgerichtshof mitgeteilt oder aufgrund des Gegenstands oder Verlaufs des Verfahrens offenbar werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 1291/85, BVerfGE 79, 365 = juris, Rn. 14). Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist der Mindestgegenstandswert des § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 RVG bei Verfassungsbeschwerden, die zwar Erfolg haben, aber in ihrer Bedeutung nicht über den Einzelfall hinausgehen, nicht von überdurchschnittlicher Schwierigkeit sind, keinen großen Umfang haben und auch im Übrigen nicht mit außergewöhnlichen Umständen verbunden sind, regelmäßig zu verdoppeln (VerfGH NRW, Beschluss vom 18. Juni 2019 – VerfGH 2/19.VB-2, juris, Rn. 3).

2. Dies zugrunde gelegt, ist der in § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 RVG gesetzlich vorgesehene Mindestgegenstandswert auch hier lediglich zu verdoppeln (siehe für einen vergleichbaren Fall VerfGH NRW, Beschluss vom 14. September 2021 – VerfGH 137/20.VB-2, r+s 2021, 725 = juris, Rn. 22) und dem weitergehenden Antrag im Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 5. Juli 2022 nicht zu entsprechen.

Die subjektive Bedeutung der Verfassungsbeschwerde für den Beschwerdeführer ist in wirtschaftlicher Hinsicht als gering zu bewerten, weil sie nur einen Betrag von 59,50 Euro betrifft. Begrenzt wird die subjektive Bedeutung zudem durch den Inhalt der vom Verfassungsgerichtshof getroffenen Entscheidung. Er hat dem Beschwerdeführer den Betrag von 59,50 Euro nicht etwa zugesprochen, sondern das angegriffene Urteil im Umfang der Klageabweisung nur aufgehoben und die Sache insoweit an das Amtsgericht zurückverwiesen. Der weitere Gang des dortigen Verfahrens ist offen. Allerdings hatte die Verfassungsbeschwerde damit den vom Beschwerdeführer erstrebten Erfolg. Überdies hatte die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für ihn rehabilitierende Wirkung. Die Verfassungsbeschwerde war auch im Umfang seiner Rüge einer eigenständigen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Anhörungsrügebeschluss vom 3. August 2021 begründet, mit dem ihm das Amtsgericht – zu Unrecht – ein prozessual unzulässiges Vorgehen vorgeworfen hatte.

In objektiver Hinsicht kommt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs entgegen den Ausführungen im Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 5. Juli 2022 keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu. Der Fall hat keine erstmals klärungsbedürftigen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Vielmehr hat der Verfassungsgerichtshof lediglich die bekannten Maßstäbe für eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör zur Anwendung gebracht. Soweit im Schriftsatz der Bevollmächtigten darauf hingewiesen wird, dass die Unfallschadensregulierung ein Massengeschäft sei und die im amtsgerichtlichen Verfahren umstrittenen Verbringungskosten – mit entsprechender wirtschaftlicher Bedeutung – massenhaft vor nordrhein-westfälischen Gerichten geltend gemacht würden, lässt sich hieraus für die objektive Bedeutung der Sache nichts ableiten. Über die einfach-rechtliche Frage der Ersatzfähigkeit von Verbringungskosten hat der Verfassungsgerichtshof nicht entschieden.

Soweit im Schriftsatz der Bevollmächtigten schließlich der erhebliche anwaltliche Arbeitsaufwand für das Verfassungsbeschwerdeverfahren hervorgehoben wird, fließt der Aspekt sorgfältiger anwaltlicher Arbeit in die Wertbemessung mit ein, rechtfertigt hier im Rahmen der Gesamtschau aber keine Anhebung des Gegenstandswerts über den verdoppelten Mindestwert hinaus. Zum einen war die Sache von nicht mehr als durchschnittlicher tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeit und auch vom Umfang her überschaubar. Zum anderen muss ungeachtet des anwaltlichen Aufwands stets die Bedeutung der Sache das ausschlaggebende Moment für die Wertfestsetzung bleiben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1989 – 1 BvR 1291/85, BVerfGE 79, 365 = juris, Rn. 12).

Da die Verfassungsbeschwerde auch im Übrigen nicht mit außergewöhnlichen Umständen verbunden war, erscheint in der gebotenen Gesamtschau die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 10.000,- Euro angemessen.“

Einziehung von unversteuerten/“illegalen“ Zigaretten, oder: Wie hoch ist der Gegenstandswert?

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Die zweite Entscheidung, der  OLG Frankfurt, Beschl. v. 09.02.2022 – 2 Ws 33/21 – hat seinen Ausgangspunkt in einem Verfahren wegen Steuerhehlerei an illegal produzierten und unversteuerten Zigaretten. In dem gegen den ehemaligen Angeklagten geführten Strafverfahren wegen Tabaksteuerhinterziehung wurde in der Anklageschrift auch angeführt, dass die in dem Verfahren sichergestellten Zigarettenherstellungsmaschinen, Tabak, Zigaretten, Verpackungs- und Herstellungsmaterialien gemäß § 375 Abs. 2 Nr. 1 AO der Einziehung unterliegen. Der Angeklagte ist dann frei gesprochen worden.

Der Verteidiger des Angeklagten hat angekündigt, die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG beantragen zu wollen. Er hat die Festsetzung des Gegenstandswertes seiner anwaltlichen Tätigkeit in Bezug auf die Einziehung beantragt. Das LG hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit auf 2.733.829,12 EUR, dem Betrag der dem ehemaligen Angeklagten in der Anklageschrift vorgeworfenen hinterzogenen Tabaksteuer, festgesetzt. Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin hat das LG den Gegenstandswert dann gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auf 5.000,00 EUR fest.

Hiergegen wendet sich der Rechtsanwalt mit seiner Beschwerde. Die hatte beim OLG keinen Erfolg. Das OLG hat sie als unbegründet angesehen und den Gegenstandswert in Höhe von 0 EUR festgesetzt.

„Die Beschwerde ist gemäß § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig; sie ist jedoch unbegründet und führt zu einer Wertfestsetzung in Höhe von 0 €.

Das Landgericht hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf eine Einziehung rechtsfehlerhaft zu hoch, nämlich auf € 5.000,00, festgesetzt. Dies kann im Beschwerdeverfahren korrigiert werden, da das Verbot der reformatio in peius im Rahmen der Wertfestsetzung nach § 33 RVG nicht gilt.

Die Gebühr gemäß Nr.?4142 VV entsteht, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen gerichtete Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (BGH, Beschluss vom 29. November 2018 – 3 StR 625/17; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021, RVG VV 4142 Rdn. 6) und sich dadurch für das – oft besonders wertvolle – Eigentum des Mandanten einsetzt (KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 – 1 Ws 16/21). Sinn und Zweck der Einziehungsgebühr besteht darin, dem Rechtsanwalt eine besondere Vergütung für seinen Einsatz zu gewähren, der sich auf die Bewahrung des Eigentums des Mandanten bezieht, da die Anordnung einer Einziehungsmaßnahme eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Beschuldigten haben kann (BT- Drucksache 15/1971 S. 228). In diesen Fällen gestaltet sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts häufig aufwendiger und umfangreicher (KG, Beschluss vom 18. Juli 2005 – 5 Ws 256/05). Erfasst werden von ihr sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben. Nr. 4142 VV RVG setzt dabei keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus. Auch Besprechungen und Beratungen des Mandanten lösen die Gebühr aus, sofern die Tätigkeit nach Aktenlage geboten war (vgl. Burhoff, aaO, RVG VV 4142 Rdn. 10, 12). Allein der Umstand, dass im Fall der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr dagegen nicht aus (KG, Beschluss vom 17. Juni 2008 – 1 Ws 123/08).

Vorliegend wurde in der Anklageschrift vom 06. September 2013 die Einziehung der in dem Verfahren sichergestellten Zigarettenherstellungsmaschinen, Tabak, Zigaretten, Verpackungs- und Herstellungsmaterialien gemäß § 375 Abs. 2 Nr. 1 AO beantragt. Der Beschwerdeführer trägt zudem vor, es sei im Laufe der Hauptverhandlung mehrfach über die Möglichkeit dieser Einziehung gesprochen worden und er habe den vormals Angeklagten hierzu entsprechend beraten.

Die Beratung des vormals Angeklagten hinsichtlich der Einziehung dieser Gegenstände kann zwar grundsätzlich eine Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG auslösen; diese Gegenstände haben jedoch – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – keinen Gegenstandswert. Maßgeblich für den Gegenstandswert ist nämlich der normativ zu bestimmende objektive Geldwert des Gegenstandes. Das subjektive Interesse des Täters ist unbeachtlich (Mayer in Gerold/Schmidt, aaO, § 2 RVG Rdn. 9). Gegenstände, denen die Rechtsordnung keinen messbaren Wert zuschreibt, fehlt ein derartiger Wert. Die illegal hergestellten und unversteuerten Zigaretten sind unter Beachtung der Rechtsordnung nicht handelsfähig. Sie unterliegen ebenso wie Betäubungsmittel der Einziehung und werden vernichtet. Damit hat ihr ggf. auf dem Schwarzmarkt erzielbarer Preis bei der Wertfestsetzung außer Betracht zu bleiben, da dieser allein das subjektive Interesse der beteiligten Straftäter am verbotenen Handel mit illegal produzierten und unversteuerten Zigaretten beziffert (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19. Januar 2010 – 2 Ws 79/09; LG Berlin, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 536 Qs 250/06, bestätigt durch Beschluss des KG, Beschluss vom 20. Dezember 2006 – 5 Ws 687/06). Der Wert der illegal produzierten und unversteuerten Zigaretten sowie des Feinschnitttabaks ist daher auf 0 € festzusetzen. Die Zigarettenfabrikationsanlage sowie die Verpackungs- und Herstellungsmaterialen sind aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses ebenfalls mit 0 € zu bewerten.

Sofern der Beschwerdeführer geltend macht, bei der Festsetzung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit in Bezug auf die Einziehung müsse zumindest ergänzend auf die in der Anklageschrift vorgeworfene verkürzte Steuer abgestellt werden, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar hat die Kammer im weiteren Verlauf des Ursprungsverfahrens – nach Abtrennung des Verfahrens und Freispruch des vormals Angeklagten B – hinsichtlich vormals Mitangeklagter zum Teil auch auf Einziehungsentscheidungen in Höhe der jeweils hinterzogenen Steuern erkannt, die vor dem BGH allerdings keinen Bestand hatten (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – 1 StR 225/19). Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht vorgetragen, dass eine derartige Einziehungsentscheidung auch bezüglich des Angeklagten B im Raume stand, ggf. sogar ein entsprechender richterlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erteilt wurde, und Gegenstand seiner anwaltlichen Beratung war. Im Rahmen des im Kostenfestsetzungsverfahrens grundsätzlich geltenden Beibringungsgrundsatzes (Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage, § 11 RVG Rdn. 61; § 33 Rdn. 21) wäre daher zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde eine dem Vergütungsanspruch zugrundeliegende Tätigkeit vorträgt. Dies ist vorliegend jedoch nicht erfolgt.

Das Verschlechterungsverbot steht der Aufhebung des Beschlusses vom 19. August 2019 und der Herabsetzung des durch das Landgericht festgesetzten Wertes nicht entgegen. ….. „

Der Gegenstandswert beträgt mehr als 3,2 Mio EUR ?, oder: OLG setzt auf rund 160.000 EUR fest

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Und dann vor dem Wochenende noch zwei Gebührenentscheidungen. Beide betreffen die Nr. 4142 VV RVG – fast ist man geneigt zu schreiben: Welche Ziffer aus dem VV sonst? 🙂 In beiden Entscheidungen geht es um die den für die Höhe der Gebühr maßgeblichen Gegenstandswert, also mal nicht um den Anfall der Nr. 4142 VV RVG.

In dem dem OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.12.2021 – Ws 1149/21 – zugrunde liegenden Verfahren meinte der Bevollmächtigte des Nebenbeteiligten, 3.231.444,00 EUR seinen als Gegenstandswert angemessen, das OLG hat dann aber nur 157.054,60 EUR festgesetzt.

„3. Bei einem Vermögensarrest gemäß §§ 111e, 111f StPO ist maßgebend für die Wertfestsetzung das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung, wobei die konkrete wirtschaftliche Situation in den Blick zu nehmen ist (§ 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 RVG). Beträge, deren Durchsetzbarkeit nicht ernstlich in Betracht kommt und die deshalb eher fiktiven Charakter haben, bleiben unberücksichtigt. Nur soweit der zu sichernde Anspruch werthaltig ist und eine Befriedigung des Arrestgläubigers erwarten lässt, ist er im Rahmen der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG der Bemessung des Gegenstandswerts zu Grunde zu legen. Damit geht das für die Wertberechnung gem. § 2 I RVG maßgebliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weiter, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt, zu dem der Verteidiger tätig wird. Dabei können die in Vollziehung des Arrests erfolgten Pfändungen Anhaltspunkte dafür liefern, inwieweit eine durchsetzbare Verfallsanordnung in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 8.11.2018 – III ZR 191/17 m.w.N., Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage, Nr. 4142 VV Rn 42).

4. Danach ist der Gegenstandswert auf 157.054,60 € festzusetzen.

a) Auszugehen ist vom Wert der bei der Nebenbeteiligten in Vollziehung des angeordneten Vermögensarrest sichergestellten 471.163,80 EUR. Auch wenn der Senat mit seinem Beschluss vom 31.08.2021 den in Höhe von 3.231.444,00 € angeordneten Vermögensarrest vollständig aufgehoben hat, ist der Wert nur in Höhe des tatsächlich vollzogenen Betrags anzusetzen. Dass weitere Vermögenswerte der Nebenbeteiligten bestanden, auf die zum Vollzug des Vermögensarrests hätte zugegriffen werden können, ist nicht ersichtlich.

b) Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests ist ein Abschlag von zwei Dritteln vorzunehmen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.1.2008, 3 Ws 560/07; OLG München, Beschluss vom 16.08.2010, 4 Ws 114/10; BGH a.a.O.; Burhoff a.a.O.; Gerold/Schmidt a.a.O., VV 4142 Rn 20), so dass sich ein Gegenstandswert von 157.054,60 € ergibt.

Nr. 4142 VV RVG II: Beratung des Mandanten reicht, oder: LG Coburg macht es richtig

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Und die zweite Entscheidung zur Nr. 4142 VV RVG ist dann hier der sehr schöne LG Coburg, Beschl. v. 22.02.2022 – 3 Qs 10/21. Der Kollege Estel, der mir den Beschluss geschickt hat, warlt war (Pflicht)Verteidiger des ehemaligen Angeklagten in einem Verfahren wegen eines Diebstahlsvorwurf – Diebstahl eines Bargeldbetrages von 120.000 EUR. Nachdem die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hatte, hat sie diese nach einem richterlichen Hinweis zurückgenommen und das Verfahren mit Verfügung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Die notwendigen Auslagen des ehemaligen Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.

Der Kollege hat hat im Rahmen der Kostenfestsetzung u.a. die Festsetzung einer Gebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 120.000,00 EUR beantragt. Die Rechtspflegerin hat die Gebühr nicht festgesetzt. Auf die Erinnerung des Kollegen hat das AG die Gebühr festgesetzt. Gegen diese Festsetzung hat der Vertreter der Staatskasse Beschwerde eingelegt. Die hatte beim LG keinen Erfolg. Das LG sieht den Ansatz der Nr. 4142 VV RVG als zutreffend an:

„Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes, soweit sie nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind. Zu den erstattenden Gebühren gehört auch grundsätzlich die Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG. Die Gebühr entsteht für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf die Einziehung, dieser gleichstehende Rechtsfolgen (§ 439 StPO), die Abführung des Mehrerlöses oder auf eine diesen Zwecken dienende Beschlagnahme bezieht.

Die Gebühr fällt bereits dann für die beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes an, wenn eine Einziehung in Betracht kommt (BeckOK RVG, 50. Edition, Stand: 01.12.2020, W 4142 Rn. 9 -10). Die VV 4142 RVG setzt keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwaltes voraus. Die Einziehung muss auch nicht im Verfahren beantragt worden sein. Es ist bereits ausreichend, wenn eine Einziehung in Betracht kommt oder nach Aktenlage geboten ist (OLG Dresden – Strafsenat, Beschluss vom 14.02.2020 — 1 Ws 40/20). Dies ist vorliegend der Fall. Aus dem Ermittlungsbericht der Kriminalpolizei Coburg vom13.09.2019 (BI. 161 d.A.) ergibt sich, dass die ersten Ermittlungen für eine Vermögensabschöpfung aufgenommen wurden. Der Angeschuldigte bzw. der Verteidiger, welcher am 25.10.2019 Akteneinsicht hatte, konnte folglich mit einer vermögensabschöpfenden Maßnahme rechnen, sodass eine Beratung diesbezüglich sachgerecht war. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeschuldigte aufgrund des Testamentes seines, nach der Entnahme des Geldes zwischen dem 20.03.2019 und 21.04.2019 verstorbenen Vaters, Erbe geworden ist. Das Testament wurde durch die Polizei sichergestellt. Dennoch hat die Polizei trotz Kenntnis des Testaments Finanzermittlungen im Hinblick auf eine eventuelle Vermögensabschöpfung vorgenommen, sodass eine Beratung diesbezüglich durch den Verteidiger nicht völlig fernliegend war. Zwar vermerkte die Staatsanwaltschaft am 06.06.2019 in der Akte, dass vorerst keine weiteren Maßnahmen zur Vermögensabschöpfung veranlasst sind. Jedoch wurde erst mit Anklageerhebung vom 09.12.2019 endgültig von Vermögensabschöpfung abgesehen. Bis zur Erhebung der Anklage waren weitere vermögensabschöpfende Maßnahmen nicht ausgeschlossen bzw. zumindest jedoch nicht derart fernliegend, dass eine anwaltliche Beratung hierzu nicht sachgerecht gewesen wäre. Zumal auch eine Beratung zu den bereits vorgenommenen Maßnahmen sowie zu den etwaigen Auswirkungen des Todes des Vaters und des Testamentes auf die weiteren Ermittlungen und vermögensabschöpfenden Maßnahmen bereits eine Beratung, die sich auf eine mögliche Einziehung bezieht, darstellt.

Vor der am 01.07.2017 in Kraft getretenen Neuregelung der Vermögensabschöpfung wurde die Ansicht vertreten, dass es sich bei Nr. 4142 VV RVG um eine Maßnahme handeln musste, die dem Betroffenem den Gegenstand endgültig entzieht und es dadurch zu einem endgültigen Vermögensverlust kommen musste. Maßnahmen der Rückgewinnungshilfe waren daher nach herrschender Meinung nicht erfasst.

Das am 01.07.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat das Recht der Vermögensabschöpfung grundlegend neu geregelt. Das Rechtsinstitut des Verfalls wurde abgeschafft und durch das Rechtsinstitut der Einziehung von Taterträgen ersetzt. Ebenso wurden die Regelungen zur Rückgewinnungshilfe abgeschafft. Nach den Neuregelungen werden alle Anordnungen nach § 73ff. StGB als Einziehung bezeichnet. Nach dem Wortlaut der Nr. 4142 W RVG fällt die Gebühr u.a. für alle Tätigkeiten an, die sich auf die Einziehung beziehen. Durch die neuen Vorschriften zur Vermögensabschöpfung kann der Verletzte mit Rechtskraft der Einziehungsanordnung nunmehr die Rückübertragung und Herausgabe der eingezogenen Gegenstände bzw. seine Befriedigung aus dem eingezogenen Wertersatz verlangen. Die Einziehungsentscheidung wird daher nach neuem Recht bereits endgültig zu Lasten des Angeschuldigten getroffen. Damit stellt die Einziehung stets eine auf den endgültigen Verlust des Gegenstandes oder des Vermögens gerichtete Maßnahme dar (LG Cottbus, Beschluss vom 22.01.2018 – 22 Wi Qs 16/17).

Bei der Gebühr Nr. 4142 VV RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr unabhängig vom Umfang der Tätigkeit zusteht. Damit genügt es, wenn der Verteidiger beratend im Zusammenhang mit der möglichen Einziehung tätig wird. (LG Chemnitz, 4. große Strafkammer, Beschluss vom 09.01.2020 – 4KLs 310 Js 40553/18; OLG Dresden (Strafsenat), Beschluss vom 14.02.2020 — 1 Ws 40/20). Dem Pflichtverteidiger war daher eine 1,0 Verfahrensgebühr gemäß VV RVG Nr. 4142 zu erstatten.

Auch der Verfahrenswert wurde vom Amtsgericht Coburg ordnungsgemäß festgesetzt.

Der Gegenstandswert richtet sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Danach ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Anspruch auf Einziehung, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes bezieht. Gegenstandswert ist der objektive Geldwert des Gegenstandes. Die für die Wertgebühr maßgebende Höhe richtet sich nach den zum Zeitpunkt der Beratung erkennbaren Anhaltspunkten. Ob sich später Anhaltspunkte für einen niedrigeren Wert ergeben, ist insoweit unerheblich (OLG Oldenburg, Beschluss vom 6. 7. 2011 – 1 Ws 351/11). Für die Bestimmung des Gegenstandswertes ist somit nicht maßgeblich darauf abzustellen, ob und in welcher Höhe eine Einziehung im Urteil letztlich angeordnet worden ist, sondern vielmehr darauf, in welcher Höhe dem Angeschuldigten eine Einziehung drohte (LG Berlin, Beschluss vom 13.04.2018 – 511 KLs 255 Js 739/14 -11/17; LG Essen – XXIV. große Strafkammer – Jugendkammer, Beschluss vom 04.12.2018 – 64 Qs-68 Js 11.80/16-23/18). Hier wurde dem Angeschuldigten ein Diebstahl von Bargeld in Höhe 120.000,00 Euro vorgeworfen. Zum Zeitpunkt der anwaltlichen Beratung drohte dem Angeschuldigten eine Einziehung in dieser Höhe. Dieser Wert war somit maßgeblich für die Festsetzung des Verfahrenswertes.“

Wie gesagt: Eine sehr schöne Entscheidung. Hoffentlich bleibt es dabei. Denn das LG hat gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 6 RVG die weitere Beschwerde zum OLG zugelassen. Und das ist Bamberg. Das weiß man nie…..

Die Kosten im Verfassungsbeschwerdeverfahren, oder: Billigkeitsentscheidung

Als zweite Entscheidung dann mal etwas ganz Anderes, nämlich etwas Kostenrechtliches vom BVerfG. Das hat im BVerfG, Beschl. v. 10.01.2022 – 2 BvR 1851/21 – zu § 34a Abs. 3 BVerfGG Stellung genommen, also Kostenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren:

„1. Über die Verfassungsbeschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung seines Asylantrags gewendet hat, ist nicht mehr zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer das Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2021 für erledigt erklärt hat.

2. Die Auslagenerstattung war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen.

a) Über die Auslagenerstattung ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70 <89>) dar (vgl. BVerfGE 66, 152 <154>). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So ist es billig, einer beschwerdeführenden Person die Erstattung ihrer Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall ? falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind ? davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren der beschwerdeführenden Person selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2021 – 2 BvR 2069/19 -, Rn. 3).

b) Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Auslagenerstattung zu zwei Dritteln anzuordnen.

Die Auslagenerstattung ist anzuordnen, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs gerichtet hat. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat diese mit Beschluss vom 26. November 2021 aufgehoben und damit zum Ausdruck gebracht, dass er das Begehren des Beschwerdeführers insoweit selbst für berechtigt erachtet hat.

Soweit sich der Beschwerdeführer auch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts gewendet hat, ist die Auslagenerstattung nicht anzuordnen. Zum einen ist dieses durch den Verwaltungsgerichtshof nicht aufgehoben worden. Zum anderen war die Verfassungsbeschwerde insoweit mangels hinreichender Begründung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) offensichtlich unzulässig, sodass eine Auslagenerstattung aus Billigkeitsgesichtspunkten ausscheidet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Februar 2018 – 2 BvR 2628/17 -, Rn. 2).

3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich, soweit das Land Baden-Württemberg zur Kostenerstattung verpflichtet wird (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>; 105, 239 <252>). Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt, weil die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung mangels hinreichender Erfolgsaussicht die Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2021 – 2 BvR 307/21 -, Rn. 2) nicht erfüllt.

4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 f.>).“