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Gegenstandswert in der Adhäsion in der Revision, oder: Maßgeblich ist das wirtschaftlichen Interesse

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Am RVG-Freitag heute dann zwei Entscheidungen, und zwar eine vom BGH und eine landgerichtliche, die „unschön“ ist.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 31.10.2024 – 1 StR 216/24, in dem der BGH nochmals zum Gegenstandswert von Adhäsionsanträgen im Revisionsverfahren Stellung genommen hat.

Das LG hat den Angeklagten wegen Mordes verurteilt. Im Adhäsionsverfahren hat es den Angeklagten verurteilt, an die drei Adhäsionskläger jeweils ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 15.000 EUR und zur gesamten Hand aller Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 EUR jeweils nebst Zinsen zu zahlen, nachdem der Angeklagte zuvor einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 25.000 EUR anerkannt hatte. Es hat des Weiteren festgestellt, dass die ausgeurteilten Ansprüche auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruhen.

Der Vertreter der Adhäsionskläger hat beantragt, den Gegenstandswert des Adhäsionsverfahrens in der Revisionsinstanz festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG).  Der BGH hat den Gegenstandswert für das Revisionsverfahren auf 95.000 EUR festgesetzt. Zur Begründung führt er aus:

„2. Der Gegenstandswert von Adhäsionsanträgen bestimmt sich nach dem wirtschaftlichen Interesse des Antragstellers. Im Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG der Antrag des Rechtsmittelführers maßgeblich, wobei gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 GKG der Wert durch denjenigen des Streitgegenstands im ersten Rechtszug beschränkt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Oktober 2023 6 StR 198/22 Rn. 3 und vom 7. November 2022 6 StR 124/22 Rn. 4). Bei Festsetzungsanträgen des Vertreters des Adhäsionsklägers im Revisionsverfahren wegen einer Angeklagtenrevision ist, wenn der Angeklagte die Adhäsionsentscheidung nicht ganz oder teilweise von seinem Revisionsangriff ausnimmt, regelmäßig der Betrag der erstinstanzlichen Verurteilung des Angeklagten maßgeblich (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2024 2 StR 55/23 Rn. 5; vom 17. März 2021 2 StR 351/20 Rn. 1; vom 8. September 2020 6 StR 95/20 Rn. 1 und vom 6. Juni 2018 2 StR 337/14 Rn. 6). Denn die im Auftrag des Adhäsionsklägers erfolgte anwaltliche Tätigkeit umfasst dann die Verteidigung des vom Tatgericht erstinstanzlich zuerkannten Betrags. Deshalb bleibt auch ein vom Angeklagten im landgerichtlichen Adhäsionsverfahren erklärtes Teilanerkenntnis außer Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2021 aaO).

3. Danach beläuft sich der Gesamtgegenstandswert hier auf 95.000 Euro.

a) Der Angeklagte hat gegen das landgerichtliche Urteil umfassend Revision eingelegt und beantragt, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen. Im Rahmen der Sachrüge hat der Angeklagte erklärt, dass die Adhäsionsentscheidung insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht standhalte. Soweit er im Folgenden nähere Ausführungen lediglich zum ausgeurteilten Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro gemacht hat, wollte er diese ausdrücklich nicht als abschließend („insbesondere“) verstanden wissen. Eine Ausnahme des erstinstanzlichen Teilanerkenntnisses in Höhe von 25.000 Euro aus dem umfassenden Rechtsmittelangriff ist gleichfalls nicht erkennbar. Die im Auftrag der Adhäsionskläger erfolgte anwaltliche Tätigkeit umfasste die Verteidigung des vom Tatgericht erstinstanzlich zuerkannten Gesamtbetrags.

b) Der Feststellungsausspruch, wonach die Ansprüche der Adhäsionskläger aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Angeklagten herrühren, erhöht den Gegenstandswert nicht, weil insoweit wirtschaftliche Identität mit den auf Vorsatztaten beruhenden Schmerzensgeldaussprüchen besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. November 2022 6 StR 124/22 Rn. 5 und vom 8. September 2020 6 StR 95/20 Rn. 2). Die zugesprochenen Zinsen bleiben als Nebenforderung außer Ansatz (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2020 aaO).“

Die Entscheidung liegt auf der Linie der – auch angeführten – Rechtsprechung des BGH. Der Verteidiger muss sich gut überlegen, ob er im Fall der Revision nicht ggf. die Adhäsion ganz oder teilweise von seinem Revisionsangriff ausnimmt, um so ggf. im Revisionsverfahren die im Fall des Scheiterns der Revision drohende Kostenlast für den Mandanten zu reduzieren.

Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV und Gegenstandswert I, oder: Gegenstandswert einer Arrestforderung

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Am „Gebührenfreitag“ heute dann zwei Entscheidungen zum Gegenstandswert bei der Nr. 4142 VV RVG, der „Einziehungsgebühr“. Bei der Gebühr handelt es sich ja um eine reine Wertgebühr. Daher sind im Hinblick auf die Höhe der Gebühr die mit dem für die Berechnung der Gebühr maßgeblichen Gegenstandswert zusammenhängenden Fragen von erheblicher praktischer Bedeutung.

Dazu dann betreffend einen Arrest das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 20.06.2024 – 18 KLs 104 Js 10095/22 – mit folgendem Sachverhalt: Am 29.9.2022 wurde der Angeklagten Rechtsanwalt R 1 als notwendiger Verteidiger beigeordnet. Mit Beschluss des AG vom 27.o9.2022, erweitert durch Beschluss des AG vom 09.11.2022 wurde ein Vermögensarrest in Höhe von 4.482.718,62 EUR in das Vermögen u. a. der Angeklagten angeordnet. Mit Schriftsatz ihres Verteidigers Rechtsanwalt R 1 vom 24.01.2023 legte die Angeklagte Beschwerde gegen Beschluss vom 09.11.2022 ein. Diese ist am 06.02.2023 verworfen worden).

Am 21.03.2023 wurde Anklage gegen die Angeklagte erhoben. Das Hauptverfahren wurde am 24.05.2023 eröffnet und Termine zur Hauptverhandlung bestimmt. Mit Beschluss vom 12.06.2023 wurde der Angeklagten Rechtsanwältin R 2 als weitere Verteidigerin beigeordnet. Diese stellte am 01.09.2023 für die Angeklagte einen Antrag auf Aufhebung der Arrestbeschlüsse vom 27.9.2022 und 9.11.2022.

Die Strafkammer hat am 09.10.2023 die Arrestbeschlüsse hinsichtlich der Angeklagten aufgehoben. Am 13.12.2023 wurde die Angeklagte rechtskräftig freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.

Rechtsanwalt R 1 hat am 25.12.2023 einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt und darin ausgeführt, dass für die Berechnung der Gebühr Nr. 4142 VV RVG (Beschwerde gegen den dinglichen Arrest) der Gegenstandswert in Höhe von 4.482.718,62 EUR gem. Beschluss des LG vom 09.10.2023 berücksichtigt worden sei, ggf. werde gem. § 33 RVG Festsetzung des Gegenstandswertes beantragt. Es sei sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren – er habe gegen die negative Beschwerdeentscheidung die hier nach § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO ausnahmsweise zulässige „weitere“ Beschwerde eingelegt worden, von ihm Rechtsmittel gegen den dinglichen Arrest angestrengt worden, weshalb die Gebühr in beiden Verfahrensabschnitten angefallen sei. Insgesamt wurden u.a. zwei zusätzliche Gebühr Nr. 4142 VV RVG nach einem Gegenstandswert in Höhe von 4.482.718,62 EUR, also jeweils 16.574,00 EUR geltend gemacht. Später ist dann der Antrag auf nur noch eine Verfahrensgebühr reduziert worden

Das LG hat den Gegenstandswert auf 863.385,22 EUR festgesetzt.

Ich erspare mir die Gründe des LG, sondern stelle nur die Leitsätze ein. Dies lauten:

    1. Bei der Schätzung des Gegenstandswertes für die Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG bei Einziehung und verwandten Maßnahmen ist das wirtschaftliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr der Arrestforderung maßgebend und die konkrete wirtschaftliche Situation ist in den Blick zu nehmen.
    2. Für die Wertberechnung gemäß § 2 Abs. 1 RVG geht das maßgebliche Interesse des Betroffenen an der Abwehr des Arrests nicht weiter, als Vermögenswerte vorhanden sind, auf die im Wege der Arrestvollziehung zugegriffen werden kann. Ein den Gesamtbetrag der tatsächlich erfolgten – werthaltigen – Pfändungen übersteigender Arrestbetrag hat bei der Bestimmung des Gegenstandswerts unberücksichtigt zu bleiben.
    3. Im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der Anordnung des Vermögensarrests ist ein Abschlag von zwei Dritteln vorzunehmen.

Wie das LG gerechnet hat, bitte selbst nachlesen. Und wer es dann verstanden hat, bitte melden. Denn:

Die Ausführungen und die Berechnungen des LG lassen sich für mich nur schwer nachvollziehen. Das liegt u.a. auch daran, dass das LG umfangreichere allgemeine Ausführungen zu Wertgebühren und zur Nr. 4142 VV RVG macht, die m.E. überflüssig waren, weil es hier nur um die Festsetzung des Gegenstandswertes ging.

Zutreffend ist es, wenn das LG von einer Schätzung des zu sichernden Anspruchs gem. § 23 Abs. 1 S. 1 und 2 RVG i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG; § 3 ZPO ausgeht und dabei maßgebend auf das wirtschaftliche Interesse der Angeklagten an der Abwehr der Arrestforderung abstellt, wobei die konkrete wirtschaftliche Situation in den Blick genommen werden muss. Das ist h.M., und zwar ebenso, dass bei einem Arrest nur von einem Gegenstandswert in Höhe von 1/3 des zu sichernden Hauptanspruchs ausgegangen wird.

Probleme habe ich dann aber mit der konkreten Berechnung des Gegenstandswertes durch das LG. Nachvollziehen kann ich noch die Dar-/Aufstellung von sieben Grundstücke mit den jeweils erfolgten Eintragungen einer Sicherungshypothek und den auf der Grundlage ermittelten Werten von insgesamt 2.549.000 EUR. Mir erschließt sich dann aber nicht, warum das LG die Kontostände der neun Konten, über die die Angeklagte verfügen konnte, mit ihrem Gesamtkontostand von 1.642.372,30 EUR, aufzählt, im Rahmen seiner Schätzung dann aber hinsichtlich des Bankguthabens der Angeklagten offenbar nur einen Betrag in Höhe von 41.155,67 EUR ansetzt. Das lässt sich anhand der Beschlussgründe – jedenfalls für mich – nicht nachvollziehen. In die endgültige Berechnung des LG ist dann auch nur der Betrag eingeflossen. Denn addiert man zu den 2.549.000 EUR die 41.155,67 EUR, ergibt sich eine Summe von 2.590.155,60 EUR. 1/3 davon ist dann der als Gegenstandswert festgesetzte Betrag von 863.385,22 EUR. Es wäre schön gewesen, wenn das LG seine Schätzung ein wenig mehr erläutert hätte. Dafür hätte man auf die o.a. überflüssigen Ausführungen verzichten können.