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OWI I: Überprüfung des standardisierten Messverfahrens, oder: „Großzügiger“ ist das KG

In die Gruppe der Entscheidungen zu den Betroffenenrechten beim standardisierten Messverfahren gehört der KG, Beschl. v. 27.04.2018 – 3 Ws (B) 133/18, der die Frage der Möglichkeit der Überprüfung des standardisierten Messverfahrens ein wenig großzügiger sieht als das OLG Bamberg (OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18) und mehr in die Richtung des VerfG Saarland geht (vgl.  VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18), allerdings den Beschluss noch nicht umsetzt – man achte auf die Beschlussdaten

„Klarstellend merkt der Senat an:

Ob dem von der Betroffenen beauftragten Sachverständigen Einsicht in „sämtliche Falldateien des Messtags“ zu gewähren gewesen wäre oder ob diesem Begehren datenschutzrechtliche oder andere Umstände entgegengestanden hätten, muss dahinstehen.

Allerdings erkennt der Senat an, dass der Verteidiger, soweit dies zur Überprüfung des standardisierten Messverfahrens erforderlich ist, grundsätzlich auch in solche Unterlagen Einsicht nehmen kann, die sich nicht bei den Akten befinden (vgl. BGHSt 39, 291; 28, 239; Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2). Denn die Verteidigung wird ohne Kenntnis aller Informationen, die den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stehen, nicht beurteilen können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen (vgl. Cierniak/Niehaus, aaO). Das Informations- und Einsichtsrecht des Verteidigers kann daher deutlich weiter gehen als die Amtsaufklärung des Gerichts (vgl. Senat DAR 2013, 211 [Bedienungsanleitung]). Solch weitreichende Befugnisse stehen dem Verteidiger im Vorfeld der Hauptverhandlung auch und gerade bei standardisierten Messverfahren zu. Denn zum einen gibt es keinen Erfahrungssatz, dass ein standardisiertes Messverfahren stets zuverlässige Ergebnisse liefert, und zum anderen hat der Betroffene einen Anspruch darauf, nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt zu werden (vgl. BGHSt 39, 291; Cierniak, zfs 2012, 664).

Das daraus folgende Recht auf einen „Gleichstand des Wissens“ und auf Zugang zu den jedenfalls den Betroffenen betreffenden Messdaten ist jedoch nicht Ausfluss des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Dieses Verfahrensgrundrecht verlangt, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen zugrunde gelegt werden, zu denen der Betroffene Stellung nehmen konnte (vgl. BVerfG 6, 12). Zwar umfasst das Recht auf effektive Stellungnahme auch das Recht auf Informationen über den Inhalt und den Stand des gerichtlichen Verfahrens und damit auf Akteneinsicht (vgl. Senat DAR 2013, 211). Einen Anspruch auf Erweiterung der Gerichtsakten vermittelt Art. 103 GG jedoch nicht (vgl. Senat DAR 2017, 593; Cierniak, zfs 2012, 664 und ausführlich Cierniak/Niehaus, DAR 2014, 2). Der hier einschlägige Grundsatz der „Waffengleichheit“, der dem Betroffenen die Möglichkeit verschafft, sich kritisch mit den durch die Verfolgungsbehörden zusammengetragenen Informationen auseinanderzusetzen, ist vielmehr Ausfluss der Gewährleistung eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK (vgl. Cierniak/Niehaus, aaO).

Unbeschadet erheblicher Bedenken gegen die Zulässigkeit der hier erhobenen Verfahrensrüge kann mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG nur die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend gemacht werden. Eine solche liegt nach dem Ausgeführten nicht vor. Andere Verfahrensgrundsätze, so auch jener des fairen Verfahrens, sind der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht gleichgestellt.“

Mal schauen, wie es weiter geht…..

Antwort vom OLG Bamberg: Das VerfG Saarland hat keine Ahnung, oder: Von wegen der Rechtsstaat lebt

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Auf den Paukenschlag aus dem Saarland mit dem VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 (vgl. dazu Paukenschlag beim (Akten)Einsichtsrecht, oder: Der Rechtsstaat lebt…) folgt dann schon nach kurzer Zeit die Antwort aus dem Freistaat. Das OLG Bamberg teilt im OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 – mit, was es von der Entscheidung des Verfassungsgerichts hält: Nämlich nichts. Und das in einer Diktion, die mich dann doch erstaunt. Bisher habe ich nämlich noch keinen OLG-Beschluss gesehen/gelesen, in dem das OLG einem Verfassungsgericht so „die Leviten liest“, jedenfalls kann ich micht nicht erinnern. Da heißt es: Das Verfassungsgericht „übersieht“, seine Auffassung ist „unhaltbar“ und sein „Hinweis….. verfängt“ nicht. Wenn man das so liest, hat man den Eindruck, dass man mit dem Verfassungsgericht spricht wie mit einem unartigen Kind, dem man nun endlich mal die Dinge, die es nicht kann/weiß, erklären muss. „Mia san mia“ eben, so wie man (teilweise) „die Bayern“, vor allem aber das OLG Bamberg kennt.

Mich überrascht allerdings nur die Diktion, nicht der Inhalt der Entscheidung. Denn ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass die OLG sich der Auffassung des VerfG Saarland anschließen würden. Das wäre dann ein zweiter Paukenschlag gewesen. Nein, es war zu erwarten, dass diese Antwort – vor allem aus Bayern – kommen würde, vollgestopft mit Zitaten und Hinweisen auf die eigene Rechtsprechung. Passieren wird jetzt Folgendes: Die anderen OLG werden dankbar auf diesen Zug aufspringen und sich dem OLG Bamberg anschließen. Und es wird weiter gehen wie bisher. Ändern wird sich also im Zweifel nichts. Schade. Und da kein OLG den Weg zum BGH gehen oder besser – zu gehen wagt -, werden Verteidiger nach wie vor, um die Einsicht in und die Übersendung von Messdaten pp. kämpfen müssen. Von wegen: „der Rechtsstaat lebt“.

So, das vorab. Und in der Sache erspare ich mir das Einstellen des recht langen Beschlusses und stelle hier nur die Leitsätze ein, so wie sie aus Bamberg gekommen sind – das heißt also mit von den dort bekannten vielen Zitaten der eigenen Rechtsprechung:

„1. Die Ablehnung eines Antrags des Betroffenen auf Beiziehung, Einsichtnahme oder Überlassung digitaler Messdateien oder weiterer nicht zu den Akten gelangter Messunterlagen verletzt weder das rechtliche Gehör noch das Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren. Es handelt sich um einen Beweisermittlungsantrag, über den der Tatrichter unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 II StPO) zu befinden hat (Festhaltung u.a. an OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 = DAR 2016, 337 = OLGSt StPO § 147 Nr. 10; 05.09.2016 – 3 Ss OWi 1050/16 = StraFo 2016, 461 = VA 2016, 214; 24.08.2017 – 3 Ss OWi 1162/17 = DAR 2017, 715 und 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17 = NZV 2018, 80 = NStZ 2018, 235; entgegen VerfGH Saarbrücken, Beschl. v. 27.04.2018 – 1 Lv 1/18).

2. Die Annahme, den Betroffenen eines Bußgeldverfahrens treffe eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ in Bezug auf die geltend gemachte Unrichtigkeit des im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens erzielten Messergebnisses ist mit dem geltenden Recht nicht vereinbar.“

Die Unterstreichungen sind nicht von mir.

Im Übrigen meine ich – das nur kurz und in der Diktion des OLG: U.a. die Auffassung des OLG zu Leitsatz 2 ist m.E. nicht haltbar. Es ist zwar richtig, dass den Betroffenen eines Bußgeldverfahrens ebenso wie den Beschuldigten im Strafverfahren nach den Vorgaben der StPO und des GG eine „Darlegungs- und Beibringungslast“ nicht trifft. Nur ist die Aussage des OLG im Hinblick darauf, was die OLG aus dem Satz im Bußgeldverfahren gemacht haben, nicht „haltbar“ und „verfängt“ nicht.

Insgesamt schade. Das OLG Bamberg hat in meinen Augen mal wieder eine Chance vertan, die Rechte des Betroffenen – so wie es der VerfG Saarland getan hat – zu stärken und eine andere Rechtsprechung einzuläuten. Aber vielleicht will man das ja auch gar nicht und will lieber das Süppchen „standardisiertes Messverfahren“ weiter kochen lassen.

AG Halle: Umbeiordnung – einfach so, oder: Zur Nachahmung empfohlen

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Ebenfalls während meines Urlaubs hat mir der Kollege Odebralski aus Essen den AG Halle (Saale), Beschl. v. 09.05.2017 – 302 Ds 442 Js 6961/16  – übersandt. Er betrifft (mal wieder) das Thema der Umbeiordnung des Pflichtverteidigers. Der Angeklagte hatte in dem Verfahren wegen des Vorwurfs des Verbreitens kinderpornographischer Schriften u.a. bereits einen Verteidiger, das Vertrauensverhältnis zu dem war aber aus Sicht des Angeklagten gestört, der Angeklagte ging von einer Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht durch diesen Verteidiger aus. Er hatte daher den Kollegen beauftragt, der die Umbeiordnung beantragt hatte. Und er hatte mit seinem Antrag Erfolg:

„Zwar ist kein objektiver Grund dafür zu erkennen, dass das Vertrauensverhältnis des Ange­klagten zu Rechtsanwalt S. nachhaltig gestört sein könnte. Insbesondere ist Rechts­anwalt S. keine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht vorzuwerfen. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege ist er berechtigt und unter Umständen verpflichtet, alles geltend zu machen, was zu Gunsten seines Mandanten zu berücksichtigen ist. Aus diesem Grund ist das Schreiben von Rechtsanwalt S. vom 17.02.2017 nicht zu beanstanden. Andererseits ist es, insbesondere bei einem so sensiblen und heiklen Anklagevorwurf wie dem vorliegenden, nicht sachgerecht, dem Angeklagten einen Verteidiger aufzuzwingen, den er nicht haben will. Zwar ist der Angeklagte ordnungsgemäß gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 StPO angehört worden, bevor das Gericht Rechtsanwalt S. bestellt hat. Andererseits hat der Angeklagte aber Rechtsanwalt Odebralski nur wenige Tage nach Ablauf dieser Frist beauftragt, so dass insbesondere angesichts der aus den Akten ersichtlichen Unbeholfenheit des Angeklagten im Schriftverkehr dem Angeklagten durch eine Fristüberschreitung um wenige Tage keine Nachteile entstehen sollen. Da das Gericht noch keine Termine festgesetzt hat, entsteht durch die Änderung der Beiordnung auch keine Verfahrensverzögerung. Ausnahmsweise erscheint es daher unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und der pro­zessualen Fürsorge geboten, dem Wunsch des Angeklagten nachzukommen und Rechts­anwalt Odebralski beizuordnen.“

Der Kollege Odebralski hatte mir den Beschluss geschickt und nach meiner Einschätzung gefragt: Bemerkenswert – wovon der Kollege ausging – oder nicht. Und ich bin mit ihm der Auffassung, dass das Vorgehen des AG schon bemerkesnwert ist. Das AG zieht sich nämlich nicht auf den formalen Gesichtspunkt zurück: Du hast einen Pflichtverteidiger, sondern ordnet auf den „Wunschpflichtverteidiger“ um. Und das dann auch noch ohne die „Gebührenkrücke“: Keine Mehrkosten. Daher: Zur Nachahmung empfohlen.

Der Alkoholtestkauf – faires Verfahren verletzt?

Das OLG Bremen setzt sich im OLG Bremen, Beschl. v. 31.10. 2011 –  2 SsRs 28/11 – mit der Frage auseinander, ob bei einem Alkoholtestkauf eines jugendlichen Testkäufers ggf. der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt wird, was u.a. ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben kann. Das OLG hat die Frage verneint:

„Werden an einen von der Polizei angeleiteten jugendlichen Testkäufer bei einem Kontrollkauf entgegen § 9 Abs. 1 JuSchG alkoholische Getränke abgegeben, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, wenn der Testkäufer die Schwelle zur Tatprovokation nicht überschreitet. Eine Tatprovokation liegt nicht vor, wenn der Testkäufer lediglich das Verhalten eines „normalen“ Kunden an den Tag legt und darüber hinaus nichts unternimmt, um Bedenken des Verkäufers zu zerstreuen, der Kunde habe nicht das notwendige Mindestalter für den Erwerb der Alkoholika.“