Und dann zum Schluß noch eine AG Entscheidung zum Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren. Ich stelle den AG Limburg, Beschl. v. 08.09.2025 – 3 OWi 349/25 – nicht vor, weil er so „schön“ ist, sondern weil er m.E. mal wieder ein Beweis ist, dass die Rechtsprechung der letzten Zeit an dem ein oder anderen AG offenbar doch doch „vorbei gegangen ist.
Der Verteidiger hatte Akteneinsicht beantragt. Gegen die ablehnende Entscheidung dann der Antrag nach § 62 OWiG. Der hat nur insoweit Erfolg, als der Verwaltungsbehörde aufgegeben wird aufgegeben, dem Betroffenen die digitale Falldatei der Messung zu übersenden. Im Übrigen wird er aber als unzulässig (!!) zurückgewiesen:
„In der Sache macht der Verteidiger eine unterlassene Beweismittelvervollständigung durch das Regierungspräsidium Kasse geltend. Eine solche unterlassene Beweismittelvervollständigung ist aber keine Maßnahme einer Behörde, die von dem Rechtsbehelf des § 62 OWiG umfasst wäre.
Der Rechtsbehelf des § 62 OWiG umfasst nur die Überprüfung von behördlichen Maßnahmen, die eine selbstständige Bedeutung haben. So z.B. Durchsuchungen, die Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlungen oder einer körperlichen Untersuchung. Keine selbständige Bedeutung haben dagegen die Einleitung des Bußgeldverfahrens, der Abschlussvermerk nach § 61 OWiG. die Vernehmung eines Zeugen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens, die Ablehnung eines Beweisantrags oder eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit. Diese Maßnahmen stehen in einem inneren Zusammenhang zur Sachaufklärung und können daher nur im Rahmen der Rechtsmittel gegen die Sachentscheidung als solcher angefochten werden (vgl. BeckOK OWiG/Euler, 30. Ed. 1.4.2021, OWiG § 62 Rn. 8; Göhler OWG, 17. Aufl., § 62 Rn. 4.).
Dies ist auch sachgerecht, da diese Maßnahmen der Verwaltungsbehörde im gerichtlichen Verfahren zu überprüfen sind und ggfl. erforderliche Beweiserhebungen durchgeführt werden können (BeckOK OWiG/Euler OWiG § 62 Rn. 8.). Insoweit wird dem Betroffenen auch ausreichender Rechtsschutz gewährt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre jedoch auch unbegründet.
Die Entscheidung des Regierungspräsidiums Kassel über die Übersendung bzw. Nichtübersendung von Beweismitteln ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
Ein Anspruch auf Herausgabe der gesamten Messreihe besteht nicht, da diese nicht aufgrund des konkreten Ermittlungsverfahrens entstanden sind. Vielmehr sind diese Daten in anderen Ermittlungsverfahren entstanden. Das Bundeverfassungsgericht hat dem Betroffenen aber nur ein Akteneinsichtsrecht hinsichtlich der Beweismittel eingeräumt, die im konkreten Ermittlungsverfahren entstanden sind (BVerfG, NJW 2021, 455ff. = BVerfG Beschl. v. 12.112020¬2 BvR 1616/18, BeckRS 2020, 34958.).
Im Übrigen stünde der Herausgabe der gesamten Messreihe auch der Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG entgegen. Die Herausgabe der gesamten Messreihe würde in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der anderen gemessenen Verkehrsteilnehmer aus Art. 1. 2 GG eingreifen. Ein solcher Eingriff ergibt sich bereits daraus. dass mit diesen Daten auch Messbilder der gemessenen Fahrzeuge herauszugeben wären, die u.a. Fahrzeugkennzeichen. Fotos der Insassen oder andere individualisierende Merkmale enthalten. Für einen solchen Eingriff wäre aber eine einfachgesetzliche Grundlage erforderlich. Allein ein anderes Grundrecht, hier ein Anspruch auf ein faires Verfahren, vermag daran nichts zu ändern. Insbesondere ist das Grundrecht auf ein faires Verfahren nicht per se höherrangig als der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der anderen Verkehrsteilnehmer. Vielmehr handelt es sich um eine Abwägungsfrage, die der Gesetzgeber zu entscheiden hat, nicht die Rechtsprechung.
Eine etwaige Anonymisierung der gesamten Messreihe vermag daran ebenfalls nichts zu ändern. Ein Anspruch auf Anonymisierung besteht. unabhängig davon, ob sie möglich wäre, nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem oben zitierten Beschluss entschieden, dass der Informationsanspruch der Verteidigung auch in Bußgeldverfahren nicht in unbegrenzter Form besteht. Vielmehr kann dieser Informationszugang sachgerecht eingegrenzt werden (BVerfG, NJW 2021, 455ff. = BVerfG Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18, BeckRS 2020, 34958.). Dies wäre hier vorzunehmen, da eine vollständige Anonymisierung mit einem kaum noch händelbaren Aufwand einhergehen würde. Zumal sichergestellt werden müsste, dass diese Anonymisierung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Bei dieser Bewertung war auch noch zu berücksichtigen. dass nach den überzeugenden Ausführungen der PTB der Informationswert der gesamten Messreihe gegen null geht.
Ein Anspruch auf die geforderte Lebensakte ergibt sich nicht. Lebensakten werden in Hessen nicht geführt und können daher bereits begrifflich nicht herausgegeben werden. Ein Anspruch auf Herausgabe von Reparatur- und Wartungsnachweisen o.a. besteht gegenüber dem Regierungspräsidium Kassel nicht. Dieses hat solche nicht im Besitz und kann diese daher schon begrifflich nicht herausgeben. Es ist auch nicht Aufgabe des Regierungspräsidiums Kassel diese Unterlagen bei den zuständigen Polizei- bzw. Ordnungsbehörden beizuziehen und dem Verteidiger zugänglich zu machen. Vielmehr ist es die Aufgabe der Verteidigung diese Unterlagen bei den zuständigen Behörden anzufordern.
Auch auf die übrigen beantragten Unterlagen und Informationen besteht kein Anspruch.
Weder die Strafprozessordnung noch das Grundgesetz verlangen von den Ermittlungsbehörden oder den Gerichten, dass der Verteidigung alle Beweismittel verschafft werden, die diese gerne hätte. Vielmehr ist es ausreichend der Verteidigung solche Beweismittel vorzulegen, auf die die Ermittlungsbehörden Zugriff haben (OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 14.6.2022 – 3 Ss-OWi 476/22, BeckRS 2022, 15242 m.w.N.). Eine Verpflichtung Beweismittel erst noch zu schaffen, besteht hingegen nicht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 28.04.2021 (BVerfG Beschl. v. 28.4.2021 – 2 BvR 1451/18, BeckRS 2021, 10578.) nichts Anderes entschieden (OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 14.6.2022 – 3 Ss-OWi 476/22, BeckRS 2022, 15242.). Vielmehr ergibt sich aus diesem Beschluss eindrücklich, dass der Betroffene nur einen Anspruch auf Informationsparität mit den Verfolgungsbehörden und dem Gericht hat (OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 14.6.2022 – 3 Ss-OWi 476/22, BeckRS 2022, 15242.). Auf mehr aber gerade nicht. Der Betroffene hat nach Aktenlage all die Unterlagen und Beweismittel bekommen, die bei dem Regierungspräsidium Kassel vorhanden sind.
Es wurde im hiesigen Verfahren Akteneinsicht gewährt im Hinblick auf den letzten Eichschein der Messanlage sowie den Schulungsnachweisen des Mess- und Auswertepersonals.“
Ich hatte die Rechtsprechung des BVerfG bisher anders verstanden, oder? Und der Verweis auf die Hardliner beim OLG Frankfurt am Main überzeugt micht schon gar nicht.



