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Manchmal findet man (gebührenrechtliche) Entscheidungen bzw. bekommt diese übersandt, bei denen man sich nach dem Lesen fragt: Was soll mir diese Entscheidung sagen bzw. was will das Gericht mit dieser Entscheidung erreichen? So ging es mir nach dem ersten Lesen des AG Lüdenscheid, Beschl. v. 18.04.2013 – 70 Ls-715 Js 24/11-24/11, der sich zur Bemessung der Verfahrens- und Terminsgebühr im Berufungsverfahren verhält. Das AG hat sowohl als Verfahrensgebühr als auch für die 70-minütige Hauptverhandlung jeweils die Mittelgebühr festgesetzt. Das ist ok. Allerdings habe ich mit der Begründung Schwierigkeiten.
Zur Verfahrensgebühr heißt es:
„Diese Festsetzung wird gestützt durch die seitens des Amtsgerichts eingeholten Vorsitzenden der Berufungsstrafkammer, der mit straffer Verhandlungsführung eine zwar „nur“ siebzigminütige Hauptverhandlung durchgeführt, im Vorfeld sich aber der immensen Mühewaltung unterzogen hatte, jedenfalls viermal mit dem Verteidiger ein die Hauptverhandlung vorbereitendes, deren Dauer abkürzendes Telefongespräch zu führen.“
Zur Terminsgebühr heißt es:
„Soweit der Bezirksrevisor Rechtsprechung zitiert, dass eine weit unterdurchschnittliche Tätigkeit bei der kleinen Strafkammer bei siebzig Minuten vorliege (LG Hagen, Beschluss vom 2. 9. 1999 in 44 Qs 95/99, so ist an anzumerken, dass die Kasuistik zu der Frage der Bewertung der Dauer des Termins mittlerweile nahezu groteske Formen annimmt, wie die im Folgenden abgedruckte tabellarische Übersicht (abgedruckt auf der Internetseite www.burhoff.de) erkennen lässt….
Allein diese Kasuistik zeigt, dass sich eine schematische Bewertung generell verbietet. Bei den an gegebenen Zeiten kann es sich nur um Richtwerte handeln.
Die Dauer des Termins hängt nämlich von vielen Fremdfaktoren ab, welche die am Hauptverhandlungstermin Beteiligten steuern können und die sich damit einer objektiven Beurteilung im Wesentlichen entziehen. Würde tatsächlich auf die Dauer des Termins als alleiniges Kriterium abgestellt werden, bestimmte sich die Höhe der Terminsgebühr letztlich anhand der individuellen Besonderheiten der Prozessbeteiligten. Bekanntlich ist der Verhandlungsstil der Vorsitzenden unterschiedlich. Einzelne verhandeln kurz und knapp, während andere umfassend erörtern. Diese Unterschiede sind auch beim Landgericht Hagen geben.
Auf der anderen Seite wäre ein Verteidiger gehalten, den Hauptverhandlungstermin so weit in die Länge zu ziehen, wie es eben geht. Rhetorisch halbwegs versierte und wirtschaftlich denkende Verteidiger werden dann von ihrem Fragerecht exzessiv Gebrauch machen, um den Termin nicht kurzfristig beendet zu wissen. Es kann aber nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, die Höhe der Terminsgebühr von den individuellen Fähigkeiten oder der missbräuchlichen Verwendung prozessualer Instrumente – jedenfalls der gerichtserfahrenen Personen wie Gericht, Staatsanwaltschaft und Anwaltschaft – abhängig zu machen (so schon richtungsweisend AG Lüdenscheid in 54 Cs 108/06, Beschluss vom 18.05.2007).
Unter Bezugnahme auf den Beschluss des LG Hamburg JurBüro 2008, 312 = AGS 2008, 343 (s.o.) eine Berufungshauptverhandlung mit einer Dauer von 35 Minuten sei – in Anbetracht anderweitiger zu berücksichtigender Umstände – nicht unterdurchschnittlich, da auch die vorbereitende Tätigkeit zu berücksichtigen sei, wird im vorliegenden Verfahren ebenfalls die Mittelgebühr für angemessen erachtet.“
Wie gesagt: Das Ergebnis ok, nur die Begründung macht mir Schwierigkeiten, und zwar:
- Mir ist nicht klar, was der Hinweis des AG auf unterschiedliche Verhandlungsstile der Kammervorsitzenden bezwecken soll. Wie und warum sollen die Auswirkungen auf die Höhe der dem Verteidiger zustehenden Terminsgebühr haben? Soll der Verteidiger, der an einer Hauptverhandlung bei einem „langsam verhandelnden“ Vorsitzenden teilnimmt für eine z.B. 70-Minuten dauernde Hauptverhandlung eine geringere Terminsgebühr erhalten als derjenige Verteidiger, der an einer ebenfalls 70-Minuten dauernden Hauptverhandlung teilnimmt, die von einem „straff verhandelnden“ Vorsitzenden geführt wird? Die Art des Verhandlungsstils des Vorsitzenden kann doch kein Kriterium für die Bemessung der anwaltlichen Vergütung sein, denn: In beiden Fällen ist der vom Verteidiger erbrachte Zeitaufwand gleich, nämlich (objektiv) 70 Minuten. Auf die Idee, den Verhandlungsstil des Vorsitzenden mit heranzuziehen, ist im Übrigen bislang auch noch kein Gericht gekommen und es ist zu hoffen, dass das so bleibt. Denn wer will/soll die Fragen, die zudem einer persönlichen Einschätzung unterliegen. beurteilen?
- Bleibt man in der Terminologie des AG, ist es m.E. „grotesk“ = „absurd“ = „sonderbar“, wenn das AG davon ausgeht: „Rhetorisch halbwegs versierte und wirtschaftlich denkende Verteidiger würden dann von ihrem Fragerecht exzessiv Gebrauch machen, um den Termin nicht kurzfristig beendet zu wissen“, offenbar um so eine höhere Terminsgebühr zu erzielen? Wirklich? Oder ist nicht eher das Gegenteil der Fall, dass nämlich der Verteidiger, wenn er „wirtschaftlich denkt“ versuchen muss, den Termin „kurzfristig beendet zu wissen“?
- Und: Das AG stellt u.a. auch darauf ab, dass sich der Vorsitzende im Vorfeld der Hauptverhandlung der „immensen Mühewaltung“ unterzogen habe, viermal mit dem Verteidiger ein die Hauptverhandlung vorbereitendes, deren Dauer abkürzendes Telefongespräch zu führen. Dass der – nicht mitgeteilte – Zeitaufwand für diese Telefongespräche bei der Bemessung der anwaltlichen Terminsgebühr zu berücksichtigen ist, ist zutreffend. Allerdings frage ich mich, was „immens“ = „beträchtlich, riesengroß, enorm, gigantisch, gewaltig“ daran sein soll, wenn der Vorsitzender einer Berufungskammer zur Vorbereitung der Hauptverhandlung viermal mit dem Verteidiger telefoniert.