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Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren verdiene ich im Adhäsionsverfahren?

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Manche gebührenrechtliche Frage überraschen mich. So war es mit der, die dann zum Gebührenrätsel vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Welche Gebühren verdiene ich im Adhäsionsverfahren?, geführt hat. Ich frage mich dann häufig – so auch hier: Warum weiß man das eigentlich nicht. Immerhin ist es jetzt 14 Jahre her, seitdem das RVG in Kraft getreten ist.

In der Frage vom vergangenen Freitag ging es um die Vertretung eines Geschädigten im (Nebenklage)Verfahren. Nun, da kann man die Frage vielleicht verstehen, zumal, wenn der Kollege, wie er einräumt, „keine Nebenklage macht“. Also sieht man ihm seine „Ahnungslosigkeit“ nach 🙂 .

Die Antwort auf die Frage lag hier auf der Hand und der Kollege Thorsten Hein hat sie ja auch in seinem Kommentar zu dem Posting vom Freitag sehr schön gegeben. Den stelle ich mal einfach ein:

„Die Antwort steht in Vorbem. 4 Abs. 1 VV RVG:

Für die Tätigkeit als Beistand oder Vertreter eines Privatklägers, eines Nebenklägers, eines Einziehungs- oder Nebenbeteiligten, eines Verletzten, eines Zeugen oder Sachverständigen und im Verfahren nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz sind die Vorschriften entsprechend anzuwenden.

D. h. wenn die Nebenklagevertretung in erster Instanz stattfand, gibt es mindestens noch die 4100, die Verfahrensgebühr fürs gerichtliche Verfahren (4106, 4112 oder 4118), die Terminsgebühr (4108, 4114 oder 4112) zusätzlich zur 4143.“

Worum man noch diskutieren kann, ist die Frage nach der Nr. 7002 VV RVG. Nur einmal oder ggf. zweimal, weil das Adhäsionsverfahren eine besondere Angelegenheit ist und dann spielt natürlich der Gegenstandswert eine große Rolle. Aber das hier alles darzustellen, wäre sicherlich zu umfangreich. Da mache ich es mit einfach und verweise auf meinen Beitrag aus dem RVGreport 2018, 282: Anwaltsvergütung im Adhäsionsverfahren. Der sollte helfen bzw. nach dessen Lektüre sollte keine Frage mehr offen sein. Hoffentlich 🙂 .

Die o.a. Antwort geht davon aus, dass der Kollege als Nebenklägervertreter pp. am Verfahren teilgenommenhat. Dafür spricht m.E. seine Frage(stellung).

Ist das nicht der Fall und ging es nur um den Ersatzanspruch, gilt Vorbem. 4.3 Abs. 2 VV RVG. Dann entsteht nur die Nr. 4143 VV RVG, weitere Gebühren nach Teil 4 Abschnitt 1 Vv RVG gibt es dazu nicht (vgl. z.B. OLG Dresden, Beschl. v. 09.12.2015 – 2 Ws 547/15 und LG Meiningen, Beschl. v. 03.02.2009 – 2 Qs 214/08). Ergibt sich schon allein daraus, dass es sich bei der Nr. 4143 VV RVG um eine „Verfahrensgebühr“ handelt, die sämtliche Tätigkeiten erfasst, also z.B. auch die Teilnahme an einem Termin.

Schmerzensgeld, oder: Aufräumarbeiten beim 2. Strafsenat

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Aufräumarbeiten beim 2. Strafsenat? Ja, in der Tat. M.E. ist deutlich zu erkennen, dass „die Ecken sauber“ gemacht werden. Denn der 2. Strafsenat hat ja noch die ein oder andere Leiche im Keller liegen, die aus seinen Anfrage- und/oder Vorlagebeschlüssen der letzten Jahre stammt. Eine davon war die Geschichte mit dem Schmerzensgeld (§ 253 BGB). Dazu hatte es im Jahr 2014 den BGH, Beschl. v. 08.10.2014 in 2 StR 137/14 u. 2 StR 337/14 gegeben, in dem es um die Frage ging, welche Umstände bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen sind. Der 2. Strafsenat wollte – abweichend von Rechtsprechung der übrigen Zivil- und Strafsenate des BGH – bei der „Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB)“ weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten noch die des Schädigers berücksichtigen (vgl. dazu Neues vom „Rebellensenat“: Aufgeräumt werden soll auch im Zivilrecht, und zwar beim Schmerzensgeld). Die Geschichte ist dann bei den Vereinigten Großen Senate des BGH gelandet, der im BGH, Beschl. v. 16.09.2016 – VGS 1/16 – an der alten Rechtsprechung festgehalten hat (vgl. 2. Strafsenat des BGH: Auch Vorstoß zum Umdenken beim Schmerzensgeld gescheitert…).

Und jetzt räumt der 2. Strafsenat des BGH auf. Denn er hatte in den Verfahren, in denen wegen Adhäsionsentscheidungen die Frage des Schmerzensgelde von Bedeutung war, insoweit noch nicht über die Revisionen entschieden. Das holt er nun nach und wendet die (alte) Rechtsprechung an; dazu gibt es jetzt viele Entscheidungen. So z.B. den BGH, Beschl. v. 11.05.2017 – 2 StR 522/14. Zu der Frage heißt es dann jetzt:

„Das Schmerzensgeld hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebens-hemmung, die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Ge-schädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion, st. Rspr., grundlegend BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154 ff.; BGH, VI. Zivilsenat, Urteile vom 13. Oktober 1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 4 f. und vom 29. November 1994 – VI ZR 93/94, BGHZ 128, 117, 120 f.).

Dabei steht der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Ent-stellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld. Für bestimmte Gruppen von immateriellen Schäden hat aber auch die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der Entschädigung für immaterielle Schäden nicht hinwegzudenken ist, eine besondere Bedeutung.

Sie bringt insbesondere bei vorsätzlichen Taten eine durch den Scha-densfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die nach der Natur der Sache bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157; VI. Zivilsenat, Urteil vom 16. Januar 1996 – VI ZR 109/95, VersR 1996, 382).

Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld stehen deshalb die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie etwa der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers (Vereinig-te Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 55). Ein mit zu berücksichtigender Umstand kann dabei die Verletzung einer „armen“ Partei durch einen vermögenden Schädiger etwa bei einem außergewöhnlichen „wirtschaftlichen Gefälle“ sein (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 57). Indem der (Tat-)Richter in einem ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt, sodann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 56, 70).

2. Zur Überprüfung seiner Entscheidung durch das Revisionsgericht ist der Tatrichter regelmäßig gehalten, die für die Schmerzensgeldbemessung prägenden einzelnen Umstände, im Regelfall vor allem die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung, in seiner Entscheidung zu benennen, im Rahmen einer sich daran anschließenden Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwägen und daraus ein dem Einzelfall gerecht werdendes Schmerzensgeld festzusetzen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und Geschädigtem und Ausführungen zu deren Einfluss auf die Bemessung der billigen Entschädigung sind dabei nur geboten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben und deshalb bei der Entscheidung ausnahmsweise berücksichtigt werden mussten (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 72).

3. Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes:

a) Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Straf-senate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall ein „besonderes Gepräge“ geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.

b) Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben. Hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt haben kann.“

LG Hagen: Die Unschuldsvermutung gilt auch im Adhäsionsverfahren, oder: Steine statt Brot

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Ist/war ein Adhäsionsverfahren anhängig, stellt sich, wenn das Strafverfahren z.B. nach § 153a StPO eingestellt wird, die Frage: Wer trägt eigentlich die dem Adhäsionskläger entstandenen Kosten und Auslagen? Ausgangspunkt für die Antwort ist § 472a StPO. Was bei seiner Anwendung zu beachten ist, ergibt sich noch einmal aus dem LG Hagen, Beschl. v. 09.01.2017 – 44 Qs 6/17 – mit folgendem Sachverhalt:

Gegen die Angeklagten war ein Strafverfahren anhängig, das vom AG nach vollständiger Auflagenerfüllung gem. § 153a Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Von der Entscheidung über einen anhängigen Adhäsionsantrag wurde gem. § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen. Den Angeklagten wurden die durch den Adhäsionsantrag des Geschädigten entstandenen gerichtlichen Auslagen und die durch den Adhäsionsantrag angefallenen Auslagen des geschädigten Adhäsionsklägers als Gesamtschuldner auferlegt. Zur Begründung hat das AG angeführt, dass die Angeklagten der Einstellung des Verfahrens zugestimmt hätten und der Angeklagte zu 1) den dem Adhäsionskläger entstandenen Schaden wieder gut gemacht habe und die Angeklagten sich dadurch letztlich freiwillig in die Rolle der Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben hätten. Daher erscheine es angemessen, den Angeklagten die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Adhäsionsklägers aufzuerlegen. Das gegen diese Kostenentscheidung gerichtete Rechtsmittel der Angeklagten hatte keinen Erfolg.

Allerdings:  Das LG weist zunächst daraufhin, dass die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung, auch für Entscheidungen über Kosten und Auslagen gilt. Vor Schuldspruchreife dürfen sie in keinem Fall ausdrücklich oder sinngemäß auf Erwägungen zur Schuld gestützt werden. Erwägungen zu einem nicht ausgeräumten Tatverdacht berühren die Unschuldsvermutung hingegen grundsätzlich nicht, weil sie nicht mit dem für eine Strafe typischen sozialethischen Unwerturteil verbunden sind. Es sei daher regelmäßig zulässig, einem Beschuldigten unter Hinweis auf einen verbleibenden Tatverdacht die Erstattung eigener Auslagen zu versagen. Für die Auferlegung von Verfahrenskosten oder anderer als eigener Auslagen des Strafverfahrens könne dies indes nicht in gleicher Weise gelten. Die mit Verdachtserwägungen begründete Auferlegung von Kosten oder Auslagen habe vielmehr regelmäßig einen sanktions- und strafähnlichen Charakter, weil sie den Schluss nahelegen kann, die Kostenfolge trete an die Stelle einer Bestrafung. Verdachtserwägungen sind deshalb grundsätzlich nicht geeignet, die Auferlegung von Kosten und anderer als eigener Auslagen zu rechtfertigen.

Dieser Maßstab ist nach Auffassung des LG auch anzuwenden, soweit die StPO die vereinfachte Geltendmachung zivilrechtlicher Entschädigungsansprüche gegen den Beschuldigten nach §§ 403 ff. StPO im Verbund mit dem Strafverfahren ermöglicht und hierzu in § 472a Abs. 2 StPO eine eigenständige Bestimmung über Auslagen enthält. Den Anforderungen an die Beachtung der Unschuldsvermutung werde die angegriffene amtsgerichtliche Auslagenentscheidung auch nicht gerecht. Schon die Begründung des AG, dass sich der Beschwerdeführer freiwillig in die Rolle des Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben habe, verkenne den Charakter einer Zustimmung zur Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO sowie das Verhältnis von Straf- und Adhäsionsverfahren. Die Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens enthalte weder ein Eingeständnis strafrechtlicher Schuld noch irgendeine Erklärung zu den im Adhäsionsverfahren verfolgten vermögensrechtlichen Ansprüchen des Verletzten.

Dann heißt es allerdings weiter:

„b) Allerdings können den Beschwerdeführern die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden, wenn sie einen nachvollziehbaren Anlass für den Adhäsionsantrag gegeben hat. Dabei dürfen aber ebenfalls nur solche Umstände zugrunde gelegt werden, die keiner weiteren Aufklärung bedürfen (vgl. dazu Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, aaO, m.w.N).

Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 09.11.2015 haben sich die Angeklagten dahingehend geäußert, dass der Angeklagte pp.1 dem Geschädigten eine Kopfnuss gegeben habe und pp2. beim Losreißen den Geschädigten getroffen haben könnte. Dadurch haben sie zumindest einen nachvollziehbaren Anlass für die Stellung eines Adhäsionsantrages gegeben, so dass den Angeklagten die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden durften.“

Anzumerken ist: Die Ausführungen zur Geltung der Unschuldsvermutung bei einer Einstellung nach § 153a StPO sind lesenswert und zutreffend. Sie entsprechen vor allem auch der Rechtsprechung des BVerfG (grundlegend BVerfG NJW 1992, 1612). Zutreffend ist es auch, wenn das LG sie auf das Verhältnis Angeklagter/Adhäsionskläger ausdehnt, denn insoweit kann nichts anderes gelten.

Allerdings hat den Angeklagten das hier nichts gebracht. Denn das LG hat dei Einlassung der Angeklagten herangezogen, die es erlaube, den Angeklagten die Auslagen im Adhäsionsverfahren aufzuerlegen. Letztlich gibt die Entscheidung mit diesen Erwägungen m.E. den Angeklagten „Steine statt Brot“. Zwar wird die Bedeutung Unschuldsvermutung betont, aber: Im Ergebnis wird sie dann doch nicht beachtet, wenn die Einlassung der Angeklagten herangezogen wird.

„Wunder gibt es immer wieder“, oder: Der Pflichtverteidiger im Adhäsionsverfahren

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Es war Katja Ebstein, die in den 70-iger Jahren den Song „Wunder gibt es immer wieder“ gesungen hat. Nun gestern war ich es – zumindest im übertragenen Sinn -, als ich von der Kollegin Mehner-Heurs aus Schwelm den AG Schwelm, Beschl. v. 23.12.2015 – 50 Ds 500 Js 454/14 – übersandt bekommen habe. Es ging dabei um die Frage des Umfangs der Pflichtverteidigerbestellung, nämlich darum, ob die sich auch ohne weiteres auf die Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren erstreckt. Und damit darum, ob für den Pflichtverteidiger auch die Gebühr Nr. 4143 VV RVG angefallen ist. Die Frage ist in Rechtsprechung und Literatur höchst streitig, die Mehrheit der OLG lehnt die automatische  Erstreckung ab. Dazu gibt es ellenlange OLG-Beschlüsse, die m.E. falsch sind. Das AG Schwelm braucht da nicht so viel Platz, um es anders, aber damit auch richtig zu machen. Es führt recht kurz und zackig aus:

„Die Bestellung zum Verteidiger gemäß § 140 StPO ist umfassend. Sie erfasst insbesondere auch die Verteidigung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren (so auch OLG Rostock, Beschl. v. 15. 6. 2011 —1 Ws 166111; OLG Dresden. Beschl. v. 13. 6. 2007 —1 Ws 155/06; OLG Köln, Beschl. v. 29. 6. 2005 —2 Ws 254/05; OLG Hamm, Beschl, v. 31. 5. 2001 — Sbd 6-87/01, OLG Schleswig, NStZ 1998, NStZ 1998. 101; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 140 Rdnr. 5).

Es sind keine entgegenstehenden Rechtsnormen erkennbar. Soweit in der obergerichtlichen Rechtsprechung aus den §§ 404, 397a und 406g StPO Anleihen genommen werden, werden diese durch verschiedene Obergerichte unterschiedlich ausgelegt (vgl. Darstellung in OLG Hamm, Beschluss vom 08.11.2012 — 111-3 Ws 139/12). Insoweit kann eine eindeutige Regelung nicht angenommen werden, aus der sich ergibt, dass sich eine Pflichtverteidigerbestellung ohne weitere Erklärung nicht auf das Adhäsionsverfahren bezieht.

Vielmehr muss aufgrund des Charakters der Pflichtverteidigerbestellung, die schon wegen des Grundsatzes des effektiven Rechtsschutzes und dem Grund für die Existenz dieser Norm, umfassend ausgestaltet sein muss, angenommen werden, dass gerade auch das Adhäsionsverfahren von der Bestellung erfasst ist. Soweit dies in Beschlüssen ausdrücklich festgestellt wird, dient dies lediglich der Klarstellung.“

Also: Geht doch 🙂 . Ich bin allerdings mal gespannt, ob die Staatskasse – wenn sie denn ein Rechtsmittel hat – es hinnimmt. Im Zweifel wahrscheinlich nicht.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Was ist nach Einstellung mit dem “Adhäsionsverfahren”?

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Nun meine freitägliche Frage: Ich habe da mal eine Frage: Was ist nach Einstellung mit dem “Adhäsionsverfahren”? ist nicht so gnaz einfach zu beantworten. Denn: Es kommt darauf an, in welchem Verfahrensstadium man sich befindet.

  • Befindet man sich schon im gerichtlichen Verfahren, entsteht (auch) die Nr. 4143 VV RVG. Dann ist es unerheblich, ob ein Adhäsionsverfahren i.E.S anhängig ist.
  • Befindet man sich noch im vorbereitenden Verfahren, dann gibt es kein „erstinstanzliches Verfahren“ – siehe die Überschrift zur Nr. 4143 VV RVG – und die Gebühr entsteht dann nicht. Die Tätigkeiten des Rechtsanwalts außerhalb des gerichtlichen Verfahrens werden dann durch die Geschäftsgebühr Nrn. 2300 ff. VV abgegolten (so die ganz h.M. in der gebührenrechtlichen Literatur).

Es kommt also darauf an, ob schon das „gerichtliche Verfahren“ eingeleitet war. Und wann das der Fall ist, ergibt sich aus der Anm. zur Nr. 4104 VV RVG. Dass das AG hier der Einstellung nach § 153 StPO zugestimmt hat, hat das Verfahren noch nicht in das Verfahrensstadium „gerichtliches Verfahren“ gehievt. Entscheidend dafür ist, dass es durch eine der in der Anm. zu Nr. 4104 VV RVG genannten Verfahrenskonstellationen dort hin gelangt ist. Das ist hier aber ggf. nicht der Fall gewesen.

Ach so: Und vielen Dank – auch von C.H.Beck – an den Kommentator für das Zitat aus dem Gerold/Schmidt. Steht so aber auch bei Burhoff (Hrsg.) RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014 🙂 .