Schlagwort-Archive: 5. Strafsenat

„Irreführend und unvollständig dargestellt“

In BGH, Beschl. v. 18.10.2010 – 5 StR 312/10, der erst jetzt (warum?) auf der Homepage des BGH eingestellt worden ist, setzt sich der 5. Strafsenat mit drei formellen Rügen des Angeklagten bzw. seines Verteidigers auseinander. Dazu heißt es im Beschluss:

Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

Die Rüge, das Landgericht habe den Antrag auf „Beschlagnahme der Ge-schäftsunterlagen“ zur Auffindung einer durch die Spielhalle auf den Ange-klagten ausgestellten „Bonuskarte“ zu Unrecht abgelehnt, genügt – selbst wenn der Antrag als Beweisantrag zu werten wäre – nicht den Anforderun-gen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer trägt vor, es sei Ziel dieses Antrags gewesen, den Gegenbeweis zu vorangegangenen – übereinstimmenden – Zeugenaussagen zu erbringen, nach denen solche Bonuskarten von der Spielhalle gar nicht geführt worden sind. Das trifft jedoch ausweislich des Protokolls nicht zu. Von den insgesamt sieben zu diesem Thema vernommenen Zeugen wurden drei, darunter vor allem der Betreiber der Spielhalle, erst nach dem am zweiten Verhandlungstag (21. Januar 2010) gestellten Antrag vernommen. Einer der bereits vor Antragstellung gehörten Zeugen wurde am dritten Verhandlungstag (28. Januar 2010) nochmals vernommen. Das Landgericht ist der Behauptung des Beschwerdeführers demnach ersichtlich nachgegangen. Der Antrag wurde dann am letzten (sechsten) Verhandlungstag (18. Februar 2010) gemeinsam mit anderen unter Hinweis auf die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse der Strafkammer über die Geschäftsunterlagen verbeschieden. Im Anschluss daran wurde die Beweisaufnahme im allseitigen Einvernehmen geschlossen.

Entsprechend liegt es bei der weiteren Rüge betreffend eine durch den Be-schwerdeführer am dritten Verhandlungstag beantragte „Beschlagnahme der Videoüberwachungsanlage“ und deren Begutachtung sowie Auswertung durch einen Sachverständigen. Entgegen dem Vortrag der Revision war Gegenstand des Antrags nur ein behaupteter Defekt der Festplatte. Hingegen hat die erst nach Antragstellung am 8. Februar 2010 erfolgte Einvernahme der technischen Betreuer der Anlage zur Überzeugung des Landgerichts ergeben, dass im Hinblick auf Störungen gar keine Speicherung auf der Festplatte erfolgt ist.“

Insoweit  zwar eine Einzelfallentscheidung, die der BGH allerdings mit dem Hinweis abschließt:

„Damit hat die Revision hinsichtlich beider Anträge wesentliche Umstände irreführend und unvollständig dargestellt, die zur Beurteilung der Begründetheit der Verfahrensrügen unerlässlich waren (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 85; vgl. auch BGH, Beschluss vom 7. August 2007 – 4 StR 142/07; EGMR NJW 2007, 2097).“

Noch nicht ganz „Verfahren Lucas„, aber immerhin lässt es m.E. grüßen.

Sicherungsverwahrung: BGH (5. Strafsenat) setzt die Rechtsprechung des BVerfG um

Der 5. Strafsenat des BGH hat jetzt in BGH, Beschl. v. 23.05.2011 – 5 StR 394/10, 5 StR 440/10, 5 StR 474/10 in den Vorlageverfahren betreffend Beschlüsse der OLGe Stuttgart, Celle, Koblenz die Rechtsprechung des BVerfG zur Sicherungsverwahrung in seinem Urteil v. 04.05.2011 umgesetzt.

Dem zur Veröffenlichung in BGHSt bestimmten Beschluss ist folgender Leitsatz vorangestellt.

In Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) begangen worden waren, darf die Fortdauer der Maßregelvollstreckung über zehn Jahre hinaus auf der Grundlage der bis zu einer Neuregelung, längstens bis 31. Mai 2013 weiter anwendbaren Vorschrift des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB i.V.m. § 2 Abs. 6 StGB nur noch angeordnet werden, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (ThUG) leidet; andernfalls ist die Maßregel – spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 – für erledigt zu erklären (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 u.a.).“

Es kommt also nicht zur sofortigen Freilassung der Untergebrachten.

Gleiches Recht für alle: Der Beweisantrag des Nebenklägers

Der 5. Strafsenat des BGH hatte in seiner Entscheidung vom 28. April 2010 (5 StR 487/09, NStZ 2010, 714) – nicht tragend – angemerkt, ungeachtet des auch dem Nebenkläger nach § 397 Abs. 1 Satz 3 StPO zugebilligten Beweisantragsrechts erscheine eine weniger restriktive Anwendung der gesetzlich vorgesehenen Ablehnungsgründe auf Beweisanträge des Nebenklägers als beim Angeklagten vertretbar.

Das sieht der BGH, Beschl. v. 07.04.2011 – 3 StR 497/10 ganz anders. Dort heißt es:

Gegen die vom 5. Strafsenat erwogene Auffassung sprechen bereits der eindeutige Wortlaut und die Systematik der Strafprozessordnung. § 397 Abs. 1 Satz 3 StPO bestimmt, dass dem Nebenkläger das Beweisantragsrecht zusteht, und verweist auf § 244 Abs. 3 bis 6 StPO. Dieser Regelung sind Einschränkungen nicht zu entnehmen; der Gesetzgeber hat – im Gegensatz etwa zu der Normierung der Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers in § 400 Abs. 1 StPO – darauf verzichtet, Reichweite und Grenzen der dem Nebenkläger eingeräumten Befugnis zur Stellung von Beweisanträgen gesondert auszugestalten (vgl. – 7 – Bock, HRRS 2011, 119, 120). Auch den Materialien zum Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2496), mit dem das Beweisantragsrecht in § 397 Abs. 1 StPO ausdrücklich aufgenommen wurde, kann ein entsprechender Wille nicht entnommen werden; vielmehr ist der Gesetzgeber bewusst dem Bundesrat nicht gefolgt, der sich gegen das Beweisantragsrecht des Nebenklägers gewandt hatte (BT-Drucks. 10/5305, S. 29, 33; vgl. hierzu auch LR/Hilger, StPO, 26. Aufl., § 397 Rn. 8 mwN). Zuletzt hat der Gesetzgeber mit dem 2. Opferrechtsreformgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2280) u.a. den § 397 StPO redaktionell umgestaltet. Dabei hat er allerdings das Beweisantragsrecht von Nebenklägern nicht etwa eingeschränkt, sondern deren Verfahrensrechte insgesamt noch weiter gestärkt (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 1 f.). Schließlich führt die Berücksichtung von Sinn und Zweck des Regelungsgefüges nicht zu einem anderen Ergebnis. Dem 5. Strafsenat ist zwar dahin zuzustimmen, dass das Beweisantragsrecht für den Angeklagten mit Blick auf seine Stellung im Strafverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Dies gilt indes in ähnlicher Weise für den Nebenkläger, dessen Interesse an der Wahrheitsfindung nicht von vornherein geringer zu bewerten ist. Eine gegen den Wortlaut und den gesetzgeberischen Willen restriktive Auslegung des § 397 Abs. 1 Satz 3 StPO, die dazu führen könnte, die wirksame Wahrnehmung der berechtigten Interessen durch den Nebenkläger zu beeinträchtigen, ist deshalb nicht veranlasst.

Also: Gleiches Recht für alle

Ist die Entlassungsverhandlung ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung?

Im Zusammenhang mit der der (zeitweisen) Entfernung des Angeklagten aus der Hauptverhandlung (§ 247 StPO) kommt es häufig zu Verfahrensfehlern, die u.a. darauf beruhen, dass in Abwesenheit des Angeklagten außerhalb der Zeugenvernehmung liegende Teile der Hauptverhandlung durchgeführt werden, an denen der Angeklagte dann nicht teilnimmt. Die Rüge in der Revision läuft dann über § 338 Nr. 5 StPO.

In dem Zusammenhang spielt die Frage, was ein „wesentlicher Teil der Hauptverhandlung“ ist, eine wesentliche Rolle. Dazu gibt es eine umfangreiche BGH-Rechtsprechung – bis hin zu Entscheidungen des Großen Senats für Strafsachen. Zuletzt im BGH, Urt. v. 09.02.0211 – 5 StR 387/10, in dem der 5. Strafsenat dargelegt hat, ob und wann die sog. Entlassungsverhandlung „wesentlicher Teil der Hauptverhandlung“ ist. Dort heißt es:

Nach ständiger Rechtsprechung bestimmt sich die Frage der Wesentlichkeit eines Verfahrensteils nach dem Zweck der jeweils betroffenen Vorschriften sowie danach, in welchem Umfang deren sachliche Bedeutung betroffen sein kann; die Entlassungsverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten ist danach grundsätzlich als wesentlich anzusehen, weil der von der Entlassungsverhandlung ausgeschlossene Angeklagte unmittelbar nach der Zeugenvernehmung keine Fragen oder Anträge stellen kann, die den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen vermögen (vgl. BGH – GS – aaO S. 2452 mwN). Diese Gedanken treffen jedoch ersichtlich nicht zu, wenn der die Vernehmung über eine Bild-Ton-Übertragung zeitgleich mitverfolgende Angeklagte nach ausdrücklicher Befragung des Vorsitzenden von seinem Fragerecht keinen Gebrauch machen will. Es wäre bloße Förmelei, wenn ihm – gegebenenfalls nach vorheriger Entfernung des Opferzeugen aus dem Gerichtssaal – in Anwesenheit ein weiteres Mal Fragen anheimgegeben werden müssten (vgl. zur Ersetzung der Unterrichtungspflicht nach § 247 Satz 4 StPO durch Bild-Ton-Übertragung auch BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, BGHSt 51, 180; ferner zum Frageverzicht in solchen Fällen BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10).

Sicherungsverwahrung: Die Strafsenate des BGH streiten sich

Über den Anfragebeschluss des 5. Strafsenats des BGH vom 09.11.2010 ist ja schon an verschiedenen Stellen berichtet worden. Der 5. Strafsenat will von der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats betreffend die Umsetzung der Rechtsprechung des EGMR zur Sicherungsverwahrung abweichen. Nun hat sich der 3. Strafsenat der Auffassung des 4. Strafsenats – pro EGMR – angeschlossen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.02.2011 – 3 ARs 35/10). Damit steht es nach meiner Zählung 2 : 1.