Terminsvertreter I: Gebühren aus Teil 4 Abschnitt 1 VV, oder: Aber keine Verfahrensgebühr?

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Am Gebührenfreitag stelle ich heute zwei Entscheidungen zu den Gebühren des Terminsvertreters vor. Beide Entscheidungen sind m.E. nur teilweise zutreffend.

Ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.02.2024 – 1 Ws 13/24 (S). Ergangen ist der Beschluss in deinem vor einer Strafkammer geführten Strafverfahren gegen sechs Angeklagte wegen Verbrechen nach dem BtmG, In dem hat der Kammervorsitzende mit Einverständnis des Angeklagten B. Rechtsanwalt R für den Hauptverhandlungstag am 26.09.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren beigeordnete Pflichtverteidiger für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. In der Hauptverhandlung am 26.09.2022 wurde das Hauptverfahren gegen einen Mitangeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit „auf unbestimmte Zeit“ abgetrennt,

Rechtsanwalt R hat beantragt seine Gebühren festzusetzen. Geltend gemacht worden sind eine Grundgebühr Nr. 4100 Verteidiger, eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG und eine Terminsgebühr Nr. 4114 VV RVG sowie Auslagen und Umsatzsteuer. Die Kostenbeamtin hat bei der Kostenfestsetzung die Grundgebühr und die Verfahrensgebühr, jeweils nebst Umsatzsteuer, in Abzug gebracht . Auf die gegen diese Kostenfestsetzung erhobene Erinnerung des Rechtsanwalts R hat das LG  die Kostenfestsetzungsentscheidung dahingehend geändert, dass auch die beantragten Grund- und Verfahrensgebühr festzusetzen seien. Gegen diese Entscheidung hat dann der Bezirksrevisor, Beschwerde eingelegt, denn es darf ja nicht sein, was nicht sein kann. Und: Die Beschwerde hatte beim OLG teilweise Erfolg.

Ich lasse mal die Ausführungen des OLG zu den beiden zu den Gebühren des Terminsvertreters vertretenen Auffassungen weg. Das OLG schließt sich der (zutreffenden) h.M. an und führt aus:

„Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen gerichtlichen Termin beigeordneten Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als „Vertreter“ des bereits bestellten Verteidigers sieht die Strafprozessordnung nicht vor. Dies folgt bereits daraus, dass der bestellte Verteidiger eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen kann, auch nicht mit Zustimmung des Gerichts, weil die Bestellung zum Verteidiger auf seine Person beschränkt ist (vgl. BGH StV 1981, 393; BGH StV 2011, 650, BGH, Beschluss vom 15, Januar 2014, 4 StR 346/13, zit. nach juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Eine solche Vertretung in der Verteidigung ist nur dem entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder 2 BRAO) bestellten allgemeinen Vertreter des Pflichtverteidigers möglich (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014, a.a.O.). Durch die Beiordnung eines Verteidigers für die Wahrnehmung eines Termins anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer seiner Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Eine solche umfassende, eigenverantwortliche Verteidigung setzt auch eine Einarbeitung in den Fall voraus, ohne die eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich ist. Gerade für diese erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall entsteht die Grundgebühr. Eine Unterscheidung danach, welchen Aufwand diese Einarbeitung im Einzelfall erfordert (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Februar 2011, 4 Ws 195/10, NJOZ 2012, 213) verbietet sich schon deshalb, weil es sich bei den Gebühren des Pflichtverteidigers nach Anlage 1 Teil 4 Abschnitt 1 zu § 2 Abs. 2 RVG um Festgebühren handelt, die grundsätzlich unabhängig von dem im Einzelfall erforderlichen Aufwand anfallen (ausf. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 9. Februar 2023, 2 Ws 13/23, zit. n. juris). Der Anspruch des wegen Verhinderung des zuvor bestellten Verteidigers zeitlich beschränkt bestellten weiteren Verteidigers scheitert auch nicht daran, dass die Gebühr aus VV Nr. 4100/4101 pro Rechtsfall nur einmal entsteht und auf Seiten des ursprünglich bestellten Pflichtverteidigers bereits entstanden ist; denn die Einmaligkeit der Gebühr pro Rechtsfall ist ausschließlich personen- und nicht verfahrensbezogen zu verstehen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; Knaudt in BeckOK RVG, a.a.O. RVG VV Vorbemerkung, Rn. 20). Auch im Falle eines Pflichtverteidigerwechsels nach § 143a StPO steht die Grundgebühr sowohl dem zunächst bestellten Pflichtverteidiger als auch dem an seiner Stelle bestellten neuen Pflichtverteidiger zu.

c) Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze steht dem Beschwerdegegner für seine am 26. September 2022 erbrachte Pflichtverteidigertätigkeit die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 176,00 Euro, die Termingebühr nach Nr. 4114 VV RVG in Höhe von 282,00 Euro, die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 Euro, die Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG in Höhe von 33,60 E, das Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG, jeweils nebst gesetzlicher Umsatzsteuer, zu.

Hingegen ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VV RVG für das Betreiben der Geschäfte einschließlich der Information im vorliegenden Fall nicht angefallen. Eine in den Geltungsbereich der Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit hat der Pflichtverteidiger nicht entfaltet. Zwar wird mit der Verfahrensgebühr die Tätigkeit des Pflichtverteidigers im Strafverfahren des ersten Rechtszuges nach Abschluss des vorbereitenden Verfahrens abgegolten. Ausgenommen sind davon aber Tätigkeiten, für die besondere Gebühren vorgesehen sind, wie z.B. die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Termingebühr für die Hauptverhandlung Nr. 4114 VV RVG (vgl. OLG München, Beschluss vom 27. Februar 2014, 4c Ws 2/14, zit. n. juris m.w.N.). Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 12. Verhandlungstag am 26. September 2022 ergibt sich, dass an diesem Tage keine Beweisaufnahme durchgeführt worden ist, für die eine Einarbeitung in das bisherige Beweisergebnis oder das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie erforderlich gewesen wäre. Dem Protokoll über die 20 Minuten dauernde Hauptverhandlung ist lediglich die Beiordnung von vier Pflichtverteidigern für den Verhandlungstag sowie die Abtrennung des Verfahrens gegen den Mitangeklagten pp wegen Verhandlungsunfähigkeit „auf unabsehbare Zeit“ zu entnehmen…..“

Der Entscheidung ist – wie gesagt – teilweise zuzustimmen, teilweise aber auch zu widersprechen.

Zuzustimmen ist der grundsätzlichen Aussage des OLG zu den für den Terminsvertreter entstehenden Gebühren. Es ist zutreffend, wenn sich das OLG der insoweit herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur anschließt (vgl. dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Vorbem. 4.1 VV Rn 5 mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).

2. Aber: Das war es dann aber auch schon. Denn nicht folgen kann man m.E. dem OLG hinsichtlich seiner Begründung, warum eine Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG nicht entstanden sein soll. Zwar beschränkt das OLG seine Ausführungen auf den vorliegenden Fall, wenn es mit „im vorliegenden Fall“ formuliert. Aber unabhängig davon sind die Ausführungen nicht zutreffend. Denn die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG ist auf jeden Fall entstanden. Das OLG übersieht nämlich, dass nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und jeweilige Verfahrensgebühr immer nebeneinander entstehen (vgl. zur Grundgebühr Burhoff AGS 2022, 433 m.w.N.). Dabei kommt es auf den Umfang der jeweiligen Tätigkeit beim Pflichtverteidiger, mit dem wir es hier zu tun haben, nicht an. Denn er erhält unabhängig vom Umfang der von ihm erbrachten Tätigkeiten Festgebühren, die mit Erbringung der ersten Tätigkeit für den Mandanten entstehen. Und das OLG irrt bzw. wählt den falschen Ansatz, wenn es für die Frage des Entstehens der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG allein darauf abstellt, was in dem Termin am 26.09.2022 geschehen ist. Das ist unerheblich, da diese Tätigkeiten durch die Terminsgebühr Nr. 4112 VV RVG abgegolten werden. Alle übrigen Tätigkeiten werden aber durch Grundgebühr- bzw. Verfahrensgebühr abgegolten. Und das ist eben nicht nur, wie das OLG offenbar meint, die Vorbereitung auf eine Beweisaufnahme, sondern jede zusätzliche Tätigkeit die vom Rechtsanwalt  erbracht wurde. Ausreichend sind eine Gespräch mit dem eigentlichen Pflichtverteidiger über die Übernahme der Vertretung im Termin, ein Gespräch mit dem Mandanten, das im Zweifel vor der dem Hauptverhandlungstermin geführt worden ist, usw. Dass es sich dabei um nur geringe Tätigkeiten handelt, ist wegen der Festgebührencharakter der Pflichtverteidigergebühren ohne Bedeutung. Daher hätte hier die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG auch festgesetzt werden müssen. Die Entscheidung des LG war zutreffend. Dort hatte man offenbar mal in einen Kommentar geschaut. 🙂

StPO III: Der Nebenkläger stirbt während des Verfahrens, oder: Rechtsmittelbefugnis der Erben?

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Und zum Schluss des Tages dann noch etwas auf dem Rechtsmittelbereich, und zwar etwas zur Rechtsmittelbefugnis der Erben des verstorbenen Nebenklägers.

Das AG hat den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Ihm war vorgeworfen worden, als Autofahrer die Vorfahrt des mit einem Fahrrad fahrenden späteren Nebenklägers missachtet und diesem hierdurch schwere Verletzungen zugefügt zu haben, die zu einer gänzlichen Lähmung führten. Gegen das freisprechende Urteil hat der durch seinen Rechtsanwalt vertretene Nebenkläger Berufung eingelegt. Noch bevor es zur Berufungshauptverhandlung gekommen ist, ist der Nebenkläger am 24.06.2023 verstorben. Der Rechtsanwalt hat dies dem Berufungsgericht mitgeteilt und zugleich – schriftlich – beantragt, den Angeklagten nunmehr wegen „Körperverletzung mit Todesfolge bzw. fahrlässiger Körperverletzung zu verurteilen“. Hiernach hat der Rechtsanwalt die Vertretung des Sohnes des verstorbenen Nebenklägers angezeigt und erklärt, dass „dieser die Nebenklage nach dem Tod des Nebenklägers fortführt“. Weiter hat er beantragt, diesen „als Nebenkläger zuzulassen in dem Sinne, dass dieser die Position des verstorbenen Nebenklägers übernimmt und die Berufung mit den in der Berufungsschrift gestellten Anträgen fortführt“.

Das LG hat festgestellt, dass die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers seine Wirkung verloren habe. Durch denselben Beschluss sind dem verstorbenen Nebenkläger die Kosten der Berufung mit der Folge auferlegt worden, dass sie aus dessen Nachlass zu erstatten seien. Der Rechtsanwalt hat „sofortige Beschwerde“ gegen den gesamten Beschluss eingelegt. Das Rechtsmittel stellt sich nach Auffassung des KG als sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die Kostenentscheidung sowie als Beschwerde des Sohnes gegen die Versagung der Zulassung als Nebenkläger dar.

Beide Rechtsmittel blieben beim KG ohne Erfolg. Das führt im KG, Beschl. v. 22.01.2024 – 3 Ws 66-67/23 – aus:

„1. Die Beschwerde des Y gegen die Versagung der Zulassung als Nebenkläger ist unbegründet, weil das Strafprozessrecht eine Fortführung der Nebenklage durch An-gehörige nicht vorsieht (a) und eine eigene Anschlusserklärung nach dem Versterben des Nebenklägers nicht mehr möglich war (b).

a) Ein „Eintreten“ in die Nebenklage oder eine Fortführung durch Angehörige des verstorbenen Nebenklägers ist durch die StPO nicht vorgesehen (vgl. BGH NStZ 2009, 174; Allgayer in Karlsruher Kommentar, StPO 9. Aufl., § 402 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 402 Rn. 4). Eine solche Sukzession normiert zwar § 383 Abs. 2 StPO für die Privatklage. Für die Nebenklage fehlt eine entsprechende Regelung indes. Mit dem Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 hat der Gesetzgeber die Verweisung in § 397 Abs. 1 a. F. StPO auf Vorschriften der Privatklage vielmehr bewusst beseitigt, so dass eine analoge Anwendung nicht mehr in Betracht kommt (vgl. Valerius in Münchener Kommentar, StPO, § 402 Rn. 8). Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn der Tod des Nebenklägers, was hier keinesfalls fernliegt, durch die zu seinem Anschluss berechtigende Straftat herbeigeführt worden ist (vgl. Valerius in Münchener Kommentar, a.a.O.).

b) Auch konnte sich der Beschwerdeführer Y nach dem Tod des Nebenklägers nicht mehr aus eigenem Recht wirksam der erhobenen öffentlichen Anklage anschließen.

Zwar steht diese Befugnis im Grundsatz auch dem Kind eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten zu (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn sich der öffentlichen Klage bereits der Verstorbene, noch zu Lebzeiten, als Neben-kläger angeschlossen hatte. Denn nach § 402 StPO verliert die Anschlusserklärung durch den Tod des Nebenklägers ihre Wirkung. Da die Nebenklage mit dem Versterben beendet ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 402 Rn. 6) und die vom Nebenkläger eingelegte Berufung als zurückgenommen gilt (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; Allgayer in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 402 Rn. 5), wird das zunächst angefochtene Urteil in der juristischen Sekunde des Versterbens rechtskräftig.

Angesichts der durch das Versterben des Nebenklägers eingetretenen Rechtskraft des Freispruchs konnte auch der Beschwerdeführer Y nicht mehr den Anschluss nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO erklären. Im Zeitpunkt der Anschlusserklärung gab es die durch § 395 Abs. 1 StPO vorausgesetzte öffentliche Klage nicht mehr.

2. Die sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers gegen die vom Landgericht für das Berufungsverfahren getroffene Kostengrundentscheidung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

a) Dass der Nebenkläger verstorben ist, steht der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen. Zwar ist umstritten, ob die zu Lebzeiten erteilte Vertretungsvollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus fortwirkt und den Vertreter jedenfalls zur Stellung von Kosten- und Auslagenerstattungsanträgen sowie zur Einlegung von Beschwerden gegen ablehnende Entscheidungen ermächtigt (bejahend Hanseatisches OLG, NJW 1971, 2183; 1983, 464; OLG Hamm NJW 1978, 177; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 246; OLG Celle NJW 2002, 3720; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., Vor § 137 Rn. 7; Kühl, NJW 1978, 977, 980 [allesamt den Verteidiger betreffend]; a. A. Hanseatisches OLG wistra 2004, 39). Der Senat geht jedoch mit der wohl herrschenden Meinung von einem solchen Fortbestehen aus. Nach § 168 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nämlich nach dem zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis, hier also nach dem zwischen dem Nebenkläger und seinem Vertreter bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB). Auf diesen ist § 672 BGB anzuwenden, wonach der Auftrag im Zweifel nicht durch den Tod des Auftrag-gebers erlischt. Dieses Ergebnis ist hier auch sachgerecht, weil nach dem Tod des Nebenklägers noch über die Verfahrenskosten und die Tragung der notwendigen Auslagen zu entscheiden war. Die durch diese Konstellation erzeugte Interessenlage legt es nahe, dass der Vertreter die Interessen des Verstorbenen (und damit „indirekt“ die der Erben) auch weiterhin vertritt (vgl. Kühl, NJW 1978, 977).

b) Die sofortige Beschwerde des verstorbenen Nebenklägers ist jedoch nicht begründet. Denn nach § 402 StPO hat die Anschlusserklärung des Nebenklägers durch dessen Tod ihre Wirkung verloren. Damit ist die Nebenklage beendet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 402 Rn. 6), und das ausschließlich vom Nebenkläger ein-gelegte Rechtsmittel, die Berufung, gilt als zurückgenommen (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; Allgayer in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 402 Rn. 5).

Die Kosten eines zurückgenommenen Rechtsmittels treffen nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich denjenigen, der es eingelegt hat. Nach § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO gilt dies auch ausdrücklich für die Nebenklage. Damit hat das Landgericht dem verstorbenen Nebenkläger zutreffend die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Freigesprochenen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt. Gleichfalls zutreffend hat das Landgericht formuliert, dass dies zur Folge hat, dass die auferlegten Kosten „aus dem Nachlass zu erstatten sind“ (vgl. OLG Celle NJW 1953, 1726; Thüringisches OLG MDR 1995, 1071; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 402 Rn. 6).

3. Die Beschwerdeführer haben gemäß § 473 Abs. 1 StPO die Kosten ihrer erfolglosen Rechtsmittel zu tragen, der verstorbene Nebenkläger nach § 473 Abs. 1 Satz 3 StPO zugleich die notwendigen Auslagen des Freigesprochenen. In Bezug auf den verstorbenen Nebenkläger ergeht die Kostenentscheidung mit der Maßgabe, dass die Kosten aus dem Nachlass zu erstatten sind.“

StPO II: Schwurgericht auf Schöffen-/Schöffinnensuche, oder: Statthaftes Vorabentscheidungsverfahren?

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Und dann als Mittagslektüre der OLG Köln, Beschl. v. 16.02.2024 – 2 Ws 58-61/24. Thematik: Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO.

Folgender Verfahrensgang Folgendes: Das Schwurgericht des LG hatte den Angeklagten u.a.  wegen Totschlags verurteilt. Auf die Revision der Nebenkläger hat der BGH das Urteil des LG Köln aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Der Vorsitzende der nunmehr zuständigen Schwurgerichtskammer hat dann om 12.01.2024 bis zum 12.04.2024 22 Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung anberaumt. Als Hauptschöffin war u. a. die Krankenschwester F. G. dem Verfahren zugelost worden und per Postzustellungsurkunde vom 07.12.2023 ordnungsgemäß geladen worden. Die erscheint am 12.01.2024 nicht. Es gelingt dann die Kontaktaufnahme. Die Schöffin teilt mit, sie habe bei Gericht angerufen und mitgeteilt, sie sei aufgrund ihrer Arbeitstätigkeit an der Terminswahrnehmung gehindert und habe daher ihre Teilnahme „abgesagt“. Sie teilt außerdem mit, sie sei durch ihre Arbeitstätigkeit verhindert. Sie könne zwar zum Hauptverhandlungstermin noch nachträglich erscheinen, aber alle Hauptverhandlungstermine könne sie unmöglich wahrnehmen, da ihr Chef damit nicht einverstanden sei.

Der Vorsitzende hat dann verfügt, die Schöffin G. werde von ihrer Dienstleistung in der Hauptverhandlung nach § 54 Abs. 2 S. 2 StPO entbunden. Nach der Entpflichtung der Schöffin G. ist der Strafkammer um 11:29 Uhr als nächste bereite Schöffin von der Ersatzschöffenliste Frau V. P. zugewiesen worden. Da die Schöffin P. in einem sogleich durch den Vorsitzenden geführten Telefonat mitgeteilt hat, sie befinde sich vom 16.02. bis 26.02.2024 auf einer Schiffsreise, hat der Vorsitzende daraufhin vermerkt und verfügt, die Ersatzschöffin P. werde von ihrer Dienstleistung gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 StPO entbunden. Die Reise der Schöffin betreffe vier Hauptverhandlungstage. Da diese mit umfangreichem Beweisprogramm und der Vernehmung des psychiatrischen Sachverständigen belegt seien, komme eine Aufhebung der Hauptverhandlung nicht in Betracht.

Nach der Entpflichtung der Hilfsschöffin P. ist der Strafkammer die Schöffin Z. um 11:45 Uhr als Ersatzschöffin zugewiesen worden. Nach Wiederbeginn der Hauptverhandlung um 14:00 Uhr hat die Schöffin Z. der Hauptverhandlung beigewohnt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.01.2024, eingegangen beim LG über das beA am selben Tag, hat der Angeklagte die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts mit der Schöffin E. F. Z. gerügt. Er ist der Ansicht, die Schöffin F. G. sei die richtige gesetzliche Richterin, da eine Entpflichtung nach § 54 Abs. 2 GVG zu Unrecht erfolgt sei. Das Gericht habe die wesentlichen Voraussetzungen einer Unerreichbarkeit im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 2 GVG verkannt.

Das LG hat den Besetzungseinwand als unbegründet zurückgewiesen. Der Einwand hatte dann auch beim OLG keinen Erfolg:

„Die Besetzungseinwände haben keinen Erfolg.

Das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO erweist sich auf der Grundlage der dem Senat unterbreiteten Sachlage für den Angeklagten bzw. die Nebenkläger 1) – 3) als nicht statthaft. Aufgrund des Rügevortrags kann der Senat nicht davon ausgehen, dass eine auf die Schöffin Z. bezogene Besetzungsmitteilung nach § 222a Abs. 1 StPO spätestens bis zu dem Beginn der Hauptverhandlung erfolgt ist.Gemäß § 222b Abs. 1 S. 2 StPO sind bei der Geltendmachung des Einwands, dass das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, die Tatsachen anzugeben, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll. Das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO soll im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein (BT-Drucks. 19/14747, S. 29). Das hat zur Folge, dass der Besetzungseinwand in der gleichen Form geltend zu machen ist wie die als Verfahrensrüge ausgestaltete Besetzungsrüge der Revision nach Maßgabe von § 344 Abs. 2 StPO (vgl. SenE v. 21.06.2021, 2 Ws 296/21; SenE v. 11.12.2020, 2 Ws 680/20; SenE v. 27.08.2020, 2 Ws 464/20; OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2020, III-1 Ws 325/20; OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20; KG Berlin, Beschl. v. 01.03.2021, 4 Ws 14/21; OLG München, Beschlüsse v. 12.02.2020, 2 Ws 138-139/20, und v. 10.03.2020, 2 Ws 283/20; OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2020, 3 Ws 21/20; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.11.2021, 1 Ws 73/21; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 222b Rdn. 6). Der Besetzungseinwand muss ohne Bezugnahmen und Verweisungen (vgl. BGH, Urteil v. 04.09.2014, 1 StR 75/14; Schmitt a.a.O.) aus sich heraus Inhalt und Gang des bisherigen Verfahrens so konkret und vollständig wiedergeben, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 S. 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird. Denn es ist nicht Aufgabe des Senats im Vorabentscheidungsverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO, das revisionsrechtlichen Grundsätzen folgt, den Revisionsvortrag aus anderen Unterlagen zusammenzufügen oder zu ergänzen (vgl. BGH, Urteil v. 04.09.2014, 1 StR 75/14). Dabei sind als erforderlicher Inhalt des Besetzungseinwands auch Angaben anzusehen, aus denen sich dessen Statthaftigkeit ergibt. Widrigenfalls bedürfte es des bei einer revisionsähnlichen Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zulässigen Rückgriffs auf die Akten, um dem Rechtsmittelgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob der Besetzungseinwand in statthafter Weise in Bezug auf eine spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung erfolgende Besetzungsmitteilung erhoben wurde (OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20).

Dem Rügevorbringen des Angeklagten, dem sich die beteiligten Nebenkläger lediglich ohne eigenen Sachvortrag angeschlossen haben, ist indes nicht zu entnehmen, dass spätestens bis zur Vernehmung des Angeklagten zur Person nach § 243 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts im Rahmen der §§ 222a, 222b: BGH, Urteil v. 12.07.2001, 4 StR 550/00; BVerfG, Beschl. v. 19.03.2003, 2 BvR 1540/01) eine Besetzungsmitteilung erfolgt ist, die sich (auch) auf die Schöffin Z. bezog. Der Vortrag beschränkt sich vielmehr darauf, die Umstände darzulegen, die letztlich zu ihrer Zuweisung zu der Strafkammer führten, und mitzuteilen, dass sie seit „Sitzungsbeginn“ um 14:00 Uhr des 12.01.2024 an der Hauptverhandlung teilnehme.

Dabei kann dem Vortrag bereits nicht entnommen werden, ob die Hauptverhandlung vor dem Eintritt der Schöffin Z. schon durch Aufruf der Sache im Sinne des § 243 Abs. 1 S. 1 StPO begonnen hatte und nach § 229 StPO unterbrochen worden war. In diese Richtung deutet allerdings die in der Rügeschrift verwendete Formulierung, der Vorsitzende habe „nach Unterbrechung der Hauptverhandlung zunächst bis 10:45 Uhr“ das Tätigwerden einer Polizeistreife veranlasst. In diesem Fall wäre bereits fraglich, ob eine nach dem Aufruf der Sache eingetretene, gegenüber einer zuvor erteilten Besetzungsmitteilung – zu der der Angeklagte gleichfalls nichts vorträgt – geänderte Besetzung überhaupt noch dem Anwendungsbereich des § 222a StPO unterliegt. Hierfür dürfte allerdings sprechen, dass der Begriff des „Beginns der Hauptverhandlung“ im Rahmen dieser Vorschrift bezogen auf den spätestmöglichen Mitteilungszeitpunkt den Zeitraum bis vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Person umfasst (BGH, Urteil v. 12.07.2001, 4 StR 550/00; BVerfG, Beschl. v. 19.03.2003, 2 BvR 1540/01).

Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, dass der Eintritt der Schöffin Z. zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, der noch eine Mitteilungspflicht nach § 222a StPO auslöste, kann der Senat auf Grund des hierzu schweigenden Rügevorbringens nicht zu Grunde legen, dass eine solche Mitteilung auch tatsächlich erfolgt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich insoweit um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO handelt, die ausdrücklich und eindeutig zu erfolgen hat. Bloß konkludentes Verhalten, etwa ein Aushang der Besetzung an der Türe des Sitzungssaals, genügt nicht (BGHSt 29, 162; BGH, Beschl. v. 06.01.2021, 5 StR 519/20, NStZ-RR 2021, 81; Ritscher in BeckOK StPO, 50. Edition, Stand: 01.01.2024, § 222a Rn. 7; vgl. auch Lantermann, HRRS 2022, 32, 33).

2, Steht somit zumindest das Fehlen einer Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO konkret im Raum, hat dies zur Folge, dass das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO nicht statthaft ist.

a) Für den – hier auf Grund des dargelegten defizitären Rügevorbringens zum genauen Ablauf der Hauptverhandlung am 12.01.2024 jedenfalls nicht auszuschließenden – Fall einer Besetzungsänderung, die erst zu einem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung erfolgt, der schon vom Anwendungsbereich des § 222a StPO nicht mehr erfasst ist, entspricht dies der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 02.02.2022, 5 StR 153/21, NJW 2022, 1470, insb. Tz. 11; vgl. dieser Entscheidung zu Grunde liegend OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20; vgl. zur Unstatthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens außerhalb des Anwendungsbereichs des § 222a StPO auch SenE v. 01.10.2020, 2 Ws 534/20).

b) Nach Ansicht des Senats setzt die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO aber auch in Konstellationen, in denen eine Besetzungs(änderungs)mitteilung nach § 222a StPO geboten ist, voraus, dass diese auch tatsächlich bis spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung im Sinne dieser Vorschrift erfolgt ist (so auch Lantermann, a.a.O., 34, 36, 41)……“

StPO I: Fehlt die Umgrenzungsfunktion der Anklage?, oder: Sammlermünzen als Objekt der Geldfälschung?

entnommen der Hompage des Bundesverwaltungsamtes

Und heute dann auch noch einmal StPO-Entscheidungen, heute dann aber „bunt“ gemischt.

Ich beginne mit einem schon etwas älteren Beschluss des OLG Celle, der sich zur Nichteröffnung des Hauptverfahrens äußert, wenn eine (vermeintlich) mangelhafte Anklage vorliegt.

Die StA wirft den Angeschuldigten mit ihrer Anklage vor, sich in der Zeit vom 07.11.2018 bis zum 30.09.2020 wegen gemeinschaftlich begangener Geldfälschung (§§ 146 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 25 Abs. 2 StGB) strafbar gemacht zu haben. Konkret wird den Angeschuldigten zur Last gelegt, als Geschäftsführer der B. V. GmbH die Herstellung und den Vertrieb von 750 Exemplaren eines Metallstücks mit der Prägung „250. Geburtstag Alexander von Humboldt“ veranlasst zu haben, wobei das Metallstück durch seine optische Gestaltung den Eindruck erweckt habe, dass es sich um von einer staatlichen Prägeanstalt herausgegebenes Münzgeld in Form einer Gedenk- und Sammelmünze handele, die im Zahlungsverkehr auch Zahlungsmittelfunktion erfülle.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Seine Entscheidung hat das LG damit begründet, dass ein hinreichender Verdacht wegen Geldfälschung nicht bestehe, weil das in der Anklage beschriebene Metallstück nicht geeignet sei, mit echtem Geld verwechselt zu werden, und sich zudem das Vorliegen des subjektiven Tatbestands nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen lassen werde. Die Frage, ob die Anklageschrift unwirksam sei, weil der in ihr dargestellte Sachverhalt nicht alle gesetzlichen Merkmale des angeklagten Tatbestandes, nämlich keine näheren Angaben zu einem gemeinsamen Tatentschluss bzw. einem arbeitsteiligen Vorgehen der Angeschuldigten, enthalte, hat das LG ausdrücklich dahinstehen lassen.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der StA. Sie macht insbesondere geltend, dass wegen der zentral auf dem Revers aufgebrachten Zahl „20“, die der Höhe des Verkaufspreises entspreche, und der weiteren Symbole und Beschriftungen „Adler, Deutschland, Europa, etc“, die in keinem Zusammenhang zu dem Medaillenthema ständen, die Gefahr der Verwechslung mit Sammlermünzen bestehe.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Das OLG hat es mit dem OLG Celle, Beschl. v. 07.08.2023 – 3 Ws 81/23 – zurückgewiesen:

„Die statthafte und zulässig erhobene (§§ 210 Abs. 2, 311 StPO) sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.

Das Landgericht hat gemäß § 203 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Recht abgelehnt, weil nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens die Angeschuldigten einer Straftat nicht hinreichend verdächtig sind. Hinreichender Tatverdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung nur dann, wenn die Verurteilung der oder des Angeschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 203 Rn. 2 mwN). Das ist hier nicht der Fall.

Das Beschwerdevorbringen greift demgegenüber nicht durch.

1. Dabei war es dem Landgericht im vorliegenden Fall nicht verwehrt, trotz der erkannten Lücken in der Sachverhaltsdarstellung der Anklage den hinreichenden Tatverdacht zu verneinen. Zwar muss zur Wahrung der Umgrenzungsfunktion bei einem – wie hier – gegen mehrere Angeschuldigte gerichteten Vorwurf der gemeinschaftlichen Begehungsweise anhand der Anklage erkennbar sein, welcher individuelle Tatbeitrag dem einzelnen Angeschuldigten vorgeworfen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 1986 – 1 StR 646/85, NStZ 1986, 329; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308). Zudem scheidet bei fehlender Wahrung der Umgrenzungsfunktion der Anklage die Prüfung des Vorliegens eines hinreichenden Tatverdachts grundsätzlich aus, weil es insoweit an der erforderlichen Grundlage für die Prüfung fehlt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. Juni 2020 – 2 Ws 63/20). Im vorliegenden Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Anklagevorwurf mit der Beschaffenheit eines bestimmten Tatobjekts – nämlich der Einordnung der in der Anklage beschriebenen 750 Metallstücke als Falschgeld – steht und fällt. Da diese Beschaffenheit gänzlich unabhängig von den Tatbeiträgen der Angeschuldigten zu beurteilen ist, fehlt es insoweit nicht an der notwendigen Prüfungsgrundlage für den hinreichenden Tatverdacht.

2. Das Landgericht hat aus zutreffenden Gründen, die der Senat sich in vollem Umfang zu eigen macht und auch seiner Entscheidung zugrunde legt, darauf erkannt, dass es sich bei den in der Anklage beschriebenen Metallstücken nicht um Falschgeld handelt…..“

Insoweit verweise ich dann auf die Leitsätze des OLG, die lauten:

    1. …….
    2. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass Sammlermünzen nicht als Tatobjekte der Geldfälschung (§ 146 StGB) in Betracht kommen, weil sie trotz ihrer Anerkennung als gesetzliche Zahlungsmittel zum Umlauf im öffentlichen Zahlungsverkehr weder bestimmt noch geeignet sind und daher die herkömmliche Definition von „Falschgeld“ auf sie nicht anwendbar ist.
    3. Sieht man Sammlermünzen als taugliche Tatobjekte der Geldfälschung an, so ist als Vergleichsmaßstab nicht der „gewöhnliche Zahlungsverkehr“, sondern der „gewöhnliche Markt für Sammlermünzen“ heranzuziehen.
    4. Bei der Prüfung, ob Medaillen oder Münzstücke eine Verwechselungsgefahr mit echten Sammlermünzen begründen, kommt den Vorschriften der Medaillenverordnung und der Verordnung (EU) Nr. 651/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Ausgabe von Euro-Münzen (Amtsblatt L 201/135 vom 27. Juni 2012) eine indizielle Bedeutung dahin zu, dass bei deren Einhaltung eine Verwechselungsgefahr regelmäßig zu verneinen ist.

Berufung III: Wann gibt es die Annahmeberufung?, oder: Auch bei Absehen von Strafe?

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Und dann noch die dritte Berufungsentscheidung, und zwar der KG, Beschl. v. 29.02.2024 – 4 Ws 7/24 – 161 AR 6/24, zur Frage, ob es auch bei Absehen von Strafe eine Annahmeberufung gibt.

Das AG die Angeklagte des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen für schuldig befunden und gemäß § 86a Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 86 Abs. 5 StGB wegen geringer Schuld von einer Bestrafung abgesehen. Die gegen diese Entscheidung von der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen hat das LG nach § 313 Abs. 2 Satz 2 StPO als unzulässig verworfen. Zwar erwähne § 313 Abs. 1 StPO das Absehen von Strafe nicht. Im Wege eines Erst-Recht-Schlusses müsse die Norm aber auch dann Anwendung finden, wenn – wie hier – wegen geringerer Schuld eine Rechtsfolge verhängt worden sei, deren Schwere hinter dem Gewicht der in § 313 Abs. 1 StPO aufgeführten Rechtsfolgen zurückbleibe; denn die Vorschrift diene gerade dem Zweck, die Berufungsgerichte zu entlasten, indem Fälle der Bagatellkriminalität nur unter bestimmten Voraussetzungen in die Berufungsinstanz gelangen könnten.

Dagegen die sofortige Beschwerde der Angeklagten, die Erfolg hatte:

„3. Auch in der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg. Der Senat teilt nicht die von der Vorsitzenden der Strafkammer vertretene Rechtsauffassung, dass die Berufung in analoger Anwendung des § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO der Annahme bedürfe.

a) Hat das Amtsgericht von Strafe abgesehen, gilt § 313 Abs. 1 Satz 1 StPO nach seinem Wortlaut nicht. Zu der Frage, ob in diesem Fall eine analoge Anwendung der Vorschrift in Betracht kommt, werden verschiedene Ansichten vertreten.

Ein Teil der Literatur lehnt eine analoge Anwendung unter Hinweis auf das Gebot der Rechtsmittelklarheit generell ab (vgl. Eschelbach in Graf, StPO 4. Aufl., § 313 Rn. 7; Reichenbach in Gercke/Temming/Zöller, StPO 7. Aufl., § 313 Rn. 6; Quentin in Münchener Kommentar, StPO 2. Aufl., § 313 Rn. 6; Gössel aaO, § 313 Rn. 29).

Die Gegenmeinung, der sich das Landgericht angeschlossen hat, wählt einen differenzierten Ansatz. Sie unterscheidet danach, ob das Absehen von Strafe – wie vorliegend – auf der geringen Schuld des Täters beruht oder – wie etwa bei § 60 StGB – auf anderen Erwägungen, und erachtet im ersteren Fall eine analoge Anwendung aufgrund eines Erst-Recht-Schlusses für geboten (vgl. OLG Stuttgart, aaO Rn. 8 [zu § 113 Abs. 4 Satz 1 StGB]; LG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2007 – 711 Ns 27/07 –, juris Rn. 5 ff. [zu § 29 Abs. 5 BtmG]; LG Bad Kreuznach, NStZ-RR 2002, 217 [zu § 158 Abs. 1 StGB]; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 313 Rn. 3a; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl., § 313 Rn. 2a; Halbritter in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 4. Aufl., § 313 Rn. 2; Beukelmann in Radtke/Hohmann, StPO, § 313 Rn. 2; Frisch in SK-StPO, 6. Aufl., § 313 Rn. 6a).

b) Der Senat folgt der erstgenannten Ansicht, nach der eine analoge Anwendung des § 313 Abs. 1 StPO nicht möglich ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt das Gebot der Rechtsmittelklarheit, dass Rechtsbehelfe in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürgerinnen und Bürger erkennbar sind. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 –, juris Rn. 68 und Nichtannahmebeschluss vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2803/06 –, juris Rn. 5). Das Bundesverfassungsgericht folgert daraus einerseits, dass die Nichtanerkennung außerordentlicher Rechtsbehelfe weder willkürlich noch geeignet sei, die betroffene Person in ihrem Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz zu verletzen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Januar 2017 – 1 BvR 2803/06 –, juris Rn. 5), sowie andererseits, dass die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht von der vorherigen Erhebung außerordentlicher Rechtsbehelfe abhängig gemacht werden dürfe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. April 2003 – 1 PBvU 1/02 –, juris Rn. 71). Zur Analogiefähigkeit fachgerichtlicher Rechtschutzbestimmungen wird ein differenzierter Ansatz vertreten. Während jedenfalls hergebrachte, im Wege der Analogie geschaffene Rechtsmittel auch nach der Entscheidung zum Gebot der Rechtsmittelklarheit ohne Weiteres als Teil des zu erschöpfenden Rechtswegs angesehen werden (vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 14. November 2023 – 1 BvR 1498/23 –, juris Rn. 9 [zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO]), ist die noch nicht etablierte analoge Anwendung fachgerichtlicher Rechtschutzbestimmungen als mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit unvereinbar angesehen worden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. August 2008 – 2 BvR 460/08 –, juris Rn. 9 [zur analogen Anwendung des § 33a StPO im Verfahren nach dem RUAStrGHG]).

Die Rechtsansicht, nach der § 313 Abs. 1 StPO im Fall des Absehens von Strafe analoge Anwendung finden soll, erscheint danach verfassungsrechtlich problematisch. Da eine gefestigte Rechtsprechung zur analogen Anwendbarkeit des § 313 Abs. 1 StPO im Fall des Absehens von Strafe nicht existiert, dürfte dessen analoger Heranziehung bereits das Gebot der Rechtsmittelklarheit entgegenstehen. Dies gilt umso mehr, als gerade bei rechtswegbeschränkenden Vorschriften besonders strenge Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit zu stellen sein dürften (pauschal gegen eine Analogiefähigkeit rechtswegbeschränkender Normen: OLG Koblenz, Beschluss vom 9. Mai 2006 – 12 W 254/06 –, juris Rn. 8; Singer, Rechtsklarheit und Dritte Gewalt, Seite 294; a. A.: BGH, Beschluss vom 29. Mai 2006 – II ZB 5/06 –, juris Rn. 16 ff.).

Letztlich kann die vorgenannte Frage aber offenbleiben, denn eine analoge Anwendung des § 313 Abs. 1 StPO auf die Konstellation des Absehens von Strafe kommt jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen einer Analogie nicht vorliegen. Es lässt sich nicht mit der Eindeutigkeit, die angesichts der Natur des § 313 Abs. 1 StPO als rechtswegbeschränkende Ausnahmevorschrift zu verlangen ist, feststellen, dass der Gesetzgeber die – bei Erlass des § 313 Abs. 1 StPO bereits existierenden – Vorschriften zum Absehen von Strafe lediglich versehentlich nicht in den Gesetzestext aufgenommen hätte und insoweit mithin von einer planwidrigen Regelungslücke auszugehen wäre.

Das Anliegen des Gesetzgebers, durch § 313 Abs. 1 StPO den Rechtsweg in Fällen „kleinerer Kriminalität“ und bei „Straftaten geringer Schwere, die häufig vorkommen“ (vgl. BR-Drs. 12/1217, Seite 39), zu beschränken, wurde flankiert von dem Bestreben, eine einfache, Zweifelsfragen nicht erlaubende Norm zu schaffen. Dem Gesetzgeber war bewusst, dass die von ihm gewählte Regelung nicht jeden Fall der Bagatellkriminalität erfassen und nicht frei von Wertungswidersprüchen sein würde. Er nahm dies „im Interesse der größtmöglichen Vereinfachung“ in Kauf (vgl. BR-Drs. 12/1217, Seite 39 f.: „Sind in dem Urteil für die Tat neben der Geldstrafe noch andere Rechtsfolgen, etwa Fahrverbot, Entzug der Fahrerlaubnis, Verfall, Einziehung usw. festgesetzt, so ist die Regelung […] nicht anwendbar; der Entwurf hat insoweit einer einfachen Abgrenzung den Vorzug gegeben. […] [Der Entwurf] stellt bei der Prüfung der Frage, ob die Berufung der Zulassung bedarf, im Interesse der größtmöglichen Vereinfachung auch ausschließlich auf das angefochtene Urteil ab. Beschränkungen der Berufung bleiben außer Betracht. […] Auch sie [die Geldbuße] führt, wenn sie zu einer Geldstrafe hinzutritt, zur Unanwendbarkeit des § 313. Auch insoweit hat der Entwurf einer raschen Klärung der Frage, ob die Berufung zulassungsbedürftig ist, den Vorzug vor einer Regelung gegeben, die eine Vielzahl von Fallgestaltungen hätte auffangen müssen und gleich in welcher Gestalt, zahlreiche Zweifelsfragen aufgeworfen hätte.“).

Eine Festlegung dahingehend, dass einzelne Bereiche der Bagatellkriminalität bewusst, andere hingegen nur versehentlich nicht geregelt wurden, erscheint vor dem Hintergrund einer explizit unvollständigen Regelung bereits im Ansatz problematisch und kann jedenfalls für die Rechtsfolge des Absehens von Strafe nicht erfolgen. Letztere ist für eine Vielzahl von Konstellationen vorgesehen und beruht auf vielgestaltigen kriminologischen Erwägungen. Neben den im allgemeinen Teil verorteten Vorschriften der §§ 23 Abs. 3, 46a Abs. 1, 46b Abs. 1 und 60 StGB finden sich in den §§ 86 Abs. 5, 86a Abs. 3, 113 Abs. 4, 157, 158 Abs. 1, 174 Abs. 1, 182 Abs. 6, 306e Abs. 1, 314a Abs. 2 StGB sowie in § 29 Abs. 5 BtmG auch tatbestandsakzessorische Regelungen. Dabei erfassen neben der Konstellation des § 60 StGB, auf die § 313 Abs. 1 StPO unstreitig keine Anwendung findet, auch zahlreiche weitere Fallgestaltungen Straftaten, die nicht oder jedenfalls nicht ohne Weiteres dem Bereich der „kleineren Kriminalität“ zuzuordnen sind; so etwa § 46a StGB (Absehen von Strafe bei ansonsten verwirkter Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen), § 46b StGB (Absehen von Strafe bei ansonsten verwirkter Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Jahren) sowie die §§ 158 Abs. 1, 306e Abs. 1 und § 314a Abs. 2 StGB, die im Fall tätiger Reue auch bei Verbrechenstatbeständen ein Absehen von Strafe erlauben. Bei Beibehaltung der Grundkonzeption des § 313 Abs. 1 StPO wären demnach allenfalls einzelne, im Gesetzestext ausdrücklich anzuführende Anwendungsfälle des Absehens von Strafe für eine Einbeziehung in den Regelungsbereich des § 313 Abs. 1 StPO in Betracht gekommen. Die Benennung der entsprechenden Normen hätte zu einer fragmentierten Lösung geführt, die der Gesetzgeber aber gerade vermeiden wollte. Ebenso wie einem Versehen kann ihr Unterlassen daher einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung geschuldet sein und eine planwidrige Regelungslücke mithin nicht mit der erforderlichen Klarheit festgestellt werden.“