Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

Beweis I: Die bedeutungslosen Beweistatsachen, oder: „keine zwingenden Rückschlüsse“ ist bedeutungslos

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Heute dann mal wieder StPO, und zwar drei Entscheidungen, die mit der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung zu tun haben.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 16.07.2024 – 5 StR 255/24 -, der sich noch einmal zur „bedeutungslosen Tatsache“ äußert. Das LG hatte den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte mit einer  Beweisantragsrüge Erfolg:

„1. Zu Recht macht der Beschwerdeführer geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die beantragte Einvernahme zweier Zeugen abgelehnt.

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

Der Beschwerdeführer hat in der Hauptverhandlung die erneute Vernehmung des Zeugen T.  zum Beweis der Tatsache beantragt, dass der Nebenkläger im Anschluss an die erste Vernehmung des Zeugen im Hauptverhandlungstermin vom 2. November 2023 diesen noch im Gerichtsgebäude im Foyer angesprochen und massiv damit bedroht habe, ihm und seiner Familie etwas anzutun. Aus der Antragsbegründung geht hervor, dass der Zeuge in seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung die Einlassung des Angeklagten gestützt hatte, wonach dieser die ihm vorgeworfene Tat nur zum Zweck der Abwehr eines Angriffs des Nebenklägers verübt haben will, zu dem es gekommen sei, nachdem er ein Angebot des Nebenklägers zum Erwerb von Drogen abgelehnt habe. Die erneute Einvernahme des Zeugen T. sei erforderlich, um das erhebliche und sich plötzlich und unvermittelt entfaltende Aggressionspotential des Nebenklägers zu dokumentieren, welcher nicht einmal in einem öffentlichen Gerichtsgebäude davor zurückschrecke, ihm zuvor vollkommen unbekannte Personen derart zu bedrohen, dass diese nachhaltig verängstigt seien und um ihre Gesundheit und Leben fürchteten. Zum Nachweis desselben Geschehens hat die Verteidigung zugleich beantragt, auch den zum Zeitpunkt des Vorfalls im Gerichtsgebäude diensthabenden Pförtner als Zeuge zu vernehmen.

Das Landgericht hat den Beweisantrag wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO abgelehnt. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass die unter Beweis gestellten Tatsachen selbst im Falle ihres Erwiesenseins nur mögliche, aber keine zwingenden Rückschlüsse auf das angeklagte Tatgeschehen zuließen. Es fehle schon an einem Bezug zum Tatvorwurf; das unter Beweis gestellte Geschehen habe sich gut acht Monate später im Gerichtsgebäude abgespielt. Es möge so sein, dass der Nebenkläger und der Zeuge am 2. November 2023 in der beschriebenen Art und Weise im Gerichtsgebäude aufeinander getroffen seien. Aber zu der Frage, ob der Angeklagte am 1. März 2023 in einer Notwehrsituation dem Nebenkläger einen Messerstich in den Rücken versetzt habe und ob er von weiteren möglichen Stichen freiwillig Abstand genommen habe, gebe der Vorfall – unterstellt, er habe so stattgefunden – keine zwingenden Antworten und lasse keine zwingenden, sich selbsterklärenden Rückschlüsse zu.

b) Die zulässig erhobene Rüge ist begründet, da die Ablehnungsentschei-dung des Landgerichts den Anforderungen des § 244 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nicht genügt.

Tatsächlich bedeutungslos sind Indiz- beziehungsweise Hilfstatsachen, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung kein Sachzusammenhang besteht oder sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulassen und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will (BGH, Urteile vom 25. August 2022 – 3 StR 359/21 Rn. 63 mwN, StV 2023, 293; vom 10. August 2017 – 3 StR 549/16, NStZ 2018, 111; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 220). Der angegriffene Ablehnungsbeschluss lässt jedoch schon nicht klar erkennen, auf welchen dieser denkbaren Gründe einer Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen er gestützt sein soll.

Sofern die Strafkammer schon jeglichen Zusammenhang zwischen der mit dem Antrag unter Beweis gestellten Tatsache und dem Gegenstand der Urteilsfindung verneinen wollte, weil ein „Bezug zum Tatvorwurf“ fehle, stünde dies im Gegensatz zu den Urteilsgründen. Dort wurde ausgeschlossen, dass der Nebenkläger den Angeklagten – wie von letzterem behauptet – plötzlich und nur wegen des abgelehnten Drogenangebots mit Faustschlägen angegriffen hatte. Begründet wurde dies damit, dass sich ein derartiges Agieren für den erst 22 Jahre alten, unbewaffneten, nicht vorbestraften und aus Afghanistan geflüchteten Nebenkläger in keiner Weise erschließe und der Strafkammer lebensfremd erscheine. Mit der Beweistatsache zielt der abgelehnte Antrag aber ausdrücklich darauf ab, gerade ein sich „plötzlich und unvermittelt entfaltendes Aggressionspotential“ des Nebenklägers zu dokumentieren, als dieser eine ihm zuvor vollkommen unbekannte Person bedrohte, und damit ein der Sachverhaltsschilderung des Angeklagten potentiell vergleichbares Geschehen unter Beweis zu stellen. Angesichts dessen hätte näherer Begründung bedurft, wie ein Zusammenhang zwischen Beweistatsache und Untersuchungsgegenstand gleichwohl schon dem Grunde nach auszuschließen sein könnte. Dabei erlaubt § 244 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO es dem Tatgericht nicht, die Bedeutungslosigkeit lediglich aus dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme abzuleiten (BGH, Urteil vom 25. August 2022 – 3 StR 359/21 Rn. 63 mwN, StV 2023, 293).

Sollte die Strafkammer dagegen einen solchen Zusammenhang für möglich erachtet und lediglich entschieden haben, die mit dem Antrag intendierte Folgerung nicht vorzunehmen, hat sie dabei einen falschen Maßstab zugrunde gelegt. Eine Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache konnte auf diesem Weg nicht bereits damit begründet werden, dass diese „keine zwingenden Rückschlüsse“ auf das Tatgeschehen gebot. Denn tatsächliche Schlüsse müssen nicht zwingend sein. Es genügt vielmehr, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741; Urteile vom 16. Februar 2022 – 5 StR 320/21, NStZ 2023, 568; vom 3. Juli 2024 – 5 StR 535/23). Entsprechend hätte es im Ablehnungsbeschluss konkreter fallbezogener Erwägungen dazu bedurft, warum – obwohl dies grundsätzlich in Betracht kam – aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen gezogen werden sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 2017 – 3 StR 308/17; LR-StPO/Becker, 27. Aufl., § 244 Rn. 220). Das Tatgericht hat die unter Beweis gestellte Tatsache dabei so, als sei sie erwiesen, in das aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme erlangte Beweisergebnis einzustellen. Sodann hat es im Wege einer prognostischen Betrachtung zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung – gegebenenfalls in Anwendung des Zweifelsatzes – in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 1 StR 340/23, NStZ 2024, 379). Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Tatgericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Überzeugungsbildung ohne Einfluss geblieben ist (BGH, Beschluss vom 7. August 2023 – 5 StR 550/22 mwN). Entsprechende Ausführungen finden sich in dem Ablehnungsbeschluss des Landgerichts nicht.

c) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der Angeklagte bei rechtsfehlerfreier Entscheidung über den Beweisantrag erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können und das Landgericht zu einer anderen, für den Angeklagten günstigeren Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen gelangt wäre.“

Vollzug II: Treulich ausgeführt zur Bruderhochzeit?, oder: Was schert die JVA Burg die Auffassung der StVK?

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Die zweite Entscheidung kommt – wie gesagt – auch vom OLG Naumburg.

Es handelt sich um den OLG Naumburg, Beschl. v. 18.06.2024 – 1 Ws 254/24 RB-Vollzug. In der Entscheidung hat das OLG noch einmal wegen einer Genehmigung zur Ausführung eines Strafgefangenen aus wichtigem Anlass, nämlich der Hochzeit des Bruders, Stellung genommen.

Die JVA Burg hatte diesen Antrag zunächst am 06.03,2024 mündlich abgelehnt, Die StVK hatte am  27.03.2024 die Ablehnungsentscheidung aufgehoben und die Sache zur Neubescheidung über den Ausführungsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer, wonach der Anwendungsbereich des § 46 JVollzGB I LSA eröffnet sei, da es sich bei der Hochzeit des Bruders um einen wichtigen Anlass im Sinne dieser Vorschrift handele, zurückverwiesen. Die JVA Burg lehnte den Ausführungsantrag dann am 11.04. 2024 erneut ab, da es sich bei der Hochzeit des Bruders des Antragstellers nicht um einen wichtigen Anlass im Sinne des § 46 JVollzGB I LSA handele.

Hiergegen wandte sich der Antragsteller dann mit einem erneuten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 12.04.2024, beim LG eingegangen am 15.04.2024. Auf diesen Antrag hob das LG mit einem ersichtlich fälschlich auf den 24.03.2024 datierten, tatsächlich am 24.04.2024 erlassenen Beschluss die Entscheidung der JVA Burg vom 11.04.2024 auf und verpflichtete diese, den Antragssteller zur Hochzeit seines Bruders auszuführen. Gegen den ihr am 24.04.2024 zugestellten Beschluss wendet sich die JVA Burg dann mit ihrer Rechtsbeschwerde vom 24.05.2024, die am selben Tag beim LG einging und mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde als unzulässig angesehen bzw. ansehen müssen:

„Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Antragsteller die Ausführung zur Hochzeit seines Bruders. Diese Hochzeit hat jedoch bereits am 4. Mai 2024 stattgefunden. Damit hatte sich der Verfahrensgegenstand nach der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, aber vor Einlegung der Rechtsbeschwerde erledigt. In diesem Fall ist die Rechtsbeschwerde unzulässig (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12. Dezember 2019 – 2 Ws 172/19 Vollz –, Rn. 16; Arloth in Arloth/Kräh, StVollzG, 5. Auflage, § 116 Rn. 2).

Ergänzend merkt der Senat an, dass entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin durch die rechtskräftige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 27. März 2024, mit der die Beschwerdeführerin unter Beachtung der Rechtauffassung der Kammer zur Neubescheidung verpflichtet wurde, im Hinblick auf diese Rechtsauffassung Bindungswirkung eingetreten ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 12. April 2021 – 2 Ws 167/20 Vollz –, Rn. 26, zitiert nach juris). Die Beschwerdeführerin wäre daher verpflichtet gewesen, bei ihrer erneuten Entscheidung über den Ausführungsantrag die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, es handele sich bei der Hochzeit des Bruders um einen wichtigen Anlass im Sinne des § 46 JVollzGB I LSA, zugrunde zu legen.“

Das Verhalten/die Vorgehensweise der JVA Burg ist schon – gelinde ausgedrückt – „keck“. Denn: Da kassiert man sofort wegen der Ablehnung eine Abfuhr bei der StVK und soll „unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer“ neu entscheiden, was man aber offenbar nicht tut, sondern den Antrag erneut ablehnt. Als dann das passiert, was passieren musste, nämlich auf Antrag des Gefangenen eine erneute Abfuhr, nimmt man das nicht hin, sondern geht in die Rechtsbeschwerde. Die legt man aber nicht so zeitig ein, dass noch vor dem Ereignis, für das die Ausführung beantragt worden ist, entschieden werden kann. Nein, man wartet – genüsslich? – einen Monat und legt dann Rechtsbeschwerde ein. Deren Unzulässigkeit nimmt man – offenbar gern – in Kauf. Hat man doch das Ziel: Nämlich keine Ausführung des Gefangenen zur Hochzeit seines Bruders erreicht. Dass man dadurch die Rechte des Gefangenen missachtet und zu Lasten der Landeskasse auch noch unnötige Kosten verursacht hat, nimmt man in Kauf. Man ist ja mit dem Kopf durch die Wand.

Wie gesagt: Gelinde ausgedrückt – „keck“. Mir fielen noch andere Bezeichnungen ein. Aber die verkneife ich mir lieber.

OWi III: Entbindung und rechtlicher Hinweis, oder: Rechtsbeschwerde – Anlagenkonvolut/Unterzeichnung

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Und dann habe ich hier im letzten Posting des Tages noch Rechtsprechung zum Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren; auch hier nichts Neues, das hatten wir alles schon:

1. War der Verteidiger nicht im Sinne des § 73 Abs. 3 OWiG „mit nachgewiesener Vollmacht“ zur Vertretung befugt und deshalb auch nicht berechtigt, einen Entbindungsantrag für den Betroffenen zu stellen, so ist der Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG zu verwerfen.

2. Hat das Amtsgericht gleichwohl zur Sache verhandelt und entschieden, so ist der Betroffene mit dem Einwand ausgeschlossen, in der fälschlich abgehaltenen Verhandlung sei Verteidigervortrag unberücksichtigt geblieben.

3. Hat die prozessordnungswidrige Verhandlung für den Betroffenen zu einer Verschlechterung geführt (Erhöhung der Geldbuße), so stellt dies einen Verfahrensfehler dar, der auf Rechtsbeschwerde zur Aufhebung des Urteils zumindest im Rechtsfolgenausspruch führen würde. Ein Zulassungsgrund nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ergibt sich aber nicht, weil sich die Fehlerhaftigkeit des Urteils nicht aus einer Verletzung rechtlichen Gehörs ergibt, sondern aus der irrtümlichen Annahme, der Verteidiger sei zur Vertretung befugt.

Möchte der Tatrichter die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße erhöhen, so bedarf dies grundsätzlich keines Hinweises entsprechend § 265 StPO.

Gibt der Verteidiger durch einen distanzierenden Zusatz zu erkennen, dass er nicht die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen will oder kann, ist die Rechtsbeschwerdebegründung nach § 345 StPO formunwirksam.

1. Ein unübersichtliches Konvolut aus Ablichtungen des Bußgeldbescheides, Ablichtungen aus dem amtsgerichtlichen Sitzungsprotokoll, Gesetzeszitaten, Ablichtungen aus einem privaten Sachverständigengutachten sowie von Schreiben des Verteidigers an das Gericht genügt den Anforderungen an einen ausreichenden Vortrag nicht.

2. Aus dem Rechtsbeschwerdevortrag muss erkennbar sein, aufgrund welcher konkreten Tatsachen sich das Gericht zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt sehen sollen.

3. Es ist nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, sich aus einem unübersichtlichen Vortrag das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen.

OWi I: Bußgeldbescheid mit falscher Tatortangabe, oder: Ermittlungsfehler der Polizei ==> Einstellung?

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Heute am „Tag der deutschen Einheit“ gibt es hier OWi-Entscheidungen. Es handelt sich weitgehend um Entscheidungen des KG. Das hatte jetzt mal wieder geliefert. Ich beschränke mich bei den Entscheidungen aber auf die Leitsätze. Grund: Die Entscheidungen sind zum Teil schon etwas älter oder es gibt zu den angesprochenen Fragen nichts Neues.

ich beginne hier mit Entscheidungen zum Bußgeldbescheid und  mit einer Entscheidung zur Verjährung, die in den Kontext passt. Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

1. Die falsche Angabe zum Tatort beeinträchtigt weder die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids noch der Verjährungsunterbrechung, wenn der richtige und der falsche Tatort nahe beieinanderliegen und für den Betroffenen der wahre Tatort auch deshalb ohne weiteres erkennbar ist, weil er sogleich nach der Verkehrsordnungswidrigkeit von Polizeibeamten angehalten worden ist und sich ihnen gegenüber zu der Zuwiderhandlung äußern konnte.

2. Die Verfahrensrüge der Verletzung der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 265 StPO bzw. des Art. 103 Abs. 1 GG bedarf der Darlegung, wie sich der Betroffene anders verteidigt hätte, wenn er auf den veränderten Gesichtspunkt (hier: Tatort) förmlich hingewiesen worden wäre. 

1. Geht die behördliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen auf den Fehler eines einzelnen Polizeibeamten zurück (hier: fehlende Notierung eines Hausnummernzusatzes bei den Personalien des Betroffenen), so ist dieser der Verwaltungsbehörde grundsätzlich zuzurechnen (nicht tragend).

2. Fällt dem Polizeibeamten ein lässlicher und bei massenhafter Bearbeitung unausweichlich vorkommender Flüchtigkeitsfehler und nicht eine willkürliche Sachbearbeitung im Sinne einer sog. Scheinmaßnahme zur Last, so besteht kein Anlass, die verjährungsunterbrechende Wirkung der vorläufigen Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG) zu suspendieren (entgegen OLG Hamm NZV 2005, 491 und OLG Brandenburg NZV 2006, 100).

So und an einem OWi-Tag natürlich <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, in dem die Fragen, zu denen es heute Entscheidungen gibt. Das Buch kann man übrigens zusammen mit Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. 2023, in einem „Paket“, dem sog. Verkehrsrechtspaket bestellen. Zur Bestellung geht es dann hier. <<Werbemodus aus>>.

Pflichti III: Rückwirkende Bestellung beim Verletzten, oder: Zulässig, fiskalische Interessen ohne Belang

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Und im dritten Posting dann eine Entscheidung zu den Beiordnungsvoraussetzungen und zur rückwirkende Bestellung beim Verletztenbeistand. Nicht direkt Pflichtverteidiger, aber passt.

Dem LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.09.2024 – 12 Qs 34/24 – liegt folgender Sachverhalt zugrunde:  Eine Zeugin hatte in einer polizeilichen Aussage angegeben, bei ihr sei wegen eines Streits, den sie am 10.12.2023 mit ihrem Verlobten gehabt habe, eine Polizeistreife erschienen. Als sie mit den zwei männlichen Polizeibeamten, den Beschuldigten, allein im Zimmer gewesen sei, hätten diese sie aufgefordert, sich zu entkleiden und sie körperlich abgetastet. Dabei hätten sie ihr an die Brust gegriffen und die Finger – angeblich zu Durchsuchungszwecken – in ihre Vagina eingeführt. Anschließend, am selben Tag, wurde die Zeugin im Hinblick auf ein mögliches Sexualdelikt ärztlich untersucht.

Am 19.12.2023 wurde den beiden Beschuldigten durch Beamte des LKA mitgeteilt, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Nötigung zum Nachteil der Zeugin eröffnet worden sei. Die Beschuldigten machten keine förmliche Aussage zur Sache; einer von ihnen stritt – aktenkundig – den Vorwurf gegenüber einer LKA-Beamtin ab.

Am 08.01.2024 zeigte sich der Rechtsanwalt für die Zeugin an, beantragte Akteneinsicht und seine Beiordnung als Opferanwalt gem. § 406h Abs. 1, 3 mit § 397a Abs. 1 Nr. 1, 4 StPO. Am 17.01.2024 wies ein Sachbearbeiter des LKA vor einer weiteren angesetztem Vernehmung der Zeugin den Rechtsanwalt auf Widersprüche in deren bisheriger Aussage hin, woraufhin letzterer mitteilte, die Zeugin werde sich künftig vollumfänglich auf das Aussageverweigerungsrecht gem. § 55 StPO berufen und sich gegebenenfalls erst nach Akteneinsicht durch den Anwalt einlassen. Die Zeugin sagte daraufhin und seitdem nicht mehr aus. Unter dem 26.03.2024 stellte die Kriminalpolizei ihren Schlussbericht fertig und legte die Akte der Staatsanwaltschaft vor.

Am 15.6.2024 eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung gegen die Zeugin. Das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Polizeibeamten wurde mit Verfügung vom 19.07.2024 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft bestand der Rechtsanwalt auf der Verbescheidung seines Beiordnungsantrags. Am 08.08.2024 bestellte ihn die Ermittlungsrichterin des AG rückwirkend zum 09.01.2024 als Beistand der Zeugin. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Das AG habe übersehen, dass die Zeugin bereits bei Antragstellung vom 08.01.2024 das Aussageverweigerungsrecht gehabt habe. Zudem habe die Zeugin bei ihrer Anzeigeerstattung gelogen und es sei zweifelhaft, ob sie überhaupt als Verletzte i.S.d. § 406h StPO gelten könne. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hatte keinen Erfolg:

„Rechtsanwalt Dr. pp. war als Beistand zu bestellen, wie das Amtsgericht zutreffend entschieden hat.

a) Nach § 406h Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 397a Abs. 1 StPO ist dem Verletzten einer Katalogtat auf dessen Antrag hin schon im Ermittlungsverfahren ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen. Streitig ist allerdings, unter welchen näheren Voraussetzungen die Beiordnung erfolgen kann – dies betrifft sowohl den erforderlichen Verdachtsgrad (aa), als auch den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (bb).

aa) Nach einer Auffassung hat die Bestellung bereits dann zu erfolgen, wenn auch nur die geringe Möglichkeit bzw. ein einfacher Anfangsverdacht besteht, dass der Beschuldigte ein Delikt im Sinne von § 397a Abs. 1 StPO begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint. Die Beiordnung scheidet nur dann aus, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2021 – III-4 Ws 35/21, juris Rn. 13; OLG Celle, Beschluss vom 14.12.2016 – 2 Ws 267/16, juris Rn. 10; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., § 406h Rn. 2; BeckOK-StPO/Weiner, 52. Ed. 01.07.2024, § 406h Rn. 1).

Eine striktere Auffassung verlangt demgegenüber einen qualifizierten Anfangsverdacht hinsichtlich einer Katalogtat aus § 397a Abs. 1 StPO, der jedenfalls eine Weiterführung der Ermittlungen gestattet und aufgrund dessen jedenfalls die Möglichkeit besteht, dass der für eine spätere Anklageerhebung notwendige hinreichende Tatverdacht noch begründet werden kann (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 10.05.2005 – 2 Ws 28/05, juris Rn. 41 ff.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 25.02.2009 – 1 Ws 120/09, juris Rn. 5; LR-StPO/Wenske, 27. Aufl., § 406h Rn. 29).

bb) Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung der Voraussetzungen der Beiordnung wird einerseits auf den Zeitpunkt der Antragstellung (KG, Beschluss vom 07.03.2005 – 1 AR 217/053 Ws 97/05, juris, Rn. 2; LR-StPO/Wenske, 27. Aufl., § 406h Rn. 29), andererseits auf den Zeitpunkt der Beiordnungsentscheidung abgestellt, sodass die dynamische Entwicklung des Ermittlungsstandes berücksichtigt werden könne (OLG Hamburg, Beschluss vom 10.05.2005 – 2 Ws 28/05, juris Rn. 43 ff.; Nachweise zum Streitstand bei OLG Köln, Beschluss vom 08.06.2009 – 2 Ws 245/09, BeckRS 2009, 15739 unter II.2 der Gründe).

b) Die Besonderheit hier liegt darin, dass der Beiordnungsantrag bereits am 08.01.2024 zur Akte bei der Staatsanwaltschaft, aber – entgegen Nr. 174b Satz 1 RiStBV – erst am 07.08.2024 zur Ermittlungsrichterin (vgl. § 406h Abs. 3 Satz 2, § 162 StPO) gelangt ist. Für diese Konstellation entspricht es allgemeiner Auffassung, dass die Beiordnung ausnahmsweise dann rückwirkend bewilligt werden kann, wenn der Antrag während des Verfahrens gestellt, aber nicht beschieden worden ist und der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Beiordnung Erforderliche getan hat (BGH, Beschluss vom 29.07.2022 – 5 StR 141/22, juris Rn. 6; OLG Köln, Beschluss vom 01.10.1999 – 2 Ws 528/99, juris Rn. 23; KG, Beschluss vom 07.03.2005 – 1 AR 217/053 Ws 97/05, juris, Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 379a Rn. 15 m.w.N.). Dies bedingt, dass es für die Beurteilung der Beiordnung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Beiordnungsantrag ankommen muss. Andernfalls würde sich die Verzögerung der gerichtlichen Entscheidung wegen zwischenzeitlich eingetretener tatsächlicher Änderungen ggf. zum Nachteil des Antragstellers auswirken können.

Einer Entscheidung darüber, welcher Verdachtsgrad gegen die Beschuldigten anzulegen war, bedurfte es dagegen nicht. Vorrangig ist nämlich zu beachten, dass die Nebenklagebefugnis wegen des Fehlens des Tatverdachts – wie immer man ihn näherhin festlegt – grundsätzlich nicht durch das Gericht verneint werden kann, wenn die Staatsanwaltschaft zur selben Zeit das Verfahren gerade wegen des Verdachts eines Nebenklagedelikts zum Nachteil des Verletzten betreibt (LR-StPO/Wenske, 27. Aufl., § 406h Rn. 11; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 08.06.2009 – 2 Ws 245/09, BeckRS 2009, 15739 unter II.2 der Gründe), wie hier geschehen. Das folgt daraus, dass das im laufenden Ermittlungsverfahren angegangene Gericht lediglich eine Momentaufnahme der Ermittlungsergebnisse präsentiert bekommt und nicht überschauen kann, welche weiteren Ermittlungsschritte die Staatsanwaltschaft oder die Polizei zur weiteren Sachverhaltsaufklärung einleiten werden oder wollen. Zudem hat die die Ermittlungen verantwortende Staatsanwaltschaft einen Beurteilungsspielraum, der ihr bei der Subsumtion und Beurteilung des Sachverhalts einen gewissen Freiraum lässt, die Entscheidung eigenverantwortlich auf der Basis der persönlichen kriminalistisch-forensischen Erfahrungen und subjektiven Bewertungen des befassten Dezernenten zu treffen. Nimmt dieser nach alldem einen die (Fort)Führung des Ermittlungsverfahrens tragenden Verdacht an, so ist das vom Gericht hinzunehmen, solange es noch vertretbar ist (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 27.05.2022 – 12 Qs 24/22, juris Rn. 22 m.w.N.). Verneint werden kann der Tatverdacht in gegebener Konstellation dann, wenn die Staatsanwaltschaft bei Antragstellung ohnehin im Begriff war, das Verfahren durch eine Einstellung zu beenden. So lagen die Dinge hier aber nicht. Die Verfahrenseinstellung erfolgte am 19.07.2024, mithin ein halbes Jahr nach Antragstellung vom 08.01.2024. Die Fortführung des Ermittlungsverfahrens war zum letztgenannten Zeitpunkt nicht aussichtslos: Der polizeiliche Schlussbericht wurde erst am 26.03.2024 vorgelegt, die Stellungnahme des Verteidigers eines der beiden Beschuldigten datiert vom 21.05.2024. Damit war bei Antragstellung der durch die – nicht in allen Teilen konsistente – Aussage der Zeugin nach Auffassung der Staatsanwaltschaft vertretbar begründete Verdacht noch nicht ausgeräumt, sondern bestand fort; andernfalls hätte sie das Ermittlungsverfahren früher eingestellt oder jedenfalls einstellen müssen.

c) Die mittlerweile erfolgte Einstellung des Ermittlungserfahrens gegen die Beschuldigten hindert die rückwirkende Beiordnung nicht (vgl. KG, Beschluss vom 07.03.2005 – 1 AR 217/053 Ws 97/05, juris, Rn. 2; OLG Köln, Beschluss vom 08.06.2009 – 2 Ws 245/09, BeckRS 2009, 15739).

d) Fiskalische Erwägungen (in diese Richtung deutlich OLG Hamburg, Beschluss vom 10.05.2005 – 2 Ws 28/05, juris Rn. 42) rechtfertigen kein anderes Ergebnis, allein schon, weil mit § 469 StPO, Nr. 92 RiStBV ein hinreichendes Korrektiv an anderer Stelle bereitsteht. Aus diesem Grund ist keine Notwendigkeit gegeben, den vom Gesetzgeber weit gedachten Kreis der möglichen Verletzten enger zu ziehen (vgl. BT-Drs. 10/5305, S. 20: „Ob die Voraussetzungen eines Anschlusses nach § 395 vorliegen, bestimmt sich im Ermittlungsverfahren danach, ob der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2) eines zum Anschluss berechtigenden Delikts gegeben ist.“; a.A. OLG Hamburg, aaO., Rn. 31-33). Im Übrigen hat der Gesetzgeber gesehen, dass die Stärkung der Verletztenrechte eine Kostenmehrbelastung zeitigen wird. Diese muss nach seiner Wertung aber „wegen der dringenden rechtspolitischen Notwendigkeit, die Stellung des Opfers im Strafverfahren zu verbessern, in Kauf genommen werden“ (BT-Drs. 10/5305, S. 9).

Ebenso wenig trägt das Argument der Beschwerde, die Zeugin habe bereits bei Antragstellung ein Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO gehabt und es könne nicht darauf ankommen, wann sie es ausübe, weil sie es ansonsten in der Hand hätte, die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verletztenbeistands zu schaffen. Letzteres jedenfalls trifft zu, allerdings folgt daraus nichts, insbesondere begründet die Verletzteneigenschaft keinen Aussagezwang. Die Berufung auf den § 55 StPO erfolgte hier lediglich als Reaktion darauf, dass Polizeibeamte den Verteidiger auf Widersprüche in der bisherigen Aussage der Zeugin hinwiesen. Sie kann also auch nicht als Argument für einen Rechtsmissbrauch herangezogen werden.“

Ich stelle die Entscheidung nicht wegen der verfahrensrechtlichen Fragen betreffend den Verletztenbeistand/Opferanwalt vor; dazu verweise ich auf <<Werbemodus an>> Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, Rn 4930 ff.<<Werbemodus aus. Vorgestellt wird sie wegen der Ausführungen des LG zur Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Verletztenbeistands, die – soweit ersichtlich – unbestritten ist und sich damit von Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger, die in der Rechtsprechung im Streit ist, erheblich und wohltuende unterscheidet. Der Rechtsanwalt, der als Verletztenbeistand tätig ist, muss diesen Unterschied im Auge behalten, denn die rückwirkende Bestellung führt dazu, dass seine Tätigkeit aus der Landeskasse zu vergüten ist (zum Vergütungsanspruch des Verletztenbeistandes Burhoff RVGreport 2016, 82). Besonders zu begrüßen ist der Hinweis des LG, dass fiskalische Erwägungen nach Ansicht des LG kein anderes Ergebnis rechtfertigen. Denn die spielen in der Diskussion um die Zulässigkeit der rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers bei denjenigen, die die Zulässigkeit verneinen, eine Rolle. Das gilt um so mehr, wenn die verspätete Entscheidung über den rechtzeitig gestellten Antrag eindeutig in der Sphäre der Justiz liegt. Denn es erschließt sich nicht, warum ein am 08.01.2024 bei der Staatsanwaltschaft gestellter – zeitnah zu bescheidender – Antrag erst am 07.08.2024 bei der Ermittlungsrichterin eingeht. Das ist sicherlich nicht, wie von Nr. 174b Satz 1 RiStBV gefordert, eine unverzügliche Weiterleitung an das zuständige Gericht. Die „Arbeitsverweigerung“ darf man nicht noch dadurch honorieren, dass dem von der Verzögerung betroffenen Rechtsanwalt Ansprüche gegen die Landeskasse verwehrt werden.