Archiv der Kategorie: Hauptverhandlung

OWi II: Nochmals Kampf um Terminsverlegungen, oder: Will das AG Verteidiger/LG ärgern oder liest es nicht?

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Und dann vor Weihnachten doch noch etwas zum Kopfschütteln, und zwar:

Anfang des Monats hatte ich über den LG Braunschweig, Beschl. v. 27.11.2024 – 2b Qs 342/24 – und den LG Braunschweig, Beschl. v. 27.11.2024 – 2b Qs 346/24 – berichtet (vgl. hier: OWi II: Terminsverlegungsanträge des Verteidigers, oder: Ablehnung nur mit konkreten Gründen).

In beiden Entscheidungen ging es um vom AG Helmstedt zu Unrecht abgelehnte Terminsverlegungsanträge des Verteidigers, der gegen die Ablehnungen jeweils Beschwerde eingelegt hatte. Das AG hatte dann kurzerhand die Beschwerde dem LG vorgelegt. Eine Abhilfeentscheidung war nicht ergangen. Das LG hatte dennoch nicht zurückverwiesen, sondern aufgehoben und dem AG mit recht deutlichen Worten mitgeteilt, was es von den Ablehnungen in der Sache hält, nämlich nichts.

Wer nun gedacht hatte, dass es damit gut ist/war, der hat sich geirrt. Denn das AG Helmstedt macht folgendes – ich nehme jetzt mal den Sachverhalt aus dem (neuen) LG Braunschweig, Beschl. 16.12.2024 – 2b Qs 371/24 -, der aus dem LG Braunschweig, Beschl. 16.12.2024 – 2b Qs 372/24 – ist identisch: Das LG hatte mit Beschluss vom 27.11.2024  die Entscheidung des Amtsgerichts, die für den 02.12.2024 anberaumte Hauptverhandlung nicht zu verlegen, aufgehoben. Mit Aktenrückübersendung hatte die Vorsitzende das AG darauf hingewiesen, dass in Zukunft eine förmliche Abhilfeentscheidung zu treffen ist und nicht einfach die Akten übersandt werden dürften. Das AG Helmstedt beraumte daraufhin einen neuen Termin für den 23.01.2025 an. Der Termin war mit dem Verteidiger vorher wieder nicht abgestimmt. Mit Schriftsatz vom 03.12.2024 beantragte der Verteidiger erneut Terminsverlegung und bot den 30.01.2025 und 06.02.2025 als neue Verhandlungstermine an. Mit fast wortgleichem Schreiben wie vom 07.11.2024 – das war das frühere Verfahren – lehnte das AG AG Helmstedt die Terminsverlegung wieder ab, wogegen sich dann der Verteidiger erneut mit der Beschwerde wandte.

Und jetzt hat das LG – in beiden Verfahren – gesagt: Genug ist genug und hat aufgehoben und zurückverwiesen. Hier die Gründe aus LG Braunschweig, Beschl. 16.12.2024 – 2b Qs 371/24 -, die aus LG Braunschweig, Beschl. 16.12.2024 – 2b Qs 372/24 – sind gleich:

„An einer Entscheidung über die Beschwerde sieht sich die Kammer mangels Zuständigkeit gehindert; die Sache ist nicht entscheidungsreif, weil die zunächst erforderliche Abhilfeentscheidung (§ 306 Abs. 2 StPO) noch nicht ergangen ist (vgl. BGH, NStZ 1992, 507; BGH, Beschluss vom 27. Januar 2022 – 6 StR 1/22 –, juris).

Fehlt eine (Nicht-)Abhilfeentscheidung hat das Beschwerdegericht unter Berücksichtigung seiner Pflicht zur schnellen und wirtschaftlichen Erledigung der Beschwerde darüber zu befinden, ob es selbst entscheiden oder dem Erstrichter Gelegenheit geben will, die unterbliebene Entscheidung über die Abhilfe nachzuholen (OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2002 – 2 Ws 475/02 = VRS 104, 372, 373; vom 05. Februar 2009 – 2 Ws 16/2009 -; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 2 Ws 34 – 38/09 –, juris, Holger Matt, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 306 Rn. 21 – jeweils mit weiteren Nachweisen). Teilweise wird in der Literatur die Ansicht vertreten, eine Zuleitung an das Erstgericht zur Nachholung der (Nicht-)Abhilfeentscheidung komme stets in Betracht, wobei es sich nicht um eine die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung voraussetzende „Zurückverweisung“ handele (Engelhardt, in: Karlsruher Kommentar, StPO, § 306 Rn. 19 – ohne weitere Begründung). Nach anderer Meinung ist eine Zurückverweisung ausnahmsweise nur dann angezeigt, wenn das Verfahren dadurch beschleunigt wird, weil die tatsächliche Richtigkeit des Beschwerdevorbringens vom sachnäheren Erstrichter leichter und schneller festgestellt werden kann und zu erwarten ist, dass dieser seine Entscheidung aufgrund dessen selbst korrigiert (Holger Matt, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 306 Rn. 21) und das Beschwerdegericht andernfalls an einer eigenen Sachentscheidung im Sinne des § 309 Abs. 2 StPO gehindert wäre (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 306 Rn. 10). Denn die Nichtabhilfe ist keine Verfahrensvoraussetzung für die Entscheidung des Beschwerdegerichts (OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2002 – 2 Ws 475/02 = VRS 104, 372, 374 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vom 05. Februar 2009 – 2 Ws 16/2009 -; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 2 Ws 34 – 38/09 –, juris. Holger Matt, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 306 Rn. 21; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 306 Rn. 10). Eine eigene Entscheidung des Beschwerdegerichts entsprechend § 309 Abs. 2 StPO ist danach bei offensichtlicher Erfolglosigkeit der Beschwerde geboten, bei der ohne längere Prüfung erkennbar ist, dass das Beschwerdevorbringen die Beschwerde nicht zu begründen vermag (OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 2002 – 2 Ws 475/02 = VRS 104, 372, 374; vom 05. Februar 2009 – 2 Ws 16/2009). Ein Streitentscheid ist hier nicht erforderlich. Ein Fall der sofortigen Entscheidung der Kammer wegen unzumutbarer Verfahrensverzögerung oder der offensichtlichen Erfolglosigkeit der Beschwerde liegt hier gerade nicht vor. Die Beschwerde könnte nach Auffassung der Kammer durchaus begründet sein, weil die Ablehnung des erneuten Terminsverlegungsantrages erneut ermessensfehlerhaft sein könnte.

Wird mit der Beschwerde erhebliches neues Vorbringen verbunden, das einer Klärung bedarf, weil es sich um ein ernstzunehmendes neues und vom Erstgericht ohne sonderliche Mühe überprüfbares Vorbringen handelt, das im Falle seiner Richtigkeit die tatsächlichen Grundlagen der angefochtenen Entscheidung in Frage stellen würde, dann ist das Erstgericht zu einer Prüfung und zur Begründung seiner Entscheidung verpflichtet (OLG München, NJW 1973, 1143). Das Amtsgericht hat sich gerade nicht mit der Beschwerdebegründung vom 06.12.2024 auseinandergesetzt. Vielmehr erfolgte die Ablehnung der erneuten Terminsverlegung wieder mit fast wortgleichem Schreiben wie zuvor und wie auch im Parallelverfahren unter Beteiligung des gleichen Verteidigers. Eine Ausübung des Ermessens ist darin nicht zu erkennen.

Die Notwendigkeit einer auf das Vorbringen vom 06.12.2024 bezogenen Abhilfeentscheidung entfällt auch nicht deshalb, weil das Amtsgericht in dieser Sache zuvor bereits einmal nicht abgeholfen hat. Diese konkludente Abhilfeentscheidung reicht im Hinblick auf das neue Beschwerdevorbringen nicht mehr aus. Das Abhilfeverfahren soll dem Erstrichter die Gelegenheit zur Korrektur seiner Entscheidung geben, um dem Beschwerdegericht ggf. eine Befassung mit der Sache zu ersparen (BGH MDR 1992, 593¬594; OLG München NJW 1973, 1143). Dieser Aufgabe kann es nur gerecht werden, wenn sämtliches vor Weiterleitung der Akten an das Beschwerdegericht aktenkundige Vorbringen des Beschwerdeführers berücksichtigt wird (BGH MDR 1992, 593-594). So kann das Beschwerdegericht nicht nachvollziehen, warum die angebotenen Ersatztermine am 30.01.2025 und 06.02.2025 für das Amtsgericht nicht in Betracht kommen, obwohl beide Termine einen Donnerstag betreffen, so wie es der Vorgabe des Amtsgerichts entsprach. Dass bei einer Verlegung auf einen der angebotenen Ersatztermine eine nennenswerte Verfahrensverzögerung eintritt, die gegen das Recht nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK verstößt, ist für die Kammer ebenfalls nicht erkennbar. Eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Abhilfeentscheidung ist daher unerlässlich und könnte mutmaßlich der Beschwerde auch zum Erfolg verhelfen, ohne dass es einer Entscheidung der Kammer bedarf.“

Wie gesagt: Kopfschütteln, und zwar mehr als „gelinde“. Denn man fragt sich, was das Verhalten des AG soll? Die Vorsitzende weist auf die Notwendigkeit einer Abhilfeentscheidung hin und die Kammer schreibt in den Gründen der vorhergehenden Entscheidungen mehr als deutlich, wie mit Terminsverlegungsanträgen umzugehen ist. Und was passiert: Das AG bescheidet die neuen Verlegungsanträge wieder, ohne die Vorgaben des LG zu beachten, und legt dann wieder ohne Abhilfe vor. Was wird damit bezweckt: Will das Gericht den Verteidiger ärgern oder gar die Beschwerdekammer oder liest man einfach nicht, was aus der Beschwerde zurückkommt, nach dem Motto: Was schert mich die Beschwerdekammer. Das AG sollte mal überlegen, was an unnützer Zeit und Arbeit sowohl beim Beschwerdegericht als auch beim Verteidiger damit vergeudet wird. Aber das interessiert wahrscheinlich auch nicht. Für solche Entscheidungen müsste es „Strafzahlungen“ geben 🙂 🙂 .

 

OWi I: News zur Verwerfung des OWi-Einspruchs, oder: Verwerfungsurteil, Nebenbeteiligter, Ladungsmangels

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Und dann zum Auftakt für die 52. KW/2024 und zum letzten Arbeitstag (?) vor Weihnachten hier noch einige Entscheidungen aus dem OWi-Verfahren, allerdings ein wenig thematisch zusammengefasst.

In diesem ersten Posting stelle ich dann noch einmal einige Beschlüsse zur Entbindung von der Erscheinenspflicht und den damit zusammenhängenden Fragen vor, sicherlich einer der verfahrensrechtlichen Dauerbrenner aus dem Bußgeldverfahren. Es handelt sich um:

1. Im Fall der Behauptung einer nicht ordnungsgemäßen Ladung ist es erforderlich, dass sich aus der Verfahrensrüge die tatsächlichen Umstände der Ladung und die daraus resultierende fehlende Kenntnis des Betroffenen vom Hauptverhandlungstermin ergeben, die seine Beteiligung an der Hauptverhandlung unmöglich gemacht haben.

2. Hat der Zusteller die Ladung unter der dem Gericht bekannten Anschrift in den Briefkasten eingeworfen, der zu der Wohnung der weiterhin unter dieser Anschrift wohnhaften Eltern des Betroffenen gehört, bedarf es in der Regel Vortrags zu solchen Umständen, die eine Heilung des Ladungsmangels ausschließen (tatsächliche Übergabe der Ladung an den Betroffenen, Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten).

3. Rügevernichte Umstände sind jedenfalls dann mitzuteilen, wenn nach der konkreten Fallgestaltung eine dem geltend gemachten prozessualen Fehler (hier: Ladungsmangel) entgegenstehende Verfahrenslage ernsthaft in Frage kommt.

4. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene in einer früheren Hauptverhandlung von der Verpflichtung, persönlich zu erscheinen, entbunden war und hiernach seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt hat. In diesem Fall ist auch mitzuteilen, dass er überhaupt gewillt war, zur Hauptverhandlung zu erscheinen.

1. § 74 Abs. 2 OWiG knüpft allein an den Betroffenen an. Betroffener im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes ist die natürliche Person, gegen die sich das Verfahren richtet.

2. Für eine entsprechende Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG auf nebenbeteiligte juristische Personen und Personenvereinigungen ist kein Raum. Deren Rechtsstellung richtet sich prozessual weitgehend nach den Regelungen für Einziehungsberechtigte.

Das AG muss im Urteil, mit dem der Einspruch eines Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens verworfen wird, die vom Betroffenen bzw. dessen Verteidiger vorgebrachten Gründe, die diese vom Erscheinen in der Hauptverhandlung abgehalten haben, mitteilen, da anderenfalls das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen kann, ob der Tatrichter bei der Würdigung des Entschuldigungsvorbringens von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen und damit die Verwerfungsentscheidung zu Recht ergangen ist.

StPO II: BGH-Beweiswürdigung in EncroChat-Fällen, oder: BGH-Beweiswürdigung mit DNA-Gutachten

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Und dann im zweiten Posting zwei Entscheidungen zur Beweiswürdigung.

Zunächst das BGH, Urt. v. 18.11.2024 – 5 StR 348/24. Der BGH ist bei einem Freispruch mit der Beweiswürdigung des Strafkammer betreffend Erkenntnisse aus einer EncroChat-Überwachung nicht einverstanden. Er hat daher aufgehoben und zurückverwiesen. Er beanstandet in der Entscheidung, dass „das Landgericht …. sich jedes Indiz lediglich einzeln vor Augen geführt und durch eine isolierte Abhandlung vorschnell entwertet (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2022 – 5 StR 309/22 Rn. 15 mwN) [hat]. Bedeutung erlangen Indizien aber gerade durch die Zusammenschau mit anderen Indizien und nicht nur bei gesonderter Betrachtung (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 2024 – 5 StR 419/23 Rn. 19; vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14 , NStZ-RR 2015, 83).

In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 05.06.2024 – 2 StR 397/23 – geht es noch einmal um ein DNA-Gutachten im Rahmen der Beweiswürdigung:

„a) Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten insbesondere auf die „ohne Zweifel“ dem Angeklagten „zuzurechnen(de)“ DNA-Spur gestützt, die vom rechten Schultergurt des vom Täter im Fall II. 3. der Urteilsgründe zurückgelassenen Rucksacks gesichert werden konnte. „Darüber hinaus wurde keine weitere DNA gefunden und eine andere Erklärung als die, dass der Angeklagte, der keine Handschuhe trug […], den Rucksack an dem rechten Riemen angefasst und angezogen bzw. ausgezogen hat, ist nicht ersichtlich“.

b) Die Darstellung der Ergebnisse der molekulargenetischen Gutachten entspricht nicht den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung daran stellt (vgl. nur BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 188 ff. mwN).

Den Urteilsgründen lässt sich schon nicht entnehmen, ob es sich bei der am rechten Schultergurt des Rucksacks gefundenen Spur um eine Einzel- oder eine Mischspur handelt. Der Umstand, dass an beiden Schultergurten auch DNA des Mitangeklagten K. gefunden wurde, deutet vielmehr darauf hin, dass es sich um eine Mischspur handelt.

Während bei Einzelspuren jedenfalls das Gutachtenergebnis in Form einer numerischen biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage mitgeteilt werden muss, woran es hier fehlt, ist bei Mischspuren grundsätzlich darzulegen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. August 2018 ? 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, 188 f., und vom 13. Februar 2024 – 4 StR 353/23, Rn. 5, jeweils mwN). Daran fehlt es ebenfalls. Die bloße Feststellung, dass die Spur „ohne Zweifel“ dem Angeklagten zuzurechnen ist, genügt in keinem Fall.

3. Der Senat kann angesichts der begrenzten Aussagekraft der übrigen Beweisanzeichen nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, zumal der Angeklagte in seiner in den Urteilsgründen wiedergegebenen polizeilichen Vernehmung auf Vorhalt der DNA-Analyse lediglich allgemein einen Aufenthalt beim Mitangeklagten K. als denkbare Erklärung einer (sekun-dären) Spurenverursachung eingeräumt hat, womit sich die Strafkammer im Sinne eines Alternativszenarios allerdings erkennbar nicht befasst.“

StPO I: BGH zum Beweisantragsmerkmal Konnexität, oder: BGH zur Beweisbehauptung beim SV-Antrag

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Heute gibt es dann – zum letzten Mal vor Weihnachten – noch einmal StPO-Entscheidungen, und zwar einiges vom BGH und eine AG-Entscheidung.

In diesem Posting stelle ich zunächst zwei BGH-Entscheidungen zum Beweisantrag vor, und zwar:

Im BGH, Beschl. v. 01.10.2024 – 1 StR 299/24 – hat der BGH noch einmal zum Merkmal der Konnexität, das ja seit einiger Zeit „geschriebenes“ Tatbestandsemerkmal für einen Beweisantrag ist, Stellung genommen. Die (umfangreichen) Ausführungen des BGH lassen sich in folgendem Leitsatz zusammengassen:

Das Merkmal der sog. Konnexität fordert nach bisherigem wie nach neuem Recht, dass ein Beweisantrag erkennen lassen muss, weshalb ein Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema, zu dem er benannt ist, bekunden können soll, etwa weil er am Tatort war, in der Nachbarschaft wohnt oder eine Akte gelesen hat. Keiner näheren Darlegung bedarf es, wenn sich der erforderliche Zusammenhang zwischen Beweistatsache und Beweismittel von selbst versteht. Der Vortrag zur Wahrnehmungskompetenz eines in einem Beweisantrag benannten Zeugen ist auch nicht stets dann entbehrlich, wenn sich diese aus den Strafakten ergibt; das ist nur in Ausnahmen der Fall.

Und dann der BGH, Beschl. v. 30.10.2024 – 1 StR 338/24 – mit Ausführungen zur konkreten Beweisbehauptung beim Sachverständigenbeweis:

Ein Beweisantrag erfordert eine bestimmte Beweistatsache. Erforderlich ist, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht ausreichend ist die Benennung eines Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll. Ob der Antragsteller eine für die Annahme eines Beweisantrages hinreichend konkrete Beweisbehauptung aufstellt, ist ggf. durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei dürfen insbesondere für einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens keine überspannten Anforderungen gestellt werden; denn insoweit ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen.

Haft III: Wenn die Angeklagte in der HV ausbleibt, oder: Kein Haftbefehl, wenn Erscheinen demnächst sicher

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Und als dritte Entscheidung dann noch etwas aus der landgerichtlichen Spruchpraxis, nämlich den LG Oldenburg, Beschl. v. 22.11.2024 – 4 Qs 332/24. Thematik: Sicherungshaftbefehl nach § 230 StPO.

Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten, dem Ehemann der Beschwerdeführerin, mit zwei Anklageschriften zur Last, insgesamt sieben Betrugstaten begangen zu haben, wobei er in sechs Fällen gewerbsmäßig und in fünf Fällen mit dem weiteren Angeklagten G. gemeinschaftlich gehandelt habe. Durch die eine Anklage wird zudem dem Angeklagten P.B. und der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer der Taten eine Beihilfe zur Last gelegt.

Das AG hat unter dem 15.04.2024 einen Termin zur Hauptverhandlung mit allen vier Angeklagten auf den 19.09.2024, 10:00 Uhr, anberaumt sowie Fortsetzungstermine auf den 10.10.2024, 09:00 Uhr, den 17.10.2024, 09:00 Uhr, den 07.11.2024, 09:00 Uhr, und den 28.11.2024, 09:00 Uhr, festgelegt. Ausweislich der Zustellungsurkunde ist die Ladung der Beschwerdeführerin zur Hauptverhandlung und zu den Fortsetzungsterminen unter der Zustellanschrift pp., dem Angeklagten C.D., der ebenfalls unter dieser Anschrift gemeldet ist, am 19.04.2024 persönlich übergeben worden.

Zum Hauptverhandlungstermin am 19.09.2024 erschien die Beschwerdeführerin pünktlich. Nicht erschienen war indes der Mitangeklagte P.B., gegen den, nach einem erfolglosen polizeilichen Vorführversuch, im Termin ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO ergangen ist. Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung am 19.09.2024 ist die Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den bereits anberaumten Termin am 10.10.2024 bestimmt worden.

Aufgrund einer Mitteilung des Bewährungshelfers des Angeklagten C.D. und unter Weiterleitung von Unterlagen, die ihm der Angeklagte C.D. überreicht habe, erhielt das AG am 08.10.2024 davon Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann auf den 10.10.2024 um 15:00 Uhr und den 16.10.2024 um 11:00 Uhr in einer Nachlasssache – in Serbien – zu zwei Terminen geladen worden seien. Bestandteil der übermittelten Dokumente war u. a. eine Abschrift der in serbischer Sprache verfassten undatierten Ladung im Original sowie eine Übersetzung hiervon in die deutsche Sprache vom 26.09.2024. Aus der übersetzten Ladung ergibt sich neben den Terminsstunden die Mitteilung an die beiden Adressaten, dass deren persönliche Anwesenheit zu den Terminen zwingend erforderlich sei und die vorzulegenden Ausweisdokumente nicht durch eine bevollmächtigte Person, sondern nur durch Erben oder gesetzliche Vertreter eingereicht werden können. Eines der Dokumente war darüber hinaus mit der Behauptung versehen, dass die Beschwerdeführerin und der Mitangeklagte C.D die weiteren Termine „selbstverständlich“ wahrnehmen würden.

Zum Fortsetzungstermin am 10.10.2024 um 09.00 Uhr erschien die Beschwerdeführerin nicht. Der anwesende Verteidiger des C.D. teilte für den Angeklagten C.D. u. a. mit, dass dieser sich in Serbien befinde, um die Nachlassangelegenheit wahrzunehmen, weil die Gefahr bestünde, dass der Erbanspruch verfallen könnte. Die Höhe des möglichen Anspruchs sei dem Verteidiger aber nicht bekannt. Der Angeklagte C.D. werde nicht kommen. Die Verteidigerin der Beschwerdeführerin schloss sich diesen Ausführungen an und erklärte für die Beschwerdeführerin das Gleiche.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG daraufhin um 09:32 Uhr gegen die Beschwerdeführerin noch im Termin vom 10.10.2024 einen auf § 230 Absatz 2 StPO gestützten Haftbefehl erlassen. Dagegen die Beschwerde, die Erfolg hatte:

„2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Haftbefehl ist in materieller Hinsicht zu beanstanden. Dabei kann nach Ansicht der Kammer dahinstehen, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe einen hinreichenden Entschuldigungsgrund darstellen, weil die Anordnung von Haft gemäß § 230 Abs. 2 StPO jedenfalls nicht erforderlich war und damit unverhältnismäßig ist. Im Einzelnen:

….

b) Nach Ansicht der Kammer lagen aber im Zeitpunkt seiner Anordnung durch das Amtsgericht – Schöffengericht – Cloppenburg am 10.10.2024 die materiellen Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht vor. Dabei kann im Ergebnis dahinstehen, ob die Beschwerdeführerin für ihr Ausbleiben im Termin vom 10.10.2024 hinreichend entschuldigt war. Denn die Anordnung von Haft war jedenfalls nicht erforderlich und ist damit unverhältnismäßig.

aa) Gemäß § 230 Abs. 2 StPO ist die Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen, wenn das Ausbleiben des Angeklagten nicht genügend entschuldigt ist und soweit dies zur Durchführung der Hauptverhandlung geboten ist.

bb) Die Beschwerdeführerin war zu dem auf den 10.10.2024 anberaumten Hauptverhandlungstermin durch Zustellung im Wege der Übergabe der Ladung an einen in der Wohnung der betreffenden Person befindlichen erwachsenen Familienangehörigen (§ 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ordnungsgemäß geladen worden. Ladungen dieser Art wird im normalen Geschäftsgang ein Hinweis auf die Folgen des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten im Sinne des § 216 Abs. 1 StPO beigefügt. Anhaltspunkte dafür, dass dies vorliegend nicht der Fall gewesen sein könnte, liegen nicht vor, insbesondere wurde Entsprechendes auch von der Beschwerdeführerin selbst nicht behauptet. Dass die Beschwerdeführerin darüber hinaus auf die Folgen ihres unentschuldigten Ausbleibens sowohl durch einen Hinweis der Vorsitzenden am Schluss des Hauptverhandlungstermins vom 19.09.2024 und darüber hinaus durch Schreiben vom 08.10.2024 weitere Male hingewiesen worden ist, schadet nicht, ist aber ohne Belang. Die Beschwerdeführerin ist im Termin vom 10.10.2024 auch ausgeblieben, da sie zur festgesetzten Terminsstunde sowie nach Ablauf einer hinreichenden Wartefrist nicht im Sitzungssaal anwesend war.

cc) Es kann nach Ansicht der Kammer dahinstehen, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gründe einen hinreichenden Entschuldigungsgrund darstellen.

Die Kammer weist insoweit darauf hin, dass zur Entschuldigung eines Angeklagten jeder Umstand dient, der ihn – wie beispielsweise Krankheit oder Gefangenschaft – am Erscheinen vor Gericht gegen seinen Willen hindert oder bei Abwägen aller Gesichtspunkte ergibt, dass dem Angeklagten aus seinem Fernbleiben billigerweise kein Vorwurf gemacht werden kann (Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 16). Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich der Angeklagte – wie hier – sein Ausbleiben mitteilt und insoweit um Entschuldigung oder Verständnis bittet, sondern allein darauf, ob er entschuldigt ist, also ob dem Angeklagten wegen seines Ausbleibens unter Abwägung aller Umstände des Falles billigerweise ein Vorwurf gemacht werden kann oder nicht (BVerfG, NJW 2007, 2318; Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 230 StPO, Rn. 16 m. w. N.).

Das Gericht entscheidet hierüber im Freibeweis, wobei aber nur solche Beweise heranzuziehen sind, die sofort zur Verfügung stehen. Genügend entschuldigt ist das Ausbleiben zwar nur, wenn es glaubhaft erscheint, dass den Angeklagten kein Verschulden trifft (siehe insgesamt Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 21 m. w. N.). Allerdings ist bei der Auslegung zugunsten des Angeklagten eine weite Auslegung geboten (BGHSt 17, 391 [397]). Maßgebend ist, ob dem Angeklagten nach den Umständen des Falles wegen des Ausbleibens billigerweise ein Vorwurf zu machen ist oder nicht (Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 23 m. w. N.). Eine insoweit durch die Rechtsprechung angenommene Fallgruppe kann generell die Regelung beruflicher oder privater Angelegenheiten sein, jedenfalls dann, wenn sie unaufschiebbar und von solcher Bedeutung sind, dass dem Angeklagten das Erscheinen billigerweise nicht zugemutet werden kann, sodass die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung ausnahmsweise zurücktreten muss (Schmitt, in: Meyer-Goßner/ders., § 329 StPO, Rn. 28 m. z. N. aus d. Rspr.). Hierunter können auch drohende wirtschaftliche Verluste fallen (OLG Düsseldorf, NJW 1960, 1921). Eine derartige Konstellation könnte ggf. auch der Verlust der Erbschaft darstellen.

dd) Der Erlass eines Haftbefehls war im Zeitpunkt seiner Anordnung aber unverhältnismäßig.

(1) In das hohe Rechtsgut der persönlichen Freiheit darf der Staat nur dann und nur insoweit eingreifen, als dies unerlässlich ist, um die künftige Teilnahme eines Angeklagten an einem Hauptverhandlungstermin mit Sicherheit zu erreichen. Ist nach den bekannt gewordenen Umständen zu erwarten, dass der Angeklagte zum neuen Hauptverhandlungstermin von selbst erscheinen wird, etwa, weil der für sein Ausbleiben angeführte Grund sich nur auf den gegenwärtigen Termin bezog, so ist es meist nicht erforderlich, und damit auch nicht zulässig, präventiv die Teilnahme an dem künftigen Termin durch Zwangsmittel sicherzustellen. Gleiches gilt, wenn das Erscheinen des Angeklagten mit der erforderlichen Sicherheit durch ein milderes Mittel erreichbar ist (BVerfGE 32, 87; OLG Hamburg, Beschl. v. 04.06.2020 – 2 Ws 72/20, Rn. 20).

Der Grundsatz, dass das mildeste Mittel anzuwenden ist, gilt auch für die Auswahl der in § 230 Abs. 2 StPO nebeneinander angedrohten Zwangsmittel. Dem an erster Stelle genannten Vorführungsbefehl gebührt als dem weniger einschneidenden Eingriff in die persönliche Freiheit stets der Vorrang vor dem Haftbefehl (BVerfGE 32, 87; BVerfG, NJW 2007, 2318). Letzterer darf nur angeordnet werden, wenn das mildere Mittel entweder bereits erfolglos ausgeschöpft ist oder nach Würdigung aller Umstände der Zweck der Norm, die Durchführung der Hauptverhandlung in Gegenwart des Angeklagten zu ermöglichen, andernfalls nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit erreichbar wäre. So liegt es etwa, wenn zu befürchten ist, dass der Angeklagte sich einer Vorführung durch Fernbleiben von seiner Wohnung entziehen würde (siehe hierzu insgesamt OLG Hamburg, Beschl. v. 04.06.2022 – 2 Ws 72/20, Rn. 21 m. w. N.).

(2) Diesen hohen Verhältnismäßigkeitsanforderungen hielt der Haftbefehl im Zeitpunkt seines Erlasses nicht stand.

Das mildere Mittel der Vorführungsanordnung war zwar für den Termin vom 10.10.2024 von vorne herein aussichtslos und damit gescheitert, weil sich die Beschwerdeführerin nach der Vorankündigung und den Angaben der Verteidigerin nicht an ihrer Wohnanschrift befand und eine Vorführung damit von vorne herein aussichtslos und fehlgeschlagen war. Dass dies für den Termin am 17.10.2024, jedenfalls aber zu den Terminen vom 07.11.2024 und vom 28.11.2024, aber ebenfalls der Fall sein würde, ist nicht ersichtlich.

Nach den bekannt gewordenen Umständen war bei Erlass des Haftbefehls nach Ansicht der Kammer vielmehr sogar hinreichend sicher zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin zu dem künftigen Hauptverhandlungstermin am 17.10.2024, jedenfalls aber zu den Terminen vom 07.11.2024 und vom 28.11.2024, sogar von selbst erschienen wäre. Denn sie war schon zu dem ersten Verhandlungstermin – im Gegensatz zu dem Mitangeklagten Bruns – pünktlich erschienen. Nur aufgrund dessen Ausbleibens konnte am 19.09.2024 nicht in der Sache verhandelt werden. Auch hat die an einer festen Wohnanschrift gemeldete Beschwerdeführerin bereits schriftlich ihre Absicht bekundet, zu den weiteren Verhandlungs-terminen „selbstverständlich“ zu erscheinen. Dafür, dass sie insoweit nicht Wort halten würde, ergeben sich für die Kammer vor dem Hintergrund ihres Erscheinens im ersten Hauptverhandlungstermin keine Anhaltspunkte, zumal sie ihre Abwesenheit – unabhängig davon, ob man dies als Entschuldigungsgrund gelten lassen wollte oder nicht – vorab angekündigt und hierfür einen jedenfalls nachvollziehbaren – zeitlich befristeten – Grund genannt hat, der ihre Anwesenheit in Serbien lediglich am 10.10.2024 und am 16.10.2024 erfordert habe.

Aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin in der Vergangenheit hätte das Amtsgericht auf ihre künftige Zuverlässigkeit im Umgang mit justiziellen Verpflichtungen schließen müssen, sodass der Erlass eines Haftbefehls zur Erreichung des verfassungslegitimen Zwecks der Anwesenheit der Beschwerdeführerin während weiterer Hauptverhandlungstermine zwar geeignet, aber nicht erforderlich gewesen ist. Da der Erlass des Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO nicht erforderlich war, ist er unverhältnismäßig und der Beschluss materiell unrechtmäßig.“