Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Schöffen II: Schöffe meldet seinen Umzug nicht, oder: Kein Ordnungsgeld, wenn das keine Folgen hat

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.03.2023 – 1 Ws 111/22 – nimmt das OLG Stellung zur Auferlegung eines Ordnungsgeldes (§ 56 GVG) und der Kosten auf eine Schöffin. Die war verzogen und hatte ihren Umzug dem LG nicht mitgeteilt. Daher war die schriftliche Ladung zu einem Hauptverhandlungstermin mit dem Vermerk des Zustellers „Empfänger verzogen“ in den Postrücklauf des Landgerichts gelangt. Da die Schöffin jedoch telefonisch über den 1. Hauptverhandlungstermin informiert werden konnte, war sie zur Hauptverhandlung erschienen und hatte an der Hauptverhandlung teilgenommen. Erst danach ist die unterlassene Anzeige des Umzugs aufgefallen.Die Strafkammer hat dann ein Ordnungsgeld in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt und der Schöffing die ggf. entstandenen Mehrkosten des Verfahrens auferlegt.

Dagegen die Beschwerde der Schöffin, die Erfolg hatte:

„2. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg; die Auferlegung eines Ordnungsgeldes und der durch die Durchführung des Hauptverhandlungstermins vom 28. September 2022 entstanden Mehrkosten an die Beschwerdeführerin hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) § 56 Abs. 1 Satz 1 GVG normiert, dass „gegen Schöffen […] die sich ohne genügende Entschuldigung zu den Sitzungen nicht rechtzeitig einfinden oder sich ihren Obliegenheiten in anderer Weise entziehen […] ein Ordnungsgeld festgesetzt“ wird. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 GVG werden „zugleich“ „ihnen auch die verursachten Kosten auferlegt“. Ein Ermessen auf Rechtsfolgenseite räumt die Bestimmung nicht ein, liegen ihre Voraussetzungen vor, sind die normierten Folgen zwingend auszusprechen.

Welche sonstigen Obliegenheiten von dieser Vorschrift umfasst sind, ist darin nicht näher geregelt. Aus dem Oberbegriff des nicht rechtzeitigen Einfindens zu den Sitzungen wird deutlich, dass die Vorschrift des § 56 Abs. 1 GVG ausschließlich der Sicherung der Hauptverhandlung dient. Entsprechend können „Obliegenheiten“, deren sich der Schöffe „in anderer Weise entzieht“ nur solche sein, die das Hauptverfahren sichern.

Um einer uferlosen Ausweitung dieses Begriffs entgegenzuwirken, sind darunter nur solche prozessualen Mitwirkungspflichten zu verstehen, die gewährleisten, dass das Gericht in ordnungsgemäßer Besetzung nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verhandeln und entscheiden kann (KG, Beschluss vom 31. Juli 2020, 3 Ws 157/20, Rz. 11, zit. n. juris; KG, Beschluss vom 08. April 1999, 4 Ws 35/99, 1 AR 1657/96, Rn. 2, NStZ 1999, 427; OLG Frankfurt NJW 1992, 3183; OLG Frankfurt NStZ 1990, 503; Barthe in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 3; Schuster in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 5; Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 4); maßgeblich ist mithin, ob eine Obliegenheitsverletzung zu einer Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung geführt hat.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze sind die Verhängung von Ordnungsgeld und die Auferlegung von Kosten nicht zu rechtfertigen.

(1.) Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Nichtanzeige des Wohnungswechsels außerhalb des Landgerichtsbezirks eine Obliegenheitsverletzung darstellt und ob ggf. eine leichte Fahrlässigkeit – wie wohl vorliegend – ausreichend oder zur Vermeidung einer uferlosen Ausdehnung der Norm eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Begehungsweise zu fordern ist (vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ 1990, 503 f.). Jedenfalls führte das Unterlassen der Anzeige des Wohnungswechsels am 28. September 2021 weder zu einer Unterbrechung noch zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung am 28. September 2021. Zwar ist die an die Beschwerdeführerin gerichtete Terminladung als „nicht zustellbar“ in Rücklauf geraten, jedoch konnte sie durch die Geschäftsstelle noch rechtzeitig mündlich über den Hauptverhandlungstermin informiert werden, so dass die Hauptverhandlung an diesem Tag in Anwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführt werden konnte.

(2.) Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin an den Fortsetzungsterminen nicht hätte teilnehmen wollen, sind nicht ersichtlich; ihre Teilnahme im Termin am 28. September 2021 spricht dagegen. Der Aussetzungsbeschluss der Kammer vom 1. Oktober 2021 war nicht veranlasst, da eine etwaige spätere Streichung der Beschwerdeführerin aus der Schöffenliste die Revision nicht begründen kann. Denn die Unanfechtbarkeit der Streichung aus der Hauptschöffenliste gem. § 52 Abs. 4 GVG (vgl. dazu OLG Koblenz NStZ-RR 2015, 122; siehe auch BGHSt 30, 255f.; RGSt 39, 306) führt zwar zu einer Änderung der Kammerbesetzung für noch bevorstehende Hauptverhandlungen, jedoch kann die Besetzungsrüge (§ 338 Nr. 1 StPO) nicht auf eine Entscheidung über die Streichung gestützt werden (vgl. § 336 S. 2 StPO), wenn es sich nicht um einen Fall der Entziehung des gesetzlichen Richters handelt. Eine Richterentziehung würde bei alledem bei einer auf einem Verfahrensirrtum beruhenden gesetzwidrigen Besetzung nicht vorliegen (vgl. BVerfGE NJW 1971, 1033), denn sie setzt eine objektiv willkürliche Maßnahme voraus, d.h. eine Maßnahme, die auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und unter keinen Umständen mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfG NJW1976, 2128; BVerfG NJW 1984, 1874; BGH 26, 206, 211; OLG Karlsruhe NStZ 1981, 272; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., § 16 GVG Rn. 6, 8, § 52 GVG Rn. 4). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da eine Kenntnis vom Wohnsitzwechsel vor Beginn der Hauptverhandlung nicht bestand.

(3.) Ergänzend ist anzumerken, dass die Auferlegung der Verfahrenskosten an die Beschwerdeführerin acht Monate nach Urteilsverkündung und über drei Monate nach eingetretener Rechtskraft nicht mehr hätte ergehen dürfen. Zwar besagt § 56 GVG nichts darüber, wann eine Entscheidung nach Abs. 1 spätestens zu treffen ist. Die diese Norm jedoch ähnlich wie für das Ausbleiben von Zeugen (§ 51 StPO) konzipiert ist, ist eine entsprechende Auslegung geboten. Mithin ist eine Entscheidung nach § 56 Abs. 1 GVG spätestens dann zu erlassen, wenn die Hauptsache zur Entscheidung reif ist. Denn mit der abschließenden Entscheidung ist auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden, so dass Klarheit herrschen muss, welche Kosten von dem Angeklagten im Fall seiner Verurteilung zu tragen sind (vgl. Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11 (GVG), 27. Aufl., § 56 GVG Rn. 11; Schuster in: Münchner Kommentar, StPO, Bd. 3/2, § 56 GVG, Rn.12; siehe auch: BGHSt 43, 146, 148 unter Aufgabe von BGHSt 10, 126; OLG Dresden NStZ-RR 2000, 31; KG, Beschluss vom 30. Mai 2002, 4 Ws 143/01; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 465, Rz. 4).“

OWi III: Nochmals Wirksamkeit des Bußgeldbescheides, oder: Genügen die Angaben zum Tatort?

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Und als dritte Entscheidung zum Tagesschluss dann noch der AG Rockhausen, Beschl. v. 03.04.2023 – 2a OWi 6070 Js 1673/23. Der hat auch eine Verjährungsfrage zum Gegenstand, nämlich die Wirksamkeit des wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheides. Das AG hat sie wegen ungenügender Angaben zum Tatort verneint:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis hinsichtlich des Betroffenen, §§ 46 Abs 1 OWiG, 206a StPO. Die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit vom 05.07.2022 war bereits bei Eingang der Akten am 27.01.2023 verjährt.

Weder die mit Verfügung vom 30.08.2022 angeordnete Anhörung des Betroffenen, noch der Bußgeldbescheid vom 04.11.2022 waren geeignet, die Verjährung zu unterbrechen. Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass das Tatgeschehen hinreichend konkretisiert, also einwandfrei klar ist, welcher Lebensvorgang dem Betroffenen vorgehalten wird und dieser von denkbaren ähnlichen oder gleichartigen Sachverhalten unterscheidbar ist (BeckOK OWiG/Gertler, 37. Ed. 1.1.2023, OWiG § 33 Rn. 179 m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Sowohl in der Anhörung als auch im Bußgeldbescheid ist als Tatort „67304 Eisenberg, Ostring, FR Eisenberg“, angegeben. Eine konkretisierende Angabe, wo der Verstoß begangen wurde, ist hiermit nicht verbunden. Der Ostring in Eisenberg verläuft über eine Strecke von etwa 1,7 Km von der Ramsener Straße bis zur Einmündung Westring. Maßgeblich ist, dass die Tat — auch hinsichtlich des Begehungsorts — so genau bezeichnet wird, dass sie sich als unverwechselbar mit anderen denkbaren Taten desselben Täters darstellt und ein Bewusstsein des Täters für den ihm vorgeworfenen Verstoß bilden kann. Gerade bei Verkehrsverstößen, die sich in relativ kurzen Zeiträumen relativ häufig zu wiederholen vermögen, sind insoweit problematisch und müssen von der Bußgeldbehörde präzise konkretisiert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. 10. 1970 – 4 StR 190/70, NJW 1970, 2222). Ausreichend ist im Einzelfall auch die Angabe eines markanten Punktes (Parkplatz, Hausnummer, Gebäude etc.), (vgl. OLG Koblenz, Beschluss v. 22.03.2021 – 2 Owi 6 SsBs 20/21). Ausreichende Angaben enthalten weder die Anhörung, noch der Bußgeldbescheid. Weder die Anhörung noch der Bußgeldbescheid sind mangels hinreichender Bestimmtheit geeignet die Verjährung zu unterbrechen.“

Nichts Besonderes, aber der Beschluss ruft noch einmal ins Gedächtnis, worauf man (auch) achten muss.

OWi II: Fristberechnung bei der Verjährungsfrist, oder: Was häufig übersehen wird….

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Die zweite Entscheidung des Tages ist eine Verjährungsentscheidung. Das OLG Koblenz behandelt im OLG Koblenz, Beschl. v. 08.02.2023 – 4 ORbs 31 SsBs 1/23 – die Frage, wie sich die Verjährungsfrist berechnet.

Das AG hatte den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt, das OLG hat auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben und das Verfahren eingestellt:

„Das Rechtsmittel der Betroffenen führt zu einer Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung und zu einer Einstellung des Verfahrens aufgrund des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung.

Die korrekt erhobene Sachrüge führt zur Prüfung des Fehlens von Verfahrensvoraussetzungen und des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses (vgl. BGH NStZ 2001, 440; OLG Koblenz, Beschluss v. 12.08.2008 – 2 SsBs 54/08; OLG Hamm NZV 2003, 396; OLG Köln NZV 2002, 241). Wenn eine Rechtsbeschwerde in zulässiger Weise erhoben wurde, kann auch im Rechtsbeschwerdeverfahren eine Einstellung wegen Verjährung erfolgen (vgl. BGH a. a. O., OLG Koblenz MDR 1977, 954; König in: Göhler, a. a. O., § 31m Rn. 19). Denn der Ablauf der Verjährung ist -so eine gerichtliche Prüfungsmöglichkeit besteht- von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen, auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren (vgl. BGH NStZ 2001, 440; BGHSt 16, 115).

Das Verfahren gegen den Betroffenen war unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206 a StPO einzustellen, da hinsichtlich des gegen ihn erhobenen Vorwurfs der fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung bereits am 10. November 2022 Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrem, dem Verteidiger bekannt gegeben Votum wie folgt ausgeführt:

Die Verkehrsordnungswidrigkeiten weisen eine absolute Verjährungsfrist von 2 Jahren auf (§ 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG i.V.m. § 26 Abs. 3 StVG). Die Verjährung beginnt, sobald die Handlung beendet ist (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Vorliegend wurde die in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung am 10.11.2020 begangen und beendet. Der Tag, an dem die Verjährung mit Eintritt des Ereignisses beginnt, ist der 1. Tag der Verjährungsfrist, hier also der 10.11.2020. Der letzte Tag der Verjährungsfrist ist der im Kalender vorhergehende Tag (Göhler § 31 Rn. 16; OLG Karlsruhe vom 28.06.2019 – 2 RB 8 Ss 486/19; OLG Bamberg vom 12.12.2005 – 3 Ss OWi 1354/05), vorliegend demnach der 09.11.2022. Die Fristberechnung nach § 43 StPO kommt bei Fristen des materiellen Rechtes, wie den Verjährungsfristen, hingegen nicht in Betracht, da diese Norm aus-schließlich auf Fristen prozessualer Natur beschränkt ist (KK-Schneider-Glockzin, § 43 StPO, Rn. 6 m. w. N.). Die absolute Verfolgungsverjährung ist daher vorliegend mit Ab-lauf des 09.11.2022 eingetreten. Der Beschluss nach § 72 OWiG ist indes erst am 10.11.2022 unterzeichnet worden, sodass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Verjährung der Ordnungswidrigkeit eingetreten ist und nicht das Ruhen der Verjährung gemäß § 32 Abs. 2 OWiG herbeigeführt werden konnte.

Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO StPO.

Im Rahmen der Ermessensentscheidung geht der Senat davon aus, dass gegen den Betroffenen ohne Eintritt des Verfahrenshindernisses zu Recht wegen einer fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h eine Geldbuße von 160,– Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden wäre.

Das Amtsgericht hat sich rechtsfehlerfrei mit den Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsmessung auseinandergesetzt. Es hat die technischen und personellen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Messung überprüft, keine Fehler festgestellt und auch zutreffend begründet, warum die Beiziehung der weiteren von der Verteidigung angeforderten Unterlagen wie das Erstinbetriebnahmeprotokoll, Fotos von der Messstelle mit Trailer, die Verwendungsanzeige und die fehlende Speicherung der Rohmessdaten mit einem Verweis auf die hierzu ergangene Rechtsprechung ebenso wenig erforderlich war, wie die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Es hat auch die Höhe der festgesetzten Geldbuße und die Verhängung eines einmonatigen Fahr-verbotes rechtsfehlerfrei begründet, indem es zutreffend besonderes Gewicht auf eine einschlägige Tatwiederholung hinsichtlich einer weiteren unzulässigen Geschwindigkeitsüberschreitung (dort um 29 Kmh) vom 20. Juli 2020 (Rechtskraft der verhängten Geldbuße in Höhe von 80 € am 17. September 2020, knapp zwei Monate vor der hiesigen Tat) gelegt und hierbei die besondere berufliche Situation des Betroffenen (Umfangreiche Kundenbesuche in weiten Teilen Deutschlands für sein Unternehmen) berücksichtigt hat.

Das Verfahren hätte jedoch am 10. November 2022 aufgrund der eingetretenen Verfolgungsverjährung durch das Amtsgericht eingestellt werden müssen, so dass es nicht zu einer rechtsmittelfähigen Sachentscheidung hätte kommen dürfen. Die notwendigen Auslagen für das Rechtsbeschwerdeverfahren wären dann nicht angefallen.“

Diese Frage wird bei der Berechnung der Verjährungsfrist im OWi-Verfahren häufig übersehen, kann aber, wie man sieht, entscheidend sein.

OWi I: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Nein, sagt das OLG Frankfurt/Main

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Heute dann ein „OWi-Dienstag“, also drei Entscheidungen zum Bußgeldverfahren. alle drei Entscheidungen haben einen verfahrensrechtlichen Bezug.

Ich beginne mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22. Das OLG nimmt , m.E. als erstes OLG, zu der Frage Stellung, ob beim Einspruch die Pflicht zur elektronischen Übermittlung besteht. Die Frage ist ja nicht ganz unstrittig (vgl. hier einerseits AG Hameln, Beschl. v. 14.02.2022 – 49 OWi 23/22, andererseits AG Tiergarten, Beschl. v. 05.04.2022 – 310 OWi 161/22).  Auch in der Literatur ist die Frage nicht eindeutig geklärt.

Nun hat sich das OLG Frankfurt am Main zu der Frage geäußert. Danach ist die elektronische Übermittlung nicht erforderlich:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 4 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig. Sie hat auch in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg, weil die auf die zulässig erhobene Sachrüge im Freibeweis vorzunehmende Prüfung des Senats ergeben hat, dass das Amtsgericht den Einspruch zu Unrecht wegen Nichteinhaltung der Formvorschrift der § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO als unzulässig erachtet und daher ohne Sachprüfung verworfen hat. Soweit ersichtlich, ist diese Frage obergerichtlich bislang noch nicht geklärt worden.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat die Betroffene mit dem an das Regierungspräsidium K. gerichteten Telefax ihres Verteidigers vom 27. Juni 2022 wirksam Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 22. Juni 2022 eingelegt. Die Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, die im Bußgeldverfahren gemäß § 110c OWiG entsprechend gilt, findet auf die Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid keine Anwendung. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 18/9416, S. 50, 51) sieht § 32d Satz 2 StPO eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll. Da in den Gesetzesmaterialien zu § 110c OWiG auf diese Ausführungen verwiesen wird (BT-Drucksache 18/9416, S. 76), sind diese Grundsätze auch für die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 32d StPO im Bußgeldverfahren zugrunde zu legen. Im Hinblick darauf, dass das Bußgeldverfahren Berufung, Privatklage und Nebenklage nicht kennt, können die in § 32d StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen nur für den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, die Einlegung der Rechtsbeschwerde, ihre Begründung und die Gegenerklärung gelten, für die gemäß §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG die Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Revision entsprechend gelten. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid und die Einspruchsbegründung gehören demgegenüber der Sache nach weder vom Wortlaut noch von der systematischen Einordnung her zu den in § 32d Satz 2 StPO abschließend aufgeführten Verfahrenserklärungen; vielmehr handelt es sich um einen „Rechtsbehelf eigener Art“, der die Sache aus einem Verfahren bei der Verwaltungsbehörde in das gerichtliche Verfahren bringt (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 18. Auflage, Vor § 67 Rn. 1). Zudem ist die Begründung des Einspruchs – anders als bei der Rechtsbeschwerde – zur Vermeidung seiner Verwerfung nicht erforderlich. Vielmehr ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid in systematischer Hinsicht eher mit dem Einspruch gegen einen Strafbefehl vergleichbar, der in § 32d Satz 2 StPO gerade keine Erwähnung findet. Dabei ist weiter zu bedenken, dass der Bußgeldbescheid von der Verwaltungsbehörde erlassen wird, den Strafbefehl aber ausschließlich das Gericht erlassen kann. Wenn man vor diesem Hintergrund in den Blick nimmt, dass § 32d Satz 2 StPO ausschließlich wesentliche Verfahrenshandlungen vor Gericht aufzählt und dabei den Einspruch gegen den (gerichtlichen) Strafbefehl auslässt, kann der Einspruch gegen den (verwaltungsbehördlichen) Bußgeldbescheid erst recht nicht unter diese Norm fallen (vgl.: van Endern in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 4, 2. Aufl., § 110c OWiG Rn. 8.3; im Ergebnis zustimmend: BeckOK OWiG/Gertler, 37. Ed. 1.1.2023, OWiG § 67 Rn. 68; offen gelassen bei: Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 110c Rn. 13). Der Hinweis des Amtsgerichts auf die Ausnahmeregelung in § 335 Abs. 2a Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 HGB geht in diesem Zusammenhang schon deshalb fehl, weil zunächst – wie vorstehend geschehen – im Wege der Auslegung zu ermitteln ist, in welchem Umfang die Ausnahmeregelung des § 32d Satz 2 StPO einer entsprechenden Anwendung im Bußgeldverfahren zugänglich ist.

Dies zugrunde legend ist die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der am 01. Januar 2022 erfolgten Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten weiterhin per Telefax von dem Faxgerät des Betroffenen oder eines Rechtsanwalts – wie vorliegend – möglich und wirksam (Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, § 67 Rn. 21 mN).

Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig war demnach rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Groß-Gerau zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.“

Zeuge II: Kein Haftbefehl wegen Wiederholungsgefahr, oder: Auswirkungen des Zeugnisverweigerungsrecht

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt dann auch vom KG. Im KG, Beschl. v. 18.11.2022 – 3 Ws 300/22 – 121 AR 235/22 – geht es u.a. um die Frage, ob ein Haftbefehl nach § 112a Abs. 1 StPO auf Grundlage der Aussage eines Zeugen, der vom Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht hat, erlassen werden kann.

Dem Angeklagten wird in dem Verfahren der Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung seiner Ehefrau gemacht. Deswegen ist der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Das LG hat den Angeklagten aber vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde, in der sie beantragt, den Haftbefehl wieder in Vollzug zu setzen. Zur Begründung trägt sie vor, neben dem Haftgrund der Fluchtgefahr bestehe auch Wiederholungsgefahr im Sinne von § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 StPO, da gegen den Angeklagten bereits mehrere – allesamt eingestellte – Ermittlungsverfahren geführt worden seien, in denen die Geschädigte  den Angeklagten als von ständiger Eifersucht getrieben bezeichnet habe. Mit Blick auf die bereits langanhaltenden Gewalttätigkeiten vor der Inhaftierung und das Verhalten des Angeklagten unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln müsse davon ausgegangen werden, dass dieser nach seiner Entlassung bei Gelegenheit eines Konflikts erneut eine gleichartige Tat begehen werde.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Das KG bejaht die Voraussetzungen für die Anordnung der U-Haft, u.a. auch den Haftgrund der Fluchtgefahr, was man allerdings nicht weiter prüfen kann, da insoweit nur auf andere Beschlüsse Bezug genommen wird. Erscheint mit aber recht „sportlich“.

Zur Wiederholungsgefahr führt es dann aber noch aus:

„c) Zu Unrecht nimmt die Staatsanwaltschaft an, es liege zudem der (subsidiäre) Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 StPO vor, denn die dafür erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

Zwar ist der Angeklagte auf der Grundlage des Urteils des Landgerichts – wie dargelegt – einer Katalogtat nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO – hier § 177 StGB – dringend verdächtig. Weitere Voraussetzung ist jedoch in Fällen, die § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO unterfallen, dass bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, der Beschuldigte werde vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen, und dass die Haft zur Abwendung dieser Gefahr erforderlich ist. Um die innere Neigung des Angeklagten zur Begehung weiterer – erheblicher – Straftaten feststellen zu können, bedarf es in aller Regel der (freibeweislichen) Feststellung äußerer Indiztatsachen, die einen entsprechenden Rückschluss mit der gebotenen Sicherheit zulassen (vgl. Lind a.a.O., § 112a Rdn. 55).

Es bedarf keiner Klärung durch den Senat, ob die von der Staatsanwaltschaft zitierten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (von denen keines zu einer Verurteilung des Angeklagten geführt hat) im Zusammenwirken mit der im hiesigen Verfahren abgeurteilten Tat den Schluss rechtfertigen, etwaig vom Angeklagten zu erwartende Straftaten überschritten die Erheblichkeitsgrenze des § 112a Abs. 1 Satz 1 StPO. Denn ohnehin lässt sich die Gefahr, der Angeklagte werde noch vor Rechtskraft des landgerichtlichen Urteils weitere (vergleichbare) Taten begehen, nicht auf der Grundlage bestimmter Tatsachen tragfähig begründen. Die im Rahmen dessen durchzuführende Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens. Dabei sind auch Indiztatsachen zu berücksichtigen und zu würdigen, wie Vorstrafen des Angeklagten und die zeitlichen Abstände zwischen ihnen sowie seine Persönlichkeitsstruktur und Lebensumstände (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21.Januar 2020 – 2 Ws 1/20 -, juris m.w.N.; Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 11. Mai 2020 – 1 Ws 44/20 -, juris m.w.N.; Thür. OLG StV 2013, 773; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 112a Rdn. 14 m.w.N; Graf in KK-StPO 8. Aufl., § 112a Rdn. 19).

Eine hohe Wahrscheinlichkeit, der Angeklagte werde sein strafbares Verhalten fortsetzen, ist auf der Grundlage der vorliegenden Indiztatsachen nicht zu belegen.

aa) Der Angeklagte wurde in dem hiesigen Verfahren erstmalig verurteilt. Die von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdeschrift zum Beleg seiner Gefährlichkeit zitierten Verfahren wurden sämtlich eingestellt, die Verfahren zu den Geschäftszeichen 252 Js 1739/19, 3021 Js 6130/21 und 252 Js 1739/19 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO, das Verfahren zu 252 Js 4436/22 nach § 154 StPO im Hinblick auf das hiesige Verfahren. Aus ihnen lassen sich deshalb keine hinreichend sicheren Schlüsse ziehen, die künftige (vergleichbare) Straftaten des Angeklagten zu belegen geeignet sind. Unerheblich ist dabei, ob die Verfahren eingestellt worden sind, weil Tatzeugen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht haben, der Tatnachweis aus anderen Gründen nicht geführt werden konnte oder dies aus Gründen der Prozessökonomie geschehen ist.

bb) Soweit die Staatsanwaltschaft auf Verfahren Bezug nimmt, in denen die Geschädigte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Gebrauch gemacht hat, tritt hinzu, dass ein Rückgriff auf polizeiliche oder staatsanwaltliche Vernehmungen von Zeugen, die hernach von ihrem Recht aus § 52 StPO Gebrauch gemacht haben, zur Folge hätte, dass der Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts, dem Zeugen einen Gewissenskonflikt zu ersparen und die Familienbande, die den Angeklagten mit dem Zeugen verknüpft, zu schonen (vgl. Bertheau/Ignor in Löwe-Rosenberg a.a.O., § 52 Rdn. 53 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 52 Rdn. 1 m.w.N.), und das daraus resultierende Verwertungsverbot (vgl. Bader in KK-StPO 8. Aufl., § 52 Rdn. 43a m.w.N.) ins Leere liefen. Das wäre nicht nur bei einer – anerkannt unzulässigen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rdn. 23; Percic in MüKo-StPO, § 52 Rdn. 43a; Bader a.a.O.; alle m.w.N.) – Verwertung von vorangegangenen nicht richterlichen Vernehmungen im strengbeweislichen Verfahren in der Hauptverhandlung der Fall, sondern auch dann, wenn die Erkenntnisse aus einer solchen Vernehmung zur Begründung eines Haftbefehls freibeweislich herangezogen würden; das aus der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrecht resultierende Verwertungsverbot wäre in beiden Fällen gleichermaßen ausgehöhlt.

cc) Auch die dem Senat verfügbaren Erkenntnisse zu den persönlichen Lebensumständen des Angeklagten lassen keine hinreichend präzisen Schlüsse auf künftige vergleichbare Straftaten des Angeklagten zu, der ein Teilgeständnis abgelegt und sich ausweislich des Nichtabhilfevermerks bei der Geschädigten entschuldigt hat. Zugleich hat die Geschädigte in einem an den Angeklagten gerichteten Brief vom 7. August 2022 mitgeteilt, dass sie ihm verzeihe. Dies spricht gegen die Begehung künftiger Taten vergleichbarer Schwere. Ob und inwieweit das Verhalten des Angeklagten und der Geschädigten lediglich prozesstaktischer Natur gewesen ist, vermag der Senat nicht zu beurteilen….“