Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

OWi I: News zur Verwerfung des OWi-Einspruchs, oder: Verwerfungsurteil, Nebenbeteiligter, Ladungsmangels

© momius – Fotolia.com

Und dann zum Auftakt für die 52. KW/2024 und zum letzten Arbeitstag (?) vor Weihnachten hier noch einige Entscheidungen aus dem OWi-Verfahren, allerdings ein wenig thematisch zusammengefasst.

In diesem ersten Posting stelle ich dann noch einmal einige Beschlüsse zur Entbindung von der Erscheinenspflicht und den damit zusammenhängenden Fragen vor, sicherlich einer der verfahrensrechtlichen Dauerbrenner aus dem Bußgeldverfahren. Es handelt sich um:

1. Im Fall der Behauptung einer nicht ordnungsgemäßen Ladung ist es erforderlich, dass sich aus der Verfahrensrüge die tatsächlichen Umstände der Ladung und die daraus resultierende fehlende Kenntnis des Betroffenen vom Hauptverhandlungstermin ergeben, die seine Beteiligung an der Hauptverhandlung unmöglich gemacht haben.

2. Hat der Zusteller die Ladung unter der dem Gericht bekannten Anschrift in den Briefkasten eingeworfen, der zu der Wohnung der weiterhin unter dieser Anschrift wohnhaften Eltern des Betroffenen gehört, bedarf es in der Regel Vortrags zu solchen Umständen, die eine Heilung des Ladungsmangels ausschließen (tatsächliche Übergabe der Ladung an den Betroffenen, Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten).

3. Rügevernichte Umstände sind jedenfalls dann mitzuteilen, wenn nach der konkreten Fallgestaltung eine dem geltend gemachten prozessualen Fehler (hier: Ladungsmangel) entgegenstehende Verfahrenslage ernsthaft in Frage kommt.

4. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene in einer früheren Hauptverhandlung von der Verpflichtung, persönlich zu erscheinen, entbunden war und hiernach seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt hat. In diesem Fall ist auch mitzuteilen, dass er überhaupt gewillt war, zur Hauptverhandlung zu erscheinen.

1. § 74 Abs. 2 OWiG knüpft allein an den Betroffenen an. Betroffener im Sinne des Ordnungswidrigkeitengesetzes ist die natürliche Person, gegen die sich das Verfahren richtet.

2. Für eine entsprechende Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG auf nebenbeteiligte juristische Personen und Personenvereinigungen ist kein Raum. Deren Rechtsstellung richtet sich prozessual weitgehend nach den Regelungen für Einziehungsberechtigte.

Das AG muss im Urteil, mit dem der Einspruch eines Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens verworfen wird, die vom Betroffenen bzw. dessen Verteidiger vorgebrachten Gründe, die diese vom Erscheinen in der Hauptverhandlung abgehalten haben, mitteilen, da anderenfalls das Rechtsbeschwerdegericht nicht prüfen kann, ob der Tatrichter bei der Würdigung des Entschuldigungsvorbringens von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen und damit die Verwerfungsentscheidung zu Recht ergangen ist.

OWi III: Kein Fahrverbot wegen beruflicher Härte, oder: Vollstreckung schon während Arbeitslosigkeit?

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und im dritten Posting habe ich dann noch eine Entscheidung zum Fahrverbot, nämlich den OLG Naumburg, Beschl. v. 06.11.2024 – 1 ORbs 219/24. Das AG hatte gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 800,00 EUR verhängt. Gleichzeitig hat es ein Fahrverbot von 2 Monaten angeordnet. Das AG hat es abgelehnt, wegen einer beruflichen Härte vom Fahrverbot abzusehen. Das bzw. zumindest die Begründung missfällt dem OLG. Das hat daher im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben:

„Der Rechtsfolgenausspruch hält der Überprüfung auf die Sachrüge nicht stand.

Das Amtsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen unter anderem ausgeführt, dass eine Härtesituation, die ein Absehen der Verhängung eines Fahrverbotes hätte rechtfertigen können, bei dem Betroffenen nicht vorliege, da dieser vor dem Antritt seiner neuen Stelle am 19. März 2024 für ca. ein Jahr arbeitslos gewesen sei und in dieser Zeit das verhängte Fahrverbot gegen sich hätte vollstrecken lassen können.

Diese Rechtfolgenzumessungsüberlegung ist unzulässig, da sie eine unzulässige Verkürzung zulässigen Verteidigungsverhaltens darstellt.

Das Amtsgericht dufte die Möglichkeit eines Absehens vom Fahrverbot nicht von vornherein mit dem Argument ablehnen, der Betroffene habe dieses bereits vor Antritt seiner neuen Stelle als Bauleiter antreten können.

Diese Argumentation läuft auf eine unzulässige Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens zum Nachteil des Betroffenen hinaus, mit der das Amtsgericht die Grenzen des ihm gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG übertragenen tatrichterlichen Bewertungsspielraums in ermessensfehlerhafter Weise überschritten hat. Zwar hat sich ein Betroffener bei Erhalt eines Bußgeldbescheides auf ein mögliches Verbot einzustellen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Absehen vom Fahrverbot wegen besonderer beruflicher Härten ausgeschlossen ist, wenn ein Betroffener erst nach Erhalt eines Bußgeldbescheides und anschließender Arbeitslosigkeit eine neue Arbeit aufnimmt (OLG Bamberg, Beschl. v. 9. November 2017, 3 Ss OWi 1556/17, juris; OLG Jena Beschl. v. 24. Mai 2004 — 1 Ss 328/03, BeckRS 2004, 6690).

Die Ausführungen des Amtsgerichts lassen sich auf die unzulässige, nämlich mit der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbare Erwägung zuspitzen, dass dem Betroffenen angelastet wird, gegen den ihn beschwerenden Bußgeldbescheid überhaupt den Rechtsbehelf des Einspruchs zur gerichtlichen Kontrolle des Bußgeldbescheids eingelegt bzw. den Einspruch aufrechterhalten zu haben, statt hiervon im wohlverstandenen Eigeninteresse abzusehen, um das Fahrverbot alsbald und noch vor Arbeitsantritt zu verbüßen.“

Denjenigen, der mehr zum Fahrverbot wissen möchte, verweise ich <<Werbemodus an>> auf die Ausführungen des Kollegen Deutscher in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWoi-Verfahren, 7. Aufl., 2024, das man hier bestellen kann. Sollte dann noch vor Weihnachten 🙂 kommen.<<Werbemodus aus>>.

OWi II: Urteil beim qualifizierten Rotlichtverstoß, oder: Besonderheiten bei Messung mit Traffipax Traffiphot III

Im zweiten Posting geht es dann um den OLG Köln, Beschl. v. 29.11.2024 – III 1 ORBs 280/24. Der nimmt zu den Anforderungen an die Urteilsgründe Stellung, wenn die Messung bei einem sog. qualifizierten Roltichtverstoß mit Traffipax Traffiphot III erfolgt ist.

Nach den Feststellungen hatte die Betroffene einen qualifizierten Rotlichtverstoß begangen, indem sie mit ihrem Pkw innerorts trotz einer Rotlichtzeit von 1,01 s zunächst die Haltelinie und anschließend die Kreuzung überquerte. Das OLG hat die Feststellungen des AG als lückenhaft beanstandet und aufgehoben und zurückverwiesen:

„Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass der vom Amtsgericht festgestellte qualifizierte Rotlichtverstoß im Sinne von §§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. Nr. 132.3 BKat frei von Rechtsfehlern festgestellt worden ist. Hinsichtlich der Annahme, das Rotlicht habe bereits „länger als 1 Sekunde“ angedauert, ist die Beweiswürdigung lückenhaft.

Allerdings geht das Amtsgericht im Ausgangspunkt zu Recht davon aus, dass es sich bei der automatischen Rotlichtüberwachung um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 49).

In einem solchen Fall kann sich das Urteil im Grundsatz, wie allgemein beim Einsatz standardisierter Messverfahren, auf die Angabe des verwendeten Gerätetyps und des gewonnenen Messergebnisses sowie etwaig zu beachtender Toleranzwerte beschränken (vgl. OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Braunschweig NJW 2007, 391; OLG Bremen NZV 2010, 42; OLG Schleswig ZfS 2014, 413; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; OLG Karlsruhe BeckRS 2024, 11920). Näherer Darlegungen über die Messmethode und deren technische Zuverlässigkeit bedarf es damit grundsätzlich nicht, um dem Rechtsmittel-gericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen worden sind (vgl. BGH NJW 1993, 3081).

Das Amtsgericht benennt in den Urteilsgründen auch wesentliche Anknüpfungstatsachen, indem die Dauer des Gelblichts, das Vorhandensein einer Haltelinie und zweier Induktionsschleifen, der Abstand zwischen der Haltelinie und der ersten Induktions-schleife, der Abstand zwischen der ersten und der zweiten Induktionsschleife und die gestoppten Rotlichtzeiten mitgeteilt werden (vgl. zum Erfordernis der Mitteilung von Anknüpfungstatsachen: OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Karlsruhe NZV 2009, 201; OLG Schleswig ZfS 2014, 413; OLG Dresden, BeckRS 2017, 157846; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; OLG Karlsruhe BeckRS 2024, 11920; vgl. auch Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 49). Zudem wird die Tatörtlichkeit hinsichtlich der Wechsellichtzeichenanlage und der verkehrstechnischen Gestaltung des Verkehrsbereiches beschrieben; auf die Skizzen Bl. 29 f. d. A. wird in zulässiger Weise Bezug genommen.

Indes ist die Rotlichtzeit von der Anlage Traffipax Traffiphot III nicht direkt an der Haltelinie gemessen worden. Das erste Beweisfoto mit der ersten gemessenen Rotlichtzeit wurde vielmehr erst beim Überfahren der ersten Induktionsschleife ausgelöst. Da es aber für den Beginn der Rotlichtdauer auf das Überfahren der Haltelinie ankommt (SenE v. 21.08.1998 – Ss 378/98 = BeckRS 1998, 155014; SenE v. 22.05.2003 – Ss 198/03; Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 50 m.w.N.), stellt die auf dem ersten Foto eingeblendete Rotlichtzeit nicht die vorwerfbare Rotzeit dar. Das maßgebliche Überfahren der Haltelinie erfolgte zu einem früheren Zeitpunkt. Vor diesem Hintergrund muss die Zeit zwischen Überschreiten der Haltelinie und dem Erreichen des ersten Messpunkts abgezogen werden, um den betroffenen Fahrzeugführer nicht zu benachteiligen.

Während einige Rotlichtüberwachungsanlagen die vorzuwerfende Rotzeit automatisch (geräteintern) berücksichtigen, ist bei Rotlichtüberwachungen älterer Bauart in aller Regel eine manuelle Rückrechnung der gemessenen Rotzeit in Bezug auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie vorzunehmen (SenE v. 21.08.1998 – Ss 378/98 = BeckRS 1998, 155014; OLG Braunschweig NJW 2007, 391; Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1581 u. 1584; Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 48).

Auch bei der hier verwendeten Rotlichtüberwachungsanlage Traffipax Traffiphot III ist die Fahrzeit von der angezeigten Rotzeit zu subtrahieren, die das Fahrzeug vom Überfahren der Haltelinie bis zu der Position benötigt, die auf dem ersten Messfoto abgebildet ist (vgl. Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl., § 37 Rdn. 48; Löhle/Beck DAR 2000, 1 [4]). Sie gehört zu den Anlagen ohne automatische Berechnung der vorwerfbaren Rotzeit (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1589 ff., 1599). Das Auswerteverfahren ist nicht Bestandteil der Innerstaatlichen Bauartzulassung. Die Berechnungen haben sich an den konkreten Gegebenheiten zu orientieren (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1599).

Sind – wie hier – zwei Induktionsschleifen vorhanden, durch die zwei Beweisfotos ausgelöst werden, besteht die Möglichkeit, die von dem Betroffenenfahrzeug zwischen den beiden Aufnahmen gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit des Fahrzeugs zu berechnen. Mit Hilfe der errechneten mittleren Geschwindigkeit des Fahrzeugs lässt sich die Zeit berechnen, die der Betroffene für das Zurücklegen der Strecke ab dem Überfahren der Haltelinie bis zum Auslösen des ersten Rotlichtfotos benötigt hat. Diese Zeit ist von der auf dem ersten Foto eingeblendeten Rotlichtzeit abzuziehen, um die rechtlich relevante vorwerfbare Rotlichtzeit zu erhalten. Durch eine solche Weg-Zeit-Berechnung kann – auf der Grundlage einer rekonstruierten Geschwindigkeit – ausgerechnet werden, wann die Haltelinie passiert wurde (vgl. OLG Hamm BeckRS 2006, 15059; OLG Braunschweig, NJW 2007, 391; OLG Dresden, BeckRS 2017, 157846; OLG Düsseldorf BeckRS 2017, 127656; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 8920; zur Rückrechnung näher Löhle/Beck, DAR 2000, 1 ff.). Die beschriebene Art der Berechnung geht dabei davon aus, dass das Fahrzeug mit gleichbleibender Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren ist.

Die Rückrechnung der vorwerfbaren Rotlichtzeit muss nachvollziehbar unter Berücksichtigung aller relevanten Parameter erfolgen (Wegstrecke, Lampenverzögerungs-zeit, Dauer der Rotphase beim Überfahren der ersten Induktionsschleife und Dauer der Rotphase bei Überfahren der zweiten Induktionsschleife). Eine etwaige Lampenverzögerungszeit, welche von der Art des verwendeten Leuchtmittels abhängt, ist ab-zuziehen (Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1599 u. 1601). Lampenverzögerungszeit ist die Zeit vom elektrischen Einschalten der Lampe einer Lichtzeichenanlage bis zum sichtbaren Aufleuchten (vgl. Burhoff/Grün, Messungen im Straßenverkehr, 6. Aufl. § 1 Rdn. 1582; Löhle/Beck, DAR 2000, 1 [4]). Die Rückrechnung kann eine Verminderung der vorwerfbaren Rotlichtzeit um bis zu 0,3 Sekunden, bei sehr langsamer Fahrt sogar um bis zu 0,5 Sekunden zur Folge haben (vgl. Krumm SVR 2006, 436 [439]; Burhoff, ZAP 2016, 407; Löhle/Beck DAR 2000, 1 [7]; Beck/Berr/Schäpe/Kärger/Weigel, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. Rdn. 676; zu Fehlerquellen bei Traffiphot III vgl. auch: Buck/Smykowski in Buck/Gieg, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und Strafrecht, 3. Aufl., § 7 Rdn. 45 ff.).

Nach diesen Maßgaben erweisen sich die Ausführungen im angefochtenen Urteil als unzureichend.

Das Amtsgericht hat zwar erkannt, dass eine Rückrechnung auf den Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie zu erfolgen hat. Auch ist eine Rückrechnung dahin erfolgt, dass der Betroffenen das Missachten einer Rotzeit von 1,01 s vorgeworfen wird, während das erste Beweisfoto bei 1,20 s ausgelöst hat.

Für den Senat ist indes allein anhand der Urteilsgründe nicht überprüfbar, ob die Rückrechnung auf die vorwerfbare Rotlichtdauer nachvollziehbar und ohne jede Benachteiligung der Betroffenen erfolgt ist. Denn das Amtsgericht nimmt nur pauschal auf die „Berechnungen Bl. 158 f. d. A.“ Bezug, ohne mitzuteilen, wer diese erstellt und auf welcher Grundlage, insbesondere aufgrund welcher Berechnungsparameter, die Berechnungen erfolgt sind und ob und ggf. welche Toleranzen bzw. Sicherheitsabschläge hierbei zugunsten der Betroffenen vorgenommen worden, gerade auch im Hinblick auf eine etwaige Lampenverzögerungszeit. Eine solche Darstellung war im vorliegenden Einzelfall auch nicht verzichtbar, da die Grenze zum qualifizierten Rotlichtverstoß – mit der erheblichen Folge eines Fahrverbotes – überhaupt nur denkbar knapp überschritten ist.

Die Sache bedarf nach alledem – gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen (vgl. OLG Braunschweig NJW 2007, 391; Löhle/Beck, DAR 2000, 1 [7]; Krumm SVR 2006, 436 [439]; Burhoff, ZAP 2016, 407; Beck/Berr/Schäpe/Kärger/Weigel, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. Rdn. 676) – neuer tatrichterlicher Behandlung und Entscheidung.“

OWi I: Keine Schätzungen beim Nachfahren, oder: Gründe (auch) bei Geschwindigkeitsüberschreitung

Bild von Felix Müller auf Pixabay

Heute dann ein OWi-Tag, ein bisschen habe ich. Nichts Besonderes, aber immerhin 🙂 .

Hier zunächst zwei Entscheidungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung. Die eine befasst sich mehr allgemein mit den Urteilsgründe, in der anderen geht es um die Schätzung der Geschwindigkeit. Also:

Zunächst die Gründe, und zwar hat sich dazu das OLG Naumburg im OLG Naumburg, Beschl. v. 04.10.2024 – 1 ORbs 201/24 – geäußert:

„2. Die Feststellungen zum Schuldspruch beruhen nicht auf einer tragfähigen Grundlage; die Angaben hierzu genügen nicht, um dem Senat eine Überprüfung zu ermöglichen.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass sich die Vorwürfe aus dem Bußgeldbescheid vom 07.11.2022, mit dem dem Betroffenen vorgeworfen wird, am 24.08.2022 um 9:19 Uhr auf der BAB 36 km 41,5 auf Höhe Ilsenburg in Richtung Abbenrode als Führer des Kleintransporters pp. die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h überschritten, die Zulassungsbescheinigung Teil I und den vorgeschriebenen Führerschein nicht mitgeführt zu haben, obwohl er die durch Verkehrszeichen 274 angeordnete erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h hätte erkennen können und müssen, im Rahmen der Hauptverhandlung bestätigt haben (UA S. 2).

Dabei beruhen die Feststellungen zur Person des Betroffenen auf dessen schriftlicher Einlassung sowie auf dem verlesenen FAER vom 08.04.2024; die Feststellungen zur Sache auf dem in Augenschein genommenen Messvideo, auf dem der Kleintransporter mit einer Geschwindigkeit von 128 km/h abzüglich eines nicht genannten Toleranzwertes zu erkennen ist (UA S. 2), sowie der im Rahmen der Hauptverhandlung ausgewerteten Unterlagen, insbesondere der Eichbescheinigung, der Lebensakte des Messgerätes und der Bedienungsberechtigung der Messbeamten, zudem auf den Vermerk der Polizeibeamten auf der Bescheinigung über die maßgebliche Verkehrskontrolle des Betroffenen.

Kein Hinweis findet sich in den Gründen dazu, dass der Betroffene eingeräumt hat, zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt den maßgeblichen Transporter geführt zu haben.

Zudem fehlen – worauf die Rechtsbeschwerde ebenfalls zutreffend hinweist – Angaben zum konkret angewandten Messverfahren, insbesondere ob ein sog. standardisiertes Messverfahren zum Einsatz gekommen ist. Auch zur konkreten Höhe des zugrunde gelegten Toleranzwertes werden Ausführungen vermisst.

Eine Nachprüfung anhand der Urteilsgründe ist dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich. Schon deshalb kann das Urteil keinen Bestand haben. „

Und dann das AG Dortmund, Urt. v. 17.10.2024 – 729 OWi-267 Js 1305/24-100/24 – mit folgendem Leitsatz:

Kann bei einer Geschwindigkeitsfeststellung durch Nachfahren mit einem Polizeifahrzeug mit nicht geeichtem Tacho in einem 1,5 km langen Tunnel nur eine Geschwindigkeit von vielleicht 135, 140 oder 145 km/h bei gleichbleibendem oder sich vergrößerndem Verfolgungsabstand von nicht festzustellender Länge („vielleicht 50 m, vielleicht auch 200 m“) festgestellt werden, so liegen keine ausreichenden Feststellungen vor, die nach hergebrachten Maßstäben eine Messung durch Nach-fahren darstellen. Insbesondere ist in einem solchen Fall auch eine Verdoppelung der eigentlich zu gewährenden Toleranz von 20 % nicht ausreichend, die Messung “ret-ten“ zu können.

 

OWi I: Unklare/widersprüchliche Feststellungen, oder: Keine Bezugnahme auf ein Messvideo

Bild von Mahesh Patel auf Pixabay

Und heute dann ein paar OWi-Entscheidungen. Alles nichts Weltbewegendes, sondern alles Fragen, zu den bereits mehrfach bzw. oft Stellung genommen worden ist. Ist im Moment im OWi-Bereich leider so. Richtige Knaller gibt es nicht. Es ist alles schon zig-mal durchgekaut.

Hier dann zunächst der OLG Celle, beschl. v. 14.10.2024 – 3 ORbs 117/24 – zu den Urteilsgründen bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Das OLG hat das AG-Urteil – auch auf Antrag der GStA – aufgehoben, weil die Feststellungen widersprüchlich und lückenhaft waren:

„Der Rechtsbeschwerde konnte ein zumindest vorläufiger Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben. Die Generalstaatsanwaltschaft hat im Rahmen ihrer Zuschrift hierzu ausgeführt:

„Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen dieses Urteil hat bereits mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Auf die darüber hinaus erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an.

Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist unklar und widersprüchlich. Während die Höchstgeschwindigkeit den Feststellungen (UA S, 3) zufolge mittels Verkehrsbeeinflussungsanlagen auf 80 km/h beschränkt war, ist den Ausführungen zur Beweiswürdigung (UA S. 4) zu entnehmen, dass der Zeuge pp. bekundet habe, die Höchstgeschwindigkeit sei auf 100 km/h beschränkt gewesen. Ob es sich hierbei um ein bloßes Schreibversehen handelt, ist den Urteilsgründen auch im Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen. Das Messvideo kann hierzu ebenfalls nicht herangezogen werden, weil es insoweit an einer wirksamen Bezugnahme nach §§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO, 46 Abs. 1 OWiG fehlt (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 07.04.2022 — 2 Ss (OWi) 49/22 -, juris Rn. 8).“

Dem tritt der Senat bei.“

Das ist übrigens kein „vorläufiger“ Erfolg, sondern in diesem Rechtsgang ein „endgültiger“.