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OWi I: Urteilsanforderungen bei der AAK-Messung, oder: Warum „unbehelflich“ = so „unbeholfen“?

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Heute machen wir dann mal ein wenig Owi-Recht/Bußgeldverfahren. Entscheidungen dazu sind in der letzten Zeit ein wenig kurz gekommen. Es gibt aber auch im Moment nicht so richtig „Knaller“.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 14.10.2022 – 3 Ws (B) 253/22, der zu den Urteilsanforderungen bei einer Atemalkoholmessung Stellung nimmt. Auf der Beschluss enthält nichts Neues, sondern führt nur in einem Zusatz aus:

„…. Lediglich erläuternd bemerkt der Senat:

1. Die Rechtsbeschwerde legt nicht dar, dass ein Beweisantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt worden ist. Das namhaft gemachte Beweismittel – Sachverständigengutachten – war gänzlich ungeeignet, zu beweisen, dass der Betroffene bei der Messung des Atemalkohols in einer bestimmten Weise ergebnisverfälschend hyperventiliert hat. Gegenstand der begehrten Beweiserhebung hätte nur sein können, ob das Hyperventilieren im Grundsatz geeignet sein kann, das Messergebnis zu verfälschen. Darauf aber kam es nicht an, weil das Amtsgericht die Beweise so gewürdigt hat, dass es bei der Messung zu keinem „ungewöhnlichen Verlauf“ der „Atemtechnik“ gekommen ist. Diese Beweisbewertung ist, was auch für die Sachrüge von Belang ist, nicht zu beanstanden. Insofern gilt, dass die vom Tatgericht gezogenen Schlüsse nicht zwingend, sondern nur möglich sein müssen. Dies ist hier der Fall.

2. Die tatrichterliche Bewertung des Messverfahrens (Dräger Alcotest 9510 DE) als standardisiert begegnet keinen Bedenken. Das Amtsgericht hat sich die Gewissheit verschafft, dass das verwendete (Einzel-) Gerät geeicht (und damit u. a. auch hinsichtlich der Bauart konformitätsbewertet und vor dem Inverkehrbringen geprüft) war. Einer weitergehenden Darstellung des Mess-verfahrens bedurfte es daher nicht.

3. Der Mitteilung eines Toleranzabzugs (sowie der durch die Rechtsbeschwer-de vermissten „Verkehrsfehlergrenzen“) bedurfte es gleichfalls nicht. Die gemessenen Atemalkoholwerte sind der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 24a Abs. 1 StVG ohne Sicherheitsabschläge zugrunde zu legen (vgl. BGH NZV 2001, 267; Thüringer Oberlandesgericht VRS 110, 32). Nicht einmal der Mitteilung der festgestellten Einzelmessergebnisse hätte es bedurft; der Mittelwert hätte genügt (vgl. BGH a.a.O.; Thüringer Oberlandesgericht a.a.O.).

4. Die Ausführungen der Rechtsbeschwerde zur „falschen“ Tatzeit sind urteilsfremd und daher unbehelflich. Nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 261 StPO kann die „Aktenwidrigkeit“ von Urteilsfeststellungen nicht beanstandet werden (vgl. für viele BGH NStZ-RR 1998, 17).“

Wie gesagt: Alles nicht neu, sondern Rechtsprechung der Obergerichte.

Aber etwas stört mich an dem KG-Beschluss dann doch. Und das ist die Formulierung „unbehelflich“. Diese Formuleriung findet man ja häufig in Rechtsmittelentscheidungen, so z.B. auch beim BGH,, wobei ich mich immer frage, ob man das nicht anders = besser formulieren kann. Vor allen, weil ja auch „unbehelflich“ nicht passt, wenn es stimmt, was mit der Duden vorgibt. Nämlich „unbehelflich“ = „unbeholfen“. Das ist aber gar nicht gemeint. Warum schreibt man also nicht „sind urteilsfremd und daher unbeachtlich„. Denn das ist an der o.a. Stelle gemeint. Und das klingt dann auch nicht so „unbeholfen“.

StPO I: Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, oder: War das Mädchen „möglicherweise“ 14 Jahre alt?

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Ich stelle heute dann noch einmal StGB-Entscheidungen vor.

Den Opener mache ich mit dem BGH, Beschl. v. 27.09.2022 – 5 StR 261/22 – zur Frage des Vorsatzes beim sexuellen Missbrauch. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte weitgehend Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen vollzog der 36-jährige Angeklagte an der damals 13-jährigen Geschädigten den ungeschützten Oral- und Vaginalverkehr, wobei er es – ungeachtet ihrer Angabe, 15 Jahre alt zu sein – für möglich hielt, dass sie noch keine 14 Jahre alt war. Nach Auffassung des Landgerichts „konnte“ sich der Angeklagte auf die Altersangabe der Geschädigten wegen ihres (kindlichen) Gesamteindrucks nicht verlassen. Als Tätowierer sei ihm bekannt gewesen, dass junge Mädchen sich häufig älter darstellten, als sie sind. Er habe daher, als er den Geschlechtsverkehr mit ihr ausübte, zumindest billigend in Kauf genommen, dass sie noch ein Kind war.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern kann keinen Bestand haben. Die Annahme bedingten Vorsatzes des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellung, dass er das kindliche Alter der Geschädigten im Tatzeitpunkt billigend in Kauf genommen hat, ist nicht beweiswürdigend unterlegt (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1952 – 4 StR 440/52, NJW 1953, 152 f.; Beschluss vom 29. Oktober 2002 – 3 StR 358/02 Rn. 4).

a) Zwar obliegt die Würdigung der Beweise dem Tatgericht. Seine tatsächlichen Schlüsse müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 14/20, NJW 2020, 2741 f. mwN). Ein Rechtsfehler liegt jedoch vor, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft, unklar oder widersprüchlich ist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht, sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (vgl. BGH aaO), oder wenn sie sich auf nicht existierende Erfahrungssätze stützt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 270/16 Rn. 15 mwN).

b) Solche Rechtsfehler liegen hier in Bezug auf die Feststellungen zum Vorsatz vor.

Den Urteilsgründen lassen sich keine Belege entnehmen, wonach der Angeklagte das kindliche Alter der Geschädigten billigend in Kauf nahm. Auch wenn die Strafkammer sich selbst vom kindlichen Aussehen der Geschädigten zur Tatzeit auf der Grundlage eines Lichtbildes und des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung überzeugt haben mag, besagt dieser Umstand für sich genommen nichts zur Vorstellung des Angeklagten bei Tatausführung. Er hatte die Geschädigte vor der Tat nach ihrem Alter gefragt, woraufhin sie ihm „15“ geantwortet hatte. Dass damit mögliche Zweifel an einem jüngeren Alter der Geschädigten nach Auffassung der Strafkammer nicht auszuräumen waren, weil der Angeklagte sich auf die Altersangabe der Geschädigten nicht habe verlassen können, begründet nicht den Vorwurf eines (bedingten) Vorsatzes, sondern lediglich den der Fahrlässigkeit.

Soweit die Strafkammer zudem darauf abgestellt hat, dem Angeklagten sei „als Tätowierer (…) bekannt (gewesen), dass junge Mädchen sich häufig älter darstellen, als sie sind“, stützt sie sich auf einen Erfahrungssatz, der weder allgemein gültig noch durch eine etwaige dahingehende persönliche Erfahrung des Angeklagten belegt ist.“

Strafe III: Schwere Zwangsprostitution/Zuhälterei, oder: Hat der Angeklagte „gewerbsmäßig“ gehandelt?

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Und im dritten Posting dann noch etwas zur Gewerbsmäßigkeit.

Das LG hat den Angeklagten wegen schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit Zuhälterei verurteilt. Dagegen die Revison, die hinsichtlich der Strafzumessung Erfolg hatte. Der BGH hat das LG-Urteil mit dem BGH, Beschl. v. 14.09.2022 – 4 StR 55/22 – hinsichtlich der Strafzumessung aufgehoben:

„a) Das Landgericht hat bei der Bemessung der Freiheitsstrafe strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte den Tatbestand der schweren Zwangsprostitution in zweifacher Hinsicht erfüllt hat (§ 232a Abs. 4 Alt. 1, 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 3 StGB). Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft, weil die Feststellungen nicht ergeben, dass der Angeklagte auch gewerbsmäßig im Sinne von § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB gehandelt hat.

aa) Nach den Feststellungen veranlasste der Angeklagte die zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alte Nebenklägerin durch eine Drohung dazu, der Prostitution nachzugehen. In mindestens einem Fall reagierte er aggressiv, um sie zur Fortsetzung dieser Tätigkeit zu bringen. Als er auf sie einwirkte, um sie zur Aufnahme der Prostitution zu bewegen, handelte er in der Absicht, die zu erwirtschaftenden Einkünfte der Nebenklägerin aus der Prostitutionstätigkeit vollständig zu vereinnahmen und sich daraus eine nicht unerhebliche, dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen.

bb) Dies reicht für die Annahme eines gewerbsmäßigen Handelns nicht aus. Gewerbsmäßigkeit im Sinne von 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen; liegt ein solches Gewinnstreben vor, ist schon die erste der ins Auge gefassten Tathandlungen als gewerbsmäßig zu werten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. November 2021 – 2 StR 433/20, juris Rn. 22; Beschluss vom 2. Februar 2011 – 2 StR 511/10, NStZ 2011, 515, 516; Urteil vom 11. Oktober 1994 – 1 StR 522/94, NStZ 1995, 85 mwN). Kommt es dem Täter dagegen lediglich darauf an, sein Opfer zur Aufnahme der Prostitution zu veranlassen, um sich – wie festgestellt – aus den von diesem erzielten Einkünften eine dauerhafte Einnahmequelle zu erschließen, liegt kein Fall des § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB vor (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 622/10; Beschluss vom 28. August 2008 – 4 StR 327/08, juris Rn. 2, jew. zu § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB aF).

Dass der Angeklagte darüber hinaus mit der Intention einer wiederholten Tatbegehung gehandelt hat, lässt sich dem Urteil auch seinem Gesamtzusammenhang nach nicht entnehmen. Denn die Strafkammer hat weder festgestellt, dass der Angeklagte noch weitere Personen im Sinne von § 232a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB zur Ausübung der Prostitution bringen wollte, noch dass er bei Tatbegehung damit rechnete, die Nebenklägerin wolle die Prostitutionstätigkeit wieder aufgeben und er müsse sie zur Fortsetzung zwingen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2022 – 1 StR 65/22, juris Rn. 13; Beschluss vom 12. Februar 2019 – 4 StR 374/18, NStZ-RR 2019, 179 f. zu § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB aF)….“

Strafe II: „Du bist kein Betäubungsmittelkonsument“, oder: „Keine finanzielle Notlage…“

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Im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen zur Strafzumessung bei BtM-Delikten, und zwar:

„1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte selbst kein Betäubungsmittelkonsument und daher „nicht etwa durch eine Abhängigkeitsproblematik zur Finanzierung des eigenen Konsums zur Tatbegehung bewegt worden“ sei. Das Motiv, die Drogen erworben zu haben, um den eigenen Konsum zu finanzieren, kann Grund für die Milderung der Strafe sein, weil Suchtdruck oder Angst vor Entzugsfolgen das Handeln eines Täters beeinflussen können (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2022 – 2 StR 223/21, Rn. 3; Beschluss vom 5. März 2020 – 1 StR 42/20, Rn. 3; O?lakc?o?lu in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 29a BtMG Rn. 142 mwN). Das Landgericht hat dagegen die fehlende Abhängigkeit des Angeklagten als strafschärfenden Umstand bewertet und damit rechtsfehlerhaft das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes zu seinen Lasten berücksichtigt.

Da die Strafzumessung schon unter diesem Gesichtspunkt rechtsfehlerhaft ist, kann der Senat offen lassen, ob die Strafkammer durch ihre weitere Erwägung, der Angeklagte habe „kühl wirtschaftlich kalkulierend aus reinem Gewinnstreben mit Betäubungsmitteln Handel getrieben“ ein noch im Rahmen der Tatbestandsmäßigkeit von § 29a Abs. 1 Nr. 2 Variante 1 BtMG liegendes Gewinnstreben strafschärfend herangezogen und damit gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2020 – 2 StR 517/19 Rn. 4, NStZ-RR 2020, 146, 147; Beschluss vom 22. Mai 2018 – 4 StR 100/18, StV 2019, 325, 236; Maier in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn. 266 mwN).“

„……

a) Zwar ist die Formulierung bedenklich, wonach dem Angeklagten angelastet wird, dass er nicht aus einer finanziellen Notlage heraus gehandelt hat; denn das Fehlen von Strafmilderungsgründen darf dem Angeklagten nicht angelastet werden (vgl. zu dieser Formulierung nur BGH, Beschluss vom 5. Februar 2020 – 2 StR 517/19, NStZ-RR 2020, 146 mwN). Damit hat das Landgericht nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe aber lediglich das zuvor als Straferschwerungsgrund gewertete Handeln aus grobem Eigennutz im Sinne eines übersteigerten Gewinnstrebens weiter illustrieren wollen.“

Strafe I: Doppelverwertungsverbot beim Missbrauch, oder: „Garantenstellung“, Sexualobjekt, Entwicklung

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Und heute dann noch einmal Entscheidungen zur Strafzumessung. Es ist manchmal wie verhext. Da tut sich zu einer Thematik lange nichts und dann auf einmal gibt es zahlreiche Entscheidungen. So ist es im Moment mit dem Thema „Strafzumessung“. Dazu hängen einige Entscheidungen in meinem Blogordner.

Ich eröffne den Reigen heute mit einigen Entscheidungen zum Doppelverwertungsverbot beim Missbrauch, und zwar zunächst mit dem BGH, Beschl. v. 26.04.2022 – 4 StR 34/22. Es geht um die Strafzumessung im „Münsteraner Missbrauchsfall“. Das LG hat die Angeklagte, die Mutter des Missbrauchsopfers, unter Freisprechung im Übrigen wegen Beihilfe durch Unterlassen zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die Erfolg hatte:

„Nach den Feststellungen missbrauchte der gesondert verfolgte Lebensgefährte der Angeklagten den zur Tatzeit zwischen neun und elf Jahre alten Nebenkläger, indem er zweimal pro Woche u. a. an ihm den Oralverkehr ausübte oder an sich von dem Nebenkläger vornehmen ließ. Die Angeklagte, die als leibliche Mutter allein sorgeberechtigt für den Nebenkläger war, unternahm nichts, um diese Handlungen des gesondert Verfolgten zu beenden, zu erschweren oder zu minimieren. Vielmehr ließ sie zu, dass der gesondert Verfolgte mit dem Nebenkläger allein war und diesen zu einer Vielzahl von Tagesausflügen oder mehrtägigen Aufenthalten mit Übernachtungen mitnahm. Dabei rechnete sie zu Beginn des Tatzeitraums damit, dass der gesondert Verfolgte ihre Abwesenheit zum Missbrauch ausnutzte, und fand sich damit ab. Spätestens nach einem Jahr hatte sie positive Kenntnis von den fortlaufenden Missbrauchshandlungen. Durchgehend war sie sich ihrer Pflicht als Mutter und ihrer vielfältigen Handlungsmöglichkeiten bewusst.

….

3. Dagegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben, weil die Strafkammer die Art der Garantenstellung der Angeklagten rechtsfehlerhaft strafschärfend berücksichtigt hat ( § 46 Abs. 3 StGB ).

a) Das Landgericht hat die Strafe dem nach § 27 Abs. 2 Satz 2 , § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB (in der ab 27. Januar 2015 geltenden Fassung) entnommen; eine nochmalige Milderung des Strafrahmens gemäß § 13 Abs. 2 , § 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt. Bei der Prüfung eines minder schweren Falls gemäß § 176a Abs. 4 StGB aF und bei der konkreten Strafbemessung hat die Strafkammer dabei der Angeklagten die Qualität der Garantenstellung angelastet, die sich aus ihrer Eigenschaft als allein sorgeberechtigter leiblicher Mutter des Nebenklägers ergebe, und zur Begründung angeführt, dass diese Garantenstellung ein deutlich „anderes“ Gewicht habe als beispielsweise eine Garantenstellung aus Gefahrengemeinschaft.

b) Damit hat die Strafkammer gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen.

aa) Danach dürfen die Merkmale des Tatbestands, welche die Strafbarkeit begründen und der Bestimmung des gesetzlichen Strafrahmens zugrunde liegen, nicht nochmals bei der Strafzumessung berücksichtigt werden. Dies gilt in gleicher Weise für deliktsübergreifende strafbarkeitsbegründende Umstände aus dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 2007 – 3 StR 497/06 Rn. 10 [zum Unterlassen]; Beschluss vom 25. September 2002 – 1 StR 347/02 Rn. 6 [zum unterbliebenen Rücktritt] und Beschlüsse vom 18. März 2003 – 4 StR 83/03 Rn. 3, vom 13. September 2001 – 4 StR 322/01 Rn. 4 und vom 16. August 2000 – 3 StR 253/00 Rn. 5) und damit auch für die Gesichtspunkte, die eine Garantenstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB begründen (vgl. Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 45b mwN).

bb) Mit der strafschärfenden Berücksichtigung der Eigenschaft der Angeklagten, die alleinerziehende Mutter des Tatopfers zu sein, hat die Strafkammer einen Umstand zu Lasten der Angeklagten gewürdigt, der ihre Garantenstellung gemäß § 13 Abs. 1 StGB i. V. m. § 1626 Abs. 1 BGB und ihre sich daraus ergebende Handlungspflicht überhaupt erst begründet. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann dem Hinweis auf die „Qualität der Garantenstellung“ auch nicht entnommen werden, dass die Strafkammer damit aufzeigen wollte, dass die Angeklagte eine weit unter der Zumutbarkeitsschwelle liegende und von ihr deshalb „regelhaft“ zu erwartende Handlung nicht vorgenommen habe (vgl. dazu Roxin, Strafrecht AT Bd. 2 § 31 Rn. 242; krit. dazu LK-StGB/Weigend, 13. Aufl., § 13 Rn. 101). Denn die Strafkammer hat sich an anderer Stelle mit der Zumutbarkeit eines Eingreifens gesondert auseinandergesetzt.

c) Der Senat kann trotz des erheblichen Gewichts des Untätigbleibens letztlich nicht ausschließen, dass sich der Rechtsfehler bei der Strafbemessung ausgewirkt hat.“

Ein Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot hat der BGH auch angenommen im BGH, Beschl. v. 17.06.2022 – 5 StR 110/22. Da hatte die Strafkammer Die Strafkammer  „straferschwerend gewertet, dass die Geschädigten für den Angeklagten „nur Sexualobjekte“ seien, „deren von ihm erkannte entgegenstehende Willen er rücksichtslos beiseiteschiebt“.“ Anders der BGH, Beschl. v. 06.09.2022 – 6 StR 274/22 Die Erwägung, der Angeklagte „habe „durch seine Taten eine unbefangene sexuelle Entwicklung der Geschädigten verhindert“, “ hat der BGH nicht als Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) beanstandet. Denn: “ Während der Tatbestand von §§ 176, 176a StGB der Gefahr von Entwicklungsschäden auf sexuellem Gebiet begegnen soll und diese damit keinen tauglichen Strafzumessungsumstand darstellt, können tatsächlich eingetretene Schäden strafschärfend berücksichtigt werden….“