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OWi I: Verkehrsverstoß mit SUV => erhöhte Geldbuße, oder: Nur nach Betrachtung des Einzelfalls

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Heute dann ein OWi-Tag mit drei Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren.

Ich beginne mit der „SUV-Problematik“. Gemeint ist damit die Rechtsprechung des AG Frankfurt am Main, das im AG Frankfurt, Urt. v. 03.06.2022 – 974 OWi 533 Js-OWi 18474/22 – die Erhöhung der Geldbuße u.a. damit begründet hat, dass ein Verkehrsverstoß – es handelte sich um einen Rotlichtverstoß – mit einem sog. SUV begangen wurde (vgl. dazu auch OWi III: Verkehrsverstoß mit SUV => erhöhte Geldbuße, oder: In meinen Augen “Blödsinn”).

Inzwischen liegt ja die Rechtsbeschwerdeentscheidung des OLG Frankfurt am Main zu der Frage vor. Das hat – beim OLG Frankfurt am Main kann man sich in solchen Dingen nie sicher sein 🙂  – die Auffassung, die uni sono vertreten worden ist, nämlich: Geht nicht, im OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.09.2022 – 3 Ss-OWi 1048/22 – bestätigt:

„Gleichwohl ist die hier durch das erkennende Gericht vorgenommene Erhöhung der im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelbuße mit der vorgenannten Argumentation rechtsfehlerhaft. Sie rechtfertigt eine Abweichung vom Regelsatz nicht.

Der Bußgeldkatalog hat die Qualität eines für Gerichte verbindlichen Rechtssatzes (BGH NJW 1992, 446; KG BeckRS 2020, 18279; Göhler-Gürtler § 17 OWiG, Rn. 27; BR-Dr 371/81, S. 24), da die Gesetzesbindung der Gerichte über Art. 97 Abs. 1 GG sich auch auf das von der vollziehenden Gewalt ordnungsgemäß gesetzte Verordnungsrecht bezieht (vgl. nur (BVerfGE 19, 17 (31)). Er dient der gleichmäßigen Behandlung sehr häufig vorkommender, wesentlich gleichgelagerter Sachverhalte und soll hierdurch auch dem Gebot der Gerechtigkeit dienen (Göhler-Gürtler § 17 OWiG, Rn. 27; BeckOK-Sackreuter § 17 OWiG, Rn. 104). Der Katalog soll eine Schematisierung herbeiführen, was impliziert, dass (kaum abwägbare) besondere Umstände des Einzelfalls zurücktreten (Göhler-Gürtler § 17 OWiG, Rn. 27). Zwar handelt es sich bei ihm um eine Zumessungsrichtlinie, die die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zulässt (Göhler-Gürtler § 17 OWiG, Rn. 31; Krenberger/Krumm § 17 OWiG, Rn. 36; BVerfG NJW 1996, 1809; BGH NJW 1997, 3252). Auch folgt bereits aus § 17 OWiG, insbesondere Abs. 3, dass die im Bußgeldkatalog umschriebenen Umstände keinen enumerativen Charakter aufweisen.

Aufgrund des vorgenannten Zwecks rechtfertigt indes lediglich ein deutliches Abweichen vom Normalfall betreffend die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit oder die Vorwerfbarkeit eine Abweichung vom Bußgeldkatalog (Göhler-Gürtler § 17 OWiG, Rn. 28b). Sind hingegen außergewöhnliche, besondere Umstände hinsichtlich der Tatausführung und der Person des Täters nicht gegeben, darf nicht abgewichen werden (OLG Stuttgart, Beschluss vom 16. November 2018 – 1 Rb 25 Ss 1157/18, zit. n. juris; Göhler § 17 OWiG, Rn. 31; BeckOK-Sackreuter § 17 OWiG, Rn. 111; KK-Mitsch § 17 OWiG, Rn. 103; Janiszewski, NJW 1989, 3116). Ferner hat der Verordnungsgeber in Ziff. 132 ff. BKat hinsichtlich des hier konkret in Rede stehenden Verstoßes sowohl zwischen verschiedenen Fahrzeugtypen als auch zwischen dem Fehlen, dem Eintritt einer (konkreten) Gefährdung und einer Sachbeschädigung differenziert. Diese Typisierung hätte das Gericht in besonderem Maße zur Prüfung veranlassen müssen, ob eine deutliche Abweichung zu allen normierten Typen besteht. So spricht indiziell gegen das Vorliegen einer deutlichen Abweichung auf Grund einer erhöhten abstrakten Gefährdung durch einen „SUV“ bereits, dass dem Verordnungsgeber sowohl das Differenzierungskriterium der Gefährdung als auch des Fahrzeugtyps bekannt war, er sich aber zu der Schaffung einer diesbezüglich spezifischen Regelbuße nicht veranlasst sah.

Das angefochtene Urteil lässt demgegenüber bereits nicht erkennen, dass das Gericht sich der besonderen Anforderungen für eine Abweichung vom Bußgeldkatalog bewusst war. Indem es lediglich von einer „größeren“ abstrakten Gefährdung bzw. einer „erhöhten“ Verletzungsgefahr spricht, ist eine deutliche Abweichung vom Normalfall gerade nicht dargetan. Damit sind besondere, außergewöhnliche Umstände betreffend Tat oder Täter nicht festgestellt. In concreto liegt eine deutliche Abweichung überdies umso ferner, da der Verordnungsgeber schon verschiedene Umstände in mehreren Bußgeldtatbeständen den hiesigen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO betreffend im Bußgeldkatalog geregelt hat, mithin bereits die Wirklichkeit durch die Berücksichtigung verschiedener Umstände in verschiedenen Konstellationen in den Ziffern 132 ff. BKat typisiert hat.

Selbst wenn man aber das Gericht dahingehend verstände, dass es meint, eine abstrakte Gefährdung in einem Maß festgestellt zu haben, dass darin besondere außergewöhnliche Umstände zu erblicken sind, begegnet das Urteil durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn eine Abweichung von der Regelbuße ist nur im Einzelfall unter den genannten Voraussetzungen erlaubt und erfordert deshalb zugleich auch eine Betrachtung des Einzelfalls. An einer solchen Einzelfallbetrachtung fehlt es allerdings, wenn man, wie das Gericht, sich in den Zumessungserwägungen auf die Benennung eines- noch nicht einmal trennscharf bestimmbaren – Fahrzeugtyps beschränkt und zudem, was zulasten der Nachprüfbarkeit der Entscheidung geht, nicht offenlegt, wie der bemühte Fahrzeugtyp definiert ist.

Vielmehr gebietet auch das Erfordernis der deutlichen Abweichung vom Normalfall, die Feststellung außergewöhnlicher, besonderer Umstände eine über die Benennung eines diffusen Fahrzeugtyps oder Modells hinausgehender Betrachtung des Einzelfalls. Bei einem Abweichen von der Regelbuße ist ein näheres Eingehen auf den Einzelfall durch Aufklärung der Umstände und Treffen entsprechender Feststellungen geboten (KK-Mitsch § 17 OWiG, Rn. 103). Hebt man, wie das Gericht, bei der Bestimmung des Maßes der Gefährdung auf das Fahrzeug ab, so ist zunächst zu ergründen, welches allgemein die wesentlichen gefährdungsrelevanten Charakteristika sind. Sodann sind diese für das Betroffenen-Fahrzeug zu ermitteln, was beispielsweise auch aufgrund deren tatsächlicher Verbreitung besondere Sicherheitssysteme, wie fußgängerschützende Bremsassistenten, miteinschließt.

Die bloße Bezeichnung als SUV zeitigt im Übrigen einen Begründungsmangel. Zwar sind die Anforderungen an die Urteilsgründe in den bußgeldrechtlichen Massenverfahren nicht zu überspannen und der Begründungsaufwand ist auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß zu beschränken (OLG Hamm NZV 2003, 295; BGHSt 39, 291). Gleichwohl sind auch die Zumessungserwägungen so zu begründen, dass sie eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht erlauben (BeckOK-Sackreuter § 17 OWiG, Rn. 33). Diesen Anforderungen genügt das Abstellen Fahrzeugtyp „SUV“ nicht, sofern dieser nicht näher bestimmt wird. Eine einheitliche Definition fehlt. Als taugliches Kriterium scheidet beispielsweise die Masse aus, da auch „PKW herkömmlicher Bauart“ mitunter bis zu zwei Tonnen und mehr wiegen, und beispielsweise ein vom Hersteller Suzuki als SUV angebotenes Modell Jimny aber nur ca. 1075 kg wiegt. Ähnliches gilt für die Fahrzeugmaße. Selbst wenn man aber eine eher phänotypische Definition wählte (beispielsweise Bodenfreiheit und Höhe), nimmt sich die Gruppe der „SUV“ so heterogen (beispielsweise vom „SUV“ Suzuki Jimny 1075 kg, Höhe 1,705 m, Länge 3,665 m zum Audi Q 7 e-tron 2.520 kg, Höhe1,968 m, Länge 5,05 m) aus, dass ein Schluss von der Gruppenzugehörigkeit auf gefahrrelevante Umstände nicht möglich erscheint – jedenfalls nicht als allgemeinkundig qualifiziert werden könnte.

Weiteren Übrigen gebricht es dem Urteil daran, dass die für die Abweichung von der Regelbuße bemühten Umstände im Tatsächlichen unausgewiesen sind. Sowohl die Geldbußenbemessung generell betreffenden (BeckOK-Sackreuter § 17 OWiG, Rn. 33) als auch die besonderen, eine Abweichung von der Regelbuße rechtfertigenden Umstände (BeckOK-Sackreuter § 17 OWiG, Rn. 111) sind durch das Gericht rechtsfehlerfrei festzustellen. Bei einem Abweichen von der Regelbuße sind ein näheres Eingehen auf den Einzelfall durch Aufklärung der Umstände und das Treffen entsprechender Feststellungen geboten (KK-Mitsch a. a. O.). Auch daran gebricht es der angefochtenen Entscheidung. Die vom Gericht in seiner Bußgeldzumessung im Allgemeinen und bei der Abweichung von der Regelbuße im Besonderen zu Grunde gelegte Feststellung, dass SUV gegenüber PKW üblicher Bauweise für andere Verkehrsteilnehmer eine erhöhte Verletzungsgefahr begründen, ist keineswegs allgemeinkundig, sondern Gegenstand von Untersuchungen mit diametralen Ergebnissen betreffend die Gefährlichkeit von dort näher bestimmten, sogenannten „SUV“ (vgl. beispielsweise nur einerseits für die USA die Studie des Insurance Institute for Highway Safety (IIHS), stark zusammengefasst unter https://www.iihs.org/topics/bibliography/ref/2249, Zugriffsdatum 28.09.2022, und andererseits die Erkenntnisse des Kraftfahrtbundesamts https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/verkehrsunfaelle-jahr-2080700187004.pdf?__blob=publicationFile, Zugriffsdatum 28.09.2022, oder auch der Unfallforschung der Versicherer https://www.udv.de/resource/blob/78200/3a3accdba3669ce5b85e94a3d4d6367d/34-suv-im-unfallgeschehen-data.pdf, Zugriffsdatum 28.09.2022 oder auch die heterogenen Ergebnisse der EURO NCAP-Crashtests zu Fahrzeugen verschiedener Typen).

Der Hinweis des Gerichts auf eine erhöhte Betriebsgefahr verfängt nicht. Diese stellt eine zivilrechtliche Kategorie zur Begründung einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung dar. Im Übrigen erscheint sehr zweifelhaft, ob eine erhöhte Betriebsgefahr bei der diffusen, heterogenen Kategorie „SUV“ angenommen werden könnte.

Letztlich wäre daher vom Gericht festzustellen gewesen, dass das konkrete Fahrzeug des Betroffenen eine so erhöhte abstrakte Gefährlichkeit aufweist, dass der vorliegende Einzelfall deutlich von allen im Bußgeldkatalog erfassten Normalfällen abweicht.“

Gebracht hat es dem Betroffenen im Ergebnis leider nichts. Denn das OLG hat die Höhe der Geldbuße nicht beanstandet. Und mit der Entscheidung habe ich ein Problem. Denn: Das AG hatte die Erhöhung der Regelgeldbuße von 200 EUR auf 350 EUt mit dem Umstand „SUV“ und Voreintragungen des Betroffenen begründet. Das OLG lässt den Erhöhungsgrund „SUV“ entfallen, belässt es aber bei der Geldbuße von 350 EUR, ohne ein Wort dazu, warum denn diese Erhöhung – die ja schonr echt „happig“ ist auch angemessen ist, wenn als Erhöhungsgrund nur noch die Vorbelastungen verbleiben. Na ja, OLG Frankfurt am Main eben 🙂 .

Und ich habe noch etwas gelernt, nämlich eine neue Formulierung, und zwar: „Weiteren Übrigen gebricht“ – „Weiteren Übrigen“ steht so im veröffentlichten Original. „Gebricht“ – „schöne“ (?) Formulierung, aber: Passt, denn, wie gesagt, an der einen Stellen „gebricht“ es dem Beschluss an der Begründung.

Soweit in dem Beschluss sonst noch Schreibfehler, vor allem bei Eigennamen, enthalten waren, habe ich mir erlaubt, die zu verbessern.

OWi III: Verkehrsverstoß mit SUV => erhöhte Geldbuße, oder: In meinen Augen „Blödsinn“

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Und dann habe ich zum Tagesschluss hier noch das AG Frankfurt/Main, Urt. v. 03.06.2022 – 974 OWi 533 Js-OWi 18474/22, das ja schon andere Blogs und auch die Tagespresse beschäftigt hat. Das ist die Sache, in der das AG Frankfurt/Main die Geldbuße wegen eines Rotlichtverstoßes u.a. deshlab erhöht hat, weil der Verstoß mit einem SUV begangen worden ist. Das AG führt zur Geldbußenbemessung aus:

„1. Es war ein Bußgeld festzusetzen. Bei der Bemessung der Höhe des Bußgeldes hat sich das Gericht an den Regelsätzen des Bußgeldkataloges – hier Ziffer 132.3 in Höhe von 200 Euro – orientiert.

Bei der Bemessung hat das Gericht im Rahmen des § 3 Abs. 1 BKatV berücksichtigt, dass die betroffene Person mehrere Voreintragungen im Fahreignungsregister aufweist. Dementsprechend war die Geldbuße zu erhöhen.

Zudem wurde die erhöhte Betriebsgefahr des verwendeten Kraftfahrzeugs bei der Bemessung der Geldbuße zu Lasten der betroffenen Person berücksichtigt. Die kastenförmige Bauweise und wegen der größeren Bodenfreiheit erhöhte Frontpartie des Fahrzeugs erhöhen bei einem SUV das Verletzungsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer. Gegenüber einem Pkw in üblicher Bauweise liegt deshalb eine erhöhte Betriebsgefahr vor (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 30.09.1996 – 6 U 63/96, NZV 1997, 230).

Aufgrund der größeren abstrakten Gefährdung durch das geführte Kraftfahrzeug stellt sich der begangene Rotlichtverstoß gravierender als der Normalfall dar; insbesondere, da die Regelungen des § 37 StVO zu Wechsellichtzeichen darauf abzielen, querende Verkehrsteilnehmern im Kreuzungsbereich der Lichtzeichenanlage bei einer Kollision zu schützen. Daher weist dieser Fall eine Besonderheit auf, die ihn von gewöhnlichen Tatumständen unterscheidet, sodass die Regelbuße entsprechend zu erhöhen ist.“

Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen erachtet es das Gericht als tat- und schuldangemessen eine Geldbuße von 350 Euro festzusetzen.“

Ich meine: Blödsinn. Denn: Nach 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV, wonach der BKat von gewöhnlichen Tatumständen, kann m.E. nur die Begehungsweise der Tat eine Rolle bei der Bußgeldbemessung spielen, wenn nich ausdrücklich im BKat auf das Fahren mit einem Lkw abgestellt wird. Auf die hat aber die Art des Pkws keine Auswirkungen. Auch hat m.E. die Betriebsgefahr, auf die wohl mit dem Hinweis auf die OLG Hamm-Entscheidung abgestellt werden soll, bei der Bemessung keine Bedeutung.

Zudem: Würde man dem AG folgen, hätte das zur Folge, das jeweils untersucht und festgestellt werden müsste, mit welchem Pkw ein Verstoß begangen worden ist. Ergebnis wäre, dass dann ggf. der Rotlichtverstoß mit einem Fiat Panda milder geahndet werden müsste als der mit einem der Mercedes E-Klasse begangene. Genau das will aber der BKat mit seinen Regelsätzen vermeiden.

Man darf gespannt sein, ob und wie sich das OLG Frankfurt am Main zu der Frage. Da gegen den Betroffenen auch ein Fahrverbot festgesetzt worden war, muss dieses die Rechtsbeschwerde gegen das amtsgerichtliche Urteil nicht zulassen. Ich befürchte aber, dass das OLG zu der Frage ggf. gar nichts sagen wird, da ja due geldbuße auch aus anderen Gründen erhöht worden ist. Man wird sich ggf. darauf zurückziehen, dass man sagt: Passt schon so. Ist vielleicht auch besser. Denn beim OLG Frankfurt weiß man ja nie.