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BGH III: Darlegungsmängel bei der Beweiswürdigung, oder: Wenn der wesentliche Inhalt der Einlassung fehlt

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Und als dritte Entscheidung stelle ich den BGH, Beschl. v. 05.12.2023 – 4 StR 421/23 – vor.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs „eines“ Kindes in 37 Fällen, verurteilt.  Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hatte Erfolg. Der BGH beanstandet die Beweiswürdigung des LG, die weise zum Tatgeschehen weist durchgreifende Darlegungsmängel auf:

„b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Sachverhalt wie folgt begründet: Der Angeklagte habe die Taten so wie festgestellt gestanden. Sein Geständnis sei glaubhaft. Es stehe im Einklang mit der Zeugenaussage der Nebenklägerin. Die Feststellungen zu den Folgen der Taten für die Nebenklägerin seien anhand ihrer eigenen glaubhaften Angaben getroffen worden.

c) Diese Beweiserwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2017 – 4 StR 397/16 Rn. 4; Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 Rn. 18; Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14 Rn. 9; jeweils mwN). Dabei verpflichten §§ 261 und 267 StPO den Tatrichter, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2020 – 2 StR 380/19 Rn. 4 mwN). Die wesentlichen Beweiserwägungen müssen daher – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – in den schriftlichen Urteilsgründen so dargelegt werden, dass die tatgerichtliche Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler hin zu überprüfen ist (BGH, Urteil vom 30. März 2023 – 4 StR 234/22 Rn. 12; Beschluss vom 22. November 2022 – 2 StR 262/22 Rn. 12; Beschluss vom 18. November 2020 – 2 StR 152/20).

Die sachlich-rechtliche Begründungspflicht umfasst die Verpflichtung, auch die geständige Einlassung des Angeklagten jedenfalls in ihrem wesentlichen Inhalt wiederzugeben (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2015 – 2 StR 322/15 Rn. 6). Denn ein Geständnis enthebt das Tatgericht nicht seiner Pflicht, es einer kritischen Prüfung auf Plausibilität und Tragfähigkeit hin zu unterziehen und zu den sonstigen Beweismitteln in Beziehung zu setzen. Erforderlich ist außerdem, dass das Tatgericht in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegt und begründet, weshalb es das Geständnis für glaubhaft erachtet. Hierbei hängt das Maß der gebotenen Darlegung von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212 Rn. 14). Es steht – wie der weitere Aufklärungsbedarf (§ 244 Abs. 2 StPO) – in einer umgekehrten Wechselbeziehung zu der inhaltlichen Qualität des Geständnisses (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2020 – 2 StR 552/19 Rn. 20; Beschluss vom 7. November 2018 – 1 StR 143/18 Rn. 7; Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 Rn. 9 ff.; MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 188 ff.; s. auch BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 2 BvR 2103/20 Rn. 49 ff.). Bei einem detaillierten Geständnis des Angeklagten können knappe Ausführungen genügen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2003 – 3 StR 368/02 Rn. 21; s. hingegen zum „Formalgeständnis“ etwa BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 – 3 StR 415/02 Rn. 3). Decken sich die Angaben des Angeklagten mit sonstigen Beweisergebnissen und stützt der Tatrichter seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses auch auf diese Beweisergebnisse, so ist er zu deren jedenfalls gedrängter Wiedergabe verpflichtet, da anderenfalls eine revisionsgerichtliche Überprüfung seiner Überzeugungsbildung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2015 – 2 StR 322/15 Rn. 6).

bb) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Strafkammer teilt schon den wesentlichen Inhalt der Einlassung des Angeklagten nicht mit, von dem die weiteren Anforderungen an die Überzeugungsbildung und deren Darlegung in den schriftlichen Urteilsgründen abhingen. Es bleibt unklar, ob er in eigenen Worten ein detailliertes Geständnis hinsichtlich der insgesamt 132 Taten, begangen im Zeitraum von 2011 bis 2019, abgelegt und Nachfragen beantwortet oder etwa pauschal – ggf. über eine von ihm bestätigte Verteidigererklärung – die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als zutreffend bezeichnet hat. Eine auch nur gedrängte Wiedergabe des Inhalts des Geständnisses ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die zusammenfassende Wertung, der Angeklagte habe die Taten „so wie festgestellt“ gestanden, genügt hierfür nicht. Denn sie lässt den inhaltlichen Gehalt der Einlassung selbst nicht erkennen. Auch eine (nachvollziehbare) Bewertung des Geständnisses für sich genommen enthalten die Urteilsgründe nicht.

An die weitere Überprüfung des Geständnisses sind zwar geringere Anforderungen zu stellen, wenn es mit Angaben des Tatopfers übereinstimmt und das Tatgericht diese Angaben nachvollziehbar für glaubhaft erachtet. Hieran fehlt es aber. Die Urteilsgründe teilen den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch nicht gedrängt mit. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussage wird zudem nur pauschal behauptet, vom Landgericht jedoch nicht mit beweiswürdigenden Erwägungen begründet. Dessen Überzeugungsbildung vermag der Senat daher nicht zu überprüfen.

Darüber hinaus lassen die Urteilsgründe nachvollziehbare Erwägungen vermissen, aus welchen Gründen sich die Strafkammer von den Zeitpunkten und der Anzahl der abgeurteilten Taten überzeugt hat. Die Tatzeiten sind dabei mit Blick auf das jeweilige Alter der Geschädigten für die Anwendbarkeit der von der Strafkammer herangezogenen Straftatbestände der § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 und § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF entscheidend. Von dem Alter der Nebenklägerin hängt auch der Schuldspruch im Fall 131 der Urteilsgründe ab, in dem das Landgericht neben einer Vergewaltigung tateinheitlich den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern bejaht hat. Zu näheren Beweiserwägungen hierzu musste sich das Landgericht mit Blick auf die Vielzahl und Komplexität der Tatvorwürfe und das naheliegend nur noch eingeschränkte Erinnerungsvermögen des geständigen Angeklagten an Einzelheiten des Tatgeschehens gedrängt sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2022 – 2 StR 53/22 Rn. 11; Beschluss vom 13. September 2016 – 5 StR 338/16 Rn. 9 mwN). Nach den Feststellungen beging er eine Vielzahl der abgeurteilten Taten serienhaft und vor langer Zeit. Zusätzlich überlagerten sich verschiedene sexuelle Handlungen (Berührungen, Oralverkehr) in zeitlicher Hinsicht. Ist – wie hier – eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten im Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingegrenzt hat und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Missbrauchstaten in diesem Zeitraum gründet (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2022 – 3 StR 74/21 Rn. 13; Beschluss vom 20. Juni 2001 – 3 StR 166/01 Rn. 7). Hieran fehlt es. Das Landgericht hätte näher darlegen müssen, aufgrund welcher Beweisumstände es von den festgestellten Tatzeiträumen und der in den Fällen 1-93 und 95-130 abgeurteilten Mindestanzahl von Taten überzeugt war. Zugleich hätte die Strafkammer auf diesem Hintergrund ihre Beweiserwägungen darstellen müssen, die die Einbettung der Einzelfälle 94, 131 und 132 in das Gesamtgeschehen und damit das hier jeweils festgestellte Alter der Nebenklägerin tragen.“

Ich verstehe es nicht. Wenn ich schon lese: „Die Strafkammer teilt schon den wesentlichen Inhalt der Einlassung des Angeklagten nicht mit, von dem die weiteren Anforderungen an die Überzeugungsbildung und deren Darlegung in den schriftlichen Urteilsgründen abhingen.“ Und das bei einer großen Strafkammer. Da sollte man doch davon ausgehen können, dass zumindest der Vorsitzende weiß, wie man eine vernünftige Beweiswürdigung macht. Offenbar ist das aber nicht der Fall. Zumindest hier nicht…..

Strafantrag I: Schriftform als Wirksamkeitserfordernis, oder: Online-Strafanzeige

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Und dann auf die 16. KW., allerdings womit 🙂 ?. Ich habe im Moment kein „Klima“, kein „beA“. Also gibt es StPO – das geht immer 🙂 -, und daraus zwei Entscheidungen zum Thema Strafantrag, und zwar einmal vom BGH und einmal vom KG.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 21.11.2023 – 4 StR 72/23 -, also schon etwas älter und inzwsichen auch schon veröffentlicht. Aber dennoch..

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die teilweise Erfolg hatte. Der BGH hat das Urteil in drei Fällen der Verurteilung aufgehoben und eingestellt:

„In den Fällen II.5, II.7 und II.8 der Urteilsgründe war das Urteil aufzuheben und das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen, weil der Verurteilung wegen Verleumdung in drei Fällen gemäß § 187 StGB ein Verfahrenshindernis entgegensteht. Es fehlt an dem nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB, § 158 Abs. 2 StPO erforderlichen schriftlichen Strafantrag der Verletzten.

1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 8. Juli 2021 erstattete die Zeugin G. online auf dem Portal des Polizeipräsidiums Anzeige und schilderte, dass ein ihr unbekannter Mann am Vortag an ihrer Arbeitsstelle, in der Personalabteilung und in einer anderen Filiale ihres Arbeitgebers angerufen und behauptet habe, die Zeugin habe seinen Sohn sexuell belästigt und missbraucht. Zur Vorgeschichte schildert die Zeugin in der Online-Anzeige, dass dieser Mann ihre Cousine zwei Monate zuvor auf Snapchat kontaktiert und sie aufgefordert habe, ihr Trikot hochzuheben. Nach dem Telefonat habe sie den Mann aufgefordert damit aufzuhören und mit dem Gang zur Polizei gedroht. In der Folge wurde die Zeugin am 27. August 2021 in dem daraufhin eingeleiteten Verfahren wegen versuchten sexuellen Missbrauchs zum Nachteil ihrer Cousine polizeilich vernommen. Dabei machte sie auch Angaben zu der Verleumdung an ihrer Arbeitsstelle, die Anlass für ihre Anzeige war. Das Vernehmungsprotokoll wurde von der Zeugin unterschrieben. In dem weiteren Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung zu ihrem Nachteil erschien die Zeugin dann nicht mehr zur Vernehmung.

2. Damit ist dem sich aus § 158 Abs. 2 StPO ergebenden Schriftformerfordernis für einen Strafantrag nicht genügt.

a) § 158 Abs. 2 StPO verlangt grundsätzlich die Unterschrift des Antragsstellers (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 – 4 StR 168/20 Rn. 6 mwN). Dazu kann auch ein unterschriebenes Vernehmungsprotokoll ausreichen, sofern dadurch der Verfolgungswille unmissverständlich und schriftlich zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1995 – 2 StR 462/94 Rn. 6). Für eine vergleichbare zweckorientierte Abschwächung des Formerfordernisses, wie sie für die Einreichung in Papierform anerkannt ist, lässt die für die Einreichung elektronischer Dokumente allein maßgebliche Vorschrift des § 32a StPO keinen Raum (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2022 – 5 StR 398/21, BGHSt 67, 69 Rn. 9).

b) Daran gemessen genügen weder die online auf dem Portal des Polizeipräsidiums erstattete Anzeige noch das unterschriebene Vernehmungsprotokoll den Formerfordernissen eines Strafantrags.

Die Anzeige, die die Geschädigte am 8. Juli 2021 online auf dem Portal des Polizeipräsidiums erstattet hat, enthält keine Unterschrift. Auch das unterschriebene Vernehmungsprotokoll genügt den Anforderungen nicht, denn ein unmissverständlicher Verfolgungswille hinsichtlich des Antragsdelikts der Verleumdung lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Soweit sich die Zeugin bei dieser Vernehmung zu den Verleumdungen äußert, beschreibt sie lediglich den Grund für ihre Anzeige; dass sie aber auch hinsichtlich dieser Delikte zu ihrem Nachteil eine Strafverfolgung erstrebt, ergibt sich daraus nicht.“

Die richtige Form des Strafantrages ist ja derzeit ggf. noch ein Verteidigungsansatz. Durch das „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“  sind aber Änderungen beim Schriftformerfordernis betreffend den Strafantrag geplant. Ich habe darüber berichtet. Das macht es demnächst ggf. schwieriger.

StGB III: „Hitlergruß“ gegenüber Wachtmeister des AG, oder: Schutzzweck des § 86a StGB verletzt?

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Und dann habe ich hier noch einmal den OLG Celle, Beschl. v. 22.11.2023 -1 ORs 7/23 -, über den ich bereits einmal berichtet habe, und zwar hier: StGB II: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, oder: „öffentlich“ oder „nicht öffentlich“?

Ich komme heute auf die Entscheidung zurück, und zwar wegen eines zweiten Tatvorwurfs, der dem Angeklagten gemacht worden ist. Dem liegt/lag folgendes Tatgeschehen zugrunde:

„Am 14. Dezember 2021 begab sich der Angeklagte zu einer familiengerichtlichen Anhörung betreffend seinen Sohn zum Amtsgericht Cuxhaven. Aufgrund der dort geltenden 3-G-Regelung – welche er nicht erfüllte – wurde ihm jedoch der Zugang verwehrt. Auf den Vorschlag des Wachtmeisters S., noch einen Test zu absolvieren, ging er nicht ein, sondern echauffierte sich und rief u.a. „Schweine! Kackdemokratie!“ Dann machte er in Richtung der Sicherheitsscheibe und der dort anwesenden Wachtmeister den Hitlergruß und rief laut „Heil Hitler!“, bevor er das Gebäude verließ.“

Das AG hat den Angeklagten deswegen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt (§ 86a StGB). Das OLG hat auch insowiet aufgehoben:

2. Auch im Hinblick auf das Tatgeschehen am 14. Dezember 2021 lassen die dazu getroffenen Feststellungen eine Subsumtion unter die Strafvorschrift des § 86a Abs. 1 StGB nicht zu.

a) Zunächst hätte sich das Landgericht vorliegend mit dem Kontext, in dem der Angeklagte die festgestellten Handlungen vollzogen hat, auseinandersetzen müssen. Denn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Kennzeichenverwendung, die dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, aus dem Tatbestand ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15, NJW 2015, 3590, 3592 mwN); dies ist etwa der Fall, wenn sie als Protest gegen überzogene polizeiliche Maßnahmen und deren Charakterisierung als nazistische Methoden aufzufassen und damit als Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu verstehen ist (BGH, Urt. v. 18. Oktober 1972 – 3 StR 1/71, NJW 1971, 106, 107; ähnlich OLG Oldenburg, Beschl. v. 28. November 1985 – Ss 575/85, NStZ 1986, 166; OLG Koblenz, Beschl. v. 28. Januar 2008 – 1 Ss 331/07, juris Rn. 11). Dies muss der Täter jedoch in offenkundiger und eindeutiger Weise zum Ausdruck bringen (BGH, Urt. v. 15. März 2007 – 3 StR 486/06, NJW 2007, 1602 f.; vgl. auch BeckOK/Ellbogen, StGB, 58. Ed., § 86a Rn. 35), was nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen ist (MK/Anstötz, StGB, 4. Aufl., § 86a Rn. 20).

Unter dem danach maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt, ob die Kennzeichenverwendung durch den Angeklagten dem Schutzzweck des § 86a StGB ersichtlich nicht zuwiderläuft, hat die Strafkammer die einzelnen Umstände der Tat nicht untersucht. Dabei lag es nach dem Kontext, in dem der Angeklagte sich wie festgestellt verhielt – er konnte aufgrund der bestehenden 3-G-Regel nicht an einem ihn betreffenden familiengerichtlichen Termin teilnehmen – sowie seiner allgemeinen politischen Einstellung – er war Kritiker der Coronamaßnahmen und nahm an entsprechenden Kundgebungen teil („Sonntagsspaziergang“) – durchaus nahe, dass er dadurch seinen Protest gegen die Wachtmeister des Amtsgerichts bzw. die Verantwortlichen für die geltenden Coronaregeln zum Ausdruck bringen und diese als nazistische Methoden brandmarken wollte.

Ob dies ggf. auch für objektive Beobachter eindeutig erkennbar war, kann nur aus den näheren Begleitumständen gefolgert werden. Feststellungen hierzu und zu einer für die Bewertung ebenfalls bedeutsamen möglichen Reaktion von Beobachtern fehlen aber bislang.

b) Auch zur Frage der „öffentlichen“ Kennzeichenverwendung fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Die öffentliche Verwendung setzt voraus, dass das Kennzeichen für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis von jedenfalls drei Personen wahrgenommen werden kann; auf die tatsächliche Wahrnehmung kommt es dabei nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 19. August 2014 – 3 StR 88/14, NStZ 2015, 81, 83 mwN; Senat, Urt. v. 10. Mai 1994 – 1 Ss 71/94, NStZ 1994, 440). Keine Öffentlichkeit soll danach etwa beim Gebrauch gegenüber einem einzelnen oder wenigen Polizeibeamten bestehen; mitunter wird sogar ein nicht überschaubarer Personenkreis für erforderlich gehalten (vgl. BGH Beschl. v. 10. August 2010 – 3 StR 286/10, BeckRS 2010, 21238).

Daran gemessen genügen die Feststellungen in dem angegriffenen Urteil nicht, um von einer Öffentlichkeit im oben genannten Sinn ausgehen zu können. Den Feststellungen lässt sich lediglich entnehmen, dass sich die fragliche Szene im Eingangsbereich des Amtsgerichts Cuxhaven abgespielt hat und dass mehr als ein Wachtmeister anwesend war. Um wie viele es sich dabei genau handelte und ob ggf. noch weitere Personen anwesend waren, wird nicht mitgeteilt.“

OWi III: „Richtige“ Begründung des Zulassungsantrags, oder: Verweigerte Akteneinsicht und Befundprüfung

Und dann zum Tagesschluss noch etwas aus dem Rechtsbeschwerdeverfahren. Das OLG Köln nimmt nämlich Stellung – oder auch nicht – zu den Anforderungen an eine Rüge, mit der eine unterbliebene Befundprüfung geltend gemacht werden soll.

Gegen den Betroffenen ist durch das AG wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 150,00 EUR verhängt worden. Dagegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit welchem der Betroffene eine Versagung des rechtlichen Gehörs rügt.

Das OLG Köln hat im OLG Köln, Beschl. v. 06.02.2024 – 1 ORBs 399/23 – den Zulassungsantrag  als unzulässig zu verworfen, weil er insgesamt den Anforderungen an seine Begründung nicht genügt hat:

1. Eine Rüge der Verletzung des materiellen Rechts (Sachrüge) ist nicht erhoben worden.

Diese setzt voraus, dass die Rechtsbeschwerde zweifelsfrei erkennbar auf die Verletzung sachlichen Rechts bei der Anwendung auf den festgestellten Sachverhalt gestützt wird (BGH NStZ 1991, 597; OLG Hamm DAR 2000, 83 = VRS 98, 146 [147]; OLG Hamm DAR 1999, 276 = VRS 97, 49; SenE v. 27.09.2000 – Ss 403/00 Z -; SenE v. 10.07.2001 – Ss 276/01 Z – m. w. Nachw; SenE v. 14.01.2013 – III-1 RBs 26/13.). Das ist vorliegend nicht geschehen. Die Ausführungen in der Begründungsschrift befassen sich vielmehr allein mit verfahrensrechtlichen Vorgängen.

2. Soweit mit der Rechtsbeschwerde moniert wird, dem Betroffenen sei „die Einsicht in die Rohmessdaten“ verweigert worden, ist – wie sich insbesondere aus der auch von dem Betroffenen angezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (jüngst BVerfG NJW 2023, 2932) ergibt – nicht das Verfassungsgebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern vielmehr der aus Artt. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG abgeleitete Grundsatz des fairen Verfahrens inmitten. § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG ist aber einer Erweiterung auf andere Verfassungsverstöße (namentlich den Grundsatz des fairen Verfahrens) nicht zugänglich (SenE v. 09.11.2021 – III-1 RBs 297/21; SenE v. 26.11.2021 – III-1 RBs 313/21; SenE v. 16.02.2022 – III-1 RBs 48/22; SenE v. 27.12.2022 – III-1 RBs 409/22; SenE v. 27.07.2023 – III-1 ORbs 249/23; KK-OWiG-Hadamitzky, 5. Auflage 2018, § 80 Rz. 40; Sandherr NZV 2023, 433). Diese Rüge ist im Zulassungsverfahren unstatthaft.

3. Soweit die Rechtsbeschwerde darüber hinaus rügt, der Antrag des Betroffenen auf Durchführung einer Befundprüfung sei durch das Gericht übergangen worden und auch im Urteil finde sich keine Begründung, warum ihm auch dieser Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Messergebnisses verweigert worden sei, ist hiermit eine Gehörsverletzung jedenfalls nicht schlüssig dargetan:

Gemäß § 39 Abs. 1 MessEG kann derjenige, der ein berechtigtes Interesse an der Messrichtigkeit hat, bei der Behörde nach § 40 Abs. 1 MessEG beantragen festzustellen, ob ein Messgerät die wesentlichen Anforderungen der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit nach § 6 Abs. 2 MessEG erfüllt (vgl. hierzu Märtens/Wynands NZV 2019, 338 [340]). Ein berechtigtes Interesse an der Messrichtigkeit in diesem Sinne hat regelmäßig derjenige, den die Messung betrifft, hier also der Betroffene des behördlichen und gerichtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahrens. (vgl. Hollinger/Schade-Schade, MessEG/MessEV, § 39 Rz. 2). Der Antrag ist an die Behörde zu richten, die nach § 40 MessEG für die Eichung selbst zuständig wäre.

Die Befundprüfung, bei der gem. § 39 Abs. 2 MessEV die Verwendungssituation des Messgeräts zu berücksichtigen ist, vermag Klarheit darüber zu verschaffen, ob das jeweilige Messgerät den Anforderungen der Eichung und der Konformitätsprüfung genügt. Wenngleich der konkrete in Rede stehende Messvorgang damit nicht nachvollzogen werden kann, rechtfertigt ein Ergebnis, welches – ausgehend von der erfolgten Eichung und ggf. unter Berücksichtigung zwischenzeitlicher in einer sog. „Lebensakte“ dokumentierter Eingriffe – keine Beanstandungen zu Tage fördert, den Schluss, dass bei dem Messgerät auch in der Vergangenheit keine Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind (vgl. SenE v. 27.09.2019 – III-1 RBs 339/19 = DAR 2019, 695 = BeckRS 2019, 23786; a. A. aber VerfGH Saarland NJW 2019, 2456 [2459 Tz. 63]). Bei Zweifeln an der Messrichtigkeit ist die Befundprüfung daher der Weg der Wahl.

Welche Anforderungen an eine Rüge zu stellen sind, mit der eine unterbliebene Befundprüfung geltend gemacht werden soll, ist – soweit ersichtlich – bislang in Rechtsprechung und Literatur nicht thematisiert worden. Ohne dies für den Streitfall entscheiden zu müssen neigt der Senat der Auffassung zu, dass insoweit (unter Berücksichtigung des Umstands, dass Beteiligte der Befundprüfung Betroffener und Eichbehörde sind) ähnliche Voraussetzungen Geltung beanspruchen, wie sie für die Beiziehung nicht bei der Akte befindlicher, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandener Unterlagen entwickelt worden sind: Danach dürfte der Betroffene gehalten sein, die Befundprüfung bereits in einem Stadium anzustoßen, in dem das Verfahren noch bei der Verwaltungsbehörde geführt wird (s. – allerdings im Kontext mit der Verfahrensfairness – zu den nicht bei der Akte befindlichen Unterlagen BVerfG NJW 2021, 455 Tz. 60 aE; BGH NStZ 2023, 619). Darüber hinaus dürfte es aber jedenfalls geboten sein, dass der Betroffene sein Begehren in der Hauptverhandlung weiterverfolgt und ggf. deren Aussetzung zur Durchführung der Befundprüfung durch ihn beantragt (BGH a.a.O., allgemein LR-StPO-Becker, 27. Auflage 2019, § 288 Rz. 11).

Diese Fragen bedürfen hier aber deswegen keiner Vertiefung, weil – wie dargelegt – das Gericht weder Antragsteller der Befundprüfung, noch (tauglicher) Adressat eines solchen Antrags ist und der Betroffene zur Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen einer Befundprüfung nichts vorträgt.

Da sonach weder eine Sachrüge noch eine statthafte bzw. zulässige Verfahrensrüge erhoben worden sind, war der Zulassungsantrag als unzulässig zu verwerfen.“

Und der OWi-Tag ist dann Anlass für <<Werbemodus an>> Werbung/einen Hinweis auf das jetzt bald in der 7. Aufl. erscheinende „Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren„. Das gibt es jetzt im Mai/Juni neu. Und zugleich gibt es dann auch das sog. „Verkehrsrechtspaket“ neu. Besteht dann aus der 6. Auflage von „Messungen im Straßenverkehr“ und dem OWi-HB in der Neuauflage. Und wie immer: Man kann vorbestellen, und zwar hier auf der Bestellseite meiner Homepage.<<Werbemodus aus >>,

StGB I: BayObLG reichen die Urteilgründe nicht, oder: Verkehrsgefährdung, Unfallflucht, Trunkenheitsfahrt

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Und dann heute StGB-Entscheidungen, und zwar aus der Instanz. Es kommen zwei OLG-Entscheidungen und ein AG-Urteil.

Ich starte mit dem BayObLG, Beschl. v. 27.11.2023 – 203 StRR 381/23. Der nimmt noch einmal zur Straßenverkehrsgefährdung, dem unerlaubten Entfernen und der Trunkenheitsfahrt Stellung. Das BayObLG rügt zu knappe Feststellungen des AG.

Ich beschränke mich hier auf die Leitsätze zu der Entscheidung, da die Entscheidung letztlich nur die vorliegende Rechtsprechung bestätigt, und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

    1. Eine Verurteilung wegen einer Straßenverkehrsgefährdung – auch in der Fahrlässigkeits-Fahrlässigkeitskombination des § 315c Abs. 3 Nr. 2; Abs. 1 Nr. 1a StGB – setzt im Falle einer Gefährdung von Sachwerten Feststellungen dazu voraus, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt und, falls ja, ob der gefährdeten Sache auch ein bedeutender Schaden gedroht hat.
    2. Der Vorsatz des Täters nach § 142 StGB muss sich darauf beziehen, dass ein Unfall stattgefunden hat und dass der Schaden nicht ganz unerheblich war.
    3. Setzt der alkoholisierte Täter nach einem Streifvorgang seine Fahrt ohne Unterbrechung fort, bedarf eine Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr tatsachenfundierter Feststellungen zum Bemerken des Streifvorgangs und zum Vorstellungsbild bezüglich des Umfangs des Schadens und der Fahrtüchtigkeit.

Wegen der Ausführungen des BayObLG zur Verfahrensrüge komme ich dann demnächst noch einmal auf die Entscheidung zurück.