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Aktive Nutzungspflicht gilt auch für „die Bayern“, oder: Sofortige Beschwerde als elektronisches Dokument

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Und dann als zweite Entscheidung der OLG Bamberg, Beschl. v. 14.11.2022 – 2 WF 148/22 – zur Frage der aktiven Nutzungspflicht gem. § 130d StPO für die Staatskasse.

Mit Beschluss vom 17.05.2022 hat das AG Aschaffenburg der Antragsgegnerin für ihr Ehescheidungsverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung einer Zahlungsverpflichtung bewilligt und ihr die Rechtsanwaltskanzlei pp. als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet. Der Beschluss ist am 18.05.2022 auf die Geschäftsstelle gelangt.

Hiergegen hat die Bezirksrevisorin bei dem LG Aschaffenburg mit Schriftsatz vom 30.05.2022 Beschwerde nach § 127 Abs. 3 ZPO eingelegt mit dem Ziel, einen Einmalbetrag in Höhe der auf die Partei entfallenden Verfahrenskosten anzuordnen, welchen die Antragsgegnerin aus der Verwertung ihres hälftigen Miteigentumsanteils am früheren Wohnhaus der Familie, dem Anwesen pp.-Straße in K., aufbringen solle. Die Beschwerdeschrift ist in Papierform zur Akte gelangt, indem die Bezirksrevisorin nach Einsichtnahme in das Verfahrenskostenhilfeheft dieses samt Beschwerdeschrift vom 30.05.2022 an das Amtsgericht zurückgeleitet hat.

Das AG hat nach Anhörung der Antragsgegnerin durch Beschluss vom 12.08.2022 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem OLG zur Entscheidung vorgelegt, wo es am 24.08.2022 eingegangen ist. Das OLG hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen und keine Wiedereinsetzung gewährt:

„Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist als unzulässig zu verwerfen, da innerhalb der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde keine formgerechte Beschwerde eingegangen ist, §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 127 Abs. 3, 569 Abs. 2, 130d S. 1 ZPO. Der Staatskasse kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist eingeräumt werden, da die gesonderte Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde durch die Staatskasse aus § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO von drei Monaten ab Übermittlung des angegriffenen Beschlusses an die Geschäftsstelle am 18.08.2022 abgelaufen ist und eine Wiedereinsetzung insoweit ausscheidet.

1. Auf die Frage, ob die Bezirksrevisorin als Behörde i.S.d. § 130d ZPO anzusehen ist, kommt es ebenso wenig an, wie auf ihre An- oder Eingliederung in die Justiz und ihre Dienststellung. Denn Beschwerdeführer ist der Freistaat Bayern, der von der Bezirksrevisorin vertreten wird. Maßgeblich ist daher auf den Freistaat Bayern abzustellen und nicht auf die Bezirksrevisorin.

Der Freistaat Bayern ist gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 3 ZPO als „Staatskasse“ beschwerdeberechtigt, wenn Verfahrenskostenhilfe bewilligt wird, ohne dass Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Dabei wird er nach § 5 Abs. 1 Nummer 7 lit. e der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern vom 26.10.2021 (Vertretungsverordnung – VertV) und Abschnitt A. 3. der Gemeinsamen Bekanntmachung zum Vollzug der Vertretungsverordnung (VollzBekVertV) durch den Bezirksrevisor vertreten. Der Bezirksrevisor ist insoweit innerorganisatorisch dem Freistaat Bayern zugeordnet und tritt als für diesen Handelnder auf.

Für den Freistaat Bayern als juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt § 130d ZPO. Danach unterliegen u.a. juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden seit 01.01.2022 für schriftlich einzureichende Erklärungen der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs. Der dort geregelte aktive Nutzungszwang gilt also auch für schriftliche Verfahrenshandlungen der „Staatskasse“ wie die vorliegende sofortige Beschwerde.

Die Bezirksrevisorin als deren Vertreterin (Vertreterin des Freistaates Bayern) hätte die sofortige Beschwerde deshalb als elektronisches Dokument übermitteln müssen (vgl.- insofern zu § 4 JVEG – Landgericht Lübeck, Beschluss vom 28.09.2022, 7 T 341/22 – juris und die Entscheidung des Senats vom 04.11.2022, 2 WF 167/22). Verfahrenshandlungen, die unter Verstoß gegen den aktiven Nutzungszwang nicht als elektronisches Dokument eingereicht werden, sind unwirksam und führen bei einer Rechtsmittelschrift zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels.

2. Der Staatskasse kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdeeinlegungsfrist gewährt werden. Es kann dahinstehen, ob sich die Unkenntnis über die zwingende Einreichung einer sofortigen Beschwerde nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 3 S. 3, 569 Abs. 2, 130d ZPO ab dem 01.01.2022 mangels bislang ergangener obergerichtlicher Rechtsprechung hierzu als unverschuldet darstellt. Denn mittlerweile ist die Ausschlussfrist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde nach § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO von drei Monaten ab Übermittlung des angegriffenen Beschlusses an die Geschäftsstelle abgelaufen. Der Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 17.05.2022, mit welchem der Antragsgegnerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist, ist nicht verkündet worden, sondern am 18.05.2022 auf die Geschäftsstelle gelangt. Die Ausschlussfrist des § 127 Abs. 3 S. 5 ZPO ist damit am 18.08.2022 abgelaufen. Erst am 24.08.2022 ist das Verfahren beim Oberlandesgericht eingegangen, so dass eine formgerechte Rechtsmitteleinlegung im Beschwerdeverfahren nicht mehr nachgeholt werden konnte.

In die abgelaufene Ausschlussfrist des § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO kann hingegen keine Wiedereinsetzung gewährt werden. Zum einen steht der Zweck der Ausschlussfrist, die Bestandsschutz in die getroffene gerichtliche Bewilligungsentscheidung schaffen soll (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, 16.09.2016, OVG 5 M 36.15, Juris), einer Wiedereinsetzung entgegen. Zudem ist eine Wiedereinsetzung auf die ausdrücklich in § 233 ZPO bezeichneten Fristen beschränkt und die Frist aus § 127 Abs. 3 S. 4 und 5 ZPO ist dort nicht aufgenommen worden.

Die sofortige Beschwerde der Staatskasse ist damit als unzulässig zu verwerfen. Ausführungen zur Frage der Begründetheit des Rechtsmittels sind daher nicht veranlasst.“

Fotografieren von Falschparkern durch Privatpersonen, oder: Verstoß gegen DSGVO?

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Und dann zum Wochenausklang zwei verwaltungsgerichtliche Entscheidungen.

Ich beginne mit dem VG Ansbach, Urt. v. 02.11.2022 – AN 14 K 22.00468, das zu der Frage Stellung nimmt, ob das Fotografieren von Falschparkern und die Übermittlung der Fotos an die Ordnungsbehörden durch Privatpersonen datenschutzwidrig ist. Es geht um einen „Sheriff“, der bei seinen Touren mit dem Fahrrad mehrfach Fahrzeuge fotografiert hat, an denen er vorbeifuhr und die verbotswidrig geparkt waren. Die Lichtbilder leitete er anschließend verbunden mit Ordnungswidrigkeitenanzeigen per E-Mail an die zuständige Polizeidienststelle weiter. Die schaltet das Kriminalfachdezernat mit der Bitte um Prüfung eines Verstoßes gegen die DSGVO ein. Gegen den Kläger wird dann zwar kein Bußgeldverfahrens eingeleitet, er wird aber wegen eines Verstoßes gegen die DSGVO verwarnt.

Dagegen dann die Klage, die beim VG Ansbach Erfolg hatte. Das sagt: Die Verwarnung ist rechtswidrig. Der Kläger hatte ein berechtigtes Interesse. Aus der umfangreichen Begründung:

„… Die Abwägung der berechtigten Interessen des Klägers und der entgegenstehenden Interessen der Fahrzeughalter als betroffene Personen führt nicht zu einem Überwiegen der Interessen der Fahrzeughalter. Vielmehr wiegen die Interessen des Klägers schwerer, wohingegen die Interessen der betroffenen Personen von vergleichsweise geringem Gewicht sind.

In Bezug auf das Recht der betroffenen Personen auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten nach Art. 8 Abs. 1 GRCh bzw. Art. 16 Abs. 1 AEUV hat der Verordnungsgeber durch die Schaffung der verschiedenen Rechtsgrundlagen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b bis f DS-GVO die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten als Einschränkung dieses Rechts normiert. Daher ist ein Eingriff in dieses Recht gerechtfertigt, wenn eine der Bedingungen des Art. 6 Abs. 1 DS-GVO gegeben ist.

Im Sinne des Erwägungsgrundes 47 Satz 4 der DS-GVO können die Interessen und Grundrechte der betroffenen Person das Interesse des Verantwortlichen überwiegen, wenn personenbezogene Daten in Situationen verarbeitet werden, in denen eine Person vernünftigerweise nicht mit einer weiteren Verarbeitung rechnen muss. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall, da die betroffenen Personen damit rechnen müssen und können, dass ihre Daten zum Zwecke der Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit verarbeitet werden.

Es besteht gerade kein Anspruch auf Anonymität im Straßenverkehr, vielmehr muss das Kennzeichen eines Fahrzeugs stets gut lesbar (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 3 StVO) und mithin öffentlich zugänglich sein (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 7/13 – juris Rn. 24). Ein Fahrzeughalter muss damit rechnen, dass ein mit seinem Fahrzeug begangener Parkverstoß dokumentiert und zur Anzeige gebracht wird. Dass eine solche Anzeige nicht nur durch die Verfolgungsbehörden, sondern auch durch Privatpersonen erfolgen kann, ergibt sich aus § 46 OWiG i.V.m. § 158 Abs. 1 StPO. Sofern die Dokumentation des verbotswidrig parkenden Fahrzeugs nicht zu einer Verarbeitung zusätzlicher personenbezogener Daten von Unbeteiligten führt, ist ein Unterschied zwischen einer schriftlichen Anzeige und der Übermittlung der personenbezogenen Daten des Fahrzeughalters durch die Übersendung eines Lichtbildes nicht erkennbar.

Außerdem ist vorliegend der Eingriff in das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten durch die Übermittlung der Lichtbilder, auf denen das Kfz-Kennzeichen und die Situation des Parkverstoßes zu erkennen sind, als denkbar geringfügig anzusehen. Kfz-Kennzeichen haben nur einen geringen Informationsgehalt, gerade da es einer datenverarbeitenden Privatperson, wie dem Kläger, erst nach einer Abfrage des Fahrzeugregisters möglich wäre, die Identität des Fahrzeughalters zu bestimmen (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2014 – 6 C 7/13 – juris Rn. 23, 25).

Zuletzt muss das Interesse der betroffenen Personen daran, nicht aufgrund der Begehung einer Ordnungswidrigkeit belangt zu werden, ebenfalls zurückstehen, da dem ein rechtswidriges Verhalten zugrunde liegt und es sich somit um ein nicht schutzwürdiges Interesse handelt.

Insgesamt sind die der Datenverarbeitung entgegenstehenden Interessen der Fahrzeughalter daher als von geringem Gewicht einzustufen. Demgegenüber ist den berechtigten Interessen des Klägers an der Verarbeitung der personenbezogenen Daten ein höheres Gewicht beizumessen.

Dem Interesse des Klägers daran, anhand der Verarbeitung personenbezogener Daten eine Ordnungswidrigkeit anzuzeigen, wird schon deshalb einiges Gewicht zuzusprechen sein, weil sich dieses berechtigte Interesse explizit in einem Erwägungsgrund der DS-GVO (Erwägungsgrund 50 Satz 9 der DS-GVO) wiederfindet. Daneben kommt auch dem oben beschriebenen Interesse des Klägers an körperlicher Unversehrtheit und Sicherheit einiges Gewicht zu, da es sich einerseits um hochrangige Rechtsgüter handelt, andererseits aber bei den hier angezeigten Parkverstößen keine konkrete Gefährdung des Klägers gegeben war.

Die Abwägung der beiderseitigen Interessen ergibt daher, dass die Interessen des Klägers als Verantwortlichem an der Datenverarbeitung in dem hier streitgegenständlichen Fall diejenigen der betroffenen Personen überwiegen, sodass die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f DS-GVO vorliegend gegeben waren.

Demnach war die Verarbeitung der personenbezogenen Daten durch den Kläger rechtmäßig im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f DS-GVO.

Ob es im vorliegenden Fall pflichtgemäßer Ermessensausübung entsprochen hat, den Kläger wegen einer einstelligen Anzahl an Anzeigen – bei denen er im Übrigen u.a. durch Schwärzungen auch sorgfältig darauf geachtet hat, keine Daten unbeteiligter Dritter zu verarbeiten, – nicht im Sinne eines „Abschlusses ohne Maßnahme“ formlos auf die vermeintliche Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung hinzuweisen, sondern unter Annahme einer „systematischen, individuell gezielten Verkehrsüberwachung“ eine Abhilfemaßnahme nach Art. 58 Abs. 2 DS-GVO in Form der streitgegenständlichen Verwarnung zu ergreifen, kann somit dahingestellt bleiben.“

Corona II: Corona-Sonderzahlung an Referendare, oder: Pfändbarkeit der Corona-Sonderzahlungan Beamte

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Im zweiten Beitrag des Tages habe ich dann noch zwei Entscheidungen zusammengestellt, die unter dem Stichwort „Corona“ in meinen Blogordner gehangen haben. Es geht dabei ums Geld“.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Eine Corona-Sonderzahlung, die einem Referendar, der eine Nebentätigkeit bei einem Rechtsanwalt ausübt, als steuerfreie Unterstützung zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise gezahlt wird und die die Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 9.4.2020 erfüllt, ist eine Vergütung für eine Nebentätigkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 der hamburgischen UnterhaltsbeihilfeVO. Die Vorschrift ist weit auszulegen und umfasst alle Leistungen, die vom Nebentätigkeits-Arbeitgeber an den Referendar in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer geleistet werden.

Auch die Corona-Sonderzahlung an Beamte und Richter nach § 59a Abs. 1 S. 1 Besoldungsgesetz Schleswig-Holstein in der Fassung des Gesetzes über eine einmalige Sonderzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie ist nicht nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar.

Corona I: Wirksame (Ersatz)Zustellung in Corona-Zeiten, oder: Versuch der Übergabe gemacht?

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Und heute dann – seit längerem mal wieder – ein paar Entscheidungen, in denen Corona eine Rolle spielt. Zunächst hier eine Zwischenurteil des BFH, und zwar das BFH, Urt. v. 19.10.2022 – X R 14/21. Es geht in der Entscheidung um die Wirksamkeit einer Zustellung und damit um die Rechtzeitigkeit einer Revision.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt = Tatbestand zugrunde:

„Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts wurde am 19.06.2021, einem Samstag, im Wege der förmlichen Zustellung mittels Zustellungsurkunde in den Briefkasten der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger und Revisionskläger (Kläger), einer Steuerberatungs-GmbH, eingelegt. Auf dem Briefumschlag ist als Zustellungsdatum der 19.06.2021 vermerkt. Der Zusteller hat die Zustellungsurkunde wie folgt ausgefüllt:

„Das mit umseitiger Anschrift und Aktenzeichen versehene Schriftstück (verschlossener Umschlag) habe ich in meiner Eigenschaft als

2 [X]

– Postbediensteter


9 [X]

– zu übergeben versucht. (10.1 bis 12.3)
Weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war, habe ich das Schriftstück in den

10.1 [  ]

– zur Wohnung

10.2 [X]

– zum Geschäftsraum
gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt.


13

Den Tag der Zustellung – ggf. mit Uhrzeit – habe ich auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt.
13.1 Datum: 190621
13.3 Unterschrift des Zustellers: …
13.4 Postunternehmen/Behörde: Deutsche Post
13.5 Name, Vorname des Zustellers (in Druckbuchstaben): …“

Die Revision der Kläger ging am 20.07.2021 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Auf einen Hinweis der Senatsgeschäftsstelle, dass die für die Einlegung der Revision geltende Monatsfrist versäumt sei, wandten die Kläger ein, die Zustellungsurkunde sei unrichtig. Während der Covid-19-Pandemie hätten die jeweiligen Postzusteller bei keiner einzigen förmlichen Zustellung eine persönliche Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten versucht. Dies sei auch am 19.06.2021 nicht der Fall gewesen. Gleichwohl sei in den Zustellungsurkunden stets ??objektiv unzutreffend?? angekreuzt worden, eine Übergabe des Schriftstücks in den Geschäftsräumen sei nicht möglich gewesen. Damit sei die Zustellung unter Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften erfolgt; eine Heilung nach § 189 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei erst mit der am Montag, 21.06.2021 vorgenommenen Leerung des Kanzleibriefkastens eingetreten.

Die Kläger haben weiter vorgetragen, der Zusteller habe in Gesprächen mit der für den Posteingang zuständigen Mitarbeiterin und dem Geschäftsführer ihrer Prozessbevollmächtigten am 03. und 04.08.2021 erklärt, er sei aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zur Pandemiebekämpfung gehalten, keine persönlichen Zustellungen vorzunehmen. Im Übrigen müsse er dies auch nicht, weil er die Sendungen jederzeit in den Briefkasten einlegen könne.

Die Kanzleiräume befänden sich im dritten Obergeschoss eines Geschäftshauses, der Kanzleibriefkasten liege im Erdgeschoss hinter der verschlossenen Hauseingangstür. Klingeln für die Kanzleiräume seien sowohl außen am Hauseingang als auch im dritten Obergeschoss vor der Eingangstür zu den Kanzleiräumen angebracht. Der Postzusteller habe einen eigenen Schlüssel für die Hauseingangstür und damit jederzeit Zutritt zum Gebäude.

Die Senatsvorsitzende hat die Deutsche Post AG ??Großannahmestelle Brief Stadt X?? um Auskunft zu der Frage gebeten, ob es in deren Bereich die generelle Anweisung gebe, während der Covid-19-Pandemie vom Versuch einer persönlichen Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks abzusehen und statt dessen sogleich eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten vorzunehmen. Die Deutsche Post AG ??Kundenservice?? hat diese Frage mit Schreiben vom 04.05.2022 verneint und darüber hinaus ??ohne hierzu befragt worden zu sein?? ausgeführt, dass für den betroffenen Zustellungsauftrag am 19.06.2021 ein Zustellversuch unternommen worden sei. Der Geschäftsraum sei geschlossen gewesen, so dass eine Übergabe nicht möglich gewesen sei und der Auftrag in den Briefkasten des Adressaten eingelegt worden sei. Postzustellungsaufträge würden immer nach den Vorgaben der ZPO zugestellt.“

Der BFH hat die Revision als zulässig angesehen. Hier die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten (§ 180 ZPO) setzt voraus, dass zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO) unternommen wurde.

2. Allein aus den allgemeinen während der Covid-19-Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen kann nicht abgeleitet werden, dass in dieser Zeit eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten ohne vorherigen Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen als wirksam anzusehen wäre.

Kann m.E. auch in anderen Verfahren(sarten) von Bedeutung sein/werden.

Am Ende des „alten“ Jahres 2022 schauen wir zurück, oder: Die Top-Twentyfive-Themen des Jahres 2022

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Am letzten Tag des altes Jahres dann von Borkum aus ein frisches Moin, verbunden mit allen guten Wünschen für den bevorsteheden Jahreswechsel. Die Berichterstattung des alten Jahres schließe ich mit einem Rückblick auf meine Top Beiträge 2022. Dieses Jahr also an Silvester und nicht erst zu Neujahr.

Das ist für mich auch eine Art, das ablaufende Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Was war wichtig, was ist angekommen? Ich bin beim Zusammenstellen der Beiträge immer erstaunt, über was ich im abgelaufenen Jahr alles berichtet habe und darüber, dass einige Themen sich dann doch Jahr für Jahr wiederholen. So auch für 2022:

Und dann geht es los. Hier sind also die Top Beiträge des Jahres 2022. Ich habe es in diesem Jahr mal wieder anders gemacht: Ich habe die 25 Beiträge mit den meisten Klicks zusammengestellt, also:

  1. Sondermeldung zur Verwertbarkeit von EncroChat, oder: Endlich Vorlage an den EuGH durch das LG Berlin
  2. Einspruchseinlegung im OWi-Verfahren nur durch beA?, oder: Nein, sagt das AG Hameln.
  3. StPO I: „Negativer BGH-Räusperer“ zu EncroChat, oder: „im Ergebnis….gewonnene Erkenntnisse…verwertbar“
  4. Strafzumessung III: Tagessatz bei Beziehern von ALG II, oder: Einkommen noch unter Hartz-IV
  5. StGB II: Das Mitsichführen eines Teleskopschlagstocks, oder: Stahlruten, Totschläger und Schlagringe
  6. AE I: Was darf der Verteidiger dem Mandanten aus der Akte mitteilen?, oder: Alles, daher Abfuhr vom OLG
  7. Fahrerlaubnisentziehung wegen Konsums harter Drogen, oder: „Aufnahme durch Natursekt“ unglaubhaft
  8. Verkehrsrecht I: Sachschaden bei der Unfallflucht, oder: „Klatsche“ für StA, AG und LG vom VerfGH
  9. beA I: Entbindungsantrag wird per beA gestellt, oder: Wann ist der Antrag (noch) rechtzeitig eingegangen?
  10. Aktive Nutzungspflicht des beA in laufenden Verfahren, oder: Fax zur Fristwahrung reicht nicht mehr
  11. beA II: Verstoß gegen die „aktive Nutzungspflicht“, oder: Kranker Rechtsanwalt als „technische Störung“?
  12. Nr. 4142 VV RVG I: Verfahrensgebühr bei Einziehung. oder: Die Beratung des Mandanten reicht, aber…
  13. Fahrerlaubnis I: Trunkenheitsfahrt mit dem E-Scooter, oder: Entziehung der Fahrerlaubnis?
  14. Durchsuchung I: Durchsuchung im „KiPO-Verfahren“, oder: Kein Anfangsverdacht, nicht verhältnismäßig
  15. Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten, oder: Unbedingter oder bedingter Auftrag, das ist die Frage
  16. Verkehrsrecht III: Nachtrunk als Schutzbehauptung?, oder: Wie widerlegt man eine Nachtrunkeinlassung?
  17. Corona I: Befreiung von der Maskenpflicht, oder: „attest-pdf um der Mundschutzpflicht zu entkommen“
  18. Entstehen und Erstattungsfähigkeit der Hebegebühr, oder: Die Nr. 1009 VV RVG führt ein Schattendasein
  19. Corona I: „Gelber Judenstern“ mit „Ungeimpft“, oder: Strafbar wegen Volksverhetzung?
  20. (Neue) Pausenregelung für den Pflichtverteidiger, oder: Wie berechne ich die Hauptverhandlungsdauer?
  21. beA I: Nochmals: Revision per Fax geht nicht mehr, oder: Warum beantragt man nicht Wiedereinsetzung?
  22. Ablehnung I: Reicht „Ich fühle mich nicht befangen“?, oder: Nein, das ist eine „Nichtäußerung“, aber…
  23. OWi I: OLG Köln hebt AG Schleiden (leider) auf, oder: Kein „fair-trial-Verstoß“ bei fehlenden Rohmessdaten
  24. (Keine) Mitwirkung bei „derzeitigem Schweigen“?, oder: Oh, hättest du doch geschwiegen, AG Hannover
  25. Berechnung der Vergütung durch den Anwalt, oder: Reicht ein Schriftsatz per beA mit einfacher Signatur?