Archiv der Kategorie: Untersuchungshaft

Sechs-Monats-Haft-Prüfung, oder: Wenn der Beschuldigte mit einer SV-Exploration (zunächst) nicht einverstanden ist

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Die zweite Entscheidung am Wochenanfang kommt ebenfalls aus Nürnberg und betrifft auch Haftfragen. Im OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.04.2018 – 1 Ws 104/1 -8 hat das OLG im Rahmen der Sechs-Monats-Haftprüfung (§ 121 StPO) die Fortdauer der U-Haft beschlossen. In dem Zusammenhang spielt u.a. die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20, 21 und 64 StGB eine Rolle. Dazu geht das OLG von folgendem Verfahrensablauf aus:

„Mit Schreiben vom 30.11.2017 hatte der Verteidiger auf ausdrückliche Nachfragen der Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 04.10.2017 und vom 24.11.2017 zwar noch mitgeteilt, dass mit einer Begutachtung des Angeschuldigten kein Einverständnis bestehe. Erst mit Schreiben vom 01.02.2018 erklärte er dann aber doch das Einverständnis des Angeschuldigten mit einer entsprechenden Begutachtung. Die Strafkammer hat daraufhin nach Anhörung der Staatsanwaltschaft am 12.02.2018 beschlossen, ein fachpsychiatrisches Gutachten zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20, 21 und 64 StGB zu erholen, und mit der Erstellung dieses Gutachtens den Gerichtsärztlichen Dienst des Oberlandesgerichts Nürnberg beauftragt. Die Akten wurden am 15.02.2018 von der Staatsanwaltschaft an den Gerichtsärztlichen Dienst des Oberlandesgerichts Nürnberg versandt. Nachdem letzterer mit Schreiben 22.02.2018, bei der Staatsanwaltschaft eingegangen am 26.02.2018, bei der Strafkammer eingegangen am 01.03.2018, mitgeteilt hatte, dass aufgrund sehr hohen Auftragsaufkommens und personeller Engpässe eine Bearbeitung des Auftrags innerhalb der nächsten vier Wochen nicht möglich sei, hat die Strafkammer mit Beschluss vom 12.03.2018 den Landgerichtsarzt a.D. Dr. pp. mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt; es liegt noch nicht vor.“

Das OLG sieht den Beschleunigungsgrundsatz nicht verletzt:

„Insbesondere besteht eine solche Verzögerung nicht im Zusammenhang mit der Erholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 20, 21 und 64 StGB vor. Die Erstellung eines solchen Gutachtens verschafft dem Gericht mangels vorliegend anderweitig ausreichender Tatsachenplattform erst dann eine aussagekräftige Grundlage, wenn sich der Angeschuldigte vom Sachverständigen explorieren lässt. Dieses Einverständnis hatte der Angeschuldigte mit Schreiben seines Verteidigers vom 30.11.2017 noch verweigert und erst mit Schreiben seines Verteidigers vom 01.02.2018 erklärt. Die Strafkammer hat anschließend unverzüglich die Erholung des Gutachtens in Auftrag gegeben, wobei sie angesichts der bisherigen Praxis davon ausgehen durfte, dass der Gerichtsärztliche Dienst des Oberlandesgerichts Nürnberg zu einer zeitnahen Erstellung des Gutachtens in der Lage sein würde. Letzterer hat – entgegen der Behauptung des Verteidigers im Schreiben vom 27.03.2018 – nach Akteneingang nach dem 15.02.2018 bereits mit Schreiben vom 22.02.2018 der Strafkammer seine Überlastung angezeigt, wobei die Aktenrückleitung wie die Aktenzusendung über die Staatsanwaltschaft erfolgte und deshalb bis zum 01.03.2018 dauerte. Die Strafkammer hat sich sodann unverzüglich um einen weiteren Sachverständigen bemüht, wobei nicht ersichtlich ist, welche zeitliche Verkürzung jetzt durch Einschaltung des Verteidigers hätte erreicht werden können.

Der Einwand des Verteidigers im Schreiben vom 27.03.2018, die Strafkammer hätte gleichwohl schon eröffnen und terminieren können, da angesichts einer erstrebten Verständigung mit einer geständigen Einlassung des Angeschuldigten gerechnet werden könne, widerspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen. Gegenstand einer Verständigung kann nämlich weder sein, ob beim Angeschuldigten von einer vollen oder eingeschränkten Schuldfähigkeit oder von einer Schuldunfähigkeit auszugehen ist, noch ob § 64 StGB zur Anwendung kommen soll oder nicht (vgl. § 257c Abs. 2 Satz 3 StPO betreffend Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. § 257c Rn. 10 bezüglich etwaiger Strafrahmenverschiebungen).

Die Strafkammer hat die diesbezüglichen Voraussetzungen vielmehr vor einer etwaigen Verständigung zwingend festzustellen und deshalb den Eingang des fachpsychiatrischen Gutachtens abzuwarten.“

Der BGH schlägt zum „kleinteiligen“ Kammergericht zurück, oder: Mia san mia

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Der ein oder andere Leser wird sich noch an den KG, Beschl. v. 17.01.2018 – 4 Ws 159 u. 160/17 – und mein Posting dazu: “Sieben Monate beim BGH ist zu lang”, oder: Klatsche für den 1. Strafsenat vom KG erinnern. Das endete mit: „Nachdem meine Frage 2 aus dem Posting: Gut (?) Ding, will (lange) Weile haben, oder: Sieben Monate beim BGH ist auch in einer Haftssache nicht so schlimm, beantwortet ist, bleibt dann noch, wie der BGH nun mit der Verfahrensverzögerung umgehen wird. Vor allem: Sagt er überhaupt etwas dazu?

Nun, die Frage ist jetzt mit dem BGH, Beschl. v. 24.01.2018 – 1 Str 36/17, der erst sein ein paar Tagen auf der Homepage des BGH veröffentlicht worden ist, beantwortet. Der BGH hat etwas gesagt, und dann gleich etwas für BGHSt: Und man merkt dem Beschluss m.E. deutlich an, wie angefressen der BGH über die Rüge aus Berlin, dass es bei ihm zu lange gedauert hat, ist/war. Der Leitsatz der BGH-Entscheidung:

„Der Bundesgerichtshof hat das Beschleunigungsgebot in Haftsachen eigenständig – unter den spezifischen Bedingungen des Revisionsverfahrens – zu wahren; er ist nicht gehalten, Einzelheiten zum internen Arbeitsablauf des Senats den mit der Haftkontrolle befassten Gerichten mitzuteilen.“

Hintergrund dieses Leitsatzes ist der Umstand, dass das KG moniert hatte, dass nicht bzw. nicht ausreichend Auskunft aus Karlsruhe bekommen hatte. Das mag der BGH nun gar nicht, oder: Mia san mia. Und wir werden doch nicht einem OLG Auskunft = Rechenschaft geben – was wir im Übrigen auf der Grund der gesetzlichen Konstruktionen der Zuständigkeiten auch gar nicht müssen. Wir passen selbst auf den Beschleunigungsgrundsatz auf und haben den im Blick (hoffen wir es).

Und: Zu langsam ist es bei uns auch nicht gegangen, denn:

„c) Eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes ist – entgegen der Auffassung des Kammergerichts – nicht erkennbar.

(1) Das angefochtene Urteil ist am 8. April 2016 ergangen, zugleich wurde bezüglich beider Angeklagten die Haftfortdauer angeordnet. Das schriftliche Urteil und das Protokoll über die Hauptverhandlung wurden den Verteidigern der Angeklagten K. am 6. bzw. 7. September 2016 zugestellt. Gegen das Urteil haben der Angeklagte E. , der Angeklagte A. sowie die Staatsanwaltschaft Berlin und drei Verfallsbeteiligte Revision eingelegt. Die Verteidiger der Angeklagten E. und A. haben ihre Rechtsmittel mit zahlreichen Verfahrens- und Sachrügen begründet. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der revidierenden Verfallsbeteiligten richten sich – nach Teilrücknahme – nur noch gegen die Verfallsentscheidungen.

(2) Bei dem gegenständlichen Revisionsverfahren handelt es sich um ein sehr komplexes und umfangreiches Wirtschaftsstrafverfahren wegen Steuerhinterziehung, bei dem ohne weiteres erkennbar ist, dass bereits die Vorbereitung der Senatsberatung erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordert. Dies zeigt sich schon am Umfang der Verfahrensakten des Revisionsverfahrens mit zehn Stehordnern, die neben dem angefochtenen Urteil mit 1.001 Seiten Revisionsbegründungen der Beschwerdeführer mit zahlreichen Verfahrens- und Sachrügen, der Staatsanwaltschaft Berlin und von drei Verfallsbeteiligten sowie Anträge des Generalbundesanwalts und Gegenerklärungen von Verfahrensbe-teiligten enthalten. Dabei umfassen die Revisionsbegründungen der Beschwerdeführer jeweils drei Stehordner; weitere drei Stehordner beinhalten die Revisi-onsbegründungen der Staatsanwaltschaft Berlin und von drei Verfallsbeteiligten, die Antragsschriften des Generalbundesanwalts und Revisionsgegenerklärungen.

Beide Angeklagte waren aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 1. Juli 2014 – 348 Gs 1872/14 – am 14. Juli 2014 festgenommen worden und befanden sich seither ununterbrochen in dieser Sache bis zum Beschluss des Kammergerichts vom 17. Januar 2018 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit.

(3) Bei diesem Ablauf liegt eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen nicht vor, sodass auch eine überlange Verfahrensdauer, die nach dem Vollstreckungsmodell der Rechtsprechung zu kompensieren wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 135 ff.), nicht gegeben ist. Eine Bearbeitungsdauer von etwa acht Monaten nach Ablauf der Frist in § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO bis zur Entscheidung durch den Senat über die Revisionen der Angeklagten ist in Anbetracht des Umfangs des Verfahrens nicht als erhebliche, vermeidbare Verzögerung anzusehen. Es bedarf dabei keines weiteren Eingehens auf die (teilweise kleinteiligen) Erwägungen des Kammergerichts.“

Ah, „teilweise (kleinteilige) Erwägungen des Kammergerichts„. Nun zumindest das hätte man sich als letzten Schlag ersparen können/sollen. Immerhin ging es um das Freiheitsgrundrecht des Angeklagten. Und „kleinteilig“ – ich weiß nicht bzw. wie war das noch mit den Steinen und dem Glashaus.

Zu dem Beschluss des KG hatte übrigens auch schon  VorsRi BGH a.D. Th. Fischer im StraFo Stellung genommen. Der war auch „not amused“.

U-Haft, oder: HV-Termin in der Berufung erst nach 7 Monaten ist zu spät

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Den Tag eröffnet heute der OLG Celle, Beschl. v. 12.01.2018 – 1 Ws 3/18 – ergangen in einer Haftsache, und zwar zur Haft im Berufungsverfahren. Der Angeklagte befindet sich in einem Verfahren wegen Diebstahls seit dem 26.11.2016 fortlaufend in Untersuchungshaft. Das AG hat den Angeklagten mit Urteil vom 27.04.2017 u.a. wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tatmehrheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 8 Monaten verurteilt. Dre Haftbefehl ist aufrecht erhalten worden.

Die Akten sind im Berufungsverfahren am 28.06.2017 beim LG eingegangen. Und dann geht es wie folgt weiter:

„Da der zuständige Strafkammervorsitzende krankheitsbedingt bis zum 4. September 2017 verhindert und der erste nach der Geschäfts-verteilung zuständige Vertreter bis zum 7. Juli 2017 im Urlaub war, wurde die Sache am 29. Juni 2017 zunächst der zweiten Vertreterin vorgelegt. Diese sah sich an einer weiteren Förderung des Verfahrens gehindert und verfügte die Vorlage an den ersten Vertreter nach dessen Urlaubsrückkehr.

Der erste Vertreter verfügte nach seiner Urlaubsrückkehr am 10. Juli 2017 sodann die Abfrage des Berufungsziels, ohne bereits konkrete Terminvorschläge zu unterbreiten.

Mit Verfügung vom 8. August 2017 wurden sodann gegenüber den drei am Verfahren beteiligten Verteidigern Terminvorschläge für 13 Hauptverhandlungstage ab dem 10. Oktober bis zum 29. November 2017 unterbreitet. Nach Rückmeldung fanden sich übereinstimmende Termine der Verteidiger nur am 9., 14. und 29. November, woraufhin mit Verfügung vom 28. August 2017 weitere 13 Terminvorschläge zwischen dem 1. Februar 2018 und dem 23. Februar 2018 unterbreitet wurden. Temin zur Berufungshauptverhandlung wurde sodann mit Verfügung vom 15. September 2017 beginnend ab dem 6. Februar 2018 und sechs weiteren Folgeterminen anberaumt. Zeugen und ein Sachverständiger sind nur für die ersten drei Hauptverhandlungstage geladen worden.“

Dagegen die Haftbeschwerde des Angeklagten, die beim OLG Erfolg hat. Das OLG hat den Haftbefehl unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG, u.a. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, über den ich auch schon berichtet habe – s. “Wir sind überlastet”, oder: Haftgrund “Überlastung” gibt es nicht…..) aufgehoben. Kurz gefasste Begründung: Innerhalb von sieben Monaten hätte man HV-Termine finden können/müssen:

„Nach diesen Grundsätzen war in der vorliegenden Sache die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

So ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb die Abfrage nach dem Berufungsziel nicht be-reits mit der Unterbreitung von vorsorglichen Terminvorschlägen verbunden worden war. Soweit für den Monat Oktober und November gegenüber den Verteidigern sodann konkrete Terminvorschläge unterbreitet, welche nur an drei Hauptverhandlungsterminen zu übereinstimmenden Vakanzen bei den Verteidigern führten, war hierdurch ein Verstoß gegen das für Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot zwar noch nicht berührt. Soweit dagegen im weiteren Verlauf ohne aus den Akten erkennbare und nachvollziehbare Begründung Terminvorschläge für einen Zeitraum ab dem 1. Februar 2018 unterbreitet wurden, ist nicht erkennbar, dass diese Verfahrensverzögerung bei vorausschauender und das Beschleunigungs-gebot berücksichtigender Planung unvermeidbar war.

Angesichts der Dauer der erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermine mit einem Kurztermin und zwei weiteren Terminen mit einer Dauer von nur rund einer Stunde bei insgesamt fünf Hauptverhandlungstagen sowie der nunmehr erfolgten Ladung von Zeugen und einem Sach-verständigen an lediglich drei anberaumten Berufungshauptverhandlungstagen ist bereits zweifelhaft, ob mehr als drei Hauptverhandlungstage erforderlich sein werden. Angesichts des Umstands, dass seitens der Verteidiger bereits drei gemeinsame Hauptverhandlungstage im November 2017 gefunden werden konnten, hätte sich bei einer erneuten Korrespondenz mit der Verteidigung und vorausschauender ergänzender Terminplanung im Dezember der hier nur scheinbar unbehebbare Konflikt zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern des Beschleunigungsgebots in Haftsachen und dem sich aus Art 2 Abs., 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Recht eines jeden Angeklagten, sich nach Möglichkeit vom Anwalt des Vertrauens vertreten zu lassen, voraussichtlich auflösen lassen.“

Ich hätte wahrscheinlich noch früher „angesetzt“. denn: Reicht eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und acht Monaten, wovon bereits sieben Monate verbüßt sind, aus, um die Fluchtgefahr zu begründen? M.E. schwieirg. Und da „hoppelt“ das OLG ohne konkrete Begründung drüber weg.

Bestellung von BtM im Internet, oder: Dringender Tatverdacht?

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Und dann noch mal etwas zum Darknet, nämlich den OLG München, Beschl. v. 19.01.2018 – 1 Ws 20/18. Es geht um den dringenden Tatverdacht als Grundlage für den Erlass eines Haftbefehls (§ 112 StPO) bei BtM-Bestellungen im Internet:

„Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht der erforderliche dringende Tatverdacht.

Ein dringender Tatverdacht besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer nach deutschem Strafrecht zu beurteilenden Straftat ist. Hierbei muss der dringende Tatverdacht aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden.

Dieser dringende Tatverdacht besteht bezüglich der im Haftbefehl aufgeführten drei Taten gegen den Beschuldigten bei Gesamtbetrachtung der aus den vorgelegten Zweitakten ersichtlichen gegenwärtigen Stand der Ermittlungen.

Der Beschuldigte ist Adressat aller drei Postsendungen, die am pp. und bei der Post sichergestellt wurden. Er war zur Tatzeit unter der auf den Postsendungen angegebenen Anschrift gemeldet und auch tatsächlich wohnhaft. An seiner Wohnungsklingel und seinem Briefkasten befand sich nur sein Namensschild. Die Postsendung, die am pp. bei der Post in pp. sichergestellt wurde, wurde per Einschreiben versandt. Daher hätte diese Postsendung nur vom Beschuldigten persönlich oder von einer von ihm bevollmächtigten Person in Empfang genommen werden können.

Bei der am pp. in der vom Beschuldigten bewohnten Doppelhaushälfte durchgeführten Durchsuchung wurde in zwei Zimmern im 1 . Obergeschoss jeweils ein BtM-Crusher mit Marihuana-Anhaftungen und in einem Raum im Erdgeschoss ein Laminiergerät, eine Feinwaage und eine Geldbetrag in Höhe von 575 € vorgefunden. Hierbei wurde möglicherweise nur ein Zimmer im Obergeschoss vom Beschuldigten bewohnt, die beiden anderen Zimmer von zwei. dort nicht gemeldeten Mitbewohnern. Alle Zimmer waren aber für den Beschuldigten frei zugänglich.

Völlig fernliegend ist, dass irgendeine, nicht in der vom Beschuldigten bewohnten Doppelhaushälfte wohnhafte Person, die Bestellungen im Namen des Beschuldigten aufgegeben hat und beabsichtigte, die jeweiligen Sendungen aus dem Briefkasten des Beschuldigten zu entnehmen. Denn dieser Besteller wäre bewusst das Risiko eingegangen, dass ihn die Sendungen nicht erreichen. Es bestand hierbei unter anderem die Gefahr, dass der tatsächliche Adressat der Sendung, nämlich der Beschuldigte, der von einem dritten Besteller beabsichtigten Entnahme aus dem Briefkasten zuvor gekommen wäre und den Inhalt entweder für sich behalten oder vernichtet hätte oder den Fund der Polizei gemeldet hätte. Die dritte Person wäre bei der zweiten und dritten Bestellung das Risiko eingegangen, dass Ermittlungen der Polizei bereits eingeleitet worden waren und er bei dem Versuch der Entnahme der Lieferung aus dem Briefkasten festgestellt würde. Zudem bestand für diese Person die Gefahr beim Herausnehmen der Lieferung aus dem Briefkasten des Beschuldigten von Dritten beobachtet zu werden, die den Beschuldigten oder Polizeikräfte hiervon in Kenntnis gesetzt hätten. Ferner liegt es fern, wie auch das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, dass eine nicht in der Doppelhaushälfte des Beschuldigten wohnhafte Person wiederholt an die Adresse des Beschuldigten derart große Mengen an teuren Betäubungsmitteln bestellt, nachdem ihr das Abfangen der jeweiligen Postsendungen misslungen ist. Insoweit wird im vollen Umfang auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen

Fernliegend ist auch, dass einer der beiden Mitbewohner des Beschuldigten die Bestellungen auf den Namen des Beschuldigten ohne dessen Kenntnis abgegeben hat. Denn auch hier bestand die Gefahr, dass den Adressaten die Bestellung tatsächlich erreicht hätte. Zudem wurde die Postsendung vom per Einschreiben an den Beschuldigten versandt, so dass diese Postsendung, wie bereits ausgeführt, nur vom Beschuldigten persönlich oder von einer von ihm bevollmächtigten Person in Empfang genommen werden könnte.

Nachvollziehbar ist jedoch, dass die dritte Lieferung per Einschreiben an den Beschuldigten versandt wurde, um sicherzustellen, dass ihn seine Bestellung erreicht. Denn die beiden vorausgehenden Bestellungen hatten den Beschuldigten nicht erreicht. Nach der Mitteilung des Adressaten an den Versender der Lieferung, dass ihn vorausgehende Lieferungen nicht erreicht hatten, wurde so eine sichere Art der Versendung gewählt.“

Einige AG haben es ja in der letzten Zeit anders gesehen. Sehr schön übrigens die Formulierung: „Denn auch hier bestand die Gefahr, dass den Adressaten die Bestellung tatsächlich erreicht hätte. Da fehlt wohl ein „icht“.

22 Monaten Strafe reichen nicht, oder: Die Straferwartung und die Fluchtgefahr

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Und zum Abschluss dann noch eine Haftentscheidung. Die kommt vom OLG Dresden. Das hat im OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2017 – 1 Ws 326/17 – die Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) verneint. Begründung: Auch die drohende Vollstreckung einer (weiteren) Freiheitsstrafe von 14 Monaten reicht bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von rund acht Monaten nicht für die Annahme von Fluchgefahr. Aus der interessanten Begründung:

„2. Allerdings liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht vor.

Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht dann, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, die sich aus bestimmten Tatsachen ergeben müssen, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Angeklagte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich ihm zur Verfügung halten (OLG Hamm StV 2003, 170; OLG Köln StV 1996, 390). Die Frage, ob Fluchtgefahr vorliegt oder nicht, erfordert die sorgfältige Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des Falls (OLG Hamm, a.a.O.) Gemessen an diesen Umständen ist der Haftgrund der Fluchtgefahr beim Angeklagten nicht zu bejahen.

a) Die Verurteilung des Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und einer Woche ist nicht geeignet, einen erheblichen Fluchtanreiz darzustellen, zumal derzeit durch die anzurechnende Untersuchungshaft bereits mehr als zwei Drittel der Strafe vollstreckt sind. Damit ist die Strafe, die wegen der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Taten gegen den Angeklagten verhängt worden ist, aber nicht geeignet, die Fluchtgefahr zu begründen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft gegen das amtsgerichtliche Urteil zu Lasten des Angeklagten Berufung, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, eingelegt hat. Die Staatsanwaltschaft hat erstinstanzlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten und einer Woche beantragt, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass in der Berufungsinstanz eine darüber hinausgehende Strafe verhängt wird. Selbst für den Fall, dass das Berufungsgericht die von der Staatsanwaltschaft beantragte höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängen würde, lässt sich hieraus unter Berücksichtigung der bereits verbüßten Untersuchungshaft ein die Fluchtgefahr begründender Strafrest nicht. Im übrigen ist nicht zu besorgen, dass der Angeklagte, der vor seiner Inhaftierung im Übergangswohnheim des Vereins für soziale Rechtspflege e.V. aufhältig gewesen ist, dort zukünftig nicht erreichbar wäre. Angesichts dessen kommt dem Umstand, dass der Angeklagte nach seinen Angaben gelegentlich Marihuana konsumiert, für die Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgefahr nur untergeordnete Bedeutung zu.

b) Etwas anderes gilt auch nicht unter Berücksichtigung der Vorstrafen des Angeklagten und des Umstandes, dass dieser wegen mehrerer Verurteilungen unter Bewährung steht. Zwar hat der Angeklagte die dem Haftbefehl zugrundeliegenden Taten nur kurze Zeit nach der letzten Haftentlassung und während laufender Bewährungszeiten begangen, so dass er mit dem Widerruf der Bewährungen und einer zusätzlichen Straferwartung von ca. einem Jahr und zwei Monaten zu rechnen hat. Diese Straferwartung stellt aber – für sich genommen – noch keinen Umstand dar, der vorliegend den Haftgrund der Fluchtgefahr begründen könnte. Zwar kann die aufgrund eines möglichen Bewährungswiderrufs zu erwartende Strafe im Rahmen der Prüfung, ob Fluchtgefahr beim Angeklagten vorliegt, grundsätzlich berücksichtigt werden. Dieser Umstand ist jedoch immer nur ergänzend heranzuziehen und setzt voraus, dass – was hier nicht der Fall ist- die wegen der haftbefehlsgegenständlichen Taten zu erwartende Strafe zumindest einen gewissen Fluchtanreiz und damit einen Fluchtgefahr begründenden Umstand darstellt. Ansonsten, wenn der Haftgrund ausschließlich auf – wegen möglicher Bewährungswiderrufe im Raum stehende – Freiheitsstrafen gestützt wird, würde dies eine Umgehung der Vorschrift des S 453c Abs. 1 StPO bedeuten. Die Vollstreckung der Untersuchungshaft würde dann nicht mehr der Sicherung des vorliegenden Strafverfahrens und der Vollstreckung der daraus resultierenden Strafe dienen.

Im übrigen weist der Senat daraufhin, dass der Angeklagte die ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten vor dem Amtsgericht geständig eingeräumt und seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, so dass es – auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK; vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 56f Rdnrn. 4ff. m.w.N.) – spätestens ab diesem Zeitpunkt möglich gewesen wäre, eine Entscheidung über den Widerruf der zur Bewährung ausgesetzten Strafreste oder zumindest den Erlass eines Sicherungshaftbefehls herbeizuführen.“

Das ist auch mal wieder so ein Beschluss, bei dem ich mich frage. Warum braucht man dafür ein OLG?