Archiv der Kategorie: OLG

Akten II: Ermittlungsaktenauskünfte an Krankenkasse, oder: Ggf. fehlerhafte Abrechnung durch Ärzte?

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Und im zweiten Posting geht es um die Erteilung von Auskünften aus der Ermittlungsakte durch die Staatsanwaltschaft an eine Krankenkasse zur Prüfung möglicherweise fehlerhafter Abrechnungen durch Vertragsärzte. Darum ist gestritten worden. Die Beschuldigten sind der Gewährung von Akteneinsicht entgegen getreten, die StA hat Auskünfte gewährt. Dagegen dann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung an das OLG, der mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.08.2024 – 1 VAs 1-3/23 – keinen Erfolg hatte.

Ich bschränke mich hier wegen des Umfangs der Entscheidung des OLG auf den Leitsatz zu der Entscheidung, und zwar:

Krankenkassen als Körperschaften öffentlichen Rechts haben einen Anspruch auf Erteilung von Auskünften aus Ermittlungsakten gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 StPO zur Prüfung der Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnungen in der vertragsärztlichen Versorgung.

OWi I: Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung, oder: Beschränkung noch nach rechtlichem Hinweis?

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Heute gibt es dann mal OWi-Entscheidungen. An der „Front“ ist es im Moment aber sehr ruhig, es gibt wenig Entscheidungen, über die man berichten kann.

Hier kommt dann als Opener der OLG Jena, Beschl. v. 02.09.2024 – 1 ORbs 371 SsBs 96/24 – zur Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid. Mit Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, auf der Bundesautobahn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften um 46 km/h überschritten zu haben. Gegen ihn wurde deshalb eine Geldbuße von 320 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Der Bußgeldbescheid wurde am 12.07.2023 zugestellt. Hiergegen richtete sich der am selben Tage zunächst vollumfänglich erhobene Einspruch des Betroffenen.

Mit Verfügung vom 02.11.2023 wies das AG den Betroffenen nach Eingang der Akten bei Gericht darauf hin, dass wegen der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehungsweise unter Erhöhung der Geldbuße und unter Ausdehnung des Fahrverbots in Betracht komme. Auf die Terminsanberaumung vom 29.11.2023 hin beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 24.02.2024 „namens und in Vollmacht des Betroffenen“, diesen vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Zudem werde der gegen den Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt.

Mit Beschluss vom 26.02.2024 wies das AG den Betroffenen darauf hin, dass die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen nach dortiger Auffassung unwirksam sein dürfte. Die Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) sei so untrennbar mit der Rechtsfolge, namentlich dem Fahrverbot, verbunden, dass sie nicht unabhängig voneinander betrachtet werden könnten. Eine Rechtsmittelbeschränkung sei regelmäßig unwirksam, wenn anstelle der im Bußgeldbescheid angenommenen Fahrlässigkeit tatsächlich eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht komme. Wolle der Betroffene dem entgehen, müsse er den Einspruch in Gänze zurücknehmen.

Der Verteidiger ist dem entgegengetreten. Das AG verurteilte den Betroffenen dann dennoch  wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h außerorts bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zu einer Geldbuße von 640 Euro. Daneben verhängte es ein Fahrverbot für die Dauer von 2 Monaten.

Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Das OLG hat das Urteil des AG im Schuldspruch aufgehoben und im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass gegen den Betroffenen wegen der im Bußgeldbescheid vom 06.07.2023 rechtskräftig festgestellten fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts eine Geldbuße von 320 Euro verhängt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet wird.

Das hat das OLG umfangreich begründet. Da die angeprochenen Fragen alle nicht neu sind, verweise ich wegen der Einzelheiten der Begründung auf den verlinkten Volltext und stelle hier nur die Leitsätze der OLG-Entscheidung ein, nämlich:

1. Die horizontale Beschränkung eines Einspruchs auf die Rechtsfolgen ist zulässig, soweit der Bußgeldbescheid die in § 66 OWiG niedergelegten Voraussetzungen erfüllt, die Erklärung des Betroffenen zweifelsfrei und unbedingt erfolgt, im Fall der Vertretung eine wirksame Ermächtigung zur Abgabe der Einspruchsbeschränkung vorlag und die Erklärung dem erkennenden Richter vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung vorliegt.

2. Ein etwaig erteilter richterlicher Hinweise betreffend die Schuldform (hier: mögliche Verurteilung wegen einer Vorsatz-Tat) steht dem nicht entgegen, selbst wenn der Bußgeldbescheid keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Schuldform enthält, die vorgesehene Rechtsfolge sich aber innerhalb des Regelrahmens der Bußgeldkatalogverordnung bewegte und die vorgeworfene Schuldform (hier: Fahrlässigkeit) hieraus abgeleitet werden kann.

Eins habe ich dann aber doch noch, nämlich << Werbemodus an>> den Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, die man hier bestellen bzw. vorbestellen kann. In beiden Werken sind die vom OLG angeprochenen Fragen behandelt. <<Werbemodus aus>>.

 

Haft I: Beschleunigungsgebot gilt auch in der Revision, oder: Wenn der BGH „bummelt“, rüffelt das OLG

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Und dann starte ich in die neue Woche mit zwei Entscheidungen zum Haftrecht.

Ich stelle zunächst den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 06.06.2024 – 1 Ws 159/24. Das OLG hat einen (schon) außer Vollzug  U-Haftbefehl wegen Verstoßes gegen Beschleunigungsgebot im Revisionsverfahren aufgehoben. Aber diese Mal nicht wegen einer „Bummelei“ beim LG oder OLG, sondern – wie das OLG – meint beim BGH. Ich wage mal die Behauptung, dass man das beim BGH nicht so gern lesen wird.

Folgender SachverHalt: Der Angeklagte befand sich in dieser Sache in der Zeit vom 16.01.2018 bis zum 03.04.2024 in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 03.04.2024 setzte eine Strafkammer den Vollzug des Haftbefehls gegen zahlreiche Auflagen und Weisungen außer Vollzug.

Dem war vorausgegangen, dass der Angeklagte am 18.06.2019 – unter Freisprechung im Übrigen – vom LG Frankfurt am Main wegen vollendeten und versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitstrafe von zehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war. Auf die Revision des Angeklagten hatte der BGH mit Beschluss vom 16.09.2020 (es dürfte sich um 2 StR 529/19 gehandelt haben) sämtliche Einzelstrafen, die Gesamtstrafe und die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgehoben. Das LG Frankfurt am Main  hat den Angeklagten sodann am 15.07.2021  zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hat der BGH mit Beschluss vom 24.10.2023 das Urteil aufgehoben  und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer eines anderen LG zurückverwiesen (es dürfte sich um 2 StR 33/22 gehandelt haben).

Die Kammer hat auf Antrag des Angeklagten den Vollzug des Haftbefehls mit Beschluss vom 03.04.2024 ausgesetzt. Dagegen hat die GStA Beschwerde eingelegt. Die hatte nicht nur keinen Erfolg, sondern das OLG hat sogar zur Aufhebung des Haftbefehls geführt:

„Die Aufrechterhaltung des Haftbefehls ist – was von der Generalstaatsanwaltschaft übersehen wird – vorliegend indes nicht gerechtfertigt, weil das aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz MRK folgende Beschleunigungsgebot verletzt ist. Das in Haftsachen geltende Gebot der besonderen Verfahrensbeschleunigung verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte von Anfang an alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. nur BVerfG, BeckRS 2007, 33088). Grundsätzlich kann daher die Untersuchungshaft zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vorliegt. Allerdings vergrößert sich das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs gegenüber dem Freiheitsrecht des Untersuchungsgefangenen, wenn der Schuldspruch – wie hier – rechtskräftig ist, da bei dieser Verfahrenslage die Unschuldsvermutung nicht mehr gilt. In solchen Fällen kommt es für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit daher nicht mehr allein darauf an, ob es zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden, vermeidbaren und erheblichen, von dem Angeklagten nicht zu vertretenden Verfahrensverzögerung gekommen ist, sondern es sind auch die zu erwartende Strafe und der Grad des die Justiz an der Verfahrensverzögerung treffenden Verschuldens zu berücksichtigen (OLG Köln, Beschluss vom 22. April 2005 – 2 Ws 151/05 mN).

Wie der Senat in seinen Beschlüssen vom 29. Januar 2019 (…) und 25. Mai 2021 (…) ausgeführt hat, ist das Verfahren bis dahin entsprechend dem Beschleunigungsgebot hinreichend gefördert worden. Auch danach sind bis zur Verkündung des Urteils am 15. Juli 2021 und Vorlage der Akten an den Bundesgerichtshof keine erheblichen Verfahrensverzögerungen zu verzeichnen.

Es war das – unter Wiedergabe der rechtskräftigen Feststellungen der (…) Strafkammer auf 94 Seiten – 135 Seiten umfassende Urteil abzusetzen, das Rechtsanwalt A am 06. Oktober 2021 und Rechtsanwalt B am 07. Oktober 2021 zugestellt wurde. Die Revisionsbegründung von Rechtsanwalt B ging am 05. November 2021 beim Landgericht ein, die von Rechtsanwalt A ebenso wie die von Rechtsanwalt C am 08. November 2021. Eine weitere Revisionsbegründung erfolgte am 25. November 2021 durch Rechtsanwalt B. Am 30. Oktober 2021 ging die Revisionsgegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht ein. Am 14. Dezember 2021 verfügte der Vorsitzende die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft. Am 13. Januar 2022 fertigte die Generalsstaatsanwaltschaft den Übersendungsbericht an den Generalbundesanwalt, wo die Akten am 19. Januar 2022 eingingen. Der Antrag des Generalbundesanwalts vom 01. Februar 2022 ging mit den Akten am 02. Februar 2022 beim Bundesgerichtshof ein. Dort bestimmte der Vorsitzende am 28. Februar 2022 den Beisitzer. Mit Schriftsätzen vom 17. Februar 2022 und vom 18. Juli 2022 gaben die Verteidiger gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO Gegenerklärungen zu dem Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts (§ 349 Abs. 2 StPO) ab.

Am 24. Oktober 2023 entschied der Bundesgerichtshof durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO über die Revision des Angeklagten. Bis dahin ist seit Eingang der letzten Gegenerklärung eine Verfahrensverzögerung von mindestens zehn Monaten zu verzeichnen. Zwar lässt sich aus dem Umstand, dass das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen für das gesamte Strafverfahren gilt und auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten ist (BVerfG, Beschlüsse vom 22. Februar 2005 – 2 BvR 109/05 und vom 24. August 2010 – 2 BvR 1113/10, jeweils mN), nicht ableiten, dass der im Revisionsverfahren mit der Sache befasste Bundesgerichtshof den mit der Haftfrage befassten Gerichten der Landesjustiz umfassend Rechenschaft zu legen hätte (BGHSt 63, 75, 78 ff.). Vielmehr hat der Bundesgerichtshof das Beschleunigungsgebot in Haftsachen eigenständig zu wahren, was auch umfasst, dass er etwaige Verfahrensverzögerungen im Revisionsverfahren dem Gericht, dem die Haftkontrolle obliegt, anzeigt (BGH a.a.O.). Dies ist vorliegend geschehen, denn der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 2023 darauf hingewiesen, dass der Tatrichter bei seiner Rechtsfolgenentscheidung die lange Dauer des Revisionsverfahrens zu berücksichtigen habe. Der Senat versteht diesen Hinweis dahin, dass der Bundesgerichtshof eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren bejaht, die im weiteren Verfahrensgang zu berücksichtigen ist. Die Dauer der Verfahrensverzögerung zwischen dem Eingang der letzten Gegenerklärung und der Beschlussfassung bemisst der Senat mit mindestens zehn Monaten. Dies vor dem Hintergrund, dass der Bundesgerichtshof für seine Entscheidung vom 16. September 2020 seit dem Eingang der letzten Gegenerklärung am 21. April 2020 etwa fünf Monate benötigt hat. Der Bundesgerichtshof hatte seinerzeit sowohl den Schuldspruch als auch Teile des Rechtsfolgenausspruchs zu überprüfen. Da der Bundesgerichtshof bei seiner Entscheidung vom 24. Oktober 2023 lediglich den Rechtsfolgenausspruch zu überprüfen hatte und bei der Entscheidung drei Richter mitgewirkt haben, die auch an der ersten Entscheidung beteiligt waren, kann eine Bearbeitungsdauer allenfalls noch in einem Umfang als angemessen angesehen werden, wie sie auch für die erste Entscheidung benötigt worden ist. Dies sind fünf Monate, so dass die zwischen dem 18. Juli 2022 und 24. Oktober 2023 liegenden 15 Monate eine Verfahrensverzögerung von mindestens zehn Monaten umfassen. Hinzu kommt, dass dem Senat nicht nachvollziehbar ist, weshalb der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 2023 erst gut zwei Monate später ausgefertigt und erst am 16. Januar 2024 an die Beteiligten übersandt wurde. Der Senat sieht insoweit eine weitere zu berücksichtigende Verfahrensverzögerung von etwa zwei Monaten, so dass insgesamt der Justiz anzulastende nicht zu rechtfertigende Verfahrensverzögerungen von etwa einem Jahr festzustellen sind.

Die zu erwartende Strafe kann unter Berücksichtigung der bereits gegen den Angeklagten vollzogenen, anrechenbaren Untersuchungshaft von sechs Jahren und knapp drei Monaten nicht mehr als erheblich angesehen werden. Ausgehend von der zuletzt gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten dürfte unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof für erforderlich erachteten Prüfung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeiten und einer sich daraus möglicherweise ergebenden Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 StGB sowie der überlangen Verfahrensdauer im Revisionsverfahren eine Strafe von mehr als sieben Jahren und weniger als acht Jahren Freiheitsstrafe zu erwarten sein, so dass allenfalls noch ein Strafrest von zehn Monaten bis zu einem Jahr und acht Monaten zu vollstrecken sein wird. Ob die Anordnung der Sicherungsverwahrung erneut in Betracht kommt, wird mit Blick auf das Ergebnis des vom Landgericht Wiesbaden in Auftrag gegebenen neuen Sachverständigengutachtens abzuwarten bleiben.

Die Abwägung zwischen dem Grundrecht des Angeklagten auf Wahrung seiner persönlichen Freiheit und dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung sowie -vollstreckung rechtfertigt angesichts der erheblichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und der Dauer der bislang vollzogenen Untersuchungshaft von mehr als sechs Jahren die Aufrechterhaltung des Haftbefehls nicht mehr.“

Irgendwie hat man den Eindruck, dass sich der BGH und das OLG Frankfurt am Main in Haftsachen nicht ganz grün sind, denn – ich meine – dass es bereits ähnliche Entscheidungen aus Frankfurt gibt, in denen das OLG den BGH „rüffelt“. Andererseits ist die Entscheidung des OLG aber auch nachvollziehbar. Denn man kann nicht auf die LG „einprügeln“ und Druck machen, dass die Verfahren möglichst beschleunigt erledigt werden, wenn dann eine Strafmaßrevision vom 0202.2022 bsi zum 24.10.2023 beim BGH liegt, bevor entschieden wird und der BGH dann fast drei Monate braucht, um den Beschluss vom 24.10.2023 zu begründen und auszufertigen. Das sind/waren knapp vier Seiten Text.

Pflichti III: Überstellung zur Strafvollstreckung, oder: Wann entscheidet das OLG über einen Pflichtbeistand?

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Und im dritten Posting dann etwas aus dem IRG, nämlich zur Beistandsbestellung im sog. Überstellungsverfahren. Es handelt sich um den OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.08.2024 – Ausl OAus 82/24 (kleiner Hinweis: Im Rubrum des vom OLG übersandten Beschlusses heißt es „22. August 2024“, da hat sich also ggf. ein Fehler eingeschlichen, wenn die allgemeinen Angaben in der Übersendung stimmen).

Das OLG hat die Bestellung, die die StA beantragt hatte, „derzeit“ abgelehnt. Es führt zum Zeitpunkt der Bestellung aus:

„Der Verurteilte wurde mit seit 28.06.2023 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25.01.2023 (7 KLs 310 Js 13221/22) wegen Vergewaltigung mit Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Freiheitsstrafe wird derzeit in der Justizvollzugsanstalt Straubing vollstreckt. Das Strafende ist für 08.04.2030 vorgemerkt.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein prüft derzeit die Übertragung der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 (Rb-Freiheitsstrafen) nach Rumänien. Bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Straubing am 04.03.2024 auf Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein erklärte der Verurteilte, nicht nach Rumänien überstellt werden zu wollen.

Die Staatsanwaltschaft Traunstein beantragte am 25.07.2024, dem Verurteilten schon jetzt für die Vorbereitung der oberlandesgerichtlichen Entscheidung über die Zulässigkeit seiner Überstellung nach Rumänien, insbesondere zur Gewährung rechtlichen Gehörs zu der von der Staatsanwaltschaft zu treffenden Ermessensentscheidung einen Pflichtbeistand zu bestellen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat die Akten zur Entscheidung über den Antrag der Staatsanwaltschaft Traunstein vorgelegt.

II.

Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Bestellung eines Rechtsbeistands für den Verurteilten ist nicht veranlasst, da das gerichtliche Verfahren nach § 85a IRG, in dessen Rahmen durch das Oberlandesgericht ein Beistand nach § 85a Abs. 2 in Verbindung mit § 53 IRG bestellt werden könnte, noch nicht begonnen hat.

Das gerichtliche Verfahren vor dem Oberlandesgericht nach § 85a IRG beginnt nach § 85a Abs. 1 S. 1 IRG erst dann, wenn entweder die Vollstreckungsbehörde nach § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 IRG beantragt, die Vollstreckung der freiheitsentziehenden Sanktion in einem anderen Mitgliedsstaat für zulässig zu erklären, oder der Verurteilten einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 85 Abs. 5 S. 3 IRG stellt. Dies ist beides nicht der Fall. Insbesondere hat die Vollstreckungsbehörde noch keinen solchen Antrag gestellt.

Darüber, ob für die von der Staatsanwaltschaft gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 IRG zu treffende Entscheidung, ob das Überstellungsverfahren durchgeführt werden soll, und ob für die Erklärung des Einverständnisses des Verurteilten mit der Übertragung der Vollstreckung zu Protokoll eines Richters gemäß § 85 Abs. 2 S. 2 IRG gemäß § 53 Abs. 2 IRG ein Rechtsbeistand zu bestellen ist, hat das Oberlandesgericht in diesem Verfahrensstadium nicht zu entscheiden. Gemäß § 85a Abs. 2 S. 1 IRG hat das Oberlandesgericht nach § 53 IRG erst dann über eine Bestellung eines Pflichtbeistands zu entscheiden, wenn einer der beiden vorstehend beschriebenen Anträge zum Oberlandesgericht vorliegt. Alles andere würde dem Zweck der „Verschlankung des Verfahrens“ zuwiderlaufen, mit dem der Gesetzgeber die Übertragung der Vollstreckung ohne gerichtliches Verfahren bei Einverständniserklärung des Verurteilten möglichst einfach und ohne Einschaltung des Oberlandesgerichts regeln wollte (vgl. BT-Drucks. 18/4347 S. 139).“

KCanG I: nicht geringe Menge, Gesamt-, Eigenmenge, oder: BGH-Vorlage an den Großen Senat

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Und in die 38 KW starte ich mit einigen Entscheidungen zum KCanG. Ein wenig hat sich „angesammelt“. Und zwar haben wir da:

„aa) Die Handelsmenge Cannabis von rund 614 Gramm besaß nach den Urteilsfeststellungen einen Wirkstoffgehalt von 124 Gramm THC und beläuft sich damit annähernd auf das 17-fache der nicht geringen Menge im Sinne des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG, die bei 7,5 Gramm liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 Rn. 7; vom 27. Mai 2024 – 1 StR 145/24 Rn. 12; vom 6. Mai 2024 – 2 StR 480/23 Rn. 27; vom 15. Mai 2024 – 2 StR 177/24 Rn. 3; vom 14. Mai 2024 – 3 StR 115/24 Rn. 9; vom 6. Mai 2024 – 4 StR 5/24 Rn. 10; vom 4. Juni 2024 – 4 StR 111/24 Rn. 5; vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24 Rn. 11; vom 24. April 2024 – 5 StR 136/24 Rn. 3 und vom 30. April 2024 – 6 StR 536/23 Rn. 21).

Bedenken dahin, dass es dem Qualifikationstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG wie auch der Strafzumessungsregel in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, die nach ihrem Wortlaut wie § 29a BtMG als normatives Tatbestandsmerkmal eine „nicht geringe Menge“ voraussetzen, an der gemäß Art. 103 Abs. 2 GG erforderlichen hinreichenden Bestimmtheit fehlen könnte (so wohl Gärditz, JZ 2024, 564, 565 ff.), hat der Senat nicht (vgl. BVerfGE 126, 170, 194 ff.; 143, 38 Rn. 41; 160, 284 Rn. 90 ff.). Denn der konkretisierungsbedürftige Begriff der „nicht geringen Menge“ hat aufgrund der seit Jahrzehnten gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu §§ 29a ff. BtMG eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewonnen.“

  • BGH, Beschl. v. 01.08.2024 – 2 StR 107/24 – mit der Vorlage zu den Fragen, wie beim „gemischten Handeln“ aus der „Gesamtmenge“ die für den Eigenkonszm bestimmte Menge herauszurechnen ist und der ähnlichen Problematik bei der Einziehung:

Dem Großen Senat für Strafsachen sind gemäß § 132 Abs. 4 GVG folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt worden:

1. Kommt es für die Beurteilung der Strafbarkeit des Besitzes von Cannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) und Buchstabe b) KCanG in Fällen, in denen vorrätig gehaltenes Cannabis sowohl zum Handeltreiben als auch für den Eigenkonsum bestimmt ist, auf die Gesamtmenge an, oder ist die dem Eigenkonsum dienende Teilmenge gesondert zu betrachten?

2. Muss bei einer auf § 37 KCanG gestützten Einziehung eine dem Eigenkonsum dienende und die Grenzen des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG oder des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) und Buchstabe b) KCanG nicht übersteigende Cannabismenge stets ausgenommen werden?

1. Bei der konkreten Strafzumessung darf nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Gesamtmenge des besessenen Cannabis (und dementsprechend auch nicht die Gesamtwirkstoffmenge) ohne Abzug der zum Eigenkonsum erlaubten Menge nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.

2. Es bestehen Bedenken gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bzgl. des Abzugs der erlaubterweise besitzbaren Cannabismenge von der Gesamtmenge bei der Beurteilung, ob ein besonders schwerer Fall i. S. v. § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG vorliegt, weil sie sich nicht verwerfungsfrei in die weitere Rechtsprechung zum Grenzwert für die nicht geringe Menge von Cannabis und zur Einziehung von Cannabis einreiht.