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OWi I: Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheides, oder: „völlig sprunghaft und ohne roten Faden“

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Und dann heute mal wieder ein paar OWi-Entscheidungen.

Ich starte mit dem AG Menden, Beschl. v. 26.06.2023 – 8 OWi 45/23 – zur Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheides. Das AG hat das Bußgeldverfahren eingestellt und führt aus:

„Mängel des Bußgeldbescheides sind im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich unbeachtlich, wenn der Bescheid nicht unwirksam ist. Unwirksam ist der Bußgeldbescheid nur bei schwerwiegenden Mängeln, liegen solche vor, ist das Verfahren mangels Vorliegens einer Prozessvoraussetzung gemäß §§ 36 Abs. 1 OWiG, 206a, 260 StPO einzustellen. Die tatsächliche und rechtliche Bezeichnung der Tat gemäß § 66 Abs. 1 Ziff. 3 OWiG soll die Beschuldigung eindeutig kennzeichnen. Wesentlich für die Bezeichnung ist deshalb, dass der Betroffene erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet, gegen welchen Vorwurf er daher seine Verteidigung richten muss. Es kommt darauf an, wie wahrscheinlich es ist, dass der Betroffene zu der angegebenen Zeit und in dem angegebenen Raum weitere gleichartige Ordnungswidrigkeiten verübt hat und eine Verwechselungsgefahr besteht. Gemessen hieran ist der Bußgeldbescheid ausreichend, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Tatidentität bestehen kann, also feststeht, welchen Sachverhalt er erfasst und ahnden soll (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 30.05.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 144/22).

Denn ob die im Bußgeldbescheid bezeichnete prozessuale Tat hinreichend genau bezeichnet ist, hängt davon ab, ob der Bußgeldbescheid seine diesbezügliche Aufgabe erfüllt, den Gegenstand des (gerichtlichen) Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abzugrenzen sowie den Betroffenen ohne Akteneinsicht und Einholung von Rechtsrat in die Lage zu versetzen, zu erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen ihn erhoben wird (vgl. KG, Beschluss vom 31.01.2019 – 3 Ws (B) 42/19122 Ss 19/19).

II.

Vorliegend weist der Bußgeldbescheid derartige schwerwiegende Mängel auf.

Der Bußgeldbescheid benennt insgesamt vier Taten, welche sich um 22:10 Uhr in 1. Balve und 2. um 22:20 Uhr in Menden ereignet haben sollen, wobei 1. und 2. auf der B515 1. Hönnetalstraße und 2. Bessemerweg stattgefunden haben sollen.

Nachfolgend sind die einzelnen Taten tabellarisch dargestellt, insoweit wird auf den Bußgeldbescheid verwiesen.

Allein auf Grundlage des Bußgeldbescheides ist es schon dem Gericht ohne vorherigen intensives Aktenstudium nicht möglich gewesen, den einzelnen benannten Taten den jeweiligen Tatort zuzuordnen. Die Aufzählung ist völlig sprunghaft und ohne roten Faden, so dass schon nicht ersichtlich ist, welche der vorgenannten – lückenhaften – Tatorte, welchem Tatgeschehen zugeordnet werden soll. Abgesehen davon finet sich die vorbezeichnete Nummerierung in der tabellarischen Auflistung schlicht nicht wieder, vielmehr werden in der Bezeichnung der jeweiligen Taten – wahrscheinlich wegen der angenommenen Tateinheit – sämtliche Taten unter Ziffer 1 aufgeführt, so dass anhand der Ziffern keine konkrete Zuordnung möglich ist. Darüber hinaus ist jedoch noch zu beachten, dass die in der Tabelle genannten Taten nicht dem zuvor bezeichneten chronologischen Ablauf folgen, sondern – vermutlich – dem Schweregrad nach dem Bußgeldkatalog, was die Zuordnung von Tatzeit und Tatort noch unmöglicher macht.

Zudem ist zu beachten, dass allein in der Schilderung des Zeugen Michel von mehreren Überholmanövern die Rede ist bei einer Fahrtstrecke, die über mehrere Kilometer geht und über mehrere Lichtzeichenanlagen und Sperrflächen verfügt. Auch hieraus ergibt sich, dass ohne Zuhilfenahme des weiteren Akteninhaltes eine Zuordnung der Verstöße nicht möglich ist.

1. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die sich insbesondere aus § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG ergebenden und den gesetzlichen Anforderungen an die strafprozessuale Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 S. 1 StPO) und den Strafbefehl (409 Abs. 1 S. 1 StPO) nachgebildeten Anforderungen an den Bußgeldbescheid als wirksame Verfahrensgrundlage für eine gerichtliche Sachentscheidung dürfen nicht überspannt werden dürfen. Entscheidend ist allerdings, dass der Betroffene anhand der Tatbeschreibung des Bußgeldbescheides, also namentlich aus den Angaben zum Begehungsort und zur Tatzeit erkennen kann, wegen welchem konkreten Fehlverhalten er zur Verantwortung gezogen werden soll und insoweit eine Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausgeschlossen ist. Deshalb genügt zur Bezeichnung der „Tat“ im Sinne von § 66 Abs. Nr. 3 OWiG etwa die schlichte Angabe der abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht. Vielmehr ist der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll. Denn nur dann ist ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet. Der Umfang der Tatschilderung wird allerdings auch hier maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt. Da das Bußgeldverfahren eine schnelle und Verwaltungskosten einsparende Ahndung der Ordnungswidrigkeiten bezweckt, verbietet sich eine ausführliche Schilderung von selbst; auch ein in Rechtsfragen unerfahrener Bürger muss jedoch den Vorwurf verstehen können (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 12.08.2008 – 3 Ss OWi 896/08).

Diese Voraussetzungen erfüllt der hiesige Bußgeldbescheid – wie oben ausgeführt – schon nicht.

2. Die durch die unzulängliche Fassung des konkreten Tatgeschehens entstehenden Zweifel an der Tatidentität sind auch nicht unschädlich. Dies kann der Fall sein, wenn sowohl für den Betroffenen als auch für Dritte nicht offenbleibt, welcher Lebenssachverhalt durch den Bußgeldbescheid geahndet werden soll BeckOK OWiG/Sackreuther OWiG § 66 Rn. 29). Dies gilt beispielweise, wenn die, die Ordnungswidrigkeit beobachtenden Polizeibeamten den Betroffenen in unmittelbarer zeitlicher und/oder örtlicher Nähe mit der konkreten Bezeichnung des Fehlverhaltens konfrontieren.

Dies war jedoch hier gerade nicht der Fall, da der Zeuge pp. dem Betroffenen nur ganz allgemein auf sein Fahrverhalten angesprochen hat, ohne die konkreten Verstöße zu individualisieren.

3. Der vorbezeichnete Verstoß wird auch nicht durch Ergänzung der weiteren Akteninhalte „geheilt“. Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im Übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, „heilen”. Der Bußgeldbescheid erwächst, sofern er nicht angefochten wird, in Rechtskraft. Er muss daher auch selbst die für seine Wirksamkeit notwendigen Voraussetzungen erfüllen, d.h. die Gefahr einer Verwechslung mit einer möglichen gleichartigen Ordnungswidrigkeit desselben Betroffenen ausschien (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.09.2021 – 4 RBs 277/21).“

Bei einer so schönen Entscheidungsbegründung darf es hier auch mal etwas mehr Text sein. Und die Kosten- und Auslagenentscheidung ist auch richtig. Da muss die Staatskasse ran.

Ich nehme dann mal <<Werbemodus an>> diese Entscheidung auf „Burhoff (Hrsg.) Handuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024″ zu verweisen. Die Neuauflage liegt inzwischen vor und kann hier bestellt werden. In dem Buch sind die Fragen des Bußgeldbescheides eingehend erörtert. <<Werbemodus aus>>.

 

StPO III: Arrestanordnung bei Geldwäscheverdacht, oder: Allgemeiner Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?

entnommen openclipart.org

Und dann zum Schluss des Tages mal wieder etwas zum Arrest, und zwar den LG Amberg, Beschl. v. 06.05..2024 – 11 Qs 25/24.

Gegen den Beschuldigten sowie eine Mitbeschuldigte ist ein Ermittlungs-verfahren wegen des Verdachts der vorsätzlichen Geldwäsche gemäß §§ 261 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2 StGB anhängig. Sie sollen aufgrund eines einheitlichen Tatentschlusses auf ihrem gemeinsam geführten Konto bei der pp-Bank (?)  im Zeitraum vom 14.11.2023 bis 12.01.2024 eingegangene Gelder ihnen unbekannter Geschädigter in Höhe von insgesamt 111.646,59 EUR auf ein in Litauen geführtes Konto der pp. an einen unbekannten Täter weitergeleitet haben, wobei die Beschuldigten jedenfalls damit gerechnet hätten, dass die Geschädigten zuvor in der Absicht rechtswidriger Bereicherung und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Überweisung der Geldbeträge veranlasst worden seien.

Mit Beschluss des AG wurde gegen die Beschuldigten zur Sicherung des Anspruchs auf Einziehung von Wertersatz der Vermögensarrest in Höhe von 111.646,59 EUR in das gesamte Vermögen der Beschuldigten angeordnet.

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Erfolg hatte. Das LG verneint die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme:

„c) Allerdings ist vorliegend ein Sicherungsbedürfnis (Arrestgrund) im Sinne von § 111e Abs. 1 StPO nicht gegeben.

Durch die Neuregelung des § 111e Abs. 1 StPO und die ersatzlose Aufhebung des § 111d Abs. 2 StPO a.F. ist der Verweis auf § 917 ZPO, mithin die Besorgnis einer Erschwerung oder wesentlichen Vereitelung der Forderungsvollstreckung, entfallen, womit jedoch das bisherige Erfordernis eines „Arrestgrundes“ und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht tangiert werden sollten (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S.76, 77). Nach der Gesetzesbegründung soll auch in der ab dem 1. Juli 2017 geltenden Regelung der Vermögensarrest wie bisher nur zulässig sein, wenn dies zur Sicherung der Vollstreckung erforderlich ist.

Die Regelung beinhaltet nach dem Wortlaut und den gesetzgeberischen Motiven, dass der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Obermaßverbot und die bisherige Rechtsprechung zum „Arrestgrund“ zu beachten sind (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 49, 76 f.; OLG Stuttgart, Be-schluss vom 25. Oktober 2017 – 1 StR 163/17, NJW 2017, 3731 Rn. 15, KG, Beschluss vom 2. Juni 2020 – 4 Ws 21/20, juris Rn. 25, KK-StPO/Spillecke, 8. Aufl., § 111e Rn. 4, LR/Johann, StPO, 27. Aufl., § 111e Rn. 11 ff., 38). Demnach kommt der Arrest nur in Betracht, wenn zu besorgen ist, dass ohne dessen Verhängung die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werde (s. § 917 Abs. 1 ZPO, BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 – KRB 2/14, NJW 2014, 3258 Rn. 6). Hierbei sind alle Umstände zu würdigen, die geeignet sind, Anhaltspunkte für oder gegen eine drohende Vereitelung oder Erschwerung der Vollstreckung zu ergeben. Dazu können die Art und die Umstände der Verfehlung, die darauf bezogene Hartnäckigkeit und Dauer sowie Maß und Mittel der Tatabsicherung Berücksichtigung finden. Allerdings wird allein das Ge-wicht der zugrundeliegenden Tat nur in besonderen Ausnahmefällen ausreichen. Um einen Arrestgrund bejahen zu können, sind vielmehr regelmäßig Erkenntnisse auch aus dem Verhalten nach der Tat, insbesondere unter dem Eindruck des laufenden Verfahrens, erforderlich, die auf eine entsprechende Vollstreckungsvereitelungsabsicht hindeuten könnten (BGH (3. Strafsenat), Beschluss vom 19.01.2021 – StB 46/20, BGH, Beschluss vom 3. Juni 2014 – KRB 2/14, NJW 2014, 3258 Rn. 7 mwN).

Nach diesen Maßstäben ist der Arrest weder möglich noch verhältnismäßig.

Aus der Tat selbst kann nicht ohne weiteres auf eine Vereitelungsabsicht des Beschuldigten geschlossen werden.

Die verfahrensgegenständlichen Beträge wurden nach eigener über seinen Verteidiger abgegebenen Einlassung des Beschuldigten auf das auf seinen Namen lautende Konto der pp. in Litauen transferiert. Der Beschuldigte konnte über dieses Konto jedoch nicht verfügen. Der Verteidiger selbst hat sich seinen Angaben zufolge überdies vergewissern können, dass auf diesem Konto zwar angeblich ein Bitcoin-Guthaben von 225.000,- € hinterlegt, aber als Kontostand 0,00 € verzeichnet sei.

Vom Beschuldigten veranlasste Abbuchungen auf dieses Konto würden für diesen also keinen Sinn ergeben, die Gefahr eines verminderten Zugriffs im Falle späterer Verurteilung zur Einziehung hieraus nicht erwachsen.

Auch zum Vor- und Nachtatverhalten des Beschuldigten, insbesondere seinem unter dem Ein-druck des laufenden Verfahrens stehenden Verhalten, ist nichts Besorgniserregendes bekannt.

Danach kann auch unter der Prämisse, dass auch bezüglich der Besorgnis, ohne die Verhängung des Vermögensarrestes werde die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert, ein (einfacher) Anfangsverdacht iSd § 152 Abs. 2 StPO genügt, ein Sicherungsbedürfnis nicht abgeleitet werden.

Dies gilt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit, die dabei besonders in den Blick zu nehmen sind.

Die angeordneten Vollziehungsmaßnahmen binden vorliegend das gesamte Vermögen des Be-schuldigten, das ihm noch zur Verfügung steht und das er für ganz andere, durchaus legale Zwe-cke dringend benötigt. Da die Arrestsumme in solchen Fällen oft nicht erreicht wird, engt dies auch die zukünftigen wirtschaftlichen Spielräume ggf. massiv ein. Dem Betroffenen wird bereits auf relativ unsicherer Tatsachenbasis und ohne seine Position zuvor verdeutlichen zu können, mittelbar angesonnen, das Vermögen, welches mangels Vorhandenseins nicht gesichert werden kann, zukünftig zum Zwecke weiterer Vollziehung des Vermögensarrests neu zu schaffen. Belas-sen wird es ihm im Rahmen der Vollziehung jedoch lediglich bis zur Pfändungsfreigrenze, während diese übersteigende Beträge nur der weiteren Vollziehung des Vermögensarrests dienen. Unabhängig vom bisherigen Lebensstandard zwingt ihn eine bloß vorläufige und allein der Sicherung dienende Maßnahme, ab sofort ein Leben auf Sozialhilfeniveau zu führen. Das trifft den Adressaten viel stärker als eine Beschlagnahme und erhöht deshalb die Zulässigkeitshürden bereits vor Anordnung, weil die Belastungen aufgrund Vollziehung absehbar sind (MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl. 2023, StPO § 111e Rn. 1-8).

Da das nahezu gesamte Vermögen der Verfügungsbefugnis des Beschuldigten entzogen ist, stellt dies für ihn eine gravierende Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit dar (vgl. BVerfG NJW 2004, 2443). Der Beschuldigte betreibt hauptberuflich einen Autohandel. Durch die vorgenannten Einschränkungen droht der Verlust seiner beruflichen Existenz.

Die Anordnung des Vermögensarrestes ist daher unverhältnismäßig und kann keinen Bestand haben.“

Neuigkeiten zum CanG/KCanG III: Einziehung, oder: Überschreiten der erlaubten nicht geringen Menge

entnommen wikimedia.org
Author H. Zell

Und dann habe ich hier noch eine Entscheidung zur Einziehung, und zwar den AG Bautzen, Beschl. v. 27.05.2024 – 47 Gs 409/24. In ihm geht es um den Umfang dr Einziehung (von Cannabispflanzen) bei Überschreitung der nicht geringen Menge.

Folgender Sachverhalt:

„Kurz vor dem 12.5.2024 baute der über 18 Jahre alte Beschuldigte in seiner Wohnung auf dem Anwesen pp..straße 21 in pp. vier weibliche Cannabispflanzen zum Eigenkonsum an, welche am 12.5.2024 in einem eigens dafür errichteten Anbauzelt in der Wohnung jeweils in einem Gefäß aufbewahrt wurden. Daneben bewahrte der Beschuldigte 47,494g Cannabisblüten in zwei Gläsern in einem Küchenschrank auf. Sowohl die vier Pflanzen als auch die beiden Gefäße mit den Cannabisblüten wurden durch die Polizei sichergestellt. Dem Beschuldigten war bewusst, dass er für den Anbau von mehr als 3 Cannabispflanzen eine Erlaubnis hatte.

Diese Handlungen strafbar als unerlaubter Anbau von Cannabis gemäß §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, 34 Abs. 1 Nr. 2a, 37 KCanG, 74 StGB.

Der Beschuldigte hat die Herausgabe sämtlicher von der Polizei sichergestellten im Tenor bezeichneten Gegenstände verlangt.“

Dazu sagt das AG:

„1. Die Beschlagnahme war nach §§ 94, 98 Abs. 2 i.V.m. § 111b, 111c, 111j Abs. 2 StPO für eine Cannabispflanze richterlich zu bestätigen, da die (vierte) Cannabispflanze nebst Pflanztopf sowohl als Beweismittel dient, als auch der späteren Einziehung im Hauptverfahren nach § 37 KCanG, § 74 StGB unterliegt.

Die angeordnete Maßnahme steht auch im angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat sowie zur Stärke des Tatverdachtes und ist für die weiteren Ermittlungen und die Sicherung der Durchführung des Verfahrens notwendig.

2. Der weitergehende Antrag der Staatsanwaltschaft auf richterliche Bestätigung der Beschlagnahme der sichergestellten drei weiteren Cannabispflanzen und der beiden Glasbehälter mit den Cannabisblüten war indes abzulehnen, da keine gesetzliche Grundlage für diesen Eingriff in die nach Art. 2 Abs. 1, Art. 14 GG geschützten Freiheiten besteht.

a) Beschlagnahme als Einziehungsgegenstand:

Nach der mit dem CanG getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung zur Neuausrichtung im Umgang mit Cannabis sind in gewissen Grenzen unter anderem Besitz und Anbau von Cannabis erlaubt. Damit einhergehend stehen diese erlaubten Tätigkeiten auch nicht (mehr) unter Strafe. Konkret ist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KCanG der Besitz von bis zu 50 g Cannabis am Wohnsitz (Buchst. a) und der Besitz von bis zu drei lebenden Cannabispflanzen (Buchst. b) erlaubt. Das Additionsverbot von § 3 Abs. 2 Satz 2 KCanG erfasst nicht die Gegenstände und Mengen nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a und b KCanG.

Anders als die Staatsanwaltschaft ist das Gericht nicht der Auffassung, dass sich die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat des unerlaubten Anbaus von Cannabis auf alle vier lebenden Cannabispflanzen bezieht und damit alle vier Pflanzen der Beschlagnahme (zur Sicherung der späteren Einziehung) unterliegen. Der Anbau von bis zu drei Cannabispflanzen gleichzeitig zum Eigenkonsum ist nicht nur gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 KCanG straflos, sondern nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG gesetzlich erlaubt. Die in diesem Rahmen erlaubte Tätigkeit wird nicht dadurch insgesamt zur unerlaubten Tätigkeit, da die erlaubte Menge (hier um eine lebende Cannabispflanze) überschritten wird. Eine derartige Auslegung wäre nach Auffassung des Gerichts contra legem. Gleiches gilt im Ergebnis beim Zusammentreffen des Besitzes der nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten Menge mit dem gleichzeitigen Anbau von bis zu drei lebenden Cannabispflanzen zum Eigenkonsum, da das Additionsverbot insoweit nicht eingreift.

Das Gericht ist sich durchaus bewusst, dass dies im Ergebnis dazu führen dürfte, dass die Ermittlungsbehörden die erlaubten Mengen Cannabis abwägen bzw. abzählen und beim Beschuldigten belassen oder an zurückgeben werden müssen.

b) Beschlagnahme als Beweisgegenstand:

Eine Beschlagnahme der drei weiteren Cannabispflanzen und der 47,494g Cannabisblüten nach §§ 94, 98 Abs. 2 StPO als Beweisgegenstand kommt ebenfalls nicht in Betracht. Die Staatsanwaltschaft hat bereits nicht vorgetragen, zu welchen Beweiszwecken diese Gegenstände im Strafverfahren Verwendung finden sollen. Es zeigt sich auch nicht als erforderlich, die Gegenstände als potentielle Beweismittel vorerst im staatlichen Gewahrsam zu belassen. Denn eine fotografische Sicherung der Gegenstände ist erfolgt. Nach den Ausführungen der Mitbeschuldigten besteht auch kein Zweifel daran, dass es sich jeweils um Cannabis bzw. Cannabispflanzen handelt. Auch hat der Beschuldigte dies dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er „sein Cannabis“ zurückgefordert hat.

c) Nicht geringe Menge:

Eine Beschlagnahme zu Beweiszwecken käme uneingeschränkt für alle Gegenstände dann in Betracht, wenn sich der Verdacht bestehen würde, dass der Beschuldigte eine nicht geringe Menge (§ 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG) besessen und angebaut hat. Ausgehend von der aktuellen Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 18.04.2024 – 1StR 106/24) liegt die nicht geringe Menge weiterhin bei 7,5 g THC. Die sichergestellte Menge erlaubt jedoch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen THC-Gehalts von 10 % nicht den Schluss, dass die nicht geringe Menge vorliegend überschritten wurde. Einer solcher Verdachtsrichtung geht auch die Staatsanwaltschaft nicht nach.

Es kommt daher insoweit auch nicht auf die Frage an, ob im Falle einer nicht geringen Menge die gesamte Menge der Einziehung nach § 37 KCanG i.V.m. § 74 StGB und damit einer vorläufigen Beschlagnahme als potentieller Einziehungsgegenstand unterliegen würde oder ob die Einziehung sich nicht auf die Cannabisgegenstände beziehen kann, die keine nicht geringe Menge sind und deren Gewicht bzw. Zahl unterhalb der Freigrenzen nach § 3 Abs. 1 und 2 KCanG liegen.“

Neuigkeiten zum CanG/KCanG II: Strafzumessung u.a.: Neue Strafe, Gesamtstrafen(bildung), Mischfall

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Im zweiten Posting dann drei Entscheidungen zur Neubemessung/Neubewertung „alter“ Strafen. Auch insoweit stelle ich nur die Leitsätze der Entscheidungen vor. Rest dann bitte selbst lesen:

Im Cannabisgesetz ist gemäß Art. 316p, Art. 313 EGStGB eine über den Erlass von nicht vollstreckten Strafen für nach neuem Recht nicht mehr strafbares Verhalten hinausreichende Amnestieregelung nicht vorgesehen. Insoweit kommt auch eine Neubewertung bereits rechtskräftig verhängter Strafen wegen nach neuem Recht ebenfalls strafbarer Tathandlungen nicht in Betracht.

Bei einer Gesamtstrafenbildung nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes sind Einzelstrafen wegen Taten, die nach neuem Recht weder strafbar noch mit Geldbuße bedroht sind, nicht einzubeziehen, da sie gem. Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB als erlassen gelten.

Art. 313 Abs. 3 EGStGB erfasst nicht sog. „BtM-Mischfälle“, in denen neben Cannabis auch andere Betäubungsmittel besessen wurden.

 

 

Terminsvertreter des Pflichtverteidigers für einen Tag, oder: OLG Hamm ändert LG Essen unrichtig ab

daumen

Und dann noch nochmal etwas zu den Gebühren des Terminsvertreters des Pflichtverteidiger. Folgender Sachverhalt in Kürze: Die Kollegin ist durch Beschluss der Vorsitzenden einer großen Strafkammer des LG Essen vom 03.03.2022 in einem dort anhängigen Strafverfahren gegen u.a. den Angeklagten als Terminsvertreterin für den Pflichtverteidiger dieses Angeklagten, Rechtsanwalt R. für den ersten Hauptverhandlungstag beigeordnet worden. Der erste Hauptverhandlungstermin fand am 07.03.2022 statt und dauerte dreißig Minuten, es wurde im Wesentlichen die Anklageschrift verlesen. Eine Einlassung des Angeklagten erfolgte zunächst nicht.

Die Kollegin hat dann beantragt, ihre Gebühren festzusetzen. Sie hat Festsetzung der Grundgebühr Nr. 4101, VV RVG, der Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV RVG, der Terminsgebühr Nr. 4115 VV RVG, der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG sowie von Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgelder sowie USt beantragt.

Das LG hat die dann auch festgesetzt im LG Essen, Beschl. v. 06.07.2023 – 27 KLs 43/21, der folgenden Leitsatz hat:

    1. Der nur für einen Termin als Terminsvertreter beigeordnete Rechtsanwalt rechnet nach Teil Abschnitt 1 VV RVG ab.
    2. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht auf die Terminsgebühr, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände.

Es kommt dann natürlich das, was zu erwarten war, nämlich das Rechtsmittel des Bezirksrevisors. Und dann kommt das OLG Hamm in seiner überbordenden Weisheit und hebt im OLG Hamm, Beschl. v. 30.10.2024 – III-5 Ws 273/23 – die Entscheidung des LG auf und sagt:

Für den „Terminsvertreter“ des Pflichtverteidigers entsteht nur die Terminsgebühr. Grund-, Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale entstehen nicht.

Ich fasse die Begründung des Beschlusses des Einzelrichters (!) mal zusammen. Sie lautet. Vertretung ist bei der Pflichtverteidigung zulässig und der Vertreter verdient dann nur die Terminsgebühr. Wer mehr von der falschen Begründung lesen will, der mag das im verlinkten Volltext tun.

Anzumerken ist dazu Folgendes:

Der Entscheidung ist zu widersprechen.

1. Zu widersprechen ist schon der Auffassung des Einzelrichters, dass wegen der ständigen Rechtsprechung des OLG Hamm eine Übertragung auf den und durch den Senat nicht erforderlich sei. Es ist ja schön, wenn das OLG die Frage offenbar schon häufiger entschieden hat. Nur: Die Beschlüsse sind alle unveröffentlicht, hängen also irgendwo beim OLG Hamm im „stillen Kämmerlein“. Man fragt sich., warum man diese Entscheidungen in einer Frage, die ja nun die Rechtsprechung schon seit langem immer wieder beschäftigt nicht, nicht nach außen kund tut. Vielleicht waren die Beschlüsse ja überzeugend, jedenfalls hätten sie zur Diskussion beitragen könne?

Zu einer Übertragung auf den Senat hätte m.E. auf vor allem deshalb Anlass bestanden, weil die Frage, ob der Terminsvertreter des Pflichtverteidigers nur die Terminsgebühr verdient oder auch die Grund- und Verfahrensgebühr ja inzwischen von zahlreichen Gerichten anders gesehen wird als vom OLG Hamm (vgl. nur OLG Bamberg, NStZ-RR 2011, 223 [Ls.]; OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), AGS 2024, 171; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2008 – 1 Ws 318/08; OLG Jena, JurBüro 2011, 478; Beschl. v. 14.4.2021 – (S) AR 62/20, AGS 2021, 394 = JurBüro 2021, 576; OLG Karlsruhe, StraFo 2008, 349 = NJW 2008, 2935 = RVGreport 2009, 19 = StRR 2009, 119; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164 = NStZ-RR 2023, 159; OLG Köln, RVGreport 2010, 462 = AGS 2011, 286; OLG München, NStZ-RR 2009, 32 = StRR 2009, 120 = RVGreport 2009, 227; OLG München, RVGreport 2016, 145 = AGS 2014, 174 = Rpfleger 2014, 445; OLG Nürnberg, RVGreport 2016, 105 = StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29; OLG Schleswig SchlHA 2010, 269 [Dö/Dr]). Insbesondere die gut begründete Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 9.2.203 (a.a.O.) hätte dem OLG Hamm Anlass sein sollen, sich noch einmal näher mit der streitigen Frage auseinander zu setzen. Aber die wird noch nicht einmal erwähnt. Das lässt – zumindest bei mir – den Eindruck entstehen, es hier mit einer Entscheidung zu tun zu haben, die in die Rubrik: „Das haben wir immer schon so gemacht.“ einzuordnen ist.

2. In der Sache ist dem OLG ebenfalls zu widersprechen. Die Entscheidung steht und fällt mit der Frage, ob die Ansicht des OLG, eine „Vertretung“ i.e.S. des Pflichtverteidigers sei zulässig. Das ist m.E. nicht der Fall. Denn die Beiordnung des Pflichtverteidigers ist auf seine Person beschränkt; sie ist höchst persönlich (so auch Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 142 Rn 15; Hillenbrand in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3636 f., jeweils m.w.N.; BGHSt 59, 284 = NJW 2014, 3320 m. Anm. Barton StRR 2015, 62; BGH NStZ 2012, 276; OLG Saarbrücken, RVGreport 2015, 64 = StRR 2015, 117). Soweit einige Gerichte (OLG Celle RVGreport 2009, 226; OLG Koblenz JurBüro 2013, 84 = RVGreport 2013, 17; LG Potsdam JurBüro 2011, 417 = AGS 2012, 65; LG Saarbrücken, Beschl. v. 30.6.2014 – 2 KLs 2/13) anderer Ansicht sind, ist das m.E. seit BGHSt 59, 284 nicht mehr haltbar.

3. Im Übrigen: Zu der Frage, dass nicht nur die Terminsgebühr, sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr anfallen, ist schon viel geschrieben worden. Das muss man hier nicht wiederholen. Ich verweise dazu auf den o.a. Beschluss des OLG Karlsruhe und auf Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2101 ff.). In dem Zusammenhang liegt der Hinweis des OLG auf die (geringe) Dauer des Hauptverhandlungstermins an dieser Stelle neben der Sache.

Zu der Frage, warum die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG nicht entstanden ist, enthält der Beschluss des OLG kein Wort der Begründung. Die dürfte hier aber entstanden sein, da sich aus dem Beschluss ergibt, dass die Pflichtverteidigerin auch telefoniert hat. Das reicht aber für das Entstehen der Nr. 7002 VV RVG aus (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 7002 VV Rn 1 m.w.N.).

4. Für den Verteidiger lässt sich aus der Entscheidung ableiten, dass er in diesen Fällen sehr sorgfältig prüfen sollte/muss, welche Entscheidungen ergehen. Ggf. muss gegen einen Beschluss, der einen Antrag nicht voll ausschöpft, so wie hier, da Bestellung als „weiterer Pflichtverteidiger„ beantragt war, sofortige Beschwerde (§ 142 Abs. 7 StPO) eingelegt oder auf Klarstellung gedrängt werden, dass man nicht von einer Vertretung i.e.S. (vgl. auch § 5 RVG) ausgeht.“