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beA I: Anforderungen an eine „beA-Ersatzeinreichung“, oder: Nicht nur eine Geschichte erzählen….

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Und am Ostermontag dann ein wenig „beA“. Dazu zunächst der schon etwas ältere KG, Beschl. v. 17.10.2022 – (3) 121 Ss 105/22 (42/22) – zu Anforderungen an eine „beA-Ersatzeinreichung“

Das AG hatte den Angeklagten am 11.08.2021 wegen des Einschleusens von Ausländern zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG mit Urteil v. 12.05.2022 verworfen. Am 18.05.2022 hat der Verteidiger per beA gegen das Urteil des LG Revision eingelegt.

Nachdem dem Verteidiger am 31.05.2022 die schriftlichen Urteilsgründe zugestellt worden sind, hat er mit Schriftsatz vom 30.06.2022, beim LG eingegangen per Fax am 30.6.2022 um 21:45 Uhr „wegen beA-Problem“, die Revision begründet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Der Verteidiger hat mit weiterem Schriftsatz vom 12.07.2022 über das beA „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zum 30. Juni 2022“ beantragt und den Schriftsatz mit der Revisionsbegründung vom 30.06.2022 mitübersandt. Zur – anwaltlich versicherten – Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führt er u.a. aus, am 30.06.2022 habe er keine Versendung per besonderem elektronischen Anwaltspostfach vornehmen können. Morgens sei der PC „heißgefahren“ und habe „Geräusche von sich“ gegeben. Der PC sei dann vom Strom getrennt worden. Vormittags sei ein PC-Notdienst eingeschaltet worden, der das Gerät abgeholt habe. Ein Ersatzteil habe bestellt werden müssen, das angeblich noch am selben Tag hätte kommen sollen, jedoch erst am 01.07.2022 eingetroffen sei. Der PC-Notdienst habe lediglich die Kurzdiagnose abgegeben, dass die Festplatte beschädigt sei, so habe er – der Verteidiger – das Gerät am frühen Nachmittag des 01.07.2022 wieder abgeholt und einen Bekannten, der Programmierer ist, gebeten, „sich der Sache anzunehmen“. Er habe sich noch am 01.07.2022 abends mit diesem getroffen und bei Amazon ein sog. „M2 Gehäuse“ bestellt, um die Festplatte gesondert prüfen zu können. Dieses sei am 02.07.2022 angekommen und er habe noch am selben Tag eine „MAC-Ausstattung“ gekauft. Gegen 3:30 Uhr in der Nacht hätten sie dann „die Festplatte auf eine Windows-Ebene innerhalb des Macs installieren und auch die Neuinstallation des [besonderen elektronischen Anwaltspostfachs] abschließen“ können. Das beA habe er jedoch nicht verwenden können, da der Windows-Scanner Samsung C1860SW mit dem Mac-Programm nicht kompatibel gewesen sei und ein neuer Scanner „am gleichen Freitag den 08.07.2022“ habe installiert werden müssen. Erst dann sei ihm eine Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach wieder möglich gewesen.

Das KG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Revision als unzulässig verworfen:

„Gemessen an diesem Maßstab ist die am 30. Juni 2022 per Fax und nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (nachfolgend beA) übermittelte Revisionsbegründung formunwirksam und die Monatsfrist, die aufgrund der Zustellung des Urteils am 31. Mai 2022 an den Verteidiger am 30. Juni 2022 endete (§ 43 Abs. 1 StPO), nicht gewahrt.

b) Eine Befreiung von dem Formerfordernis, den der Ausnahmefall nach § 32d Satz 2 StPO vorsieht, ist nicht durch die Ersatzeinreichung eingetreten, da weder der knappe Hinweis auf ein Problem mit dem beA bei der Ersatzeinreichung am 30. Juni 2022 noch der weitere anwaltliche Vortrag vom 12. Juli 2022 die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzeinreichung nach § 32d Satz 3 und 4 StPO erfüllen. Danach hat der Verteidiger:

aa) unter Hinweis auf eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur eine vorübergehende technische Störung, die eine elektronische Übermittlung mittels beA unmöglich gemacht hat, vorzutragen,

bb) die Tatsachen glaubhaft zu machen und

cc) diesen glaubhaft gemachten Sachverhalt zeitgleich mit der Ersatzeinreichung vorzubringen.

War der Verteidiger verhindert, die zeitliche Vorgabe zu erfüllen, etwa weil er erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, muss er unverzüglich danach den erforderlichen Vortrag (vgl. aa) und bb)) einschließlich der Umstände seiner Verhinderung, die ebenfalls glaubhaft zu machen sind, dem Gericht mitteilen (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 51). Unverzüglich bedeutet dabei ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. Bosbach in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht 5. Aufl., § 32d StPO Rn. 4; Radke a.a.O., § 32d Rn. 18; BT-Drucks. 18/9416, S. 51).

Nicht erforderlich ist – schon ausweislich des insoweit eindeutigen Wortlauts von § 32d StPO und insbesondere von Satz 2 und Satz 4 a.E. („auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen“) und vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Ausnahmeregelung –, dass dies selbst in der Form nach §§ 32d Satz 2, 32a StPO zu geschehen hat (vgl. zu den Anforderungen an einen entsprechenden Vortrag auch LG Arnsberg NStZ 2022, 639).

Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Übermittlung der in § 32d Satz 2 StPO genannten Prozesshandlungen in Papierform oder durch Telefax ausnahmsweise zulässig und form- und fristwahrend (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2022 – 4 StR 104/22 –, juris).

Diesen Anforderungen genügt das Verhalten des Verteidigers, der ersichtlich diese Ausnahmevorschrift zur Fristwahrung in Anspruch nehmen wollte, nicht.

Denn der per Fax am Tag des Fristablaufs übersandte Schriftsatz vom 30. Juni 2022 enthält weder einen Tatsachenvortrag zu der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung noch eine entsprechende Glaubhaftmachung.

Auch der Schriftsatz vom 12. Juli 2022 erfüllt nicht einmal ansatzweise die o.g. Voraussetzungen. Offen bleibt bereits, warum es dem Verteidiger, dessen Faxgerät nach seinem Vortrag nicht beeinträchtigt war, nicht möglich gewesen ist, zugleich mit der um 21:45 Uhr bei Gericht eingegangen Ersatzeinreichung entsprechend vorzutragen.

Der Vortrag im Schriftsatz vom 12. Juli 2022 befasst sich – bereits im Ansatz unzutreffend – lediglich mit der geschichtlichen Schilderung der Beseitigung der technischen Störung und deren Glaubhaftmachung. Es fehlt das Vorbringen, warum es ihm nicht möglich gewesen ist, noch vor dem 12. Juli 2022 zur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit vorzutragen. Offen bleibt auch, ob es in der Kanzlei neben dem defekten PC nicht noch – etwa im Sekretariat – ein oder mehrere funktionstüchtige weitere Geräte gab. Dass grundsätzlich überhaupt eine entsprechende technische Infrastruktur vorgehalten worden ist, ergibt sich aus den Ausführungen zudem nur ansatzweise und mittelbar.“

beA II: Vorübergehende technische Unmöglichkeit, oder: Unverzügliche Glaubhaftmachung ist erforderlich

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Und auch die zweite Entscheidung hat heute eine beA-Problematik zum Gegenstand. Der BGH hat im BGH, Beschl. v. 15.12.2022 – III ZB 18/22 – zur Frage der Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 und 3 ZPO Stellung genommen. Die Entscheidung ist schon etwas älter, ich hatte sie bisher übersehen. Aber man kann gerade im Hinblick auf § 130d ZPO als Anwalt nicht vorsichtig genug sein. Daher kann man auch jetzt noch über die Entscheidung berichten.

Nach dem Sachverhalt hatte das LG die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 6.904,17 EUR nebst Zinsen verurteilt. Gegen das der Beklagten am 20.11.2021 zugestellte Urteil hat diese am 19.12.2021 durch Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten des OLG form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 20.12.2022 ebenfalls durch Einwurf in den Briefkasten des OLG eingereicht. Der Klägerin ist sodann mit Vorsitzendenverfügung vom 09.02.2022 eine Frist zur Berufungserwiderung gesetzt worden. Nachdem die Klägerin unter dem 10.02.2022 um Mitteilung gebeten hatte, ob die Berufungsbegründung gemäß § 130d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht worden sei, ist die Beklagte mit Vorsitzendenverfügung vom 11.02.2022 unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen darauf hingewiesen worden, bei Setzung der Berufungserwiderungsfrist sei nicht aufgefallen, dass die Berufungsbegründung entgegen § 130d ZPO nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sei. Eine vorübergehende Unmöglichkeit (iSd § 130d Satz 2 und 3 ZPO) sei weder in der Berufungsbegründung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht worden. Bei dieser Sachlage sei die Berufung möglicherweise nicht formgerecht entsprechend § 520 Abs. 3 ZPO begründet worden. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat daraufhin mit Schriftsatz vom 24.02.2022 eidesstattlich versichert, dass am 20.01.2022 nach dem Aufspielen eines Updates die „beA Client Security“ nicht mehr habe gestartet werden können. Diese habe erneut aufgespielt werden müssen, um die Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) zu beseitigen. Die Berufungsbegründung sei daher zur Fristwahrung als Brief in den Nachtbriefkasten des OLG eingelegt worden. Mit Beschluss vom 02.03.2022 hat das OLG die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Beklagten, die keinen Erfolg hatte. Der BGh führt zu § 130d ZPO aus:

„….. Das Berufungsgericht hat den Zugang der Beklagten zur Berufungsinstanz jedoch nicht in unzumutbarer Weise erschwert. Die Auslegung und Anwendung von § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO ist rechtsfehlerfrei erfolgt. Insbesondere hat das Berufungsgericht den Rechtsbegriff „unverzüglich“ zutreffend im Sinne der in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltenen Legaldefinition als „ohne schuldhaftes Zögern“ ausgelegt. Entgegen der Auffassung der Beschwerde war das Berufungsgericht nicht gehalten, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach ihrem Inkrafttreten während einer (weiteren) Übergangsfrist nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden.

aa) Die Vorschrift des § 130d ZPO, die auf § 130a ZPO aufbaut, ist durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I 3786) eingeführt worden und gemäß Art. 26 Abs. 7 dieses Gesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten. § 130d Satz 1 ZPO sieht unter anderem eine Pflicht für alle Rechtsanwälte vor, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen den Gerichten nur noch in elektronischer Form zu übermitteln. Die Einreichung in dieser Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten. Bei Nichtbeachtung ist die Prozesserklärung unwirksam. Auf die Einhaltung der elektronischen Form kann der Gegner weder verzichten noch sich rügelos einlassen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S. 27). Ist die Übermittlung des elektronischen Dokuments – wie im vorliegenden Fall – aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich, darf der Nutzungspflichtige gemäß § 130d Satz 2 ZPO das Dokument ausnahmsweise nach den allgemeinen Vorschriften, das heißt in Papierform oder als Telefax, übermitteln. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der des Einreichenden zu suchen ist (BT-Drucks. aaO). Um Missbrauch auszuschließen, bestimmt § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO allerdings, dass der Nutzungsberechtigte die vorübergehende technische Unmöglichkeit unaufgefordert schon bei der Ersatzeinreichung oder jedenfalls unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) danach glaubhaft zu machen hat, wobei die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen soll (BT-Drucks. aaO S. 28; BeckOK ZPO/von Selle, § 130d Rn. 5 [46. Edition, Stand: 1. September 2022]; Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 19. Aufl., § 130d Rn. 3; siehe auch BGH, Beschluss vom 12. September 2022 – XII ZB 264/22, NJW 2022, 3647 Rn. 13 zu § 14b Abs. 1 Satz 3 FamFG).

bb) Diese Rechtslage musste dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten als Rechtsanwalt beim Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2022 bekannt sein. Ein etwaiger Rechtsirrtum wäre schuldhaft und müsste von der Beklagten im Wege der Zurechnung nach § 85 Abs. 2 ZPO hingenommen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. In seiner Verantwortung liegt es, die gesetzlichen Formerfordernisse zu wahren (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 15). Der (fahrlässige) Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Formerfordernisse für die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels vermag ihn nicht zu entlasten und rechtfertigt erst recht nicht die Gewährung einer Übergangsfrist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (BGH aaO Rn. 16). Dazu zählen ohne jeden Zweifel die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr (§§ 130a, 130d ZPO).

cc) Vor diesem Hintergrund besteht keine Veranlassung, die Vorschrift des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO nach dem Inkrafttreten der Norm für eine (weitere) Übergangszeit nicht oder nur „behutsam“ anzuwenden. Vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten der Vorschrift gerade im Hinblick auf die zum 1. Januar 2022 eingetretene Rechtsänderung eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen lassen müssen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass § 130d ZPO, obwohl er erst am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist, bereits durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 in die Zivilprozessordnung eingefügt worden ist. Im Hinblick auf das Merkmal „unverzüglich“ hätte sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten für den sichersten Weg entscheiden müssen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 280 Rn. 69). Dieser hätte darin bestanden, die Art der technischen Störung bereits bei der Einreichung der Berufungsbegründung in Schriftform oder unmittelbar danach glaubhaft zu machen. Dazu wäre er auch in der Lage gewesen, weil ihm die Probleme mit der Client Security des beA von Anfang an bekannt waren. Die mit Schriftsatz vom 24. Februar 2022 – fünf Wochen nach der Ersatzeinreichung der Berufungsbegründung und lediglich als Reaktion auf einen gerichtlichen Hinweis – erfolgte Glaubhaftmachung war nicht mehr „unverzüglich“, zumal nach dem Willen des Gesetzgebers die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung erfolgen und die Nachholung der Glaubhaftmachung auf diejenigen Fälle beschränkt sein soll, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen (BT-Drucks. aaO S. 28). Dies spricht dafür, den Zeitraum des unverschuldeten Zögerns eng zu fassen und ein wochenlanges Zuwarten regelmäßig als zu lang anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2022 aaO Rn. 17).

b) Das Berufungsgericht hat auch den Anspruch der Beklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) nicht verletzt. Der Umstand, dass das Gericht den Formmangel im Sinne des § 130d Satz 1 ZPO zunächst übersehen hatte, vermag daran nichts zu ändern. Denn das Berufungsgericht hat auf die Anfrage der Klägerin nach der Wahrung der elektronischen Form seinen Irrtum korrigiert und die Beklagte auf den Formmangel unter Einräumung einer angemessenen Stellungnahmefrist hingewiesen. Dass das Gericht sodann die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen hat, ist die zwingende Konsequenz aus der Nichteinhaltung der elektronischen Form und der verspäteten Glaubhaftmachung im Sinne des § 130d Satz 3 Halbsatz 1 ZPO.

c) Aus den vorgenannten Gründen scheidet auch ein Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG aus. Eine Überraschungsentscheidung liegt offenkundig nicht vor.“

beA I: Qualifizierte elektronische Signatur auf Anlage, oder: „Bündelsignatur“ gibt es nicht

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Heute ist „Kessel-Buntes-Tag“ oder auch „beA-Samstag“. Denn ich stelle heute mal wieder zwei Entscheidungen zum beA vor. Beide kommen vom BGH. Die Flut von Rechtsprechung zum beA reißt nicht ab. Insbesondere auch der BGH veröffentlicht immer wieder Entscheidungen, in denen es um rechtzeitige Einlegung von Rechtsmitteln geht.

So auch in dem BGH, Beschl. v. 19.01.2023 – V ZB 28/22. Ergangen ist dieser Beschluss in einem Verfahren, in dem wechselseitig Ansprüche aus einem Grundstückskaufvertrag geltend gemacht werden. Das LG hat mit dem am 14.12,2021 zugestellten Urteil der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Am 12. 01.2022 ist beim OLG Oldenburg über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eine Berufungsschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als PDF-Dokument eingegangen. Dieses Dokument war nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen; vielmehr war (nur) die der Berufungsschrift als separates PDF-Dokument beigefügte Anlage, die das angefochtene Urteil enthielt, qualifiziert elektronisch signiert.

Das OLG hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten. Die war beim BGh nicht erfolgreich:

„1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Beklagte nicht innerhalb der am 14. Januar 2022 abgelaufenen einmonatigen Berufungsfrist formgerecht Berufung eingelegt hat (§ 517, § 519 Abs. 1 ZPO), wirft keine die Zulassung der Rechtsbeschwerde begründenden Rechtsfragen auf. Die am 12. Januar 2022 als PDF-Dokument per EGVP eingegangene Berufungsschrift genügt nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 ZPO.

a) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO) oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 2 ZPO). Nur dann sind Echtheit und Integrität des Dokuments gewährleistet (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 11 mwN). Die sicheren Übermittlungswege ergeben sich aus § 130a Abs. 4 ZPO, wozu namentlich das besondere elektronische Anwaltspostfach (§§ 31a, 31b BRAO) gehört (vgl. § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes Dokument darf außer auf einem sicheren Übermittlungsweg auch an das EGVP übermittelt werden (§ 4 Abs. 1 ERVV).

b) Diesen Anforderungen wird die am 12. Januar 2022 beim Oberlandesgericht eingegangene Berufungsschrift des Beklagten nicht gerecht. Sie ist nicht entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen oder auf einem sicheren Übermittlungsweg (vgl. § 130a Abs. 4 ZPO) durch die verantwortende Person eingereicht worden. Die von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten stattdessen vorgenommene qualifizierte elektronische Signatur der als PDF-Dokument beigefügten Anlage, die die Abschrift des angefochtenen Urteils enthält, reicht nicht aus.

c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, die qualifizierte elektronische Signatur der Berufungsschrift sei deshalb entbehrlich, weil es sich bei den an das Berufungsgericht über das EGVP übersandten Dateien (Berufungsschrift und Anlage) um eine „gewollte Einheit“ gehandelt habe und sich aus der qualifizierten elektronischen Signatur der Anlage ergebe, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Verantwortung für die Rechtsmittelschrift übernommen habe.

aa) Richtig ist allerdings, dass die qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung hat wie eine handschriftliche Unterschrift (Art. 25 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG, ABl. L 257 S. 73; vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 311/21, NJW 2022, 2415 Rn. 9 mwN). Sie soll – ebenso wie die eigene Unterschrift oder die einfache elektronische Signatur – die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Verfahrenshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 11 mwN; zur Unterschrift vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254; Beschluss vom 15. Oktober 2019 – VI ZB 22/19, NJW-RR 2020, 309 Rn. 11 mwN). Fehlt es hieran, ist das Dokument nicht ordnungsgemäß eingereicht.

bb) Zutreffend ist auch, dass das Fehlen der Unterschriftsleistung auf der Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift unschädlich ist, wenn aufgrund anderer, eine Beweisaufnahme nicht erfordernder Umstände zweifelsfrei feststeht, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254; Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137; Urteil vom 10. Mai 2005 – XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088; Beschluss vom 26. Oktober 2011 – IV ZB 9/11, juris Rn. 6, 11). Das ist z.B. dann der Fall, wenn die nicht unterzeichnete Berufungsbegründung mit einem von dem Rechtsanwalt unterschriebenen Anschreiben fest verbunden ist („Paket“; vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1986 – VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254 f.), oder wenn die eingereichten beglaubigten Abschriften der nicht unterzeichneten oder nicht eingereichten Urschrift der Berufungsbegründung einen von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogenen Beglaubigungsvermerk enthalten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 1957 – VIII ZB 7/57, BGHZ 24, 179, 180 mwN; Beschluss vom 15. Juni 2004 – VI ZB 9/04, VersR 2005, 136, 137; Beschluss vom 26. März 2012 – II ZB 23/11, NJW 2012, 1738 Rn. 9).

cc) Um einen vergleichbaren Fall handelt es sich hier nicht. Die qualifizierte elektronische Signatur der als Anlage zur Berufungsschrift übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils ersetzt nicht die qualifizierte elektronische Signatur der über das EGVP übersandten Berufungsschrift.

(1) Die qualifizierte elektronische Signatur der Anlage bietet keine Gewähr dafür, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Urheber der Berufungsschrift ist und er diese in den Rechtsverkehr bringen will. Zwar soll mit der Berufungsschrift eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden (§ 519 Abs. 3 ZPO). Die Anlage zu der Berufungsschrift muss aber – anders als diese – nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie – wie hier – nicht über einen sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird (§ 130a Abs. 3 Satz 2 ZPO). Anhand der qualifizierten elektronischen Signatur der Anlage lässt sich nicht feststellen, ob die als Absender ausgewiesene Person identisch ist mit derjenigen Person, die für den Inhalt des Schriftsatzes Verantwortung übernimmt, und ob die Berufungsschrift mit deren Wissen und Wollen abgesendet worden ist.

(2) Die Anlage und die Berufungsschrift können auch nicht als gewollte Einheit behandelt werden. Zu einer einem „Paket“ aus Anschreiben und Berufungsschrift vergleichbaren Verbindung der im EGVP-Verfahren übermittelten Dokumente kann es nicht kommen. Mehrere elektronische Dokumente dürfen nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden (§ 4 Abs. 2 ERVV). Die im EGVP-Verfahren eingesetzte qualifizierte Container-Signatur – die hier ohnehin nicht verwendet worden ist – genügt seit dem 1. Januar 2018 nicht mehr den Anforderungen des § 130a ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Mai 2019 – XII ZB 573/18, BGHZ 222, 105 Rn. 14 ff.).

2. Auch hinsichtlich der Versagung der Wiedereinsetzung wegen eines dem Beklagten zurechenbaren Verschuldens seines Prozessbevollmächtigten (§ 233 Satz 1, § 85 Abs. 2 ZPO) sind Zulassungsgründe nicht ersichtlich.

a) Die Fristversäumung war nicht unverschuldet im Sinne von § 233 Satz 1 ZPO, weil der Beklagte sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der die zu signierenden Dateien verwechselt hat, gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Der Prozessbevollmächtigte muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2022 – V ZB 58/21, MDR 2022, 907 Rn. 10; BGH, Beschluss vom 21. August 2019 – XII ZB 93/19, FamRZ 2019, 1880 Rn. 5; jeweils mwN). In seiner eigenen Verantwortung liegt es, das Dokument gemäß den gesetzlichen Anforderungen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder die Einreichung des einfach signierten elektronischen Dokuments auf einem sicheren Übermittlungsweg vorzunehmen (§ 130a Abs. 3 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 – XII ZB 215/22, NJW 2022, 3512 Rn. 15).

……“

beA II: Technische Unmöglichkeit bzw. beA-Probleme, oder: BeA-Hinderungsgründe sind sofort vorzutragen

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22 – geht es mal wieder um die Frage der technischen Unmöglichkeit bzw. um beA-Probleme.

Der Kläger hat in einem Zivilverfahren gegen ein Klageabweisendes Urteil Berufung eingelegt. Das (zuständige) verlängert ihm die Rechtsmittelbegründungsfrist antragsgemäß bis zum 10.01.2022. Es geht dann am 08.01.2022 postalisch eine auf den 09.01.2022 datierte Berufungsbegründung sowie ein nochmaliger Antrag auf Fristverlängerung ein. Das OLG teilt dem Kläger mit, dass seine Berufung unzulässig sein könnte, weil der Schriftsatz nicht elektronisch eingereicht worden sei. Die zweite Berufungsbegründung geht dann ebenfalls postalisch am 25.02.2022. Der Kläger teilte mit, es sei unmöglich gewesen, das fristwahrende Dokument elektronisch über beA zu übermitteln. Als Beweis dafür legt er eine eidesstattliche Versicherung seines Anwalts sowie die Korrespondenz mit der Bundesnotarkammer vor. Diese habe es versäumt, die seinem Bevollmächtigten überlassene beA-Basiskarte für die Versendung von Empfangsbekenntnissen zu programmieren. Deshalb sei es auch nicht möglich gewesen sei, die Karte um die Funktion der Übersendung von sonstigen Dokumenten zu erweitern. Als Alternative habe der Rechtsanwalt auf Vorschlag der Bundesnotarkammer eine Mitarbeiterkarte gekauft. Die dafür erforderliche PIN und PUK seien ihm aber erst am 17.01.2022 zugegangen.

Das OLG Hamm hat die Berufung als unzulässig verworfen. Die Rechtsbeschwerde beim BGH hatte keinen Erfolg. Auch hier nur der Leitsatz zu der Entscheidung:

Ist es dem Rechtsanwalt bereits im Zeitpunkt der Ersatzeinreichung eines Schriftsatzes möglich, die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung des Dokuments darzulegen und glaubhaft zu machen, hat dies mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen; in diesem Fall genügt es nicht, wenn der Rechtsanwalt die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung nachträglich darlegt und glaubhaft macht.

beA I: Eingang des elektronischen Dokuments, oder: Sorgfaltspflichten bei Übermittlung per beA

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Und dann der Start in die neue Woche, und zwar mit zwei Entscheidungen des BGH zum elektronischen Dokument und/oder zum beA.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22 – zur Frage: Wann ist das elektronische Dokument bei Gericht eingegangen? Der Beschluss hat folgende (amtliche) Leitsätze:

1. Ein über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichtes elektronisches Dokument ist erst dann gemäß § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO wirksam bei dem zuständigen Gericht eingegangen, wenn es auf dem gerade für dieses Gericht eingerichteten Empfänger-Intermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert worden ist.

2. An die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen per beA sind keine geringeren Anforderungen zu stellen als bei der Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax (hier: Übermittlung der Berufungsbegründung an falschen Empfänger).