Archiv für den Monat: Februar 2025

Ich habe da mal eine Frage: Wie ist das nun nach erfolgreicher Beschwerde/Einstellung?

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Und dann noch die Gebührenfrage, und zwar:

Eine Kollege hatte mir neulich einen Beschluss zu § 111a-StPO – vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, den ich noch nicht vorgestellt habe, geschickt. Das LG hatte den Beschluss aufgehoben

Dazu hatte der Kollege ausgeführt:

„Lieber Herr Kollege,

anbei ein erfreulicher Beschluss des LG Berlin. Das Strafverfahren wurde daraufhin von der AA nach § 170 II StPO eingestellt und die Sache nun an die Bußgeldstelle abgegeben zur Weiterverfolgung als OWi (das war auch noch gerade rechtzeitig vor Verjährung. Bei 0,46 Promille… Also kommen wohl 35 Euro dabei raus fürs Zurücksetzen an der Ampel. …. .

Wie und wo aber setze ich jetzt kostenmäßig an? Ich hatte in einer Sache mal Erfolg mit einer Beschwerde, Stichwort fiktiver Freispruch: Strafbefehl wegen § 316, in HV dann Urteil mit Owi § 24a, aber Auslagen selbst. Auf Beschwerde mit dem Argument, dass gegen einen Bußgeldbescheid von Anfang an wäre keine Verteidigung erfolgt.

Nur werde ich von der Bußgeldstelle wohl ein Verwarnungsgeldangebot bekommen, das natürlich keine Auslagenentscheidung trifft… „

Höhe privater SV-Kosten-Erstattung nach Einstellung, oder: Stundensätze des privaten Sachverständigen

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Ich hatte vor einiger Zeit über AG Konstanz, Beschl. v. 22.05.2024 – 10 OWi 52 Js 22028/22 – berichtet (vgl. Höhe privater SV-Kosten-Erstattung nach Einstellung, oder: Wenn es billiger nicht geht). Zu der Entscheidung liegt jetzt die Beschwerdeentscheidung vor, die auf die Beschwerde der Staatskasse ergangen ist. Die hatte teilweise – geringen – Erfolg.

Ich rufe dann den Sachverhalt noch einmal in Erinnerung, und zwar. Der Betroffene ist vom AG vom Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit freigesprochen worden. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Landeskasse auferlegt. Der Betroffene hat Kostenfestsetzung beantragt und dabei u.a. die Kosten eines von ihm eingeholten privaten Sachverständigengutachten in Höhe von 1.797,95 EUR und von 431,97 EUR (jeweils inclusive Mehrwertsteuer) geltend gemacht, die neben Schreibgebühren und Kosten für Kopien, Porto und Telefon, Arbeitsaufwand von insgesamt 10,5 Stunden zu einem Stundensatz von 168,75 EUR beinhalten.

In ihrer Stellungnahme zu dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers ging die Bezirksrevisorin davon aus, dass die geltend gemachten Auslagen für die Privatgutachten zwar aus Sicht der Staatskasse ausnahmsweise erstattungsfähig seien, da diese das Verfahren gefördert hätten; die Höhe der Erstattung der Sachverständigenkosten sei jedoch auf die gültigen Sätze des JVEG, mithin auf 135,00 EUR (Stundensatz) gern. Nr. 37 der Anlage 1 zu § 9 JVEG begrenzt. Die Rechtspflegerin des AG Konstanz hat im Kostenfestsetzungsbeschluss die geltend gemachten Privatgutachtenkosten in voller Höhe festgesetzt. Dagegen hat die Bezirksrevisorin namens der Staatskasse dann sofortige Beschwerde eingelegt.

Das LG führt in dem LG Konstanz, Beschl. v. 07.10.2024 – 4 Qs 53/24 – zu der streitigen Frage – wegen der hier nicht streitigen grundsätzlichen Frage, ob die Kosten des Privatgutachtens überhaupt zu erstatten sind, bitte selbst lesen – aus:

„Die sofortige Beschwerde ist jedoch nur zum Teil – in geringem Umfang – begründet.
Im vorliegenden Fall erscheint die Erstattung der Kosten für das seitens des Betroffenen eingeholte Gutachten in Höhe von insgesamt 2.145,58 Euro (unter Zugrundelegung eines um 20% über dem im JVEG vorgesehenen Stundensatz liegenden Stundensatzes) gerechtfertigt.

….

Hinsichtlich der Höhe des erstattungsfähigen Stundensatzes werden in der Rechtsprechung verschiedene Positionen vertreten. Zum Teil werden die Stundensätze des JVEG zugrunde gelegt (vergl. LG Stuttgart, Beschluss vom 28.12. 2020 – 20 Os 21/20 -. Beck RS 2020, 42517; und die in der Beschwerdebegründung zitierte Entscheidung). Überwiegend werden – auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25.01.2007 – VII ZB 74/06 – (NJW 2007, 1532) die Stundensätze des JVEG aber nur als Richtlinie herangezogen, auf deren Grundlage der privatrechtlich vereinbarte Stundensatz einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen ist. Weicht der Stundensatz erheblich von den im JVEG vorgesehenen Sätzen ab, bedarf es für die Plausibilitätsprüfung besonderer Darlegungen durch den Antragsteller. Als erheblich erachtet, wird dabei eine Abweichung von 20% oder mehr vom Stundensatz der entsprechenden Honorargruppe des JVEG (KG, Beschluss vom 20.02.2012 – 1 Ws 72/09 -, BeckRS 2012, 12353; LG Chemnitz, Beschluss vom 03.07.2018 – 2 Qs 241/18 BeckRS 2018, 15874: LG Oldenburg, Beschluss vom 28.03.2022 – 5 Qs 108/22 -, juris; LG Münster, Beschluss vom 14. Juni 2024 – 12 Qs 16/24, juris; AG Wuppertal, Beschluss vom 16.01.2019 – 26 Owi-723 Js 208/18 -37/18 -, BeckRS 2019, 2577). Dem schließt sich die Kammer an. Das JVEG regelt lediglich das dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen zustehende Honorar. Es ist daher auf den privatrechtlich tätigen Sach-verständigen nicht unmittelbar anwendbar. Wie in der vorgenannten Entscheidung des BGH aus-geführt, kommt auch eine entsprechende Anwendung nicht in Betracht, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass es einer Partei in der Regel möglich sein wird, einen geeigneten Sachverständigen zu den im JVEG vorgesehenen Vergütungssätzen zu gewinnen (BGH, a.a.O.). Bei erheblicher Abweichung der Stundensätze des Privatgutachtens von den im JVEG vorgesehenen Sätzen bedarf es allerdings einer besonderen Darlegung ihrer Notwendigkeit.

Vorliegend weicht der geltend gemachte Stundensatz von 168,75 Euro um 25 % – und somit erheblich – von dem im JVEG vorgesehenen Stundensatz von 135,00 Euro ab. Die Ausführungen des Verteidigers im Schriftsatz vom 09.04.2024 und die beigefügten eingeholten Schreiben diverser Sachverständiger auf dem Gebiet der Verkehrsmesstechnik bestätigen, dass die Stundensätze für Privatgutachten auf diesem Gebiet die Vergütungssätze des JVEG deutlich überschreiten, belegen jedoch auch, dass es möglich ist, einen Privatgutachter zu beauftragen, dessen Stundensatz innerhalb der 20 %-igen Toleranzgrenze liegt, wie sich aus dem Schreiben der GFU Verkehrsmesstechnik Unfallanalytik Akademie für Bildung und Beratung GmbH vom 22.03.2024 ergibt, wonach der dortige Stundensatz für die Erstellung von verkehrsmesstechnischen Privatgutachten bei 145,00 Euro liegt (AS 689). Die Notwendigkeit eines diesen Toleranzbereich überschreitenden Stundensatzes ist daher nicht plausibel. Die Kammer sieht daher einen Stundensatz von zuzüglich 20 % über dem im JVEG vorgesehenen Stundensatz, somit in Höhe von höchstens 162,00 Euro als plausibel und somit erstattungsfähig an. Dies ergibt bei insgesamt 10,5 Arbeitsstunden laut den Rechnungen des Sachverständigen 1.701,00 Euro zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer, somit insgesamt 2.024,19 Euro. Die Differenz zum festgesetzten Betrag (10,5 Stunden x 168,75 Euro zuzüglich 19% MwSt ) von 2.108,53 Euro beträgt somit 84,34 Euro, die zuviel festgesetzt wurden.
Auf die sofortige Beschwerde waren die geltend gemachten und in dieser Höhe festgesetzten Sachverständigenkosten von insgesamt 2.229,92 Euro und somit der laut Kostenfestsetzungsbeschluss insgesamt festgesetzte Betrag von 2.945,11 Euro jeweils um diesen Differenzbetrag zu kürzen.“

Offen bleibt nach der Entscheidung des LG, warum die (geringfügige) Überschreitung der 20 %-Grenze vom LG nicht akzeptiert worden ist. Das AG, das allerdings von einer anderen Bemessungsgrundlage ausgegangen war, hatte sogar eine Abweichung von 24 % nicht beanstandet.

 

Nachträgliche Vereinbarung einer Bonuszahlung, oder: Formvorschriften beachten!!!

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Am Gebührenfreitag stelle ich heute zunächst das LG Koblenz, Urt. v. 27.11.2024 – 15 O 97/24, das nicht nur für Straf- und Bußgeldverfahren Bedeutung hat, sondern in allen Verfahren. Denn es geht um die Frage der „richtigen“ Form für eine Bonusvereinbarung, also eine Problematik aus § 3a RVG.

Die Klägerin, eine ehemalige Mandantin, verlangt von der beklagten Rechtsanwaltsgemein-schaft die (Rück)Zahlung von 23.800 EUR zuzüglich Zinsen. Die Beklagte hatte aufgrund eines Anwaltsvertrages für die Klägerin außergerichtlich Schadensersatz- und Schmerzensgeldan-sprüche aus einem Unfallereignis zum Nachteil der Klägerin geltend gemacht. Bei Mandatsertei-lung im Februar 2022 hatten die Parteien eine weitere schriftliche Vereinbarung geschlossen, die mit „Zusatzvereinbarung zur anwaltlichen Vergütung“ überschrieben war. Darin hieß es u.a.: „Die Parteien sind sich einig, dass im Falle des Erfolgs, die Frage einer zusätzlichen, über die gesetzliche Regelung hinausgehenden Vergütung noch einmal besprochen wird.“ Über diese Vorgehensweise, insbesondere die Freiwilligkeit einer solchen Zahlung und auch deren übliche Höhe, war die Klägerin bereits mit E-Mail der Beklagten vom 12.01.2022 informiert.
In der Folge setzten die Beklagte zugunsten der Klägerin im Zuge außergerichtlich geführter Verhandlungen, die im Frühjahr 2023 zu einem erfolgreichen Abschluss kamen, einen Ver-gleichsbetrag in Höhe von 150.000 EUR durch. Nach Abschluss der Tätigkeit kam es zu einem vorher vereinbarten Telefonat zwischen den Parteien, in dem ausschließlich über die Zahlung einer freiwilligen zusätzlichen Vergütung gesprochen wurde. Der genaue Inhalt des Gesprächs war zwischen den Parteien streitig.

Mit Kostenrechnung vom 31.03.2023 stellte die Beklagte der Klägerin sodann eine „Erfolgsunab-hängige Vergütung, Vergütungsvereinbarung § 3a RVG, §§ 4, 3a RVG“ über einen Betrag in Höhe von 20.000 € zuzüglich 19% Mehrwertsteuer, insgesamt somit 23.800 EUR in Rechnung. In einer Textnachricht an die Klägerin vom gleichen Tag bedankte sich die Beklagte für die „entgegenkommende und anerkennende Zahlung der zwischen uns besprochenen Zusatzver-gütung von 20.000 EUR netto“ und erteilte Abrechnung. Dabei zog sie von einem „geleisteten Abfindungsbetrag HUK Haftpflicht“ in Höhe von 150.000 EUR Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 23.800 EUR „gemäß anliegender Kostenrechnung“ ab. Den danach verbleibenden Zahlbe-trag in Höhe von 126.200 EUR kehrte die Beklagte sodann an die Klägerin aus.

Im April 2023 haben die Klägerin und im April 2024 der Klägervertreter mit Schreiben die 23.800 EUR zurückgefordert. Eine Zahlung durch die Beklagte erfolgte nicht. Die Klägerin hat dann Klage erhoben und hatte damit beim LG Erfolg:

„Die Beklagte ist gem. §§ 675, 667 BGB zur Herausgabe des einbehaltenen Fremdgeldes in Höhe von 23.800 € verpflichtet. Die von der Beklagten vorgenommene Verrechnung mit dem behaupteten Honoraranspruch hat nicht zum Erlöschen des Anspruchs der Klägerin geführt.

1. Zwischen den Parteien bestand ein Mandatsverhältnis. Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 BGB auch die Vorschriften der §§ 666, 667 BGB Anwendung. Der Anspruch der Klägerin auf Herausgabe des Geldes, das die Beklagte in Ausführung ihrer anwaltlichen Tätigkeit für die Klägerin erlangt hat, folgt aus § 667 BGB.

Unstreitig hat die Beklagte für die Klägerin Geld in Höhe von 150.000 € in Empfang genommen, von denen sie lediglich 126.200 € an die Klägerin weitergeleitet hat.

2. Der weitergehende Auszahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 23.800 € ist nicht erloschen. Der von Beklagtenseite geltend gemachte – und mit dem Auszahlungsanspruch der Klägerin verrechnete – Honoraranspruch in Höhe von 23.800 € ist nicht wirksam entstanden.
Denn die Vereinbarung ist aufgrund Verstoßes gegen die Formvorschrift des § 3a RVG nicht formwirksam zustande gekommen.

a) Der geltend gemachte Zahlungsanspruch beruht nicht auf einer Schenkung. ….

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin handelt es sich bei dem geltend gemachten Vergütungs-anspruch auch nicht um ein Erfolgshonorar.

Gemäß der Legaldefinition des § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO ist ein Erfolgshonorar gegeben, wenn der Vergütungsanspruch eines Rechtsanwalts oder zumindest die Anspruchshöhe vom Ausgang der Sache oder vom Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit abhängig gemacht wird. Vor-liegend ist keine Vergütung vereinbart worden, deren Entstehen von einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 BGB) eines – je nach Einzelfall näher definierten – Erfolges der anwaltlichen Tätigkeit abhängt.

Mit der Vereinbarung zu Beginn des Mandatsverhältnisses, über eine weitere Vergütung zu sprechen, ist noch keine Vergütungsvereinbarung getroffen worden. Die nach Erfolg der Tätigkeit von der Beklagten behauptete Vergütungsvereinbarung steht nicht mehr unter der auf-schiebenden Bedingung des Erfolgseintritts.

c) Bei dem von Beklagtenseite zur Aufrechnung gestellten Anspruch handelt es sich um eine dem § 3a RVG unterfallende Vergütung. Die fernmündliche Absprache der Parteien über diese Vergütung war jedoch formunwirksam.

aa) Die Parteien haben telefonisch eine zusätzliche Vergütung zugunsten der Beklagten vereinbart. Nach der Anhörung der Parteien ist das Gericht aufgrund der insoweit übereinstimmenden Angaben davon überzeugt, dass eine fernmündliche Absprache über die Gewährung einer zusätzlichen Vergütung in Höhe von 23.800 € zugunsten der Beklagten zwischen der Klägerin und dem Partner G. der Beklagten getroffen worden ist.

Während die Klägerin schriftsätzlich den Abschluss einer Vereinbarung noch bestritten hatte, hat sie bei der Anhörung erklärt:

„In dem Telefonat selbst habe ich mich dann hinsichtlich der Zusatzvergütung unter Druck gesetzt gefühlt. Die Beklagtenseite sprach von einer Größenordnung von 10 oder 15 %. Dies erschien mir sehr viel, dennoch war ich durchaus bereit, der Beklagtenseite entgegenzukommen.
[…]
Noch am selben Abend habe ich dann meine in dem Gespräch abgegebene Erklärung widerrufen.“

Diese Aussage der Klägerin, ihre im Gespräch abgegebene Erklärung später widerrufen zu haben, bezog sich nach Auffassung der Kammer eindeutig auf die Vereinbarung der Zusatzvergütung, die auch nach Schilderung der Klägerin Gesprächsinhalt war.

Dies wird durch die sachliche, in sich stimmige und glaubhafte Aussage des Partners G. der Beklagten bestätigt:

„In dem Telefonat habe ich dann letztlich eine Zahlung von 20.000,00 € zuzüglich Mehrwert-steuer vorgeschlagen. Die Klägerin sagte hierzu dann: „Ja“.
Auf meine weitergehende Frage, ob man so verfahren könne, dass dieser Betrag von dem an sie auszukehrenden Fremdgeld abgezogen und insoweit verrechnet werden könne, sagte die Klägerin ebenfalls „Ja“.“

bb) Diese telefonische Vereinbarung war formunwirksam, da das Erfordernis des § 3a RVG – die Textform – mit dieser nicht erfüllt ist.

Bereits dem Wortlaut und Wortsinn nach liegt eine Vergütungsvereinbarung vor, da mit dieser Vereinbarung die Beklagte für ihre erbrachte anwaltliche Tätigkeit (wenn auch zusätzlich) entlohnt, mithin vergütet werden sollte. Die Beklagte spricht selbst in der von ihr vorformulierten „Zusatzvereinbarung zur anwaltlichen Vergütung“ vom 23.02.2022 (Anlage K2), in der Textnachricht vom 31.03.2023 (Anlage K 3), der Textnachricht vom 04.04.2023 (Anlage zur Klageerwiderung Bl. zu 16 GA) und der Kostenrechnung vom 31.03.2023 (Anlage K 4) stets von einer „Vergütung“.

Die getroffene Vereinbarung stellt eine Vergütungsvereinbarung i.S.d. § 3a RVG und insbesondere keine Gebührenvereinbarung gem. § 34 RVG, für die § 3a RVG nicht gilt, dar.
Beide Begriffe lassen sich systematisch klar voneinander unterscheiden: Danach verwendet das Gesetz den Begriff „Vergütungsvereinbarung“ dann, wenn eine höhere oder eine niedrigere als die gesetzlich festgelegte Vergütung zwischen Anwalt und Mandant vereinbart werden soll. Im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG fehlt es jedoch an gesetzlich festgelegten Gebühren, so dass die von § 34 Abs. 1 Satz 1 RVG geforderte primäre Vereinbarung des Honorars zwischen Anwalt und Mandant folgerichtig als „Gebührenvereinbarung“ vom Gesetzgeber bezeichnet wird (Mayer in Gerold/Schmidt/Mayer, 26. Aufl. 2023, RVG § 34 Rn. 4, v. Seltmann in BeckOK RVG § 3a, Rn. 14, 65. Edition, Stand: 01.12.2021).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe – die im Übrigen auch die Beklagte ausweislich ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 06.12.2024 unter Rz. 25 – 27 zugrundelegt – ist hier eindeutig eine Vergütungsvereinbarung gegeben, da bereits eine gesetzlich festgelegte Vergütung – nämlich die Geschäftsgebühr – entstanden ist, die die Beklagte auch erhalten hat. Die Beklagte spricht zudem selbst in ihrer Zusatzvereinbarung vom 23.02.2022 (Anlage K 2) von einer „über die gesetzliche Regelung hinausgehenden Vergütung“ und hat in ihrer Nachricht vom 04.04.2023 an die Klägerin ausdrücklich dargelegt, dass die gesetzlichen Gebühren nicht aus-reichend seien. Für eine „Gebührenvereinbarung“ iSd § 34 RVG ist somit kein Raum. Es geht allein um eine Erhöhung der gesetzlichen (Geschäfts-)Gebühr mittels Vergütungsvereinbarung.
Von der Einschlägigkeit des § 3a RVG ist die Beklagte im Übrigen wohl selbst ausgegangen, denn mit Kostenrechnung vom 31.03.2023 (Anlage K 4) hat die Beklagte eine „Erfolgsunabhängige Vergütung, Vergütungsvereinbarung § 3a RVG, §§ 4, 3a RVG“ in Rechnung gestellt.

Der Einwand der Beklagten, dass die Textform weder vertraglich noch gesetzlich vorgesehen ist, geht daher fehl.

Die Möglichkeit einer formfreien Vereinbarung ergibt sich auch nicht aus der von Beklagten-seite zitierten Rechtsprechung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellt in der zitierten Entscheidung (AGS 2006, 480) in diesem Zusammenhang lediglich fest: „Kein unzulässiges Erfolgshonorar liegt hingegen vor, wenn Rechtsanwalt und Mandant nach Erledigung des Mandats vereinbaren, dass das ursprünglich vereinbarte Honorar erhöht wird (honorarium; vgl. nur Hartung/Holl, a.a.O., § 49 b Rn. 34 m.w.N.).“ Nähere Ausführungen hierzu, insbesondere zur Frage der Formbedürftigkeit einer solchen Vereinbarung, hat das Oberlandesgericht nicht ge-macht, da dort die Vereinbarung über das Honorar vor Erledigung des Mandats erfolgte und so weitere Ausführungen hierzu nicht erforderlich waren.

Auch dem in Bezug genommenen Aufsatz von Rechtsanwältin Dr. Jessica Blattner (AnwBl. 2012, 562- 571) lässt sich eine Aussage dahingehend, dass die Vereinbarung einer zusätzlichen Vergütung nach Erledigung des Mandats ohne Einhaltung einer Form möglich wäre, nicht entnehmen.

Allein die Kommentierung des § 3a RVG in dem RVG-Kommentar Hartung/Schons/Enders durch den Beklagtenvertreter Sch. (dort § 3a Rn. 32, 3. Aufl. 2017) stellt die Behauptung auf, dass es erst recht ohne Einhaltung von irgendwelchen Formalien möglich sein müsse, mit dem Mandanten nach Abschluss des Mandats einen wie auch immer gestalteten Zuschlag oder Bonus zu vereinbaren.

Dieser Auffassung vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Die Vereinbarung unterfällt, wie dargelegt, § 3a RVG. Überzeugende Gründe, die es rechtfertigen würden, von der gesetz-lichen Vorgabe der Textform abzuweichen, sind nicht dargetan oder ersichtlich.

Die unterschiedliche Situation zu Beginn und nach Abschluss des Mandats vermag entgegen der Auffassung der Beklagten ein Abweichen von der Formvorschrift nicht zu begründen. Zwar ist die Situation zu Beginn eines Mandatsverhältnisses, wenn der Mandant dem Rechtsanwalt hilfesuchend, gegebenenfalls auch in Not gegenübersteht und von diesem abhängig ist, eine andere als nach Abschluss des Mandats, wenn seine Angelegenheit geregelt ist, er das Ergebnis und auch die Leistung des Rechtsanwalts kennt und von diesem nicht mehr abhängig ist. Dies macht jedoch nach Überzeugung der Kammer ein Abweichen von der gesetzlichen Regelung, die hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit keinerlei Einschränkung in Bezug auf den Zeitpunkt der Vereinbarung enthält, jedoch nicht erforderlich oder gar zulässig. Die Schutzbedürftigkeit des Mandanten mag nach Abschluss des Mandats geringer sein, sie entfällt jedoch nicht vollständig. Dabei ist zu berücksichtigten, dass nach wie vor eine Überlegenheit des Rechts-anwalts besteht. Dieser führt solche Verhandlungen über zusätzliche Vergütungen im Zweifel nicht nur in dem einen Fall, sondern häufiger, ggf. auch regelmäßig. So hat auch der Beklagtenvertreter bei der Anhörung erklärt, dass er solche Gespräche seit über 40 Jahren erfolgreich führe. Dieser vermittelte zudem den Eindruck, auch in dieser Hinsicht äußerst versiert zu sein. Zudem kann bei einer solchen Verhandlung auch ein gewisser Zwang entstehen, wenn – wie auch vorliegend – neben der Betonung der Freiwilligkeit einer solchen zusätzlichen Vergütung, zugleich auch darauf abgestellt wird, dass man sich darauf verlasse, dass der Mandant zu seinem Wort (der Bereitschaft nach erfolgreichem Abschluss über eine Zusatzvergütung zu sprechen) stehe (so in der Textnachricht vom 12.01.2022, vgl. Textnachricht vom 04.04.2023 (Anlage zur Klageerwiderung Bl. zu 16 GA)). So hat die Klägerin, die bei ihrer Arbeit mit Juristen zusammenarbeitet, sich bei diesen informiert hatte und sich selbst als nicht ganz unbedarft bezeichnete, erklärt, dass sie sich – trotz einer gewissen Bereitschaft, die gute Arbeit zusätzlich zu vergüten – gedrängt gefühlt habe.

Vor diesem Hintergrund erscheint dem Gericht der mit der Textform einhergehende Schutz-zweck, nämlich die Warnung durch (zusätzliche) textliche Abfassung, die i.R.d. ein Innehalten und zusätzliches Überdenken mit sich bringen dürfte, auch in dieser Situation durchaus angebracht. Gleiches gilt für die mit der textlichen Abfassung einhergehende Beweisfunktion.

Schließlich beinhaltet die Textform keine erheblichen Hürden, so dass diese von den Parteien einfach und schnell eingehalten werden kann. Auch aus diesem Grund sieht das Gericht ein (praktisches) Bedürfnis für ein Abweichen von dieser nicht.

Das von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Argument, dass Mandaten aus Verärgerung, dass die Beklagte nicht auf ihr Wort vertraue, sondern eine Vereinbarung in Textform fordere, sodann zur Leistung einer zusätzlichen Vergütung nicht mehr bereit wären, überzeugt das Gericht nicht. Hier dürfte im Übrigen ein Hinweis auf die gesetzliche Lage geeignet sein, Ärger zu vermeiden.

cc) Die Klägerin verstößt dadurch, dass sie sich auf die Formunwirksamkeit beruft, nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB)…..“

M.E. hat das LG umfassend und zutreffend begründet, warum der Beklagten der geltend ge-machte Bonusanspruch, mit dem aufgerechnet worden war, nicht zustand. Man mag das Ver-halten der Klägerin, die sich ja mündlich mit der Bonuszahlung einverstanden erklärt hat, auch wenn sie sich vielleicht wegen des Erfolges gedrängt gefühlt hat, als unschön/unfair empfinden, andererseits hatte es aber die Beklagte in der Hand, für eine formwirksame Vereinbarung zu sorgen. Das Einhalten der Textform (§ 126b BGB) ist nun wahrlich keine Kunst. Ich kann daher nur dringend raten, darauf eben nicht nur zu achten, wenn man dem Tätigwerden mit dem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung schließt, sondern auch, wenn nachträglich Bonuszahlungen vereinbart werden.

BtM III: Zurückstellung von der Strafvollstreckung, oder: Betäubungsmittelabhängigkeit/mehrere Taten

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Und dann gibt es zum Tagesschluss noch den BayObLG, Beschl. v. 21.10.2024 – 203 VAs 397/24 – zur Zurückstellung nach § 35 BtMG.

Der Verurteilte ist mit Urteil des LG Coburg vom 02.04.2024 wegen Vergewaltigung in Tatmehrheit mit sexueller Nötigung, diese in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Nach den Feststellungen litt der Antragsteller im Tatzeitraum an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie an einer Polytoxikomanie mit Abhängigkeit von Cannabinoiden, Methamphetamin, schädlichem Gebrauch von Alkohol, Opioiden, Sedativa und Hypnotika. Er nahm täglich die ihm verordneten Medikamente Quetiapin und Mirtazapin gegen den Suchtdruck ein, zudem konsumierte er annähernd täglich synthetische Cannabinoide, Crystal und Methylphenidat (Ritalin), wöchentlich Benzodiazepine und zweiwöchentlich Opioide, wahlweise nutzte er Fentanylpflaster. Nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden führte er am 19.06.2023 in einem Hotel an einer Jugendlichen gegen deren Willen sexuelle Handlungen aus. Am 10.10. 2023 drang er in einem Badesee unter dem Einfluss von Ritalin und Alkohol gegen den Willen einer erwachsenen Geschädigten mit dem Finger in deren Scheide ein. Bei keiner der beiden Taten war die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten oder seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert oder aufgehoben. Das Landgericht hat sachverständig beraten das Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 64 StGB angenommen, jedoch von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt mangels eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten Hang und der am 19.06.2023 begangenen Straftat abgesehen. Mit der am 10.07. 2023 begangenen Vergewaltigung hat sich das LG in diesem Zusammenhang nicht befasst.

Der Verurteilte hat dann bei der Staatsanwaltschaft unter Vorlage eines Bewilligungsbescheids der Rentenversicherung und einer im Laufe des Verfahrens aktualisierten Aufnahmezusage der Bezirksklinik Hochstadt beantragt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG zugunsten einer von ihm beabsichtigten Therapie zurückzustellen. Das wird abgelehnt. Dagegen der Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG, der dann beim BayObLG auch keinen Erfolg hatte:

„2. Rechtsfehlerfrei ist die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs.1 Satz1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG bezüglich der der Verurteilung vom 2. April 2024 zugrundeliegenden Tat vom 10. Juli 2023 und somit bezüglich der Gesamtfreiheitsstrafe nicht vorliegen.

a) Gemäß § 35 Abs.1 BtMG kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszugs die Vollstreckung einer Strafe für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde und der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Abs. 3 Nr. 2 der Vorschrift sieht eine entsprechende Geltung von Absatz 1 vor, wenn auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind. Danach ist hier die Zurückstellung der gegen den Antragsteller verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nur möglich, wenn die der Verurteilung zugrundeliegende erheblichere Straftat aufgrund der Abhängigkeit begangen wurde.

b) Ein Kausalzusammenhang zwischen Abhängigkeit und Straftat im Sinne von § 35 Abs. 1 BtMG ist gegeben, wenn die Abhängigkeit nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass die Straftat entfiele (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst in MüKoStGB, 4. Aufl. 2022, BtMG § 35 Rn. 44; Fabricius in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl. § 35 Rn. 95 ff., insb. 96 m.w.N.; Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rn. 33). Die Abhängigkeit darf nicht nur begleitender Umstand, sondern muss die Bedingung der Straffälligkeit gewesen sein (Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 44; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96; Bohnen in BeckOK-BtMG, 23. Ed., § 35 Rn. 103). Eine Ursächlichkeit kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn zum Zeitpunkt der Tat eine Betäubungsmittelabhängigkeit bestand oder wenn die Tat aus einer Betäubungsmittelabhängigkeit heraus zu erklären ist (BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 14; Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 44; Weber a.a.O. § 35 Rn. 35; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96). Andererseits reicht eine erhebliche Mitursächlichkeit aus, etwa bei einer Polytoxikomanie (vgl. Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 45; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96a). Die Ursächlichkeit oder Mitursächlichkeit muss mit Gewissheit bestehen (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 – 204 VAs 62/24 –, juris Rn. 41; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 87, 96; Bohnen a.a.O. § 35 Rn. 103a; Weber a.a.O. § 35 Rn. 36). Umfangreiche Ermittlungen zur Feststellung des Kausalzusammenhangs sind im Rahmen des Verfahrens nach § 35 BtMG nicht geboten (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; Weber a.a.O. § 35 Rn. 36; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 87). Liegen der Strafe mehrere Taten zugrunde, ist nach § 35 Abs. 3 BtMG entscheidend, ob der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der abgeurteilten und einbezogenen Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde. Bei der gebotenen zusammenfassenden Bewertung kommt der Art und Höhe einer Einzelstrafe maßgebliche Bedeutung zu, es sind aber auch Anzahl, Art, Begehungsweise, Umfang und Auswirkungen, mithin der Unrechts- und Schuldgehalt aller Taten, in die Würdigung einzubeziehen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 2 VAs 1/12 –, juris Rn. 9; Bohnen a.a.O. § 35 Rn. 112; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 113).

c) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung steht der Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der Tat grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23-, juris Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 – 204 VAs 62/24 –, juris Rn. 19; Weber a.a.O. § 35 Rn. 33, 142 m.w.N.), es sei denn, die Kausalität ergäbe sich hinreichend nachvollziehbar „aus den Urteilsgründen“ (vgl. § 35 Abs.1 BtMG, BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 2004 – 2 VAs 37/04 –, juris Rn. 4 m.w.N.; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 92 m.w.N.; Weber a.a.O. § 35 Rn. 43 m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Denn dem Urteil lässt sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen zu § 64 StGB und der Bejahung eines Hangs zwar die zur Tatzeit bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit, nicht jedoch die von § 35 BtMG geforderte unmittelbare Kausalität zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der abgeurteilten Vergewaltigung entnehmen. Das erkennende Gericht hat als Ursache für die Vergewaltigung weder die Alkoholsucht noch die Betäubungsmittelabhängigkeit festgestellt, sondern die Ursache offen gelassen.

d) Die Annahme eines Beurteilungsspielraums der Vollstreckungsbehörde hat zur Folge, dass die gerichtliche Nachprüfung eingeschränkt ist. Kommt ein Beurteilungsspielraum zum Tragen, prüft der Senat nur, ob die Vollstreckungsbehörde von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat (vgl. zur Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung eines Beurteilungsspielraums Gerson in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 28 GVGEG Rn. 25, 27; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Juli 2017 – 2 VAs 15/17 –, juris Rn. 8 m.w.N.).

e) Danach ist es hier mit Blick auf die Umstände der Tatbegehung nicht zu beanstanden, dass sich die Vollstreckungsbehörde von einer Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit bezogen auf die Vergewaltigung als dem gewichtigeren Delikt nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu überzeugen vermochte und infolgedessen gehalten war, die Zurückstellung abzulehnen (zu der in diesem Fall gebundenen Entscheidung Weber a.a.O. § 35 Rn. 144 m.w.N.; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 332). Begeht ein suchtkranker Angeklagter eine Vergewaltigung nach dem Konsum von Alkohol und Betäubungsmitteln, so versteht es sich nämlich nicht von selbst, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit kausal für die Tat war. In Betracht kommt auch ein sexuelles Verlangen (vgl. Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 111; Weber a.a.O. § 35 Rn. 37). Zudem ist bei dem Antragsteller neben der Polytoxikomanie auch eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ diagnostiziert worden. Die damit einhergehende Schwierigkeit bei der Kontrolle von Impulsen kommt ebenfalls als bestimmender Faktor für das am 10. Juli 2023 begangene Sexualdelikt in Betracht. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde beruht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Dass sie verfügbare weitere Erkenntnisquellen nicht herangezogen hätte, trägt auch der Antragsteller nicht vor.

f) Aus der Benennung der Registervergünstigung des § 17 Abs.2 BZRG in der Liste der angewendeten Vorschriften ergibt sich für sich alleine keine Bindungswirkung für die Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Annahme einer unmittelbaren Kausalität zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der abgeurteilten Straftaten (BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 22 ff.; KG, Beschluss vom 15. Februar 2016 – 1 VAs 1/16 -, juris Rn. 12; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 83a; Weber a.a.O. § 35 Rn. 44).

g) Die vom Antragsteller behauptete Zusicherung der Vorsitzenden des erkennenden Gerichts ist nach dem Inhalt ihrer dienstlichen Stellungnahme nicht bewiesen. Sein diesbezüglicher Vortrag ist bereits aus diesem Grund nicht geeignet, einen Vertrauensschutztatbestand bezüglich einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nach § 35 BtMG zu schaffen.

BtM II: Handel mit verschreibungspflichtigen Arzneien, oder: Unterfiel das Ketamin dem AMG oder dem NpSG?

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Und dann als zweite Entscheidung das BGH, Urt. v. 28.11.2024 – 3 StR 219/24.

Das LG hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verurteilt. Dagegen die Revisionnen des Angeklagten und der StA, die beide erfolgreich waren.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

„1. Der Angeklagte wurde Anfang 2023 von einem Bekannten angesprochen, ob er Ketamin für diesen besorgen könne. Er entschloss sich aufgrund entsprechender Kontakte, in den Niederlanden 2 kg Ketamin für 4.000 €/kg zu erwerben und dieses später für den doppelten Einkaufspreis weiterzuverkaufen. Kurz vor der Fahrt in die Niederlande hatte er sich zudem gegenüber dem Bekannten bereit erklärt, 1 kg 2C-B-Tabletten (Bromdimethoxyphenethylamin) zu beschaffen. Für den Erwerb des 2C-B hatte der Angeklagte 5.000 € Bargeld erhalten und sollte als Lohn später weitere 1.000 € bekommen.

Der gesondert Verfolgte M. hatte bei dem Angeklagten Schulden und sollte beim Erwerb und Transport unterstützend behilflich sein; als Lohn sollten seine Schulden um 1.000 € reduziert werden. Er organisierte auf Wunsch des Angeklagten den gesondert Verfolgten B. als Fahrer. Dieser erklärte sich bereit, für einen Lohn von 800 € ein zweites Fahrzeug zu führen, in dem die Substanzen transportiert werden sollten. Am Nachmittag des 2. März 2023 fuhren der Angeklagte und die gesondert Verfolgten in die Niederlande. Nach Erwerb des Ketamins und des 2C-B verstaute der gesondert Verfolgte M. die Substanzen in einem Karton in dem von dem gesondert Verfolgten B. geführten Fahrzeug. Um 23.00 Uhr traten die Beteiligten in zwei Fahrzeugen die Rückfahrt nach Deutschland an. An der letzten Ausfahrt vor der Grenze verließen sie die Autobahn.

Die Polizei unterzog die Fahrzeuge sodann in O. um 23.32 Uhr einer Kontrolle, fand in dem von dem gesondert Verfolgten B.  geführten Fahrzeug 2.028 g Ketamin, 999,1 g 2C-B (5.286 Tabletten) sowie 5 g Marihuana und stellte die Substanzen sicher.“

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der BGH die Verurteilung des Angeklagten aufgehoben:

„aa) Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit die Strafkammer hinsichtlich des Ketamins eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG angenommen hat.

Die Feststellungen des Landgerichts verhalten sich nicht zu der stofflichen Form des Ketamins, so dass der Senat nicht prüfen kann, ob das Ketamin dem Arzneimittelgesetz (AMG) oder dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) unterfällt. Eine Einordnung ist erforderlich, da gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 NpSG das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz auf Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1, 2, 3a und 4 Satz 1 AMG nicht anwendbar ist.

Grundsätzlich kann Ketamin dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz oder dem Arzneimittelgesetz unterfallen. So wird von der in der Anlage zum NpSG unter Nummer 6 aufgeführten Stoffgruppe der Arylcyclohexylamine auch Ketamin erfasst (vgl. Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., Vor NpSG Rn. 12b; BeckOK BtMG/Bohnen, 24. Ed., NpSG § 2 Rn. 20b; BGH, Urteil vom 8. August 2024 – 3 StR 20/24, juris Rn. 21 ff.; Beschluss vom 5. Juni 2024 – 5 StR 631/23, juris Rn. 6; siehe auch BR-Drucks. 403/21 S. 27). Zudem ist Ketamin in Anlage 1 der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV) aufgeführt. Bei der rechtlichen Einordnung wird unter anderem zu beachten sein, dass die Begründung der Arzneimitteleigenschaft eines Stoffes mit dem Argument, dieser sei nach der Verkehrsanschauung (vgl. hierzu und zum europarechtlichen Arzneimittelbegriff insgesamt EuGH, Urteil vom 15. November 2007 – C-319/05, GRUR 2008, 271 mwN) einzelner Kreise dazu bestimmt, den seelischen Zustand in Form eines Rausches zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 – 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243 Rn. 15; Beschluss vom 12. April 2011 – 5 StR 463/10, NStZ 2011, 583), nicht in Betracht kommt, sondern nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bei einem Arzneimittel die Beeinflussung der physiologischen Funktionen in einer Zuträglichkeit für die menschliche Gesundheit liegen muss (s. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – C 358/13 u.a., NStZ 2014, 461; BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2015 – 3 StR 124/13, StV 2017, 326 Rn. 9).

Vor diesem Hintergrund hat der Schuldspruch wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz keinen Bestand. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer mag erwägen, sich für die erforderliche Einordnung des Ketamins der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen.

bb) Die Aufhebung der Verurteilung wegen Handeltreibens mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung nach § 29a BtMG wegen des Erwerbs der 2C-B-Tabletten, da beide Tatbestände tateinheitlich verwirklicht wurden.

cc) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat überdies darauf hin, dass die (bisher) getroffenen Feststellungen auch eine tateinheitliche Verurteilung wegen Verabredung zu einem Verbrechen (§ 30 Abs. 2 StGB) tragen………..“