Schlagwort-Archive: notwendige Auslagen

Höhe privater SV-Kosten-Erstattung nach Einstellung, oder: Stundensätze des privaten Sachverständigen

Bild von Nattanan Kanchanaprat auf Pixabay

Ich hatte vor einiger Zeit über AG Konstanz, Beschl. v. 22.05.2024 – 10 OWi 52 Js 22028/22 – berichtet (vgl. Höhe privater SV-Kosten-Erstattung nach Einstellung, oder: Wenn es billiger nicht geht). Zu der Entscheidung liegt jetzt die Beschwerdeentscheidung vor, die auf die Beschwerde der Staatskasse ergangen ist. Die hatte teilweise – geringen – Erfolg.

Ich rufe dann den Sachverhalt noch einmal in Erinnerung, und zwar. Der Betroffene ist vom AG vom Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit freigesprochen worden. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Landeskasse auferlegt. Der Betroffene hat Kostenfestsetzung beantragt und dabei u.a. die Kosten eines von ihm eingeholten privaten Sachverständigengutachten in Höhe von 1.797,95 EUR und von 431,97 EUR (jeweils inclusive Mehrwertsteuer) geltend gemacht, die neben Schreibgebühren und Kosten für Kopien, Porto und Telefon, Arbeitsaufwand von insgesamt 10,5 Stunden zu einem Stundensatz von 168,75 EUR beinhalten.

In ihrer Stellungnahme zu dem Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers ging die Bezirksrevisorin davon aus, dass die geltend gemachten Auslagen für die Privatgutachten zwar aus Sicht der Staatskasse ausnahmsweise erstattungsfähig seien, da diese das Verfahren gefördert hätten; die Höhe der Erstattung der Sachverständigenkosten sei jedoch auf die gültigen Sätze des JVEG, mithin auf 135,00 EUR (Stundensatz) gern. Nr. 37 der Anlage 1 zu § 9 JVEG begrenzt. Die Rechtspflegerin des AG Konstanz hat im Kostenfestsetzungsbeschluss die geltend gemachten Privatgutachtenkosten in voller Höhe festgesetzt. Dagegen hat die Bezirksrevisorin namens der Staatskasse dann sofortige Beschwerde eingelegt.

Das LG führt in dem LG Konstanz, Beschl. v. 07.10.2024 – 4 Qs 53/24 – zu der streitigen Frage – wegen der hier nicht streitigen grundsätzlichen Frage, ob die Kosten des Privatgutachtens überhaupt zu erstatten sind, bitte selbst lesen – aus:

„Die sofortige Beschwerde ist jedoch nur zum Teil – in geringem Umfang – begründet.
Im vorliegenden Fall erscheint die Erstattung der Kosten für das seitens des Betroffenen eingeholte Gutachten in Höhe von insgesamt 2.145,58 Euro (unter Zugrundelegung eines um 20% über dem im JVEG vorgesehenen Stundensatz liegenden Stundensatzes) gerechtfertigt.

….

Hinsichtlich der Höhe des erstattungsfähigen Stundensatzes werden in der Rechtsprechung verschiedene Positionen vertreten. Zum Teil werden die Stundensätze des JVEG zugrunde gelegt (vergl. LG Stuttgart, Beschluss vom 28.12. 2020 – 20 Os 21/20 -. Beck RS 2020, 42517; und die in der Beschwerdebegründung zitierte Entscheidung). Überwiegend werden – auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25.01.2007 – VII ZB 74/06 – (NJW 2007, 1532) die Stundensätze des JVEG aber nur als Richtlinie herangezogen, auf deren Grundlage der privatrechtlich vereinbarte Stundensatz einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen ist. Weicht der Stundensatz erheblich von den im JVEG vorgesehenen Sätzen ab, bedarf es für die Plausibilitätsprüfung besonderer Darlegungen durch den Antragsteller. Als erheblich erachtet, wird dabei eine Abweichung von 20% oder mehr vom Stundensatz der entsprechenden Honorargruppe des JVEG (KG, Beschluss vom 20.02.2012 – 1 Ws 72/09 -, BeckRS 2012, 12353; LG Chemnitz, Beschluss vom 03.07.2018 – 2 Qs 241/18 BeckRS 2018, 15874: LG Oldenburg, Beschluss vom 28.03.2022 – 5 Qs 108/22 -, juris; LG Münster, Beschluss vom 14. Juni 2024 – 12 Qs 16/24, juris; AG Wuppertal, Beschluss vom 16.01.2019 – 26 Owi-723 Js 208/18 -37/18 -, BeckRS 2019, 2577). Dem schließt sich die Kammer an. Das JVEG regelt lediglich das dem gerichtlich beauftragten Sachverständigen zustehende Honorar. Es ist daher auf den privatrechtlich tätigen Sach-verständigen nicht unmittelbar anwendbar. Wie in der vorgenannten Entscheidung des BGH aus-geführt, kommt auch eine entsprechende Anwendung nicht in Betracht, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass es einer Partei in der Regel möglich sein wird, einen geeigneten Sachverständigen zu den im JVEG vorgesehenen Vergütungssätzen zu gewinnen (BGH, a.a.O.). Bei erheblicher Abweichung der Stundensätze des Privatgutachtens von den im JVEG vorgesehenen Sätzen bedarf es allerdings einer besonderen Darlegung ihrer Notwendigkeit.

Vorliegend weicht der geltend gemachte Stundensatz von 168,75 Euro um 25 % – und somit erheblich – von dem im JVEG vorgesehenen Stundensatz von 135,00 Euro ab. Die Ausführungen des Verteidigers im Schriftsatz vom 09.04.2024 und die beigefügten eingeholten Schreiben diverser Sachverständiger auf dem Gebiet der Verkehrsmesstechnik bestätigen, dass die Stundensätze für Privatgutachten auf diesem Gebiet die Vergütungssätze des JVEG deutlich überschreiten, belegen jedoch auch, dass es möglich ist, einen Privatgutachter zu beauftragen, dessen Stundensatz innerhalb der 20 %-igen Toleranzgrenze liegt, wie sich aus dem Schreiben der GFU Verkehrsmesstechnik Unfallanalytik Akademie für Bildung und Beratung GmbH vom 22.03.2024 ergibt, wonach der dortige Stundensatz für die Erstellung von verkehrsmesstechnischen Privatgutachten bei 145,00 Euro liegt (AS 689). Die Notwendigkeit eines diesen Toleranzbereich überschreitenden Stundensatzes ist daher nicht plausibel. Die Kammer sieht daher einen Stundensatz von zuzüglich 20 % über dem im JVEG vorgesehenen Stundensatz, somit in Höhe von höchstens 162,00 Euro als plausibel und somit erstattungsfähig an. Dies ergibt bei insgesamt 10,5 Arbeitsstunden laut den Rechnungen des Sachverständigen 1.701,00 Euro zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer, somit insgesamt 2.024,19 Euro. Die Differenz zum festgesetzten Betrag (10,5 Stunden x 168,75 Euro zuzüglich 19% MwSt ) von 2.108,53 Euro beträgt somit 84,34 Euro, die zuviel festgesetzt wurden.
Auf die sofortige Beschwerde waren die geltend gemachten und in dieser Höhe festgesetzten Sachverständigenkosten von insgesamt 2.229,92 Euro und somit der laut Kostenfestsetzungsbeschluss insgesamt festgesetzte Betrag von 2.945,11 Euro jeweils um diesen Differenzbetrag zu kürzen.“

Offen bleibt nach der Entscheidung des LG, warum die (geringfügige) Überschreitung der 20 %-Grenze vom LG nicht akzeptiert worden ist. Das AG, das allerdings von einer anderen Bemessungsgrundlage ausgegangen war, hatte sogar eine Abweichung von 24 % nicht beanstandet.

 

AG: Aktenversendungspauschale als Servicepauschale, oder: VerfGH: Nein, das ist willkürlich

© mpanch – Fotolia.com

Heute dann RVG-Entscheidungen. Einmal geht es um „ganz viel“ Honorar, einmal nur um ein paar Euro.

Ich beginne mit den „paar Euro“. Dazu äußert sich der VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.5.2022 – VerfGH 91/21. Es geht um die Erstattung der Aktenversendungspauschale Nr. 9003 VV GKG. Ich hatte an sich gedacht, dass das eine Problematik ist, die erledigt ist. Aber es scheint immer noch wieder Verwaltungsbehörden und/oder Gerichte zu geben, die mit der Pauschale Probleme haben. So auch hier:

Der Polizeipräsident Berlin hatten gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid erlassen. Deren Verteidiger hat Einspruch eingelegt und Akteneinsicht durch Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte beantragt. Der Polizeipräsident hat dem Antrag entsprochen und von dem Verteidiger eine Aktenversendungspauschale von 12,- EUR erhoben. Der Verteidiger hat diese dann der Betroffene der Betroffenen zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Nach Eingang der Einspruchsbegründung hat der Polizeipräsident den Bußgeldbescheid aufgehoben, das Verfahren eingestellt und angeordnet an, dass die Betroffene ihre notwendigen Auslagen zu tragen hat. Auf den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das AG der Landeskasse die notwendigen Auslagen der Betroffenen auferlegt.

Im Rahmen der Kostenerstattung hat der Verteidiger auch die Erstattung der Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,- EUR zuzüglich Umsatzsteuer beantragt. Deren Erstattung hat der Polizeipräsident abgelehnt. Das AG hat den Antrag der Betroffenen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aktenversendungspauschale könne nicht erstattet werden. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Betroffenen, mit der diese geltend gemacht hat, die Verweigerung der Erstattung der Aktenversendungspauschale sei willkürlich, hatte beim VerfGH Berlin Erfolg. Das geht von einem Willkürverstoß des AG aus:

„So liegt der Fall hier. Die mit der Verfassungsbeschwerde allein angegriffene Versagung der Erstattung der Aktenversendungspauschale durch den Beschluss vom 27. April 2021 verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf eine willkürfreie Entscheidung gemäß Art. 10 Abs. 1 VvB. Der Beschluss ist insoweit, gemessen an seiner Begründung, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar. Die Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale musste sich daran orientieren, ob es sich dabei um Auslagen der Beschwerdeführerin in dem genannten Verfahren handelte und ob diese notwendig waren. Das ergibt sich aus der amtsgerichtlichen Kostengrundentscheidung, die die Staatskasse zur Tragung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin in dem gegen sie geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren verpflichtet hatte. Zu diesem der Entscheidung über die Erstattung der Aktenversendungspauschale zugrunde zulegenden Maßstab weist die Begründung des Amtsgerichts, die Aktenversendungspauschale sei eine Servicepauschale, die der Verteidiger dafür bezahle, dass er sich eine Akteneinsicht bei der Behörde oder eine Mitnahme der Akte erspare, keinen sachlichen Bezug mehr auf. Weder nimmt das Argument des Amtsgerichts der Aktenversendungspauschale offenkundig die Eigenschaft als Auslage der Beschwerdeführerin, noch lässt es deren Notwendigkeit offensichtlich entfallen. Eine Konkretisierung des abstrakten rechtlichen Entscheidungsmaßstabes, die einen sachlichen Bezug zwischen den Begriffen Auslage und Notwendigkeit einerseits und der Begründung des Beschlusses herstellen könnte, hat das Amtsgericht nicht ausgeführt.

Die angefochtene Entscheidung beruht, soweit sie die Erstattung der Aktenversendungspauschale betrifft, auch auf diesem Verstoß gegen das Willkürverbot, da sie keine selbstständig tragende verfassungskonforme Alternativbegründung enthält und sich bei methodisch korrekter Anwendung des einschlägigen Fachrechts auch nicht als einzig in Betracht kommende Entscheidung darstellt. Die verfahrensgegenständliche Aktenversendungspauschale kann als Auslage der Beschwerdeführerin angesehen werden. Auslagen sind Vermögenswerte, d.h. in Geld messbare Aufwendungen eines Verfahrensbeteiligten, die bei der Rechtsverfolgung bzw. der Geltendmachung prozessualer Rechte entstanden sind. Aufwendungen eines Dritten sind als Auslagen des Beteiligten anzusehen, wenn ihm der Beteiligte zum Ersatz verpflichtet ist (vgl. Gieg, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019, § 464a StPO Rn. 6). Die Verpflichtung zur Zahlung der Aktenversendungspauschale ist gegenüber dem Verteidiger der Beschwerdeführerin durch deren Verteidigung gegen den verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeitenvorwurf entstanden. Die Beschwerdeführerin ist ihrem Verteidiger insoweit auch aus dem mit ihm bestehenden Geschäftsbesorgungsvertrag zum Ersatz verpflichtet.

Die Aktenversendungspauschale kann auch als notwendige Auslage angesehen werden. Notwendig ist eine Auslage, wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder zur Geltendmachung prozessualer Rechte erforderlich war (vgl. Gieg, a. a. O.). Das kann schon dann anzunehmen sein, wenn der vernünftige und besonnene Verfahrensbeteiligte sie für geboten halten durfte. Angesichts des Umstandes, dass die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, vorliegend eine Einsichtnahme in die elektronisch geführte Verfahrensakte an einem Bildschirm in den Räumen des Polizeipräsidenten in Berlin war, dürfte dies auch naheliegen. Denn diese Möglichkeit der Akteneinsicht stellt sich gegenüber der von dem Verteidiger der Beschwerdeführerin erbetenen Übersendung eines Ausdrucks der Verfahrensakte zweifellos als die deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative dar.

Ob die angegriffene Entscheidung die Beschwerdeführerin auch in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB verletzt, kann danach dahinstehen.“

Ich frage mich bei solchen Entscheidungen immer, was das eigentlich soll.  Ich meine, die Einordnung des Aktenversendungspauschale als erstattbare Auslage sollte zum Allgemeinwissen eines Amtsrichters gehören und man, wozu allerdings auch die Verwaltungsbehörden zählen, sollte an der Stelle nicht wieder „Fass aufmachen“, das durch die obergerichtliche Rechtsprechung seit längerem geschlossen ist. Denn das führt nur zu an sich unnötigen Rechtsmitteln, die erhebliche Zeitaufwand verursachen – und Zeit hat die Justiz ja angeblich nicht – und auch Kosten, die erheblich über dem Betrag liegen, um den gestritten wird, nämlich 12 EUR.

Im Urteil unterbliebene Auslagenentscheidung, oder: Reminder

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und als zweite kostenrechtliche Entscheidung dann der OLG Hamm, Beschl. v. 16.11.2021 – III-3 Ws 433/21. Die Entscheidug ist „selbserklärend“:

„Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat unter dem 5. März 2021 Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen Beihilfe zu einem versuchten schweren Raub beim Landgericht — Jugendkammer — Bielefeld erhoben. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens hat die 3. große Strafkammer — Jugendkammer — des Landgerichts Bielefeld den Beschwerdeführer mit Urteil vom 27. September 2021 freigesprochen und zwei Mitangeklagte verurteilt. Die Kostenentscheidung in der Urteilsformel lautet wie folgt:

„Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens, soweit es sie betrifft und soweit sie verurteilt wurden.

Im Übrigen fallen die Kosten der Landeskasse zur Last.“

Mit seiner sofortigen Beschwerde vom 27. September 2021 — Eingang beim Landgericht Bielefeld am selben Tag — wendet sich der Angeklagte gegen die unterbliebene Auslagenentscheidung.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 27. September 2021 bezüglich des Angeklagten pp. dahingehend abzuändern und zu ergänzen, dass die Staatskasse auch die dem Angeklagten pp. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

II.

Die sofortige Beschwerde gegen die unterbliebene Auslagenentscheidung ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Zulässigkeit steht auch § 464 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz StPO. nicht entgegen, da gegen die Hauptentscheidung ein Rechtsmittel als solches statthaft ist und dieses — wie hier aufgrund des Freispruchs — lediglich mangels Beschwer nicht zulässig wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Mai 2005 — 3 Ws 212/05 — juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 464, Rdnr. •19 m.w.N.).

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Die das Verfahren abschließende Entscheidung muss ausdrücklich zum Ausdruck bringen, dass ein Dritter und — wie im Falle des Freispruchs — die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen eines Angeklagten zu tragen hat (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 29′. November 2000 — 2 Ws 316/00, BeckRS 2007, 18586; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 467, Rdnr. 20).

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO hat die Staatskasse die einem freigesprochenen Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Dementsprechend ist das Urteil abzuändern und zu ergänzen.“

Nichts wesentlich Neues, aber ein „Reminder“ 🙂 .

Einstellung des OWi-Verfahrens wegen Verjährung, oder: Notwendige Auslagen bei der Staatskasse

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung ein LG-Beschluss zu den notwendigen Auslagen des Betroffenen im Bußgelverfahren nach Einstellung des Verfahrens wegen Eintritt der Verjährung. Dazu meint das LG Köln, im LG Köln, Beschl. v. 19.02.2021 – 120 Qs 16/21:

„Zwar kann grundsätzlich gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG davon abgesehen werden, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Diese Voraussetzung ist angesichts der Angaben des Betroffenen im Anhörungsbogen vom 16.06.2020 (BI. 6 d. Bußgeldakte) erfüllt. Allerdings handelt es sich bei § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO um eine zu begründende Ermessensentscheidung, wobei erkennbar sein muss, dass sich das Gericht des Ausnahmecharakters der Norm bewusst ist (Meyer-Goßner, 63. Aufl. 2020, § 467 Rz. 16a-18 m. w. N.). Dass das Amtsgericht diesen Anforderungen nachgekommen ist, ist aus dem angegriffenen Beschluss nicht ersichtlich. Die Kammer hat jedoch davon abgesehen den Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Denn weitere ungeschriebene Voraussetzung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist, dass weitere Gründe hinzutreten müssen, die eine Überbürdung der Kosten auf die Staatskasse als unbillig erscheinen lassen, wie z. B. die Herbeiführung des Verfahrenshindernisses durch den Betroffenen etc. Bei Beachtung dieser Grundsätze ist § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur in seltenen Ausnahmefällen anwendbar, was dem Willen des Gesetzgebers entspricht (Meyer-Goßner, a. a. 0.). Solche weiteren Gründe ergeben sich hier nicht aus dem Akteninhalt, so dass das Amtsgericht bei einer Zurückverweisung auch zu keiner anderen Entscheidung kommen könnte. Das Entstehen des Verfahrenshindernisses (Verfolgungsverjährung) beruhte hier allein darauf, dass die Akten nicht innerhalb der Frist des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG beim Amtsgericht eingegangen waren.“

Gut so.

Auslagenentscheidung zu Lasten der Landeskasse, oder: Auch alles kann „besonders“ sein

Bild von ????Merry Christmas ???? auf Pixabay

Und die zweite schöne 🙂 Gebührenentscheidung kommt vom LG Berlin. Das hat im LG Berlin, Beschl. v. 13.11.2020 – 502 Qs 91/20 -, den mir der Kollege Kroll geschickt hat, zu den „besonderen“ Auslagen i.S. von § 465 Abs. 2 Satz 1 StPO Stellung genommen.

Nach dem Sachverhalt war die Verurteilte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB angeklagt worden war. Sie ist dann aber nur wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit gem. § 24a Abs. 1 StVG zu einer Geldbuße von 500,00 Euro verurteilt worden. Die Verurteilte hat sich gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des Urteils des AG gewendet und beantragt, ihre notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass sie nicht wegen der angeklagten Tat – § 316 StGB -, sondern nur wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG verurteilt wurde, wobei sie sich gegen einen entsprechenden Bußgeldbescheid nicht gewehrt hätte, so dass aus, Billigkeitsgründen die notwendigen Auslagen gern. § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen seien.

Das LG hat ihr Recht gegeben:

„Die sofortige Beschwerde ist begründet. Der Staatskasse sind billigerweise die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin für das gerichtliche Verfahren aufzuerlegen, § 465 Abs. 2 S. 1, 3 StPO. Im Einzelfall können die gesamten Auslagen „besondere“ sein, wenn nämlich bei anfänglicher Begrenzung des Schuldvorwurfs auf den sich später als begründet erwiesenen Teil Auslagen überhaupt nicht entstanden wären, etwa weil der wegen eines Vergehens Angeklagte, der nur wegen einer Ordnungswidrigkeit verurteilt wird, einen Bußgeldbescheid widerspruchslos hingenommen hätte (BGH, Beschluss vom 24. Januar 1973 — 3 StR 21/72, NJW 1973, 665, 667 = BGHSt 25, 109; m.w.N. KK-StP0/Gieg, 8. Aufl. 2019 Rn. 5, StPO § 465 Rn. 5; BeckOK StPO/Niesler, 37. Ed. 01. Juli 2020, § 465 Rn. 8). Es ist davon auszugehen, dass — sofern die Sachlage noch vorgerichtlich im Sinne der Verurteilung gewürdigt worden wäre — ein Bußgeldbescheid ergangen wäre, gegen den sich die Verurteilte nicht gewendet hätte. Dass die Verurteilte in dieser Konstellation kein gerichtliches Verfahren veranlasst hätte, wird dadurch bestätigt, dass sie gegen das amtsgerichtliche Urteil keine Rechtsmittel eingelegt hat. Billigerweise ist sie damit nicht als Verursacherin ihrer notwendigen Auslagen, soweit diese das gerichtliche Verfahren betreffen, anzusehen und die Staatskasse ist insoweit zu belasten.“