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KCanG/BtM III: Einfuhr von Cannabis zum Handel, oder: Einfuhr als unselbständiger Teilakt des Handeltreibens

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Und dann als dritte Entscheidung habe ich heute noch den BGH, Beschl. v. 15.08.2024 – 5 StR 243/24. Schon etwas älter, aber erst jetzt veröffentlicht.

Das LG hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die teilweise Erfolg hatte. Der BGH hat das Urteil des LG im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte (nur) der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in zwei Fällen schuldig ist und hat den Strafausspruch aufgehoben:

„1. Der Angeklagte unterstützte in den zwei Fällen unbekannte Dritte bei dem Export von Cannabisblüten aus Spanien nach Deutschland zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs, indem er als Geschäftsführer einer nur zu solchen Zwecken gegründeten spanischen Transportfirma fungierte und seine persönlichen Daten für die getarnte Beförderung des Cannabis durch gutgläubige internationale Speditionen zur Verfügung stellte. Zudem fuhr er weisungsgemäß an die jeweiligen Ankunftsadressen, um das Cannabis entgegenzunehmen und an Abnehmer zu transportieren. Im Fall II.1 handelte es sich um 74 kg Cannabisblüten mit einer Wirkstoffmenge von 11,3 kg THC und im Fall II.2 um 77 kg Cannabisblüten mit einer Wirkstoffmenge von 11,2 kg THC, die jeweils von den Polizeibehörden sichergestellt wurden und nicht in den Verkehr gelangten.

Das Landgericht hat die Taten rechtlich jeweils als Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB gewertet und die Strafen dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG entnommen.

2. Da sich die festgestellten Handlungen ausschließlich auf Cannabis im Sinne von § 1 Nr. 8 KCanG beziehen, hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB die seit dem 1. April 2024 geltende Strafvorschrift des § 34 Abs. 1 KCanG (BGBl. I 2024 Nr. 109) als hier milderes Recht zur Anwendung zu bringen; die Voraussetzungen des den gleichen Strafrahmen wie § 30 Abs. 1 BtMG eröffnenden § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG (Bande) hat die Strafkammer nicht festgestellt.

a) Dies führt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 iVm § 354a StPO zur Umstellung des Schuldspruchs jeweils auf Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB. Den Schuldspruchänderungen steht § 265 StPO nicht entgegen, weil sich der Angeklagte insoweit nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Eine tateinheitliche Verurteilung auch wegen Beihilfe zur Einfuhr von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG) kommt nicht in Betracht.

Die Einfuhr von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG, die wie hier dem gewinnbringenden Umsatz dient, geht als unselbständiger Teilakt im Tatbestand des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG auf (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2024 – 5 StR 296/24; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 92, 108; zu § 29 Abs. 1 BtMG vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 StR 35/13; vom 1. März 2007 – 3 StR 55/07; Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 29 Rn. 534).

Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn sich die Einfuhrhandlungen zum Zwecke des Handeltreibens mit Cannabis, so wie hier, auf eine nicht geringe Menge beziehen (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG). Denn anders als beim Handel mit Betäubungsmitteln (§§ 29a, 30 BtMG) sieht das KCanG keinen höheren Strafrahmen für eine Einfuhr von Cannabis im Verhältnis zum Handeltreiben vor. Beide Begehungsvarianten (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KCanG) werden vom Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG, das pauschal auf Handlungen gemäß § 34 Abs. 1 KCanG verweist, einheitlich erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 2024 – 5 StR 296/24). Eine parallele Handhabung der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses wie im Betäubungsmittelgesetz hinsichtlich der Tatbestände der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) und dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), zwischen denen nach herrschender Meinung Tateinheit besteht (vgl. nur BGH, Urteile vom 24. Februar 1994 – 4 StR 708/93, BGHSt 40, 73; vom 24. November 1982 – 3 StR 384/82, BGHSt 31, 163), kommt deshalb nicht in Betracht.

3. Die Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben, weil der nach §§ 27, 49 Abs. 1 StGB zu verschiebende Strafrahmen des § 34 Abs. 1 und 3 KCanG (vgl. zur nicht geringen Menge im Sinne von § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG BGH, Beschlüsse vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24; vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24; Urteil vom 24. April 2024 – 5 StR 516/23) eine mildere Strafe androht als der von der Strafkammer angewendete gemilderte Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG. Dies zieht den Wegfall des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).“

BtM III: Zurückstellung von der Strafvollstreckung, oder: Betäubungsmittelabhängigkeit/mehrere Taten

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Und dann gibt es zum Tagesschluss noch den BayObLG, Beschl. v. 21.10.2024 – 203 VAs 397/24 – zur Zurückstellung nach § 35 BtMG.

Der Verurteilte ist mit Urteil des LG Coburg vom 02.04.2024 wegen Vergewaltigung in Tatmehrheit mit sexueller Nötigung, diese in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden. Nach den Feststellungen litt der Antragsteller im Tatzeitraum an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ sowie an einer Polytoxikomanie mit Abhängigkeit von Cannabinoiden, Methamphetamin, schädlichem Gebrauch von Alkohol, Opioiden, Sedativa und Hypnotika. Er nahm täglich die ihm verordneten Medikamente Quetiapin und Mirtazapin gegen den Suchtdruck ein, zudem konsumierte er annähernd täglich synthetische Cannabinoide, Crystal und Methylphenidat (Ritalin), wöchentlich Benzodiazepine und zweiwöchentlich Opioide, wahlweise nutzte er Fentanylpflaster. Nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden führte er am 19.06.2023 in einem Hotel an einer Jugendlichen gegen deren Willen sexuelle Handlungen aus. Am 10.10. 2023 drang er in einem Badesee unter dem Einfluss von Ritalin und Alkohol gegen den Willen einer erwachsenen Geschädigten mit dem Finger in deren Scheide ein. Bei keiner der beiden Taten war die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten oder seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert oder aufgehoben. Das Landgericht hat sachverständig beraten das Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 64 StGB angenommen, jedoch von der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt mangels eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten Hang und der am 19.06.2023 begangenen Straftat abgesehen. Mit der am 10.07. 2023 begangenen Vergewaltigung hat sich das LG in diesem Zusammenhang nicht befasst.

Der Verurteilte hat dann bei der Staatsanwaltschaft unter Vorlage eines Bewilligungsbescheids der Rentenversicherung und einer im Laufe des Verfahrens aktualisierten Aufnahmezusage der Bezirksklinik Hochstadt beantragt, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG zugunsten einer von ihm beabsichtigten Therapie zurückzustellen. Das wird abgelehnt. Dagegen der Antrag nach den §§ 23 ff. EGGVG, der dann beim BayObLG auch keinen Erfolg hatte:

„2. Rechtsfehlerfrei ist die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs.1 Satz1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG bezüglich der der Verurteilung vom 2. April 2024 zugrundeliegenden Tat vom 10. Juli 2023 und somit bezüglich der Gesamtfreiheitsstrafe nicht vorliegen.

a) Gemäß § 35 Abs.1 BtMG kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszugs die Vollstreckung einer Strafe für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde und der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Abs. 3 Nr. 2 der Vorschrift sieht eine entsprechende Geltung von Absatz 1 vor, wenn auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind. Danach ist hier die Zurückstellung der gegen den Antragsteller verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nur möglich, wenn die der Verurteilung zugrundeliegende erheblichere Straftat aufgrund der Abhängigkeit begangen wurde.

b) Ein Kausalzusammenhang zwischen Abhängigkeit und Straftat im Sinne von § 35 Abs. 1 BtMG ist gegeben, wenn die Abhängigkeit nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass die Straftat entfiele (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst in MüKoStGB, 4. Aufl. 2022, BtMG § 35 Rn. 44; Fabricius in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl. § 35 Rn. 95 ff., insb. 96 m.w.N.; Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 35 Rn. 33). Die Abhängigkeit darf nicht nur begleitender Umstand, sondern muss die Bedingung der Straffälligkeit gewesen sein (Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 44; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96; Bohnen in BeckOK-BtMG, 23. Ed., § 35 Rn. 103). Eine Ursächlichkeit kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn zum Zeitpunkt der Tat eine Betäubungsmittelabhängigkeit bestand oder wenn die Tat aus einer Betäubungsmittelabhängigkeit heraus zu erklären ist (BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 14; Senat, Beschluss vom 21. September 2020 – 203 VAs 215/20 –, juris Rn. 49; Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 44; Weber a.a.O. § 35 Rn. 35; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96). Andererseits reicht eine erhebliche Mitursächlichkeit aus, etwa bei einer Polytoxikomanie (vgl. Kornprobst a.a.O. § 35 Rn. 45; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 96a). Die Ursächlichkeit oder Mitursächlichkeit muss mit Gewissheit bestehen (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 – 204 VAs 62/24 –, juris Rn. 41; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 87, 96; Bohnen a.a.O. § 35 Rn. 103a; Weber a.a.O. § 35 Rn. 36). Umfangreiche Ermittlungen zur Feststellung des Kausalzusammenhangs sind im Rahmen des Verfahrens nach § 35 BtMG nicht geboten (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23 –, juris Rn. 14; Weber a.a.O. § 35 Rn. 36; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 87). Liegen der Strafe mehrere Taten zugrunde, ist nach § 35 Abs. 3 BtMG entscheidend, ob der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der abgeurteilten und einbezogenen Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde. Bei der gebotenen zusammenfassenden Bewertung kommt der Art und Höhe einer Einzelstrafe maßgebliche Bedeutung zu, es sind aber auch Anzahl, Art, Begehungsweise, Umfang und Auswirkungen, mithin der Unrechts- und Schuldgehalt aller Taten, in die Würdigung einzubeziehen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. Februar 2012 – 2 VAs 1/12 –, juris Rn. 9; Bohnen a.a.O. § 35 Rn. 112; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 113).

c) Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung steht der Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Frage des Kausalzusammenhangs zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der Tat grundsätzlich ein Beurteilungsspielraum zu (Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2023 – 203 VAs 419/23-, juris Rn. 14; BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 – 204 VAs 62/24 –, juris Rn. 19; Weber a.a.O. § 35 Rn. 33, 142 m.w.N.), es sei denn, die Kausalität ergäbe sich hinreichend nachvollziehbar „aus den Urteilsgründen“ (vgl. § 35 Abs.1 BtMG, BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. November 2004 – 2 VAs 37/04 –, juris Rn. 4 m.w.N.; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 92 m.w.N.; Weber a.a.O. § 35 Rn. 43 m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Denn dem Urteil lässt sich auch unter Berücksichtigung der Ausführungen zu § 64 StGB und der Bejahung eines Hangs zwar die zur Tatzeit bestehende Betäubungsmittelabhängigkeit, nicht jedoch die von § 35 BtMG geforderte unmittelbare Kausalität zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der abgeurteilten Vergewaltigung entnehmen. Das erkennende Gericht hat als Ursache für die Vergewaltigung weder die Alkoholsucht noch die Betäubungsmittelabhängigkeit festgestellt, sondern die Ursache offen gelassen.

d) Die Annahme eines Beurteilungsspielraums der Vollstreckungsbehörde hat zur Folge, dass die gerichtliche Nachprüfung eingeschränkt ist. Kommt ein Beurteilungsspielraum zum Tragen, prüft der Senat nur, ob die Vollstreckungsbehörde von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat (vgl. zur Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung eines Beurteilungsspielraums Gerson in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 28 GVGEG Rn. 25, 27; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. Juli 2017 – 2 VAs 15/17 –, juris Rn. 8 m.w.N.).

e) Danach ist es hier mit Blick auf die Umstände der Tatbegehung nicht zu beanstanden, dass sich die Vollstreckungsbehörde von einer Kausalität der Betäubungsmittelabhängigkeit bezogen auf die Vergewaltigung als dem gewichtigeren Delikt nicht mit der erforderlichen Gewissheit zu überzeugen vermochte und infolgedessen gehalten war, die Zurückstellung abzulehnen (zu der in diesem Fall gebundenen Entscheidung Weber a.a.O. § 35 Rn. 144 m.w.N.; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 332). Begeht ein suchtkranker Angeklagter eine Vergewaltigung nach dem Konsum von Alkohol und Betäubungsmitteln, so versteht es sich nämlich nicht von selbst, dass die Betäubungsmittelabhängigkeit kausal für die Tat war. In Betracht kommt auch ein sexuelles Verlangen (vgl. Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 111; Weber a.a.O. § 35 Rn. 37). Zudem ist bei dem Antragsteller neben der Polytoxikomanie auch eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ diagnostiziert worden. Die damit einhergehende Schwierigkeit bei der Kontrolle von Impulsen kommt ebenfalls als bestimmender Faktor für das am 10. Juli 2023 begangene Sexualdelikt in Betracht. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde beruht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Dass sie verfügbare weitere Erkenntnisquellen nicht herangezogen hätte, trägt auch der Antragsteller nicht vor.

f) Aus der Benennung der Registervergünstigung des § 17 Abs.2 BZRG in der Liste der angewendeten Vorschriften ergibt sich für sich alleine keine Bindungswirkung für die Vollstreckungsbehörde hinsichtlich der Annahme einer unmittelbaren Kausalität zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und der abgeurteilten Straftaten (BayObLG, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 22 ff.; KG, Beschluss vom 15. Februar 2016 – 1 VAs 1/16 -, juris Rn. 12; Fabricius a.a.O. § 35 Rn. 83a; Weber a.a.O. § 35 Rn. 44).

g) Die vom Antragsteller behauptete Zusicherung der Vorsitzenden des erkennenden Gerichts ist nach dem Inhalt ihrer dienstlichen Stellungnahme nicht bewiesen. Sein diesbezüglicher Vortrag ist bereits aus diesem Grund nicht geeignet, einen Vertrauensschutztatbestand bezüglich einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde nach § 35 BtMG zu schaffen.

BtM I: Sind Besitzwillen und Besitzbewusstsein da?, oder: Wenn der Angeklagte meint, es sei alles entsorgt

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Heute dann mal wieder drei Entscheidungen zu BtM-Fragen.

Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2021 – 1 Ss 55/21 – zum Besitzwillen in Zusammenhnag mit § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Nach den Feststellungen des LG, das den Angeklagaten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteilt hat, hat der Angeklagte habe am 29.05.2019 in seiner Wohnung in Braunschweig einen Folienbeutel mit 0,14 g betäubungsmittelhaltigem Substanzgemisch verwahrt. Das Gemisch habe die Substanzen Heroinbase, Paracetamol, Coffein und Ascorbinsäure enthalten. Heroinbase und Ascorbinsäure seien in Spuren nachgewiesen worden. Der Angeklagte habe nicht über die erforderliche schriftliche Erlaubnis der Verwaltungsbehörde zum Erwerb des Rauschgifts Heroin verfügt, was ihm auch bewusst gewesen sei. Das Heroin habe zum Eigenkonsum des Angeklagten gedient. Es habe sich um schlechte Straßenqualität gehandelt.

„Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Besitzen im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus (BGH, Beschluss vom 18. August 2020,1 StR 247/20, juris, Rn. 6; Beschluss vom 10. Juni 2010, 2 StR 246/10, juris, Rn. 3; Beschluss vom 2. Dezember 1992, 5 StR 592/92, juris, Rn. 6).

Den Urteilsfeststellungen mag in ihrer Gesamtheit (UA S. 4: Abstellen auf den 29. Mai 2019 als Tatzeitpunkt; UA S. 4: das Heroin diente zum Eigenkonsum; UA S. 5: er [der Angeklagte] wusste, dass sich in dem Folienbeutel Heroin befand; UA S. 5: der Angeklagte befand sich zum Tatzeitpunkt seit mindestens einem Jahr in einem Subsititutionsprogramm) (noch) die Feststellung der Kammer entnommen werden, dass der Angeklagte am 29. Mai 2019 Besitzwillen und Besitzbewusstsein bezüglich des Substanzgemischs gehabt hat.

Eine solche Feststellung wird indes nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen. Die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht ordentlich aufgeräumt, kann naheliegend dahingehend aufgefasst werden, dass der Angeklagte am 29. Mai 2019 seinen Angaben zufolge davon ausgegangen ist, sämtliche Betäubungsmittelreste entsorgt zu haben. Mit dieser Einlassung setzt sich die Kammer nicht auseinander. Sie legt nicht dar, ob und, falls ja, aus welchen Gründen die entsprechende Einlassung den Feststellungen nicht zugrunde zu legen ist. In Anbetracht der geringen Menge des aufgefundenen Betäubungsmittels und der Tatsache, dass der Angeklagte nach den Feststellungen ohne Beikonsum substituiert wird (UA S. 3), bestand indes Veranlassung, sich mit der entsprechenden, nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Einlassung des Angeklagten näher auseinanderzusetzen. Die gebotene Überprüfung der Einlassung des Angeklagten auf ihren Wahrheitsgehalt hin (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019, 5 StR 451/19, juris, Rn. 7) ist nicht ersichtlich erfolgt. Die Beweiswürdigung ist damit letztlich lückenhaft, was sich — auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017, 2 StR 115/17, juris, Rn. 8) — als rechtsfehlerhaft darstellt.

Ob den Urteilsfeststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung zu entnehmen ist, dass der Angeklagte das Substanzgemisch vor dem etwaig misslungenen Versuch eines „ordentlichen Aufräumens“, also vor dem 29. Mai 2019, mit Besitzwillen und Besitzbewusstsein innegehabt hat, kann im Ergebnis dahinstehen.

Zwar käme die Anknüpfung an einen solchen früheren Tatzeitpunkt zur Begründung eines Schuldspruchs wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (Dauerdelikt) grundsätzlich in Betracht und wäre ein entsprechendes Verhalten des Angeklagten auch von der verfahrensgegenständlichen prozessualen Tat umfasst. Dem Urteil ist indes nicht zu entnehmen, bis wann die entsprechenden (insbesondere auch die subjektiven) Voraussetzungen für eine entsprechende Strafbarkeit vorgelegen haben sollen, d. h. wann der in der Einlassung des Angeklagten erwähnte Versuch eines „Aufräumens“ erfolgt sein soll. Bei der Angabe einer — gegebenenfalls auch nur zeitraummäßig umrissenen — Tatzeit handelt es sich indes um eine erforderliche Mindestfeststellung (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 4. Mai 2021, 1 Ss 2/21, juris, Rn. 11; OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 3 Ss 136/12, juris, Ls. 3), die zur Beurteilung der Schuld des Angeklagten (vgl. auch UA S. 5: Tat liegt schon zwei Jahre zurück) und gegebenenfalls der Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist, erforderlich ist…“

Strafzumessung I: Verstoß gegen das BtMG, oder: Dauerbrenner Gewinnerzielungsabsicht

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Ich habe schon länger keinen „Strafzumessungstag“ mehr gemacht. Daher dann heute drei Entscheidungen aus dem Bereich.

Den „Opener“ macht der BGH, Beschl. v. 21.08.2018 – 2 StR 231/18. Schon etwas älter und auch nichts „Dolles“, sondern ein Dauerbrenner aus dem Bereich der Strafzumessung: Nämlich Strafzumessung bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das BtMG. Da hat der BGH gegen den Strafausspruch

durchgreifende Bedenken:

a) Die Strafkammer hat sowohl bei der Ermittlung des konkreten Strafrahmens wie auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, „dass er die Taten begangen hat, ohne selber betäubungsmittelabhängig und damit auf die erzielten Einnahmen zur Finanzierung seines Konsums angewiesen gewesen zu sein“. Vielmehr habe er „die Taten aus rein monetärem Interesse zur Verbesserung seines Lebensstandards sowie des Lebensstandards der Angeklagten S. “ begangen.

b) Mit der Gewinnerzielungsabsicht hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten einen Umstand in die Strafzumessung eingestellt, der beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstößt. Denn eine Verurteilung wegen Betäubungsmittelhandels setzt tatbestandlich voraus, dass der Täter nach Gewinn strebt oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. November 2017 – 4 StR 393/17, juris Rn. 4 mwN; Senat, Beschluss vom 29. April 2014 – 2 StR 616/13, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Handeltreiben 7). Zudem hat die Strafkammer mit der beim Angeklagten nicht bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit das Fehlen eines möglichen Strafmilderungsgrundes zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 24. April 2018 – 4 StR 60/18, juris Rn. 5 mwN).“

Wie gesagt: Dauerbrenner.

Strafzumessung I: Fischer-Bereinigungs-Entscheidung, oder: Die nur gerinfügig überschrittene „nicht geringe Menge“

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Der heutige Mittwoch ist dann mal wieder ein Strafzumessungstag. Den eröffne ich mit dem BGH, Urt. v. 15.03.-2017 – 2 StR 294/16. Dessen Bedeutung erkennt man daran, dass es zur Veröffenttlichung in der amtlichen Sammlung BGHSt vorgesehen ist. Ergangen ist das Urteil in einem Verfahren mit dem Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Auf die Revision der StA nimmt der BGH zur Strafzumessung Stellung – noch einmal.

Das LG hatte sowohl bei der Strafrahmenwahl (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BtMG) als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn (§ 46 Abs. 1 und 2 StGB) angenommen, es sei „strafmildernd zugunsten des Angeklagten auch zu berücksichtigen, dass sowohl hinsichtlich der Amphetaminsalzzubereitung als auch hinsichtlich des Tetrahydrocannabinols die Grenzwerte zur nicht geringen Menge nur geringfügig überschritten wurden, nämlich um ein 2,5-faches und um ein fünffaches.“

Das beanstandet der BGH, zwar nicht bei der Prüfung eines minder schweren Falles des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG, aber bei der Strafzumessung im engeren Sinn:

aa) Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG darf die Tatbegehung mit einer „nicht geringen Menge“ für sich genommen nicht berücksichtigt werden, weil dies nur die Erfüllung des Qualifikationstatbestands beschreibt (§ 46 Abs. 3 StGB). Jedoch kann das Maß der Überschreitung des Grenzwerts in die Strafzumessung einfließen, soweit es sich nicht lediglich um eine Überschreitung in einem Bagatellbereich handelt, wodurch praktisch allein die Erfüllung des Qualifikationstatbestands festgestellt ist. Wo diese Bagatellgrenze verläuft, hat in erster Linie der Tatrichter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzulegen. Ob sie „annähernd beim Doppelten der nicht geringen Menge“ (vgl. BGH, Beschluss vom 14. März 2017 – 4 StR 533/16), beim zweieinhalbfachen (so im Ergebnis Senat, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 2 StR 39/16, NStZ-RR 2016, 141), bei der dreifachen nicht geringen Menge (so im Ergebnis Senat, Beschluss vom 31. März 2016 – 2 StR 36/16, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 44) liegt, oder ob die Bagatellgrenze bei Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge um ein Drittel (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2016 – 4 StR 248/16 Rn. 31) noch eingehalten ist, kann hier offen bleiben. Bei einem Handeltreiben mit dem 7,5-fachen der nicht geringen Menge handelt es sich jedenfalls nicht um eine derart geringe Überschreitung des Grenzwerts, dass diese Tatsache gemäß § 46 Abs. 3 StGB aus der Gesamtschau aller Strafzumessungsgründe ausscheiden müsste.

bb) Jenseits einer die Grenze zur Erfüllung des Qualifikationstatbestands nur unwesentlich überschreitenden Wirkstoffmenge hat das Maß der Überschreitung dieser Grenze regelmäßig die Bedeutung eines im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmenden Strafzumessungsgrundes.

Ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens hat die Überschreitung des Grenzwerts grundsätzlich strafschärfende Bedeutung (vgl. zur Festlegung der Bewertungsrichtung anhand der Strafrahmenuntergrenze Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe, 1996, S. 119 f. mwN). Die Bewertungsrichtung wird insoweit durch die Anknüpfung des Qualifikationstatbestands gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG an eine be-stimmte Menge von Betäubungsmitteln vorgegeben. Unbeschadet des Erfor-dernisses einer Gesamtwürdigung aller Strafzumessungstatsachen ist die Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge gegenüber der Mindest-strafe für sich genommen schärfend zu berücksichtigen.

Eine Orientierung an einem anderen Bezugspunkt, wie etwa einem normativen Normalfall, von dem aus ein einzelner Umstand im Rahmen seiner Be-wertungsrichtung als „strafmildernd“ oder „strafschärfend“ bezeichnet werden könnte, oder einem statistischen Durchschnitts- oder Regelfall als Bezugspunkt für die Bestimmung der Bewertungsrichtung, scheidet nach der Rechtspre-chung des Bundesgerichtshofs bei der konkreten Strafzumessung aus (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 351). Es bleibt daher bei der vom Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG vorgegebenen Bewertungsrichtung, wonach das Maß der Überschreitung der nicht ge-ringen Menge ein gegenüber der Mindeststrafe schärfender Gesichtspunkt ist.

cc) Soweit der Senat früher bemerkt hat, eine nur geringfügige Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge sei ein „Strafmilderungsgrund“ (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Februar 2016 – 2 StR 39/16, NStZ-RR 2016, 141; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 2 StR 166/12, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 39; Urteil vom 10. August 2016 – 2 StR 22/16, Rn. 40; krit. BGH, Beschluss vom 8. November 2016 – 5 StR 487/16 und Beschluss vom 10. Januar 2017 – 5 StR 552/16), hält er daran nicht fest.

Soweit der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 (NStZ-RR 2017, 47) ausgeführt hat, dass „eine geringe Überschreitung der Untergrenze zur nicht geringen Menge […] ein Strafmilderungsgrund“ sei, steht dies der Aufgabe der Rechtsprechung nicht entgegen, weil es sich insoweit nicht um eine tragende Erwägung handelt. Der 1. Strafsenat hatte die strafschärfende Erwägung des Tatrichters, der Grenzwert der nicht geringen Menge sei in jedem der zur Aburteilung stehenden Fälle „um ein Vielfaches“ überschritten, beanstandet, weil diese strafschärfende Er-wägung in zwei Fällen auf die Feststellung bezogen war, dass der Grenzwert um das 1,8-fache überschritten war. Der Senat hat – tragend – insoweit ausgeführt, dass die 1,8-fache Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge „noch derart gering“ sei, dass dies jedenfalls „nicht als bestimmender Strafzumessungsgrund“ gewertet werden könne. Dies steht in Einklang mit der Auffassung des Senats.“

Ich habe es jetzt nicht näher geprüft. Scheint aber auch so eine „Fischer-Bereinigungs-Entscheidung“ zu sein.