BtM I: Sind Besitzwillen und Besitzbewusstsein da?, oder: Wenn der Angeklagte meint, es sei alles entsorgt

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Heute dann mal wieder drei Entscheidungen zu BtM-Fragen.

Ich eröffne den Reigen mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 14.12.2021 – 1 Ss 55/21 – zum Besitzwillen in Zusammenhnag mit § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Nach den Feststellungen des LG, das den Angeklagaten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteilt hat, hat der Angeklagte habe am 29.05.2019 in seiner Wohnung in Braunschweig einen Folienbeutel mit 0,14 g betäubungsmittelhaltigem Substanzgemisch verwahrt. Das Gemisch habe die Substanzen Heroinbase, Paracetamol, Coffein und Ascorbinsäure enthalten. Heroinbase und Ascorbinsäure seien in Spuren nachgewiesen worden. Der Angeklagte habe nicht über die erforderliche schriftliche Erlaubnis der Verwaltungsbehörde zum Erwerb des Rauschgifts Heroin verfügt, was ihm auch bewusst gewesen sei. Das Heroin habe zum Eigenkonsum des Angeklagten gedient. Es habe sich um schlechte Straßenqualität gehandelt.

„Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben. Die Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

Besitzen im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG setzt ein bewusstes tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis sowie Besitzwillen und Besitzbewusstsein voraus (BGH, Beschluss vom 18. August 2020,1 StR 247/20, juris, Rn. 6; Beschluss vom 10. Juni 2010, 2 StR 246/10, juris, Rn. 3; Beschluss vom 2. Dezember 1992, 5 StR 592/92, juris, Rn. 6).

Den Urteilsfeststellungen mag in ihrer Gesamtheit (UA S. 4: Abstellen auf den 29. Mai 2019 als Tatzeitpunkt; UA S. 4: das Heroin diente zum Eigenkonsum; UA S. 5: er [der Angeklagte] wusste, dass sich in dem Folienbeutel Heroin befand; UA S. 5: der Angeklagte befand sich zum Tatzeitpunkt seit mindestens einem Jahr in einem Subsititutionsprogramm) (noch) die Feststellung der Kammer entnommen werden, dass der Angeklagte am 29. Mai 2019 Besitzwillen und Besitzbewusstsein bezüglich des Substanzgemischs gehabt hat.

Eine solche Feststellung wird indes nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen. Die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht ordentlich aufgeräumt, kann naheliegend dahingehend aufgefasst werden, dass der Angeklagte am 29. Mai 2019 seinen Angaben zufolge davon ausgegangen ist, sämtliche Betäubungsmittelreste entsorgt zu haben. Mit dieser Einlassung setzt sich die Kammer nicht auseinander. Sie legt nicht dar, ob und, falls ja, aus welchen Gründen die entsprechende Einlassung den Feststellungen nicht zugrunde zu legen ist. In Anbetracht der geringen Menge des aufgefundenen Betäubungsmittels und der Tatsache, dass der Angeklagte nach den Feststellungen ohne Beikonsum substituiert wird (UA S. 3), bestand indes Veranlassung, sich mit der entsprechenden, nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Einlassung des Angeklagten näher auseinanderzusetzen. Die gebotene Überprüfung der Einlassung des Angeklagten auf ihren Wahrheitsgehalt hin (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019, 5 StR 451/19, juris, Rn. 7) ist nicht ersichtlich erfolgt. Die Beweiswürdigung ist damit letztlich lückenhaft, was sich — auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. Juli 2017, 2 StR 115/17, juris, Rn. 8) — als rechtsfehlerhaft darstellt.

Ob den Urteilsfeststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung zu entnehmen ist, dass der Angeklagte das Substanzgemisch vor dem etwaig misslungenen Versuch eines „ordentlichen Aufräumens“, also vor dem 29. Mai 2019, mit Besitzwillen und Besitzbewusstsein innegehabt hat, kann im Ergebnis dahinstehen.

Zwar käme die Anknüpfung an einen solchen früheren Tatzeitpunkt zur Begründung eines Schuldspruchs wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (Dauerdelikt) grundsätzlich in Betracht und wäre ein entsprechendes Verhalten des Angeklagten auch von der verfahrensgegenständlichen prozessualen Tat umfasst. Dem Urteil ist indes nicht zu entnehmen, bis wann die entsprechenden (insbesondere auch die subjektiven) Voraussetzungen für eine entsprechende Strafbarkeit vorgelegen haben sollen, d. h. wann der in der Einlassung des Angeklagten erwähnte Versuch eines „Aufräumens“ erfolgt sein soll. Bei der Angabe einer — gegebenenfalls auch nur zeitraummäßig umrissenen — Tatzeit handelt es sich indes um eine erforderliche Mindestfeststellung (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 4. Mai 2021, 1 Ss 2/21, juris, Rn. 11; OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Dezember 2012, 3 Ss 136/12, juris, Ls. 3), die zur Beurteilung der Schuld des Angeklagten (vgl. auch UA S. 5: Tat liegt schon zwei Jahre zurück) und gegebenenfalls der Frage, ob Verfolgungsverjährung eingetreten ist, erforderlich ist…“

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