Archiv für den Monat: März 2021

Verkehrsrecht II: Verbotenes Kraftfahrzeugrennen, oder: Begriff des Rennens und Urteilsgründe

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Und im zweiten Posting zwei Entscheidungen zum Kraftahrzeugrennen (§ 315d StGB) – also zu der noch recht neuen Vorschrift im StGB.

Ich weise zunächst hin auf den LG Aachen, Beschl. v. 11.02.2021 – 60 Qs 1/21, das in einem umfangreich begründeten Beschluss einen Nichteröffnungsbeschluss des AG Aachen aufgehoben und ein Verfahren eröffnet hat. Dazu folgende Leitsätze:

  1. Die Tatbestände des § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB erfassen Fälle nicht erlaubter Kraftfahrzeugrennen in der Variante der Ausrichtung oder Durchführung (Nr. 1) bzw. der Teilnahme (Nr. 2). Gemeinsame objektive Tatbestandsvoraussetzung ist das Vorliegen eines nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennens. Ziel des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist demgegenüber die Erfassung auch derjenigen Fälle, in denen nur ein einziges Kraftfahrzeug objektiv und subjektiv ein Rennen gewissermaßen nachstellt. Es kann daher nicht zugleich (tateinheitlich) eine Teilnahme an einem unerlaubten Kraftfahrzeugrennen nach § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB und ein unerlaubtes „Einzelrasen“ nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen. Vielmehr schließen sich die vorgenannten Tatbestände gegenseitig aus.

  2. Die Ermittlung eines Siegers ist kein konstitutives Element eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens (Anschluss an LG Deggendorf, Urt. v. 22.11.2019 – 1 Ks 6 Js 5538/18). Ausreichend ist, dass der Versuch des Erreichens der Höchstgeschwindigkeit der gegenseitigen Leistungsprüfung dient, ohne dass die Teilnehmer miteinander im Wettbewerb stehen (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20; KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19).

  3. Auf die Erzielung einer absoluten Höchstgeschwindigkeit kommt es für das Vorliegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens nicht an. Der Wille, gemeinsam möglichst schnell zu fahren, erfüllt den Rennbegriff ebenso. Ausschlaggebend ist das Streben nach einer höheren Geschwindigkeit (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18). Ebenso ausreichend ist, dass die betroffenen Kraftfahrzeugführer das Beschleunigungspotential ihrer Gefährte vergleichen (Anschluss an LG Berlin, Beschl. v. 29.01.2019 – 511 Qs 126/18; LG Arnsberg, Urt. v. 20.01.2020 – 2 Ks 15/19).

  4. Die für die Ermittlung bzw. Schätzung von Geschwindigkeiten im Ordnungswidrigkeitenrecht maßgeblichen Kriterien der Länge der Messstrecke und des Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug sowie insbesondere der Ansatz eines deutlichen Toleranzabzugs zur Berücksichtigung von Ablese- und Eigenfehlern des (unjustierten) Tachometers sollen die zutreffende, den Grundsatz „in dubio pro reo“ wahrende Einordnung eines Geschwindigkeitsverstoßes in das System der Regelbußen und des Regelfahrverbots der Bußgeldkatalog-Verordnung ermöglichen; sie finden im Rahmen der § 315b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB keine Anwendung. Entsprechende Feststellungen sind hier auch ohne genauere Bestimmung der gefahrenen Geschwindigkeit möglich (Anschluss an OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 42/20).

  5. Gegen die Strafnorm des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (Anschluss an KG, Beschl. v. 20.12.2019 – (3) 161 Ss 134/19 (75/19); OLG Köln, Beschl. v. 05.05.2020 – 1 RVs 45/20; entgegen AG Villingen-Schwenningen, Beschl. v. 16.01.2020 – 6 Ds 66 Js 980/19).

  6. Im Rahmen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht erforderlich, dass der Nachweis einer doppelten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit geführt werden kann. Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Feststellung eines abstrakt grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrens mit der Absicht des Erreichens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit (hier: mehrfaches Durchfahren eines „Eifel-Rundkurses“ mit einer Länge von gut 12 km in 6 Minuten und 38 Sekunden sowie 6 Minuten und 56 Skunden).

Und als zweite „Renn-Entscheidung“ stelle ich den KG, Beschl. v. 22.02.2021 – 3 Ss 13/21 – zu den Anforderungen an das Urteil bei einer Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens vor, und zwar mit folgenden Leitsätzen:

  1. Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert.

  2. Vor dem Hintergrund der weiten gesetzlichen Formulierung dürfen sich Unschärfen bei der Sachverhaltsermittlung nicht einseitig zum Nachteil des Angeklagten auswirken.

  3. Es ist Aufgabe des Tatgerichts, die innere Tatseite zu ermitteln und darzustellen, nicht aber Aufgabe des Revisionsgerichts, aus dem geschilderten äußeren Sachverhalt darauf zu schließen, welche Vorstellungen sich das Tatgericht möglicherweise von der inneren Tatseite gemacht hat.

  4. Die vom Beschuldigten gefahrene Geschwindigkeit valide zu schätzen und das Ergebnis darzulegen, ist nicht Aufgabe des Revisions-, sondern diejenige des Tatgerichts. Bei versierten polizeilichen Zeugen können in Bezug auf Geschwindigkeiten auch valide Schätzungen zu erwarten und vom Tatgericht in freier richterlicher Beweiswürdigung gegebenenfalls ohne Abschlag zu übernehmen sein.

  5. Bei den Urteilsfeststellungen zu schildern ist nicht vorrangig das den Polizeibeamten zur Verfolgung abgenötigte Fahrverhalten, sondern dasjenige des (vorausfahrenden) Täters, welches das Tatgericht nach freier richterlicher Beweiswürdigung für tatbestandsmäßig hält.

  6. Als nicht per se rechtsfehlerhaft, aber als problematisch muss es gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen die Würdigung der den Angeklagten belastenden Beweise darauf beschränkt, der Sachverhalt stehe fest aufgrund der „uneidlichen Bekundungen der Zeugen“. Bei einem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten oder bei anderweitig schwieriger Sachlage wird eine derart inhaltslose Phrase in aller Regel die gesetzlichen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung verfehlen.

Verkehrsrecht I: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Wann ist eine konkrete Gefahr gegeben?

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Ich hatte schon länger keinen Verkehrsrechtstag mehr. Heute ist es dann mal wieder so weit.

Und ich beginne mit dem OLG Celle, Beschl. v. 16.02.2021 -3 Ss 6/21 -, den mir der Kollege Reimers geschickt hat. Thematik: Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) und: Mal wieder nicht ausreichende Feststellungen für die „konkrete Gefahr“:

„Der Revision kann ein zumindest vorläufiger Erfolg in der Sache nicht versagt bleiben. Die vomn Amtsgericht getroffenen Feststellungen sind nicht geeignet, den Schuldspruch zu tragen; sie sind lückenhaft.

Zwar ist es von Rechts wegen zunächst nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht auf-grund der getroffenen Feststellungen von einem grob verkehrswidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen ist. Ein rücksichtsloses Handeln im Sinne von § 315c Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB geht aus den Feststellungen des Amtsgerichts indessen ebenso wenig hervor wie das Vorliegen einer konkreten Gefahr.

Erforderlich für das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist nach gefestigter Rechtsprechung die Feststellung einer auf Tatsachen gegründeten nahe liegenden Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses, bei der nach Würdigung aller konkret erheblichen Umstände im Rahmen einer objektiven nachträglichen Prognose im Sinne einer ex-ante Beurteilung der Eintritt eines substantiellen Schadens in so bedrohliche Nähe gerückt sein muss, dass seine Vermeidung sich nur noch als Zufall darstellt (vgl. nur Fischer, Strafgesetz-buch, 68. Aufl., § 315c Rn. 15a m.w.N.). Dies lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend entnehmen. Allein die Feststellung, dass es zu einem Unfall gekommen wäre, wenn der Zeuge W. nicht stark abgebremst und dem Fahrzeug des Angeklagten ausgewichen wäre, ist hierfür nicht ausreichend. Denn eine konkrete Gefahr liegt regelmäßig nicht vor, wenn es einem Verkehrsteilnehmer noch möglich ist, einen Unfall durch ein im Bereich einer verkehrsüblichen Reaktion liegendes Brems- oder Ausweichmanöver abzuwenden (vgl. BGH vom 03.11.2009, 4 StR 373/09). Es war dem Zeugen W. nach den Feststellungen ersichtlich möglich, dem Fahrzeug des Angeklagten durch ein reaktionsschnelles Fahrmanöver auszuweichen. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr ist vielmehr anhand objektiver Kriterien, wie beispielsweise der Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge, des Abstandes zwischen ihnen sowie auch der Beschaffenheit der Fahrzeuge selbst und ggf. bestehender Ausweichmöglichkeiten zu ermitteln. Nicht ausreichend sind insoweit lediglich wertende Umschreibungen wie etwa ein „scharfes“ Abbremsen oder Ausweichen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es stellt im Wesentlichen nur auf ein dichtes Auffahren sowie auf einen Fahrstreifenwechsel des Angeklagten ab, durch welchen der Zeuge W. zu einem starken Abbremsen sowie zu einem Aus-weichen gezwungen wurde, jedoch nicht auf notwendige weitere Umstände, um eine strafbare Straßenverkehrsgefährdung anzunehmen. Soweit ein Beinahe-Unfall offenbar in dem – verkehrswidrigen – Rechtsüberholen des Angeklagten liegen könnte, fehlt es an jeglichen Feststellungen zur Verkehrssituation und zur subjektiven Tatseite. Bereits die Geschwindigkeit der beteiligten Fahrzeuge wird nicht mitgeteilt. So bleibt anhand der getroffenen Feststellungen bereits offen, ob sich das Geschehen bei hoher, mittlerer oder geringerer Geschwindigkeit oder bei etwaig erhöhtem Verkehrsaufkommen (sog. Kolonnenspringen) zugetragen hat. Auch fehlt es an Feststellungen zu den Fahrzeugen der Beteiligten sowie zur Beschaffenheit der Fahrbahn (nass, trocken). Es werden auch keine Umstände mitgeteilt, aus denen sich die gefahrene Geschwindigkeit zuverlässig ableiten ließe. Allein aus dem Auslösen des Antiblockiersystems bei dem Fahrzeug des Zeugen W. lässt sich die gefahrene Geschwindigkeit und hiernach die Annahme eines „Bei-nahe-Unfalls“ nicht herleiten, da, was der Senat als allgemeinkundig voraussetzt, auch bei sehr geringen Geschwindigkeiten bis hin zur Schrittgeschwindigkeit das Antiblockiersystem bei einem entsprechend starken Bremsvorgang ausgelöst werden kann, was nicht zuletzt auch abhängig ist von der Beschaffenheit der Fahrbahn. In Bezug auf das Ausweichmanöver des Zeugen W. fehlt es an Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere hinsichtlich eines eventuellen Abkommens von der Fahrbahn sowie eines Annäherns an die Mittelleitplanke.

Ein Rückschluss auf die gefahrenen Geschwindigkeiten lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass sich die getroffenen Feststellungen zufolge die Fahrzeuge des Angeklagten sowie des Zeugen W. zum Zeitpunkt des Vorfalls zumindest teilweise auf dem linken Fahrstreifen befunden haben und der rechte Fahrstreifen zu diesem Zeitpunkt von LKWs befahren wurde, da das Amtsgericht auch zu der gefahrenen Geschwindigkeit der LKWs keinerlei Feststellungen getroffen hat.

Darüber hinaus fehlt es an Feststellungen zum subjektiven Tatbestand und hierbei insbesondere zum Tatbestandsmerkmal der Rücksichtslosigkeit, welches erfordert, dass der Täter sich aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten gegenüber anderen Verkehrs-teilnehmern hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vornherein Bedenken gegen sein Verhalten nicht aufkommen lässt. Hierbei ist für das Vorliegen der Rücksichtslosigkeit der äußere Tathergang zwar regelmäßig das wichtigste und oftmals auch ausschlaggebende Entscheidungskriterium. Jedoch reicht das äußere Tatgeschehen allein für die Beurteilung der Rücksichtslosigkeit regelmäßig nicht aus. Es kommt vielmehr auf die konkrete Verkehrssituation, auch im Vorfeld sowie im Nachgang des Vorfalls, unter Einbeziehung der Vorstellungs- und Motivlage des Angeklagten an (vgl. Fischer aaO, Rn. 14a), wobei das Amtsgericht auch hierzu keine Feststellungen getroffen hat. Dies trifft auch auf die aus-weislich des Tenors durch das Amtsgericht angenommene fahrlässige Verursachung der Gefahr gemäß § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB zu.“

OWI III: Terminverlegungsantrag wegen Erkrankung des Verteidigers zurückgewiesen, oder: Fehlerhaft

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Und dann zum Schluss noch der KG, Beschl. v. 08.02.2021- 3 Ws (B) 26/21. Ergangen in einem Rechtsbeschwerdeverfahren gegen ein Verwerfungsurteil. Geltend gemacht war die verfahrensfehlerhafte Zurückweisung eines Terminverlegungsantrages wegen Erkrankung des Verteidigers.

Das KG hat aufgehoben. Hier die Leitsätze der umfangreich begründeten Entscheidung:

  1. Der Betroffene in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat als Ausdruck des Anspruchs auf ein faires Verfahren grundsätzlich das Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen.

  2. U.U. ist es dem Betroffenen daher nicht zuzumuten, an einem Hauptverhandlungstermin ohne Beistand seines Rechtsanwalts teilzunehmen, nachdem ein Terminverlegungsantrag wegen Erkrankung des Verteidigers von dem Vorsitzenden des Bußgeldgerichts abgelehnt worden ist. Für die Entscheidung ist maßgeblich, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Terminverlegung in Ansehung der Erkrankung des Verteidigers geboten hätte.

  3. Die Terminierung ist zwar grundsätzlich Sache des Vorsitzenden. Dieser ist aber gehalten, über Anträge auf Terminverlegung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu entscheiden.

  4. Im Falle einer Zurückweisung eines Terminverlegungsantrages wegen Erkrankung des Verteidigers bedarf es der Darlegung im Verwerfungsurteil gegen den zum Termin nicht erschienenen Betroffenen, warum das Interesse an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens Vorrang vor dem Verteidigungsinteresse des Betroffenen hat.

OWi II: Absehen vom Fahrverbot, oder: Glaubhaftmachung der besonderen Härte/lange Verfahrensdauer

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Im zweiten Posting des Tages gibt es dann zwei Entscheidungen zum Fahrverbot.

Zunächst hier das AG Dortmund, Urt. v. 4.9.2020 – 729 OWi-264 Js 1158/20-104/20. Das AG hat – auf der Grundlage der h.M. in der Rechtsprechung der OLG – vom Fahrverbot nicht abgesehen:

„Hinsichtlich des Regelfahrverbotes hat der Betroffene  geltend gemacht, dass er seinen Führerschein benötige, um seine geplante Selbständigkeit anschieben zu können. Auf Nachfrage hatte er  keinerlei Unterlagen insoweit dabei. Er erklärte auch, dass er sich noch nicht selbständig gemacht habe, dies nur plane und Kontaktgespräche führe. Er könne insoweit auch keinerlei Unterlagen vorlegen, die derartiges belegen würden. Keiner seiner Geschäftspartner könne ihm bescheinigen, dass er Informationsgespräche über eine beabsichtigte Selbständigkeit mit ihm geführt habe. Der Angeklagte konnte auch nicht erklären, wie oft und wohin ihn die angeblichen Fahrten in Deutschland führen. Dem Angeklagten wurde die strenge Rechtsprechung zum Absehen vom Regelfahrverbot der Oberlandesgerichte vorgestellt. Der Angeklagte fand dies ebenso wie sein Verteidiger übermäßig hart. Bei anderen Gerichten sei es eine Frage von 2 Minuten, dass vom Fahrverbot abgesehen werde. Das Gericht hier erklärte, dass es schon Mittel der Glaubhaftmachung zu beruflichen Härten benötige, soweit solche geltend gemacht würden. Der Betroffene  erklärte, er könne keine solche Glaubhaftmachungen vortragen.

Dementsprechend hat das Gericht das vorgesehene 1-monatige Regelfahrverbot festgesetzt.“

Und als zweite Entscheidung dann der OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.02.2021 – (1 B) 53 1 Ss-Owi 334/20 (279/20) – zur Aufhebung des Fahrverbotes wegen langer Verfahrensdauer – hier: zwei Jahr und 10 Monate:

„Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Sachrüge Erfolg. Die nach wirksamer Rechtsmittelbeschränkung einzig noch verfahrensgegenständliche Verhängung des Fahrverbotes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, sie unterlag deshalb der Aufhebung. Der Senat entscheidet diesbezüglich in der Sache selbst (§ 79 Abs. 6 OWiG), da bei einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht keine weiteren Feststellungen, die für die Entscheidung über ein Fahrverbot wesentlich sind, zu erwarten sind.

Das Fahrverbot nach § 25 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (vgl. BVerfGE 27, 36, 42; OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Februar 2019, Az.: (1B) 53-Ss-Owi-608/18 -; OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Januar 2017, Az.: 2 Ss 762/16 -; OLG Dresden, Beschluss vom 11. März 2019 – OLG 23 Ss 80/19 (B) –). Von ihm soll eine warnende Wirkung auf den Betroffenen ausgehen und ihn anhalten, sich künftig verkehrsordnungsgemäß zu verhalten. Das Fahrverbot kann deshalb seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände auch außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr festgestellt worden ist (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O., m.w.N.; OLG Dresden m.w.N.). Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist zwar grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. In der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat, ist allerdings die Tendenz erkennbar, den Sinn eines Fahrverbotes in Frage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt.

Die dem Betroffenen zur Last gelegte Tat liegt hier inzwischen mehr als zwei Jahre und zehn Monate zurück, wobei es zu erheblichen Verfahrensverzögerungen kam, deren Ursachen nicht der Sphäre des Betroffenen zuzurechnen sind.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Anordnung eines Fahrverbotes gegen den Betroffenen nicht mehr geboten, vielmehr konnte das Fahrverbot entfallen.“

OWi I: Umsetzung von BVerfG 2 BvR 1616/18, oder: Bei den AG klappt es, bei den OLG nicht so richtig

Am zweiten Tag der Woche dann OWi-Entscheidungen.

Und ich beginne mit einigen Entscheidungen zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG v. 11.12.2020 – 2 BvR 1616/18.

Zunächst der Hinweis auf zwei amtsgerichtliche Entscheidungen, und zwar auf den AG Leverkusen, Beschl. v. 08.02.2021 – 55 OWi 120/21 (b), den mir die Kollegin Redmer-Rupp geschickt hat, und auf den AG Meiningen, Beschl. v. 21.01.2021 – OWi 1/21 -, den ich mir beim Kollegen Gratz „geklaut“ habe. In beiden Entscheidungen geht es um den Umfang des Einsichtsrechts des Betroffenen, das die AG bejahen und wozu sie im Einzelnen Stellung nehmen. Das AG Meiningen in einem – wie der Kollege Gratz zutreffend anmerkt – in einem ungewöhnlich langen Beschluss.

Und dann der Hinweis auf einen „Mauerbeschluss“ des BayObLG (wen wundert das noch?), und zwar auf den BayObLG, Beschl. v. 13.01.2021 – 202 ObOWi 1760/20 -, das meint:

Durch die bloße Versagung der Einsichtnahme bzw. die Ablehnung der Überlassung von nicht zu den Bußgeldakten gelangter sog. „Rohmessdaten“ wird das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) regelmäßig nicht verletzt, weshalb ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gegeben ist.

Dort zitiert man immer „schön“ das BVerfG und gibt so den Anschein, als wenn man ihm Folge. Tut man aber nicht.

Und als vierte Entscheidung dann in dem Zusammenhang hier dann noch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.01.2021 – 2 Ss (OWI) 298/20 – zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der der Betroffene geltend gemacht hatte, dass ihm von der Verwaltungsbehörde nicht alle angeforderten Unterlagen zur Verfügung gestellt worden waren. Die hatte keinen Erfolg (wen wundert es?), weil sie nach Auffassung des OLG nicht ausreichend begründet war:

„Im Rahmen der Begründung der Rechtsbeschwerde trägt der Betroffene hier vor, mit Schreiben vom 02.01.2020 bei der Bußgeldbehörde die Zurverfügungstellung der unverschlüsselten Rohmessdaten angefordert und einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt zu haben. Es folgt die Wiedergabe des in der Hauptverhandlung am 30.09.2020 gestellten Aussetzungsantrages, in Verbindung mit dem Antrag auf Zurverfügungstellung der Rohmessdaten.

Damit ist die Verfahrensrüge jedoch nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden. Es fehlt die Mitteilung, ob und wie die Verwaltungsbehörde auf den Antrag auf Herausgabe der Rohmessdaten reagiert hat. Soweit der Betroffene bzgl. des Vorhandenseins von Rohmessdaten auf die Stellungnahme der Leivtec vom 16.7.2019 verweist, wonach Rohmessdaten „in Form der Auswerte-Start-Distanz, Auswerte-Ende-Distanz und Messzeit-Auswertestrecke“ gespeichert würden, finden sich diese Angaben nämlich bereits auf BI. 31 der VA. Auf BI. 32 dA befindet sich zudem das „Messprotokoll der Messreihe“. Welche vorhandenen Daten ihm darüber hinaus vorenthalten worden sein sollen, bleibt somit unklar. Hätte die Verwaltungsbehörde insoweit eine ablehnende Entscheidung getroffen, wäre gegen diese ohnehin erst danach ein Antrag nach § 62 OWiG in Betracht gekommen. Entscheidungen können nämlich nicht vor deren Erlass angefochten werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.07.2018-IV-2RBs 133/18 unter Hinweis auf BGHSt 25,187). Vortrag hierzu fehlt ebenfalls.“

Hier hört man den Stein, der dem OLG vom Herzen gefallen ist, weil man sich auf die formale Seite zurückziehen konnte, recht deutlich.