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OWi I: Umsetzung von BVerfG 2 BvR 1616/18, oder: Bei den AG klappt es, bei den OLG nicht so richtig

Am zweiten Tag der Woche dann OWi-Entscheidungen.

Und ich beginne mit einigen Entscheidungen zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG v. 11.12.2020 – 2 BvR 1616/18.

Zunächst der Hinweis auf zwei amtsgerichtliche Entscheidungen, und zwar auf den AG Leverkusen, Beschl. v. 08.02.2021 – 55 OWi 120/21 (b), den mir die Kollegin Redmer-Rupp geschickt hat, und auf den AG Meiningen, Beschl. v. 21.01.2021 – OWi 1/21 -, den ich mir beim Kollegen Gratz „geklaut“ habe. In beiden Entscheidungen geht es um den Umfang des Einsichtsrechts des Betroffenen, das die AG bejahen und wozu sie im Einzelnen Stellung nehmen. Das AG Meiningen in einem – wie der Kollege Gratz zutreffend anmerkt – in einem ungewöhnlich langen Beschluss.

Und dann der Hinweis auf einen „Mauerbeschluss“ des BayObLG (wen wundert das noch?), und zwar auf den BayObLG, Beschl. v. 13.01.2021 – 202 ObOWi 1760/20 -, das meint:

Durch die bloße Versagung der Einsichtnahme bzw. die Ablehnung der Überlassung von nicht zu den Bußgeldakten gelangter sog. „Rohmessdaten“ wird das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) regelmäßig nicht verletzt, weshalb ein Grund zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht gegeben ist.

Dort zitiert man immer „schön“ das BVerfG und gibt so den Anschein, als wenn man ihm Folge. Tut man aber nicht.

Und als vierte Entscheidung dann in dem Zusammenhang hier dann noch der OLG Oldenburg, Beschl. v. 05.01.2021 – 2 Ss (OWI) 298/20 – zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der der Betroffene geltend gemacht hatte, dass ihm von der Verwaltungsbehörde nicht alle angeforderten Unterlagen zur Verfügung gestellt worden waren. Die hatte keinen Erfolg (wen wundert es?), weil sie nach Auffassung des OLG nicht ausreichend begründet war:

„Im Rahmen der Begründung der Rechtsbeschwerde trägt der Betroffene hier vor, mit Schreiben vom 02.01.2020 bei der Bußgeldbehörde die Zurverfügungstellung der unverschlüsselten Rohmessdaten angefordert und einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt zu haben. Es folgt die Wiedergabe des in der Hauptverhandlung am 30.09.2020 gestellten Aussetzungsantrages, in Verbindung mit dem Antrag auf Zurverfügungstellung der Rohmessdaten.

Damit ist die Verfahrensrüge jedoch nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden. Es fehlt die Mitteilung, ob und wie die Verwaltungsbehörde auf den Antrag auf Herausgabe der Rohmessdaten reagiert hat. Soweit der Betroffene bzgl. des Vorhandenseins von Rohmessdaten auf die Stellungnahme der Leivtec vom 16.7.2019 verweist, wonach Rohmessdaten „in Form der Auswerte-Start-Distanz, Auswerte-Ende-Distanz und Messzeit-Auswertestrecke“ gespeichert würden, finden sich diese Angaben nämlich bereits auf BI. 31 der VA. Auf BI. 32 dA befindet sich zudem das „Messprotokoll der Messreihe“. Welche vorhandenen Daten ihm darüber hinaus vorenthalten worden sein sollen, bleibt somit unklar. Hätte die Verwaltungsbehörde insoweit eine ablehnende Entscheidung getroffen, wäre gegen diese ohnehin erst danach ein Antrag nach § 62 OWiG in Betracht gekommen. Entscheidungen können nämlich nicht vor deren Erlass angefochten werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.07.2018-IV-2RBs 133/18 unter Hinweis auf BGHSt 25,187). Vortrag hierzu fehlt ebenfalls.“

Hier hört man den Stein, der dem OLG vom Herzen gefallen ist, weil man sich auf die formale Seite zurückziehen konnte, recht deutlich.

Außer der Reihe: Sondermeldung – Da ist die Entscheidung des VerfGH Rheinland-Pfalz

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Am 15.01.2020 hat der VerfGH ja über die Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des OLG Koblenz in Sachen Messdaten verhandelt. Inzwischen gibt es das VerfGH Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15.01.2020 – VGH B 19/19 – und zu dem die Pressemitteilung 2/2020 vom heutigen Tag. Die will ich dann gleich veröffentlichen. In der PM heißt es:

„Verfassungsbeschwerde in Sachen Geschwindigkeitsmessung im „standardisierten Messverfahren“ teilweise erfolgreich: Verwerfung der Rechtsbeschwerde verletzt Ansprüche auf effektiven Rechtsschutz und gesetzlichen Richter

Pressemitteilung Nr. 2/2020

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat mit heute veröffentlichtem Urteil vom 15. Januar 2020 einer Verfassungsbeschwerde teilweise stattgegeben, der eine amtsgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde lag. Es hat den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz, mit dem dieses den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittlich verworfen hatte, aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Dem Beschwerdeführer wurde in einem Bußgeldverfahren vor­geworfen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften überschritten zu haben. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines in einen Anhänger (sog. Enforcement Trailer) eingebauten Messgerätes des Typs PoliScan FM1 der Firma Vitronic. Im Laufe des Verfahrens, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Wittlich, beantragte seine Verteidigerin die Überlassung verschiede­ner Messdaten sowie der Auf- und Einbauvorschriften für die Verwendung des Gerätes in einem Enforcement Trailer, ferner die Aussetzung des Verfahrens sowie die Ein­holung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der Geschwindigkeits­messung. Sämtliche Anträge wurden durch Beschluss des Gerichts abgelehnt.

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen des Geschwindigkeitsver­stoßes zu einer Geldbuße von 120 Euro. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechts­beschwerde machte dieser unter anderem geltend, hinsichtlich der Aufbauvorschriften könne auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte zu Bedienungsanleitun­gen zurückgegriffen werden, die ein Einsichtsrecht des Betroffenen bejahe. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde durch den mit einer Richterin besetzten Bußgeldsenat (§ 80a Abs. 1 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten – OWiG –) des Ober­landesgerichts Koblenz als unbegründet verworfen. Sämtliche im Zulassungsantrag aufgeworfenen Rechtsfragen verfahrens- und materiell-rechtlicher Art seien geklärt.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer sowohl gegen das Urteil des Amtsgerichts als auch den Beschluss des Oberlandesgerichts. Die Nicht­überlassung der Messdaten und weiterer Dokumente verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren, die Ablehnung des beantragten Sachverständigengutachtens zudem gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Der Beschluss des Oberlandesgerichts sei mit den Garantien des gesetzlichen Richters und effektiven Rechtsschutzes unver­einbar.

Die Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz verletze die Rechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –) und den gesetz­lichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV). Der Beschwerdeführer habe in seinem Zulas­sungsantrag ausdrücklich auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte hin­gewiesen, wonach ein Recht auf Einsichtnahme in die mit der hier geforderten Aufbau­anleitung vergleichbare Gebrauchsanweisung eines Messgerätes auch dann bestehe, wenn diese sich nicht bei der Gerichtsakte befinde. Vor diesem Hintergrund sei objektiv kein Gesichtspunkt erkennbar, der die Verwerfung des Zulassungsantrags als unbegründet rechtfertige. Bestehe zu derselben Rechtsfrage bereits eine abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, sei die Rechtsbeschwerde vielmehr zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzu­lassen und auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, um eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof zu ermöglichen.

Hinsichtlich der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen wies der Verfassungs­gerichtshof die Verfassungsbeschwere hingegen zurück. Wegen des verfassungs­prozessualen Grundsatzes materieller Subsidiarität sei dem Oberlandesgericht durch die Zurückverweisung zunächst Gelegenheit zu geben, erneut über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu befinden. Der Verfassungsgerichtshof betonte allerdings, die an der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saar­landes zu den Gewährleistungen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs orientierte Argumentation des Beschwerdeführers sei keineswegs zwingend. Gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren, das sich in wesentlichen Punkten vom Strafverfah­ren unterscheide, seien neben den Rechten des Betroffenen auch die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege in den Blick zu nehmen.

Urteil vom 15. Januar 2020, Aktenzeichen: VGH B 19/19

Na ja, teils teils. Einerseits – so weit man das aus der PM erkennen kann – wohl der deutliche Hinweis an das/die OLG, endlich dem BGH vorzulegen. Andererseits aber wohl in der Sache nicht so weit wie der VerfGH Saarland. Man muss man auf den Volltext warten.

Edit um 12.00 Uhr: Gerade teilt mir der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog, der den Beschwerdeführer vertreten hat, mit, dass er den Volltext der Entscheidung bereits hochgeladen hat. Darauf verlinke ich dann mal, und zwar hierDanke für den Hinweis Herr Kollege.

PoliscanSpeed: Beim AG Bad Hersfeld gibt es einen Ausdruck der XML-Datei des Falldatensatzes

entnommen wikimedia.org
Urheber Sebastian Rittau

Über die Seite des Kollegen Gratz bzw. seinen VerkehrsrechtsBlog bin ich auf den AG Bad Hersfeld, Beschl. v. 26.10.2017 – 70 OWi 56/17 – gestoßen, der sich – was soll man schreiben?: „noch einmal“ oder „schon wieder“ oder „noch immer“ – mit der Frage der Einsicht in die Messdaten auseinander setzt. Dieses Mal ging es wieder um den  digitalen Falldatensatz. Der Verteidiger hatte allerdings nur die Herausgabe eine Ausdrucks der XML-Datei verlangt. Die bekommt er vom AG:

„In der vorbezeichneten Bußgeldsache hat das Regierungspräsidium Kassel wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 21 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid 17.08.2017 erlassen und eine Geldbuße von 70,- Euro festgesetzt.

Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom 04.09.2017 einen Antrag nach § 62 OWiG auf gerichtliche Entscheidung und Beweismittelvervollständigung gestellt. Er begehrt die Herausgabe der abgedruckten XML-Falldatei zur vorliegenden Messung.

Mit Schreiben vom 21.09.2017 hat das Regierungspräsidium Kassel die Beweismittelvervollständigung abgelehnt.

Insoweit hat auch das OLG FfM mit Beschluss vom 26.08.2016 – 2 Ss OWI 589/16 entschieden, dass dem Betroffenen grundsätzlich das Recht zur Einsicht in die digitale Falldatei, mithin in die konkrete Messung – nicht in die vollständige Messreihe – , zusteht.

Hieraus folgt letztlich, dass dem Betroffenen auf Antrag die streitgegenständige XML-Datei zur Verfügung gestellt werden muss. Die Verwaltungsbehörde kann dem Antrag dadurch entsprechen, dass sie einen Ausdruck der ausgewerteten XML-Datei zur Akte nimmt und dem Verteidiger bzw. dem Betroffen zur Verfügung stellt.

Dass dieses Recht auf Beweismittelvervollständigung durch das Regierungspräsidium Kassel als „Herrin der Falldatei“ nicht gewährt worden ist, stellt eine Verstoß gegen das rechtliche Gehör da, weil nur hierdurch dem Betroffenen die Möglichkeit der Geltendmachung von konkreten Anknüpfungspunkten zur eventuellen Fehlerhaftigkeit der Messung gegenüber dem Gericht eröffnet wird.

Das Regierungspräsidium Kassel war deshalb auf Antrag durch gerichtliche Entscheidung hierzu zu verurteilen.“

Wenigstens etwas……..

OLG Bamberg I: Wir zementieren den Teufelskreis, und/oder: Herr Cierniak kann es auch nicht.

© Alex White – Fotolia.com

Vor einigen Tagen hat das OLG Bamberg über seinen Fachpressereferent einige OLG-Beschlüsse zum Straf- und Bußgeldrecht versandt, die man als veröffentlichwürdig ansieht. Darunter waren auch mehrere Entscheidungen zur (Akten)Einsicht in Messdaten pp. im Bußgeldverfahren, so u.a. der OLG Bamberg, Beschl. v. 04.10.2017 – 3 Ss OWi 1232/17. Über den hat der Kollege Gratz ja schon berichtet. Ich habe den Beschluss lieber erst an die Seite gelegt. Ich wollte mich wieder „abregen“, bevor ich ihn hier poste.

Es geht mal wieder um die Frage der Verletzung des Grundsatzes fairen Verfahrens bei verweigerter Beiziehung von nicht bei den Bußgeldakten befindlicher potentieller Beweisunterlagen. Der Klassiker und der Dauerbrenner in der OLG-Rechtsprechung der letzten Zeit. Und ich denke, es wird niemanden überraschen, wenn er bei der Lektüre des Beschlusses feststellt: Das OLG Bamberg hält an seiner (falschen) Rechtsprechung fest und zementiert die. Wie gehabt: Alle anderen haben Unrecht, wir wissen es (besser). Vor allem hat auch Cierniak – immerhin Richter am BGH – Unrecht, der kann es auch nicht. Und: Es gibt natürlich keinen Teufelskreis.

Wer mag, kann den Beschluss lesen. Ich stelle hier nur die amtlichen Leitsätze vor. Wie immer gespickt mit zahlreichen Zitaten/Hinweisen auf andere Entscheidungen, denen man sich anschließt und die die Richtigkeit der eigenen Auffassung schon im Leitsatz untermauern sollen:

1. Die Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von nicht bei den Akten befindlichen Unterlagen (etwa Lebensakte eines Abstands- und Geschwindigkeitsmessgeräts) verletzt nicht den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK); vielmehr handelt es sich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) gerügt werden kann (Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 12.01.1983 – 2 BvR 864/81 = BVerfGE 63, 45 = NJW 1983, 1043 = StV 1983, 177 = NStZ 1983, 273 = MDR 1983, 548 = EuGRZ 1983, 196; BGH, Urt. v. 26.05.1981 – 1 StR 48/81 = BGHSt 30, 131 = NJW 1981, 2267 = NStZ 1981, 361 = StV 1981, 500 = MDR 1981, 860 ; Beschl. v. 28.03.2017 – 4 StR 614/16 [bei juris]; entgegen: OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss [OWi] 40/17 = ZfS 2017, 469 = NZV 2017, 392; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 08.09.2016 – 53 Ss-OWi 343/16 = StraFo 2017, 31 = VM 2017 Nr. 4; Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. vom 01.03.2016 – 2 OLG 101 Ss Rs 131/15 = NJW 2016, 1457 = NStZ-RR 2016, 186 = DAR 2016, 399 = NJ 2016, 468).

2. Ein Antrag, der auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Behauptung gerichtet ist, dass die dem vorgeworfenen Abstandsverstoß zu Grunde liegende „Messung nicht ordnungsgemäß“ sei und dass die “Vorgaben der PTB nicht eingehalten“ worden seien, stellt mangels hinreichend bestimmter Tatsachenbehauptung keinen Beweisantrag i.S.d. §§ 244 Abs. 3 StPO, 77 Abs. 2 OWiG dar.

3. Die bei einem Abstandsverstoß zu beachtende „Beobachtungsstrecke“ soll gewährleisten, dass der Verstoß auch vorwerfbar begangen wurde, was etwa bei einem plötzlichen Abbremsen oder einem unerwarteten Spurwechsel durch den Vordermann fraglich sein könnte. Aus diesem Grund muss die Beobachtungsstrecke nicht exakt 300 m betragen (Aufrechterhaltung OLG Bamberg, Beschluss vom 25.02.2015 – 3 Ss OWi 160/15 = NJW 2015, 1320 = NZV 2015, 309 = ACE-Verkehrsjurist 2015, Nr. 2, 10 = DAR 2015, 396).

Mir ist das immer ein wenig (?) zu viel.

Vorgelegt zum BGH wird (natürlich) nicht, Warum auch? Man befindet sich ja im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH.

Na ja, wenn man es alles liest: Markig, Aber: So ganz sicher scheint man sich dann doch nicht zu sein. Denn ich frage mich, was soll sonst der letzte Absatz, in dem es heißt:

„Abschließend sieht sich der Senat zu folgendem Hinweis veranlasst: Auch wenn aus den dargelegten Gründen der Grundsatz des fairen Verfahrens durch die Nichtbeiziehung von außerhalb der Akte befindlichen Unterlagen nicht tangiert wird, wäre es jedenfalls bei überschaubaren und leicht zu erlangenden Urkunden, wie etwa der Lebensakte, deren Umfang sich regelmäßig auf ein DIN A4-Blatt beschränkt, von Schulungsnachweisen des Messbeamten und des Eichscheins, schon aus Gründen der Verfahrenseffizienz ratsam, diese rechtzeitig zum Verfahren beizuziehen. Dies gilt umso mehr, als sich hierdurch, insbesondere bei Beachtung der Möglichkeiten zur Einführung solcher Urkunden in die Hauptverhandlung nach §§ 249 II StPO, 78 I OWiG gegebenenfalls eine zeitaufwendige Beweisaufnahme durch Heranziehung personeller Beweismittel erübrigen kann.“

Der ist doch völlig überflüssig, wenn die vertreteten Auffassung in der entschiedenen Frage richtig ist/wäre. Und wie will man reagieren, wenn die Amtsrichter, die entsprechenden Unterlagen, obwohl es „schon aus Gründen der Verfahrenseffizienz ratsam [wäre], diese rechtzeitig zum Verfahren beizuziehen“? Will man dann die Verletzung eines Grundsatzes der Ratsamkeit (kreiert durch das OLG Bamberg) prüfen? Ich bin gespannt.

Einsicht in Messdaten im Bußgeldverfahren, oder: Die Flut von Entscheidungen reißt nicht ab…

entnommen openclipart.org

Ich habe schon länger nicht mehr über OWi-Sachen berichtet und noch länger nicht mehr über AG-Entscheidungen zur (Akten)Einsicht in Messdaten im Bußgeldverfahren. Das hole ich heute nach. Die Pause war m.E. aber nicht schlimm, denn der Kollege Gratz vom VerkehrsBlog berichtet ja regelmäßig über „Einsichtsentscheidungen“ – nun, mit der Einsicht ist das allerdings teilweise so eine Sache. Aus seinem Blog habe ich auch  – mit seinem Einverständnis – einen Teil der Entscheidungen, die ich nachfolgend in Form einer kleinen Rechtsprechungsübersicht zusammen gestellt habe. Ich habe die Entscheidungen – aus zeitlichen Gründen – im Wesentlichen auch nicht auf meiner Homepage im Volltext eingestellt. Sie sind fast alle bereits über dejure beim Kollegen Garcia „greifbar. Also dann:

  • KG, Beschl. vom 15.05.2017 – 3 Ws (B) 96/17:  Zum erforderlichen Umfang der Begründung der Rechtsbeschwerde, mit der Nichtherausgabe von nicht in der Akte befindlichen Unterlagen (Rohmessdaten, Lebensakte, Wartungsunterlagen) gerügt wird (vgl. dazu Aufklärungsrüge nach fehlender Akteneinsicht, oder: Schattenboxen beim KG).
  • OLG Celle, Beschl. v. 28.06.2017 – 2 Ss (Owi) 146/17: Kein Anspruch auf Herausgabe einer Lebensakte. Eine solche muss nicht geführt werden (vgl. dazu schon:OLG Celle: Lebensakte muss die Verwaltung nicht führen, aber der Betroffene „tatsachenfundiert vortragen“).
  • OLG Saarbrücken, Beschl. v. 01.02.2017 – Ss Rs 2/17: Wird mit der Rechtsbeschwerde beanstandet, dass der Verteidigung bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Videodokumentation das Beweisvideo nicht zur Verfügung gestellt und dadurch das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt worden ist, muss auch vorgetragen werden, ob die Aufnahme in der Hauptverhandlung überhaupt in Augenschein genommen wurde, Verteidiger und/oder Betroffener hierbei anwesend waren und diesen die Möglichkeit gegeben wurde, sich zur Videoaufnahme zu äußern, blieb offen. Die Beanstandung, dass die Aufnahme vor der Hauptverhandlung  nicht hätte überprüft werden konnten, hat ggf. nur Erfolg, wenn mitgeteilt wird, weshalb eine Überprüfung in der Verhandlung nicht ausreichen soll.
  • AG Bad Berleburg, Beschl. v. 09.05.2017 – 7 OWi 73/17 [b]: Keine Übersendung der Daten der kompletten Messserie, wenn es sich um ein standardisiertes Messverfahren – hier TraffiStar S 350 – handelt. Die Rohdaten einer Geschwindigkeitsmessung sind “interne Hilfs- und Arbeitsmittel der Polizeibehörde”, in die kein Einsichtsrecht bestünde. Die Dokumentation über die üblichen Unterlagen wie Beweisfoto, Fall- sowie Messprotokoll hinaus übersteigen die Kapazitäten der Behörden in einem erheblichen Ausmaß
  • AG Bitburg, Beschl. v. 11.04.2017 – 3 OWi 49/17: Die Zentrale Bußgeldstelle ist verpflichtet, dem Verteidiger die digitale Messreihe sowie den Public Key des Messgeräts Poliscan Speed zu überlassen. Bestimmte Messfehler oder Auffälligkeiten lassen sich nur anhand der kompletten Messreihe feststellen. Die Behörde muss dem Verteidiger zudem Auskunft über mögliche Reparaturen oder andere Eingriffe an der Messanlage erteilen. Für den Fall, dass solche Eingriffe vorgenommen worden sind, sind außerdem Nachweise darüber herauszugeben. Die Messgeräteverwender sind gemäß § 31 MessEG zur Aufbewahrung der dort genannten Nachweise verpflichtet, allerdings regelmäßig nur bis zum Ablauf von drei Monaten nach Ende der Eichfrist.
  • AG Freiburg, Beschl. v. 07.06. 2017 – 37 OWi 88/17: Wird eine Lebensakte nicht geführt, hat die Verwaltungsbehörde dem Verteidiger Auskunft zu der Frage zu erteilen, wann und wa­rum das zum Einsatz gebrachte Messgerät eventuell repariert, gewartet, geeicht bzw. nachge­eicht wurde
  • AG Heidelberg, Beschl. v. 26.07.2017 – 16 OWi 432/17: Dem Verteidiger sind die Statistikdatei, die Wartungsunterlagen zum Messgerät (hier: PoliscanSpeed) sowie die Unterlagen zur verkehrsrechtlichen Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung von der Verwaltungsbehörde herauszugeben, das nur so die die Zuverlässigkeit des verwendeten Messgeräts beurteilt werden kann. Die Messserie selbst muss nur an einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Verkehrsmesstechnik übergeben werden, da Verteidiger in der Regel nicht über die notwendi­ge Auswertesoftware verfügen.
  • AG Heilbronn, Beschl. v. 23.5.2017 – 22 OWi 118/17: Da sich die Messreihe nicht in der Akte befindet, ist sie wie ein amtlich verwahrtes Beweisstück zu behandeln. Daher besteht insoweit nur ein Anspruch auf Besichtigung in den Behördenräumen, nicht aber auf Übersendung in die Kanzlei. Zum Führen einer Lebensakte für das Messgerät ist der Geräteverwender nicht verpflichtet, denn die Aufbewahrungspflicht nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG betrifft nur ungeeichte Messgeräte.
  • AG Mannheim, Beschl., v. 10.08.2017 – 28 OWi 516 Js 8303/17:     Kein Anspruch auf Beiziehung und zur Verfügung Stellung der Lebensakte bzw. der Wartungsprotokolle und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme des Messgeräts (hier Poliscan Speed).
  • AG Neumarkt, Beschl. v. 13.5.17 – 35 OWi 702 Js 102324/17: Dem Verteidiger ist Einsicht in die Lebensakte des Messgeräts zu gewähren. Dazu ist eine Kopie der Lebensakte zur Verfahrensakte zu reichen.
  • AG St. Ingbert, Beschl. v. 02.12.2016 – 2 OWi 356/16: Der Verteidiger hat Anspruch auf Übersendung einer Liste aller am Tattag mit einem Messgerät aufgenommen Verkehrsverstöße sowie der digitalen Falldaten in unverschlüsselter Form für die gesamte Messreihe des Tattages.

Die vorgestellten Entscheidungen zeigen, wie uneinig die Rechtsprechung sich in der für den Betroffenen wichtigen Frage ist. Dabei lässt sich m.E. aus der Rechtsprechung insgesamt die Tendenz ableiten, dass die AG eher die Messdaten zur Verfügung stellen als die OLG. Und die scheuen den BGH/die Vorlage wie der „Teufel das Weihwasser“.