Archiv für den Monat: April 2017

Heranwachsender und Nachtrunk, oder: Das gibt einen Pflichtverteidiger

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Der Kollege Voß aus Braunschweig hat mir den LG Braunschweig, Beschl. v. 19.04.2017 – 3 Qs 37/17 – übersandt und dazu angemerkt, dass danach dann wohl immer, wenn es um die Einholung eines Sachverständigengutachtens geht, dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden muss. Es geht um den Vorwurf der Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) bei einem Heranwachsenden. Eingewandt worden ist Nachtrunk. Dazu soll ein Sachverständigengeutachten eingeholt werden. Das LG sagt – anders als das AG: Dann muss der Angeklagte einen Pflichtverteidiger haben:

„Die Voraussetzungen der §§ 109 Abs. 1, 68 Nr. 1 JGG in Verbindung mit § 140 Abs. 2 StPO liegen vor.

Nach dieser Vorschrift ist dem Angeklagten unter anderem dann ein Verteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.

Die Sache kann für den Angeklagten dann als schwierig zu beurteilen sein, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den Angeklagten darstellt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl. 2016, § 140 Rn. 27 unter Hinweis auf OLG Hamm, Beschluss vom 22.04.2002, Az. 2 Ws 88/02).

So verhält es sich hier. Die zu erwartenden sachverständigen Ausführungen zur Frage des von dem Angeklagten behaupteten Nachtrunks stellen das einzige Beweismittel dar, um das erkennende Gericht von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu überzeugen.

Der erst 19-jährige Angeklagte dürfte nicht in der Lage sein, die Qualifikation des Sachverständigen oder die diesem zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden zu beurteilen und sich insoweit allein sachgerecht zu verteidigen.“

Anrechnung von Bewährungsauflagen, oder: Sechs Stunden = ein Tag

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Sechs Stunden = ein Tag? Ja, so das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 30.01.2017 – 2 Ss 152/16 – zur Frage der Anrechnung von erfüllten Bewährungsauflagen. Begründung:

„Die Anrechnungsentscheidung war, soweit es die Anrechnung der für die Bewährungsauflage aus der Verurteilung vom 04.05.2015 erbrachten Arbeits- und Geldleistung auf die vom Landgericht verhängte Gesamtstrafe betrifft, in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang abzuändern. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entsprechen bei der Anrechnung von erfüllten Bewährungsauflagen in Anlehnung an § 5 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit (ErsFrhStrAbwV ND) sechs Stunden geleistete Arbeit einem Tag Freiheitsstrafe. Unter Zugrundelegung dieses Anrechnungsmaßstabs sind die vom Angeklagten erbrachten 170 Arbeitsstunden mithin mit 28 Tagen anzurechnen, zzgl. eines weiteren Tages für die erfolgte Geldzahlung i.H. von 50 €. Der Senat kann in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Anrechnungsentscheidung selbst abändern, da er ausschließen kann, dass das Landgericht bei der Behebung des aufgezeigten Rechtsfehlers eine Anrechnung in größerem Umfang vorgenommen hätte.“

Elektronische Akte/Akteneinsicht, oder: Keine Rechtsgrundlage in Rheinland-Pfalz

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Ein kleines Schmankerl hat mir vor einigen Tagen der Kollege Brüntrup aus Minden geschickt. Es geht mal wieder um die Kosten für die Einsicht in die elektronische Akte. Die Zentralen Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz hatte dafür 12 € festgesetzt. Der Kollege hat Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Und das AG Pirmasens hat im AG Pirmasens, Beschl. v. 13.04.2017 – 1 OWi 424/16 – die Auslagenfestsetzung aufgehoben. Begründung: Keine Rechtsgrundlage:

„Die Führung einer elektronischen Akte ist, wie sich aus § 110 b Abs. 1 OWiG aber auch der Gesetzesbegründung ergibt, jedoch erst dann zulässig, wenn sie durch Rechtsverordnung zugelassen wurde (vgl. BT-Drs. 15/4067, S. 47, linke Spalte a. E.).

Eine entsprechende Rechtsverordnung liegt – wie seitens der Bußgeldstelle in der Stellungnahme vom 30.012017 (BI. 84 f. d.A.) bestätigt wurde – derzeit noch nicht vor. Insofern geschieht die Aktenführung bei der Zentralen Bußgeldstelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz, wo alle verfahrensrelevanten Dokumente zunächst nur digital vorhanden sind bzw. digital hergestellt werden und erst bei Bedarf — wie beispielsweise nach erfolgtem Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid — ausgedruckt werden, im Hinblick auf die fehlende Rechtsverordnung nach § 110 b Abs. 1 OWiG derzeit ohne Rechtsgrundlage (OLG Koblenz, Beschluss vom 06.09.2016 — 1 OWi 3 Ss Rs 93/16, zitiert nach juris, Rn. 5).

Da es insofern an einer zulässigerweise und durch Rechtsverordnung zugelassene Führung einer elektronischen Akte fehlt, kann auch keine Akteneinsicht nach § 110 d Abs. 2 S. 1 OWiG durch Erteilung eines Aktenausdrucks gewährt werden, da diese zwingend eine aufgrund Rechtsverordnung geführte elektronische Akte voraussetzt. Die Übersendung eines Ausdrucks einer insofern ohne Rechtsgrundlage geführten elektronischen Akte kann naheliegenderweise keine Aktenversendungspauschale begründen, denn eine solche kann nur dann anfallen, wenn Einsicht in eine zulässigerweise und ordnungsgemäß geführte Akte gewährt wird.“

Strafzumessungsfehler II: Das Schlag mit der Gartenharke, oder: Wunder gibt es immer wieder

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Bei der zweiten Strafzumessungsentscheidung, auf die ich heute hinweise, handelt es sich um dem BGH, Beschl. v. 23.02.2107 – 3 StR 530/16 -, in der der BGH einen – m.E. – klassischen Strafzumessungsfehler moniert. Nämlich den Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Das LG hat u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der BGH sieht – mit Recht – einen Rechtsfehler:

„Im Fall II. 1. der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt worden ist, hat der Strafausspruch keinen Bestand. Die Strafkammer hat insoweit zuungunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er bei den Schlägen gegen die Geschädigte das metallene Endstück der Gartenharke eingesetzt hat. Damit hat das Landgericht gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) verstoßen; denn durch die Benutzung des Stückes der Gartenharke beging der Angeklagte die Körperverletzung mittels eines sonstigen gefährlichen Werkzeugs und erfüllte somit den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.“

Und – oh Wunder: Der BGH geht nicht den Weg über: „Es ist auszuschließen, dass……“, sondern im Gegenteil:

„Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die rechtsfehlerhafte Berücksichtigung des genannten Umstandes bei der für die Tat II. 1. der Urteilsgründe verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sieben Monaten zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, war das Urteil insoweit aufzuheben. Der Wegfall dieser Einzelstrafe hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge.“

Wunder gibt es eben doch immer wieder 🙂 .

Strafzumessungsfehler I: „wenn das Kokain nicht für den deutschen Markt bestimmt ist“

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Und als zweite BGH-Entscheidung des heutigen Tage weise ich auf den BGH, Beschl. v. 07.12.2016 – 5 StR 476/16 – hin. Der BGH behandelt in einem Zusatz einen, wenn nicht klassischen, dann aber zumindest häufigen Strafzumessungsfehler im BtM-Bereich. Die „Bemerkung“ des BGh spricht für sich:

„Die strafmildernde Berücksichtigung des Umstands, dass das Kokain „nicht für den deutschen Markt bestimmt“ gewesen sei (UA S. 11), ist rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2015 – 5 StR 181/15, NStZ-RR 2016, 16 f. mwN). Der Angeklagte ist hierdurch jedoch nicht beschwert.“